Mittwoch, 24. Dezember 2014

Weihnachts-Post

Schon wieder. Weihnachten. Traditionell ist das die Zeit für meinen Weihnachts-Post - wenn man denn beim dritten Mal davon schon sprechen kann ... aber mit Begriffen wie "traditionell" sind ja gerade wir Lokaljournalisten ganz schnell bei der Sache ...

In so einer gabenreichen Phase wie dieser ist es - wie immer eigentlich im Leben - ja sehr wichtig zu wissen, was man will und/oder zu wissen, was man nicht will. Ich bin mir bei Wollen und Nichtwollen oft schon ziemlich dolle sehr felsenfest sicher - beruflich und privat, übrigens. Es ist ein Geschenk für mich. Ich weiß nun, dass ich wirklich das machen will, was ich so mache - auch wenn es oft unsicher und kompliziert ist, sich als Journalist durchs Leben zu schlagen und so manche Dinge und den Alltag nicht planen zu können. Aber die vergangenen Monate haben gezeigt: wenn ich mich doch schon mit Regeln immer mal etwas schwerer tue, ist mir Geregeltes erst recht so rein gar nichts - und dauerhaft bei einem Anzeigenblatt mit, unter anderem, geregelten Arbeitszeiten mag ich mit meinen 30 Jahren gerade nicht arbeiten. Ich weiß, dass ich das aller Sicherheiten zum Trotz einfach nicht will. Ich wähle bekanntlich oft das Beziehungsgleichnis für mich und meinen Beruf und stelle fest: das Arbeiten dort ist für mich wie auch das Verheiratetsein für mich war - es passt mir nicht und es passt nicht zu mir. Die Zeit dort hat mir aber gezeigt, was ich will - lest hier.

Als großes Geschenk hat sich nun zum Glück vor Weihnachten auch noch ergeben, dass ich genau das tun kann und weiterhin zum Team der örtlichen Lokalzeitung gehören darf, so mein Auskommen mit meinem Traumjob und damit in meiner Berufung haben kann - in unsicheren Zeitungskrisenzeiten durchaus ja keine Selbstverständlichkeit, da will ich mal das Beste daraus machen. Es gilt für die Zeitungslandschaft im Allgemeinen vielleicht wie für so viele Angelegenheiten: "Früher war mehr Lametta" ... aber es gilt, für mich, auch: "Alles wird gut."

Als noch größeres Geschenk empfinde ich es, dass ich lebenskluge Köpfe zu meinen Vertrauten in dieser Welt zählen darf, mit denen ich (auch) 2015 unter anderem gedenke - juchu, ich jauchze und frohlocke, es möge ein Insiderlächeln über Gesichter huschen - auf meinem Jacobsweg weiser zu werden. So ergibt es sich schlicht, dass ich mich 2014 wiederhole und, traditionell die Weihnachtsgefühligkeit als Aufhänger und Ausrede nutzend, einfach nur mal sagen will: Danke an Euch alle! Fürs Lesen. Hier und in der Zeitung. Danke für Anregungen, Tipps und Vorschläge. Danke für die nie unkritische aber stets wohlwollende Begleitung auf dem Jacobsweg! Und: Danke für all die Dinge, die so gar nichts mit meinem Beruf zu tun haben ... und mein Leben einfach schön machen.

Im Wesentlichen aber einfach: FROHES FEST!

 Ich würde sagen: Paula Print wächst.
2012 war es so
2013 dann so

Freitag, 21. November 2014

Ich will, ich will, ich will

Mein keimendes Burnout ist einer Art Boreout gewichen. Noch bis Jahresende bin ich vertretungsweise bei einem Anzeigenblatt (lest hier nach). Zu tun hat man dort schon ordentlich, das ist keine Frage. Aber was mich daran stört, ist genau das, was meine Arbeitskolleginnen dort so sehr schätzen: alles ist geregelt (igitt), vor allem die Arbeitszeiten. Was man heute nicht schafft, kann man auch mal liegen lassen und in den geregelten Feierabend starten. Und noch einige andere schöne Dinge ... 16 Uhr ist man manchmal schon daheim. Gerade die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei toll, finden meine zeitweisen Kolleginnen. Heute haben sie mich gefragt, wie mein Alltag als Tageszeitungsjournalist so aussieht ... und was ich so für Geschichten gemacht habe in meiner Laufbahn ... und wie das so ist ...

... und ich erzählte und erzählte ...

  • ... von dem Tag, an dem ich 4.30 Uhr (morgens) an einer vielbefahrenen Bundesstraße mitten durch ein Dorf stand, um vom Alltag in diesem Dorf zu berichten, wo die Leute morgens allein schon 20 Minuten mehr auf dem Weg zur Arbeit einplanen, um aus ihrer Einfahrt auf die Bundesstraße einbiegen zu können ... und ich erzählte, dass ich dann ab 9 Uhr in der Redaktion saß und normal an der Ausgabe des Folgetages arbeitete und an dem Tag noch bis abends 22 Uhr in einem Gemeinderat gesessen habe, um den aktuellen Abwasserzoff zu dokumentieren ... und ich erzählte, dass die Geschichte über das Dorf nicht nur in der Lokalausgabe, sondern der gesamten Ausgabe erschien und ein Boulevardblatt sie abkupferte und TV-Teams ins Dorf kamen ...
  • ... und ich erzählte, dass ich mal eine Reportage über einen Swingerclub geschrieben habe und einmal aus dem spontanen Mitnehmen von zwei Trampern eine wunderbare Story über ein Metalfestival entstand ... und ich erzählte, dass ich mal im Sommerloch wirklich den Aufmacher auf der Straße fand, indem ich über die vielen Flickarbeiten auf dem Pflaster vor meiner ehemaligen Haustür berichtete
  • ... und ich erzählte, dass ich gerne Satirisches über die lokalte Politik und ihre Macher schreibe und dass ich deswegen manchmal nicht weniger bitterböse Kommentare der lokalen Politiker einstecken darf und mich das erst recht anstachelt ...
  • ... und ich erzählte, dass ich diverse Male von Unfällen und Bränden berichtet habe, in Straßengräben hockte, um Fotos zu machen und oft zu schnell Auto fahre, wenn ich gute Bilder haben will und dass bei mir der Reflex zum Kamera schnappen und losrennen einsetzt, wenn ich eine Sirene höre ... und ich erzählte, dass ich mich geärgert habe, dass die letzten großen Einsätze an Kollegen von mir gegangen sind ...
  • ... und ich erzählte, dass ich bis auf den Sport Tag für Tag im Lokalen jedes Ressort bearbeite - mal rezensiere ich die aktuelle Produktion am örtlichen Theater, dann wühle ich mich durch den städtischen Haushaltsplan oder besuche Firmen ...
  • ... und ich erzählte, dass es oft stressig zugeht an der Tageszeitungsfront, weil da nix liegen bleiben kann ... und man an manchen Tagen ohne Murren 300 Zeilen von sich geben muss ...
  • ... und ich erzählte, dass mich eine Geschichte vor Gericht und zu schlaflosen Nächten gebracht hat ...
  • ... und ich erzählte von Leuten, die mich auf der Straße wegen einer besonders schönen Geschichte ansprachen und dass sie mir oft sagen, dass ich sie zum Lachen oder auch Weinen gebracht habe ... und ich erzählte, dass mich einmal ein Polizist bei einer Demo, über die ich berichtete, herauszog, nur um mir zu sagen, dass er bei meiner Geschichte über einen Feuerwehrmann geweint hat ...
  • ... und ich erzählte, dass ich so bekannt bin, dass ich mich manchmal nicht mehr unerkannt in meiner Stammkneipe rumtreiben kann und irgendwie jedes Gespräch schnell ins Berufliche kippt ... und mich Leute gerne über mein privates Facebookprofil & Co. anschreiben und ich nie ganz abschalten will ... und ich erzählte, dass ich so wie eine kleine Spinne ein Netz an Informanten habe ...
  • ... und ich erzählte, wie gerne ich Schulklassen von meinem Beruf erzähle und sie mich meistens fragen, wann ich mich für diesen Beruf entschieden habe und ich dann sage, dass ich damals selbst noch Grundschüler war und doch sofort verliebt ...
... und als ich so erzählte und erzählte und erzählte ...

... wurde mir klar, dass ich nichts anderes will als das - genau das alles! Ich will Lokaljournalismus machen. In meiner Heimatstadt. Sonst nix.

Samstag, 1. November 2014

Die Journalistin in meinem Kopf

Wenn ich ihr so Geschichten aus meinem Leben erzähle, sagt meine Mama gerne mal, dass ich doch ein Buch schreiben solle. Hm. Vielleicht besser nicht! Oder: Der Zug ist abgefahren. Und überhaupt und sowieso! Denn über Journalisten heißt es doch ohnehin schon, dass sie verhinderte Schriftsteller seien. 

Und außerdem hat eine andere schon ein Buch geschrieben, das ich selbst nicht besser hätte formulieren können. Es folgt also eine Werbeunterbrechung. Quasi ...

Bekanntlich bin ich großer Brandenburgfan. Dort trug sich jener Glücksumstand zu, der zum Erwerb des Buches "Mir fehlt ein Tag zwischen Sonntag und Montag Geschichten vom schönen Scheitern" der wunderbaren Katrin Bauerfeind führte. Die Buchhändlerin hatte mich in meiner brandenburgischen Lesesucht bereits einige Tage zuvor gut beraten und da überwand ich auf ihr Zuraten hin meine Abgneigung dem Bauerfeind-Buch gegenüber. Es ist ja nicht so, dass ich die Bauerfeind nicht mögen würde. Ich freue mich, wann immer ich sie im TV oder diesem Internet sehe. Aber als es hieß, die habe jetzt auch ein Buch geschrieben ... da zog ich die Augenbraue nach oben und lehnte es aus Prinzip ab, dieses Buch zu kaufen. Dieser ewige Reflex bekannt bis berühmt gewordener Menschen jetzt auch noch ein Koch-, Ratgeber- oder Irgendwasbuch massenhaft unters Volk zu bringen und das auch nur dank des eigenen Promistatus? Noch so eine selbstironische Frau um die 30, die meint ihre Sicht auf die Dinge aufschreiben und damit am Ende auch noch Anerkennung und/oder Geld verdienen zu müssen? Tzzzz! Das muss ich doch nicht unterstützen! Da konnte ich die Katrin gleich ein bisschen weniger leiden.

Die Buchhändlerin meinte aber, das sei alles Quatsch und das Buch sei perfekt für mich, meinen Beruf, mein Alter und so weiter. Also gekauft. Und an einem Nachmittag verschlungen. Tränen gelacht, Bauchaua von Lachkrämpfen bekommen. Und eine große Verschwörungstheorie entwickelt!

Ich vermute, dass die Bauerfeind so ein bisschen auch in meinem Kopf steckt. Zumindest schreibt sie wohl vielen Frauen (oder Frauen wie mir, es muss doch noch mehr von meiner Sorte geben...) aus dem Herzen, von der Seele ...

Zum Beispiel, dass es furchtbar ist als Singlefrau um die 30 immer ein wenig schief angesehen zu werden. Dass auf die Ansage, dass man solo sei, immer so ein Zweifel in der Stimme der anderen liegt, wenn sie etwas wie "Waaaaaas?! Dabei bist du doch so eine tolle Frau!" sagen. Da schwingen Mitleid und Abkanzeln mit. Als habe man nicht einfach nur keinen Partner, sondern einen an der Klatsche. 

Ich habe schon lange die Vermutung, dass viele Menschen lieber in unbefriedigenden Beziehungen leben als den Stempel "Single" zu tragen. Sie leben lieber unglücklich zu zweit als glücklich allein. Lieber die Fassade (ich nenne solche Leute Fassadenmenschen) wahren, man sei ja total "normal", weil wie jeder andere auch in einer wenn auch eher lala Beziehung als eben "abnorm", weil man lieber allein ist als mit irgendjemandem zusammen, der eigentlich nicht wirklich zu einem passt, mit dem man sich nicht austauschen und den man nicht wirklich lieben kann  (den wirklich "passenden" Menschen kennt man übrigens auch unter dem Begriff Lebensmensch, ich nenne so jemanden aber entsprechend meiner TV-Sozialisierung auch mal Mr. Big oder McDreamy).

Und wer obendrein als Frau mit um die 30 keine massiv tickende biologische Uhr hat, muss ja sowieso eine elende Schrulle sein. Sagen die! Die Bauerfeind erklärt, wie es wirklich ist und man möchte ihr sofort einen Antrag dafür machen. Kinderlos sei nicht das neue langweilig und Kinder kaum mit Hunden zu vergleichen, weil der Hund nämlich der beste Freund des Menschen ist, weiß Frau Bauerfeind unter anderem in einem Kapitel zu berichten, das ich beim ersten Mal wild lachend durchlas. Und schrullig sind in Wirklichkeit diese bloßes Muttertier gewordenen Frauen, die sich nur noch um das Kind drehen. Ich halte inzwischen Abstand zu solchen Frauen. Aus gutem Grund. Während sie in dieser angeblich modernen Gesellschaft nicht erklären müssen, warum sie Kinder haben, muss ich erklären, warum ich keine habe.

Nein, Kinder sind nicht für jede Frau das Ziel im Leben. Genauso wenig wie den Mr. Right nach dem Motto "Mr. Right, alles right" zu finden (Nein! Die wichtigste Beziehung ist die zu sich selbst). Es geht sehr gut auch ohne diese angeblich einzig erstrebenswerten Punkte! Es ist eine Frechheit, dass einem dies dann aber als Scheitern ausgelegt wird. Ohne diese angeblichen Standards im weiblichen Leben zu sein, ist kein Schicksalsschlag oder Makel - sondern eine absolut bewusste Entscheidung.

Und dass die Bauerfeind wie ich ein Opfer der Kosmetikindustrie ist, das jede Art Creme schon auf dem Gesicht hatte und jedes Versprechen dieser milliardenschweren Industrie erstmal glauben mag, werte ich als den letzten Beweis, dass Journalistinnen um die 30 sich hierzulande ziemlich ähnlich sind. Sie haben ein paar Macken (durchweg sympathische), Ecken und Kanten, ihren eigenen Kopf, erste Falten (frau nennt sie Veronica Ferres, damit die Falte weiß, was frau von ihr hält), Talent, Humor, Selbstironie, Lebenslust, Spaß an ihrem Job, die Emanzipation begriffen, Spleens wie den mit der Cremegläubigkeit, das (Selbst)Bewusstsein einfach toll zu sein (ich finde mich super, aber auch toll und großartig) ... tausend andere Facetten - und manche eben ein Buch auf dem Markt.

Ich werde übrigens demnächst zu einer Lesung der Bauerfeind gehen. Ich werde sie bitten, mir mein Exemplar mit "BauerNfeind" zu signieren. Das ist sie mir schon schuldig. 

Und was ich eigentlich sagen wollte: Kauft und vor allem lest dieses Buch!


* Zu Verschwörungstheorien, sagt sie selbst, neigt die Bauerfeind übrigens auch! Diverse Male beim Lesen dachte ich nämlich das Folgende: "War die in meinem Kopf? Warum stehen da genau meine Gedanken zu all diesem Karriere-, Kinder-, Männerkram? Sind wir alle gleich?"

Donnerstag, 9. Oktober 2014

Weltveränderer

25 Jahre ist es heute her, dass die Montagsdemos den Stein der Wiedervereinigung endgültig ins Rollen brachten. Ich betone: endgültig. Denn zuvor hatten es - unter anderem!!! - schon jene getan, die die DDR verließen, die Flucht wagten und/oder in der Prager Botschaft Genschers berühmten Halbsatz hörten. Aber auch jene, die in diesem Land blieben und es verändern wollten, auf die Straße gingen. Unvergessene und unvergessliche Momente der Geschichte. Noch dazu gut dokumentiert durch Medien und ihre Chronistenpflicht. Journalisten waren dabei als Weltgeschichte geschrieben wurde und haben es aufgeschrieben, gefilmt, aufgezeichnet ... wer mag, der kann sich heute im Internet einen Gänsehautmoment nach dem anderen ersurfen ...

Als die Mauer fiel, war ich fünf Jahre alt. Ich kann mich an diese Zeit gut erinnern ... Die Stimmung daheim war angespannt ... Niemand konnte bis zum 9. November wirklich wissen, dass dies die Friedliche Revolution wird und das alles gut ausgeht. Vielleicht waren meine Eltern, meine Mutter war gerade mit meinem kleinen und dritten Bruder schwanger, deshalb manchmal so nervös in diesen Tagen. Und der Fernseher ständig auf Empfang? Das gab es bei uns zu Hause im Gegensatz zu vielen anderen Familien nicht. Ich kann mich nur an zwei Ereignisse erinnern, an denen das anders war. Den 11. September 2001. Und den Herbst 1989. Einen Herbst, in dem ich mich als kleines Mädchen vor allem darauf freute, bald zur Schule gehen und lesen, schreiben, rechnen lernen zu können. Das um mich herum gerade Geschichte geschrieben wurde, konnte ich ja nicht wissen ...

25 Jahre später weiß ich: Auch Leute wie ich es heute bin, haben dazu beigetragen, dass die Mauer fiel. Weil wir Journalisten dabei waren und diese Weltgeschichte dokumentiert haben. Und wir Journalisten haben die Entwicklung noch vorangetrieben, waren daran mehr oder weniger aktiv selbst beteiligt. Allen voran Riccardo Ehrman. Ein Name, den man kennen sollte. Ehrman ist Journalist. Der Italiener im Dienste einer Presseagentur war es, der vor 25 Jahren Günter Schabowski zu der Aussage gebracht hat, die DDR-Bürger könnten sofort ausreisen. Es war eigentlich eine ganz normale DDR-Pressekonferenz, die so fast eine Stunde dahin plätscherte. Floskeln. Erst wollte er nicht, dann ließ Schabowski doch Fragen zur Flüchtlingswelle zu. Ehrman fragte konkreter nach dem Reisegesetz: "War der Reisegesetzentwurf vor ein paar Tagen nicht ein Fehler?" Die anderen Journalisten hakten nach, stellten mehr und mehr Fragen. Schabowski zog dann seinen Zettel - zum Glück ohne Sperrfristvermerk darüber, dass diese neue Regelung erst noch beschlossen und einen Tag später verkündet werden sollte. Und auf diesem Zettel stand, Privatreisen ins Ausland könnten beantragt werden. Die Genehmigungen würden "kurzfristig erteilt". Man könne über alle Grenzübergangsstellen ausreisen. Ehrmann stellte noch als erster der Anwesenden nur eine Frage. Und es war eine gute Frage! Er fragte einfach, ab wann das gelte? Und Schabowski stammelte: "Nach meiner Kenntnis [...] sofort, unverzüglich." Der Rest ist bekannt: Tausende fuhren an die Grenze und machten von diesem Recht Gebrauch - die Mauer fiel ...

Ehrmann übrigens erklärte später in so manchem Interview zu seiner Rolle als großer Geschichtsschreiber schlicht: "Ich habe nur meine Arbeit gemacht." Eine gute Arbeit! Manchmal kann ein guter Journalist eben die Welt verändern oder zumindest dazu beitragen, dass sich selbst Dinge, die lange als so unumstößlich wie eine Mauer galten, ändern:


Und Schabowski - übrigens wohl selbst mal studierter Journalist - hat eigentlich auch nur seinen Job gemacht, nicht gut für das Regime, aber gut für uns alle:


Wie der Tag für Ehrman lief, lest Ihr unter anderem auch hier: Die Frage der Fragen. Und mancher glaubt, das alles war geplant: Ehrman, Schabowski und die Folgen.

Und weil es so schön ist, der schönste Halbsatz 1989:

Sonntag, 5. Oktober 2014

Schublade

Ich erweitere gerade meinen Horizont und sammle Erfahrungen, wie ich künftig Menschen noch leichter in meinen Schubladen verstauen kann. Der geneigte Leser erinnert sich vielleicht, dass ich gerade mal nicht hauptamtlich Tageszeitungsjournalist bin. Ich übernehme als Elternzeitvertretung den Dienst bei einem Anzeigenblatt - wieso, weshalb, warum steht hier. Man könnte also beim Blick auf meinen Lebenslauf sagen, dass ich nun bis auf TV wirklich alles schon gemacht habe, was so Journalismus genannt wird.

Und ich stelle nach diversen Stationen fest: Ganz egal, ob nun Journalist bei einer Tageszeitung, bei einem Anzeigenblatt oder einem Rundfunksender - der Journalist ist hier wie dort ein ganz bestimmter Typ Mensch. Auch an meinen neuen und leider - ich hab sie schon gern wegen der Wellenlänge und so - nur zeitweisen Kollegen fällt auf: Der Journalist an sich ist vom Wesen her zunächst erstmal eher mufflig und nicht leicht zu begeistern. Im besten Sinne. Journalisten sind ja nun einmal Leute, die grundsätzlich die Dinge hinterfragen soll(t)en und schon (zu) viel gesehen und erlebt haben. Wer die Wahrheit finden will, muss die Lüge erkennen. Der Journalist wittert überall kleine und große Lügen. Das hinterlässt Spuren. Also wird alles mit einem Spruch garniert, der mindestens ironisch und in der Regel sarkastisch bis zynisch ist - das soll unseren Abstand zu einer Sache und Objektivität belegen. Wobei natürlich Muffligkeit aus Prinzip schon wieder sehr subjektiv ist. Das ewig gut gelaunte Dasein, wie es ja oft mit einer gewissen Naivität einhergeht, und die schnelle Begeisterung, die noch dazu mit Worten wie "prima" ausgedrückt wird, ist dem echten Journalisten eigentlich fremd. Wobei ... ich kenne sogar eine "Journalistin", die zeichnet sich durch genau solch eine ewig gute Laune aus... 

Und es fällt auf: Journalisten haben tatsächlich einen bestimmten Look. Zumindest die "älteren" Journalisten, die mindestens 1984 auf die Welt kamen - ich beschrieb es hier bereits. Auch meine neuen Kolleginnen schätzen Umhängetaschen mehr als alles andere, sammeln Kugelschreiber darin, halten 3,2 cm bereits für einen Absatz am Schuh und kommen mit Jeans statt Kleidchen bestens durchs Leben. Alles andere, was im weitesten Sinne bei einer Zeitung, einem Anzeigenblatt oder einem Rundfunksender arbeitet - vom Azubi über den Kaufmann oder Berater bis zur Sekretärin - sieht irgendwie ganz anders aus. Ich meine, dass ich auf jedem Zeitungs-, Anzeigenblatt- oder Rundfunksenderflur erkennen würde, wer dort als Redakteur arbeitet und wer was anderes ist. Wegen der Schublade...

Andere haben nämlich auch einen unnachahmlichen Look. Jenen, dem man gerne den Stempel "gepflegt" aufdrückt. Wobei ein Mensch, der nicht danach aussieht als würde er seine Abende in einem Wohnzimmer verbringen, das aussieht als wäre es direkt der Ausstellungsfläche eines Möbelhauses im mittleren Preissegment entsprungen, ja nicht gleich ungepflegt ist – sondern nur andere Hobbys pflegt als RTL schauen und an besonders prickelnden Abenden dazu mal noch einen Sekt zu trinken. Man ist ja auch nicht gleich ungepflegt, wenn man eine Frisur hat, die morgens nicht zwangsweise geföhnt oder mit an künstlerischer Begabung grenzender Geschicklichkeit gesteckt werden muss. Nägel aus Kunststoff allein machen ja auch noch keinen echten Menschen. Make-up, das aussieht als wolle man gleich in die Oper oder in einer mitspielen, lässt einen ja nicht das Gesicht wahren. Rückgrat bekommt man nicht durch Schulterpolster. Man muss keine Duftwolke aus Haarspray und Parfum nach sich ziehen, um seine Marken zu setzen. Und bloß weil man beim Gehen kein klackerndes Geräusch macht, heißt das, dass man auf der Stelle tritt.

Wer so aussieht, kann kein Journalist sein ...da würde ja die Schublade sperren ...

Sonntag, 21. September 2014

Lieber jetzt als Prinzessin

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft* ... sagt man doch. Das ist nicht dumm. Ich mag diesen Ansatz. Nichts gegen Geburtstag und Weihnachten und die damit verbundenen Geschenke. Aber ich schätze es weit mehr, wenn mich Menschen so schätzen, dass sie mir einfach mal so eine Kleinigkeit überreichen, was das Schätzen belegt. Wobei die Betonung wirklich auf Kleinigkeit liegt. Und noch mehr schätze ich es, wenn sie schätzen, was ich tue und die Kleinigkeit zu meinem Beruf passt. Notizbücher sind sehr wichtig für mich und ich habe da besondere Ansprüche - siehe da.

Meine Mama überreichte mir kürzlich diese Kleinigkeit:


Das fetzt! Pink - ich erwähnte es sicher schon mal - ist ja keine Farbe, sondern eine Lebenseinstellung. Das weiß meine Mama. Das kleine Büchlein ist bereits zum Einsatz gekommen und ich habe es extra für die Notizen genommen, als ich ein Interview mit einer tollen jungen Frau führte, die gerade eine schwere Erkrankung überstanden hat. Später mal mehr dazu. Meine Mutter überreichte mir das Buch - und das ist so toll daran - genau passend zu einer kleinen Frustphase, in der ich echt am liebsten alles hingeschmissen hätte. Wobei ihr - zum Glück - klar sein dürfte, dass dieses Prinzessinnentum und auch das Hinschmeißen absolut nichts für mich ist! Immerhin hat sie mich erzogen! Ich will keine Prinzessin sein. Und mittlerweile sehe ich das eher so:


Dieses Notizbuch haben mir meine liebsten Freunde geschenkt. Recht haben sie. Die beste Zeit ist jetzt! Das merkt man schon daran, dass ich in letzter Zeit kaum Zeit hatte, meinen Blog zu pflegen. Ich war in den vergangenen Wochen fast jeden Abend unterwegs und habe mein Jetzt genossen. Ich saß so unter anderem erst kürzlich mit einem Kollegen - wir waren schon gemeinsam in einem Volojahrgang - in meiner Stammkneipe und wir jammerten nicht über das Jetzt der Branche und "unserer" Zeitung, obwohl wir beide allen Grund dazu hätten. Denn das Jetzt der Zeitung trifft die Jungen wie uns besonders hart. Aber nein, wir jammerten nicht, wir lachten. Wir unterhielten mit unserem Spaßgalgenhumor über dieses Jetzt die ganze Kneipe gleich noch mit. Ich glaube ja, dass das Paar am Nebentisch extra lange blieb, um uns weiter zuhören zu können. Redaktionskonferenzen der Harald-Schmidt-Show könnten so amüsant abgelaufen sein wie unsere kleine Kneipkur. Dann holte uns der dritte Kollege ab. Drei Journalisten um die 30 auf Tour als gäbe es kein Morgen...

Wir wissen jetzt noch nicht, ob wir nächstes Jahr überhaupt noch so zusammen arbeiten dürfen. Und ich weiß nicht mehr allzu viel von diesem Abend. Aber ich weiß jetzt: Es war jetzt und es war die beste Zeit.

* Ich werde auch mal wieder Kleinigkeiten verteilen ...

Sonntag, 7. September 2014

Wunderwandelbar

Es ist grad alles ein bisschen anders und doch wie immer. Eigentlich. Die vier kommenden beziehungsweise gerade angebrochenen Monate bis 2015 bin ich nicht hauptamtlich als Lokaljournalistin in der eigenen Stadt aktiv. Eigentlich. Journalismus ist für mich ja eher eine Lebenseinstellung ... und eine Sache, von der ich in meinen besonders verzweifelten Momenten sage: "Ich kann nicht mit, ich kann nicht ohne." Seltsame Beziehungskiste, die wir da haben, der Journalismus und ich ...

Abstand hilft ja, wenn es beziehungstechnisch grad mal nicht so läuft. So übernehme ich gerade eine Elternzeitvertretung beim wöchentlich erscheinenden Anzeigenblatt in der großen Stadt unweit meiner kleinen Stadt. Ich trage die redaktionelle Verantwortung einer ganzen lokalen Ausgabe dieses Blattes - nur ist es nicht meine eigene "Lokalität". Als ich grad in Brandenburg urlaubte (ich nenne es "brandenburgen") wurde ich gefragt, ob ich das machen würde - und ich habe zugesagt. Fürwahr kann man sicher trefflich darüber streiten, ob mir das außer Geld auch noch was für meine persönliche/journalistische Entwicklung bringen wird. Ich sage: JA!

Ja, ich liebe meinen Job. Ja, ich will keinen anderen als den. Ja, ich will nach diesen vier Monaten ganz schnell wieder zurück. Ja, ich will tagesaktuellen lokalen Journalismus machen.

Aber, ich brauch nur mal kurz einen anderen Job. Ich gönne mir mal eine Affäre - nebenbei hab ich trotzdem noch eine ganz große Gefühlskiste mit dem Job laufen, mit dem ich seit Jahren verheiratet bin. Ich bin gerade Teilzeitlokaljournalistin. Das ist echt nicht schlecht. Ich nutze die kommenden Monate dazu, mal nicht täglich 80 bis 300 Zeilen aus mir rauszuholen, permanent unter Strom zu stehen, alles mitzukriegen, alles zu erledigen, alles regeln zu wollen - und dabei auch noch meinem eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Ich muss nicht die Arbeit anderer übernehmen, weil sie es grad zeitlich oder sonst irgendwie nicht packen. Ich muss nicht warten, dass der Kollege seinen Text zum Korrekturlesen freistellt - ich bin eben allein verantwortlich für ein Blatt, redigiere fast nur, baue Seiten und "chefe" ansonsten ein bisschen rum, alles nach meinem Takt. Ich habe mal geregelte Arbeitstage mit geregeltem Feierabend. 16 Uhr kann der Hammer fallen, oder sogar eher. Ich kann abschalten zum Feierabend. Die Bürotür ist zu und der Job ist Job, das Herz hängt nicht daran. Es gibt keinen täglichen Produktionsdruck. Ich muss nicht täglich Artikel abliefern. Der Job ist mit Sicherheit nicht ohne - aber gerade frisch aus der Tretmühle der Tageszeitung heraus, merke ich wie nah das Burnout zuletzt für mich war. Es hat zuletzt keinen wirklich großen Spaß mehr gemacht. Ich habe nur noch funktioniert.

Dass ich die Notbremse rechtzeitig gezogen habe, merke ich an der frisch verliebten Laune tief in meinem Journalistenbauch. Ich sehe meine Stadt wieder mit anderen Augen. Da liegt der Aufmacher wieder auf der Straße und ich hebe ihn gerne auf. Schreiben macht wieder richtig Spaß. Ich spule nicht mehr das Handwerkszeug ab, das ich - zum Glück - beherrsche. Aber weil ich mein Handwerk beherrsche, konnte auch kaum einer herauslesen, dass bei mir die Luft lange raus war. Jetzt kann ich wieder mit Worten spielen. Und ich widme mich gerade in aller Ruhe meinen Herzensangelegenheiten und nehme mir richtig viel Zeit für "meine" Geschichten und "meine" Leute. Call a Jacob. Ich mache jetzt die Geschichten, auf die ich wirklich so richtig Lust habe. Heißt: Jeder, dem ich jetzt in meiner Freizeit eine Zeile aus meiner Feder widme, darf sich - erst recht - geehrt fühlen, dass ich komme! Ich mache meinen Job wieder richtig gerne. Ich liebe meinen Job. Und das macht wieder Sinn!

Freitag, 29. August 2014

Folgegeschichte

Immer wieder spannend und schön ist es im Journalismus, eine an sich "alte" Geschichte wieder aufzugreifen und mal zu schauen, was aus X oder Y oder Z geworden ist. Ich selbst lese das auch gerne. Ich schreibe das auch gerne. Ich will das gerne auch hier leisten.

Möglicherweise hat sich ja auch nie einer von Euch gefragt, was eigentlich aus dem folgenden formschönen Paket lokaler Zeitung hier wurde (Ja, was wurde eigentlich aus der lokalen Zeitung? - diese Frage wird schneller zu klären sein, als je befürchtet): 


Es entpuppte sich als:


Ich schrieb darüber im Post "Der Wert der Zeitung". Heute möchte ich kundtun, was daraus wurde. Blühende Landschaften (der geschundenen lokalen Zeitung entsprungen):

Es ist eine Starovase.

Sonntag, 24. August 2014

Angesprochen

Die erste Arbeitswoche nach Urlaub habe ich hinter mir. Es war gar nicht mal so schlecht. Obwohl ... oder besser gerade weil ich die Umfrage machen musste. Bekanntlich mag ich Umfragen - to do: Foto und kleine Meinung des Otto Normal auf der Straße einholen - nicht besonders (das steht hier). Etwas anders lief es in dieser Woche. 

Immer wieder sehe ich in der Stadt eine ältere Dame, die mich immer (!) nett anlächelt. Ich begegne ihr auf dem Weg zum Bäcker, auf dem Weg zum Imbiss, auf dem Weg in den Konsum, auf dem Weg zu meinen Eltern, auf dem Weg zum Arzt. Sie lächelt. Und ich lächle zurück. Immer. Vielleicht ist sie so Anfang 70. Sie trägt - leider - diesen beigen Einheitslook, wie ihn ältere Frauen gerade im Osten Deutschlands offenbar mit Auszahlung der ersten Rente vermacht bekommen. Aber sie hat eine fesch dunkelblond toupierte Frisur und trägt Lidschatten und Eyeliner, was ich ja einen netten Bruch dieser Beigetristigkeit finde. Auf dem Weg zur Umfrage begegnete sie mir auch und ich ergriff meine Chance, sprach sie an: "Hallo!", sagte ich. "Sie lächeln mich immer so nett an. Kennen wir uns? Und ich, ich kann mich nicht mehr erinnern? Dann tut es mir leid!", fuhr ich fort. Und sie lächelte mich wieder an und sagte: "Nein, Sie kennen mich nicht. Aber ich kenne Sie aus der Zeitung. Und ich finde das alles so gut, was Sie machen und darum lächle ich!" Meine Wangen fingen zu glühen an, ich lächelte verzückt und dankte mehrfach für dieses Kompliment. Hach. Und ach: An der Umfrage, übrigens, wollte sie trotzdem nicht teilnehmen. Also findet sie doch nicht alles gut, was ich für die Zeitung mache. Aber was soll's, ich mag die Umfrage ja auch nicht.

Meinen Freitagabend verbrachte ich teilweise im nahen Konsum. Ich erledigte meinen Wocheneinkauf. Zwei Mal. Es muss das Alter sein. Oder der Stress. Oder so. Ich werde vergesslich, nutze aber auch keinen Einkaufszettel. Und ich bin in Gedanken oft ganz woanders. Als ich das beim ersten Anlauf Gekaufte in meinem Kühlschrank verstaute, stellte ich fest, dass ich einiges vergessen habe. Also lief ich wieder los, um das Fehlende wie Schnittkäse zu kaufen. Die Frau an der Kasse hat sich gefreut, mich zwei Mal in nicht mal einer Stunde zu sehen. Ich freute mich, beim zweiten Blick noch was Neues an Leckerschmeckern in den Regalen zu entdecken. Und meine Mutter würde sich nach mehr als einem Jahr Singletums meinerseits vielleicht freuen, dass ich nun offiziell mal wieder die Mutter eines Mannes kennengelernt habe. Als ich gerade dachte "2.39 Euro für 80 Gramm Serrano-Schinken, das finde ich nicht übertrieben" sprach mich eine Frau an. Sie sagte: "Ich wollte das immer mal machen. Aber heute spreche ich Sie mal an!", was ich ja die ideale Gesprächseröffnung finde, wenn man jemanden schon immer mal ansprechen wollte. Sie kam dann schnell zum Punkt: "Ich bin die Mutti vom XL." Das ist jener schwer verunglückte Feuerwehrmann, der mich zum Weinen brachte, mittlerweile ein Freund im bruderhaften Sinne ist (wir sprachen kürzlich über mein PMS) und dem ich die wichtigste Geschichte meiner Laufbahn verdanke (steht hier in XL). Sie habe mich ja immer schon mal gesehen und sich erst heute das Herz gefasst, mich anzusprechen. Das gibt mir zu denken. Habe ich sonst die Ausstrahlung eines Menschen, den man besser nicht anspricht? Gut möglich. Aber trotzdem ein wunderbarer, warmer und zuckersüßer Moment. Ich habe mich sehr, sehr, seeeeeeeehr gefreut. Hach. Und ach: Meine Mutter freut sich sogar, dass ich nach wie vor Single bin. Ich schätze mal: Genauso wie sie gerne hätte, dass ich endlich mal ein Buch schreibe, ist auch mein Singleleben ein bisschen Ausleben verpasster Dinge in ihrem Leben. Und außerdem habe ich jetzt Serrano-Schinken im Kühlschrank.

Sonntag, 17. August 2014

B-Bilanz (was gelernt)

Man könnte sagen, dass ich mit just B (Jahresurlaub irgendwo im Nirgendwo Brandenburgs) ohne mich großartig vom Fleck zu bewegen* für meine Verhältnisse sehr weit gekommen bin. Zumindest habe ich zusätzlich zu diesen hier noch ein paar/Paar Erkenntnisse mehr gewonnen:

Ich kann mich selbst erkennen


Nach langer und schöner Einsamkeit habe ich ein paar der Tage in Brandenburg auch mit dem dort sesshaften Teil meiner Familie zugebracht. Dazu zählt meine noch keine drei Jahre alte Nichte. Nicht nur, dass ihr und mir oft eine äußerliche Ähnlichkeit nachgesagt wird. Das habe ich früher ja gerne mal belächelt, denn meine Nichte ist "nur" meine Nichte und ja nicht mein Spross. Aber inzwischen habe ich erkannt, dass es beim Hervorheben unserer Ähnlichkeit wohl nicht nur um große Kulleraugen geht, in denen man fast jeden Gemütszustand der Inhaberin lesen kann. Gewisse Charaktereigenschaften scheinen diesen Eindruck der Ähnlichkeit zu verschärfen: Eines der ersten deutlich und klar hervorgebrachten Worte der Kleinen war "Nein". Sie benutzt das Wort sehr gerne, artikuliert es sehr deutlich, sehr oft und manchmal - scheint mir - auch einfach nur aus Prinzip. "Alleine" (eher "lllleinäh" gesprochen) ist ein weiteres Prinzip, das meine Nichte konsequent bis zur Beratungsresistenz verfolgt. Sie meint, dass sie grundätzlich alles "lllleinäh" kann und nimmt erst nach mehreren Fehlschlägen eher missmutig Hilfe an. Sie entscheidet die meisten Dinge - gemäß ihres Alters natürlich - in ihrer Lebenswirklichkeit auch "lllleinäh" und nicht immer zu ihrem Vorteil, zieht das dann aber knallzart durch. So kam es, dass sie mit mir zu einem kleinen Spaziergang in Richtung Wald aufbrach, das Tragen von Schuhen dabei aber vehement ablehnte und sich lieber "lllleinäh" über einen Schotterweg quälte. Ich habe ihr mehrfach meine Hilfe angeboten, wollte sie tragen, sie einfach auf meinen Arm nehmen und ihr die Schmerzen des fies in ihre zarten Füße pieksenden Splitts nehmen. Dass es wirklich richtig schmerzte, haben ihre nicht lügen könnenden Augen verraten. Sie hat sich massiv gegen meinen Griff gewehrt und immer wieder "lllleinäh" und "Neiiiiiiiiiiiiin" gesagt. Nein, es würde gar nicht weh tun. Nein. Nein, sie könne alleine weiterlaufen. Allein. Nein und "lllleinäh". Aus Prinzip. Und zwar nur aus Prinzip! Wenn sie eines Tages lesen kann, so möge sie mir und sich das Folgende und den miesen Ausdruck für diese Erkenntnis verzeihen, aber: Blöde Kuh!

Ich kann auch anders

 

"Was hat Brandenburg nur mit dir gemacht?" Mit diesen Worten hat eine liebe Kollegin wohl ihre Wertschätzung für neue Züge an mir ausgedrückt. Sie schickte mir eine Nachricht auf mein Handy, in der sie sich nach meinem Befinden erkundigte. Anders hätte sie mich kaum erreicht, persönlich sprechen konnte sie mich entgegen meiner sonstigen Muster nämlich noch nicht. Über Jahre lief der Jahresurlaub bei mir immer so ab: ich war maximal (maximal!) zehn Tage weg, in denen ich die Arbeit der Kollegen auch in der Ferne verfolgte und spätestens (spätestens!) einen Tag nach der Heimkehr habe ich die Redaktion aufgesucht, mich auf den neuesten Stand gebracht und Termine besprochen - obwohl ich eigentlich noch einige Tage Urlaub hatte. Das habe ich dieses Mal nicht getan. Ich bin zwar seit fast einer Woche wieder in der Stadt, habe aber konsequent den Job und das Redaktionsbüro links liegen lassen. Und das obwohl ich oft dort vorbeigehe. Es entspann sich also eine kleine Konversation via Handy-Nachrichten, in deren Verlauf ich neben "Ich habe nix vermisst" unter anderem auch gestand, dass mich nach zwei Wochen Alkoholabstinenz zwei Bier im Verlaufe eines ganzen Abends ganz schön schwummerigtudeligbeschwipst gemacht hätten, ich ein paar Tage später dann sogar auf nur ein Bier so reagierte und ich den Verlust meiner erschreckend gut antrainierten Trinkfestigkeit nun nicht die Spur bedauern würde. "Weißt du, es geht doch um ein Rauschmittel und da sollte es doch normal sein, dass man relativ zeitig darauf beschwipst reagiert und nicht erst ganze Weinflaschen allein in sich reinschüttet, bis man ansatzweise was merkt.", schrieb ich. Ich sei insgesamt grad sehr entspannt, schilderte ich. Ich gestand der Kollegin auch, dass ein Mann mich erst kürzlich zum "einfach mal nett sein" aufgefordert hat und ich das sehr gut und gerne hinbekommen habe - und es obendrein okay für mich war. Die Kollegin meinte am Ende, dass das alles mir zuliebe mehr als okay wäre. Recht hat sie.

* Buchseiten umblättern während man auf einer Wiese unter einem Kirschbaum liegt und sich gelegentlich vom Rücken auf den Bauch und wieder zurück zu drehen, ist nicht wirklich bewegen.

Dienstag, 12. August 2014

B-Bilanz (ein Anfang)

Nach nur 17 Tagen ist es vorbei mit just B. Ich fühl' mich heut' so leer ... ich fühle mich nicht mehr Brandenburg. Ich bin zurück und frage mich woher der Satz "Zu Hause ist es doch am schönsten" kommt. Die schönste Zeit des Jahres habe ich in einem noch schöneren Landstrich verbracht, in dem sich Hase und Igel wirklich noch gute Nächte wünschen und sonst nicht viel passiert, die bloße Ruhe herrscht - auch in mir. Hier, "zu Hause", ist die Stille unerträglich laut.

17 ganze Tage und ein paar halbe, davon den Großteil in totaler Einsamkeit und allein in der guten Gesellschaft meiner selbst, habe ich in Brandenburg verbracht. Während mein größter Bruder mit seiner, meiner Familie auf Urlaubsreise war, habe ich das Haus gesittet. Das heißt: im Garten mal das Fallobst aufsammeln, den Katzen Futter geben, bei Bedarf die Blumen gießen, die Post aus dem Kasten holen und sonst ... nichts ... Ich war - es sei denn, ich wurde gestört - der Inbegriff des Gleichmuts. Ich habe es in dieser Zeit als vollwertige Tätigkeit betrachtet, dass sich Buchseiten nicht von allein umblättern. Ich habe oft gar nichts gedacht und dann wieder ganz viel. Ich habe immer nur in den Tag hinein gelebt und nichts weiter getan als zu sein.

Ich weiß nun nicht wie ich meinen Füßen beibringen kann, dass sie bald wieder ausschließlich festes Schuhwerk um sich haben müssen und der Großteil meiner Haut zum Großteil bedeckt bleibt (kurze Hosen, Flip-Flops und Bikini-Oberteil sind für mich da, wo ich grad herkomme ein Outfit für jede Gelegenheit). Mir fällt auch gerade niemand ein, der mir für mich logisch erklären könnte, dass man jenseits des Kindergartenalters keinen Mittagsschlaf mehr macht. Was ist mit all den guten Büchern, für die ich nun keine Zeit mehr habe? Und die weniger als die gewohnten mindestens 13 Stunden frische Luft am Tag haben mir gestern schon die ersten Kopfschmerzen seit Wochen beschert. Kurz: Ich habe großes Brandenburgweh.

Aber es war ja auch nicht alles perfekt. Meine Pläne sind nicht ganz aufgegangen. Ich wollte eigentlich gar keine Medien konsumieren. Und doch habe ich jeden Morgen (aufgestanden bin ich wirklich nur nach Lust und Laune, mal um sechs und mal um zehn Uhr morgens) nach dem Schluffischluffgang zum Briefkasten in die lokale Zeitung geblickt. Um mich über die Wetteraussichten zu informieren und jeden Tag "bloß" wieder aufs Neue zu erfahren, dass es sehr sonnig und sehr warm und am Ende des Tages gewittrig wird. Das mit der Zeitung hat mir auch geholfen, überhaupt zu merken, welcher Wochentag gerade ist. Manchmal habe ich dadurch aber leider auch mitbekommen, dass die Welt sich weiterhin dreht und gedreht hat und der ganze Mist von Israel bis Ukraine sich doch nicht in Luft aufgelöst hat. Dann habe ich die Zeitung und die Medien aber schnell wieder ausgeblendet.

Sobald ich mit dem Rad (meistens) oder Auto (selten) die Landschaft unter die Räder genommen habe, wurde die Funkstille unterbrochen und mein Handy hatte im Gegensatz zum Brudergrundstück zuverlässigen Empfang, den ich obendrein und in Anbetracht diverser Sachlagen leider auch noch genutzt habe. Unter anderem habe ich so immer wieder erfahren, dass die Sache mit der Zeitungskrise kein Ende nimmt. Und ich wollte doch auch meinen Beruf nicht thematisieren ... und mit den brandenburgischen Seelen in meiner Nachbarschaft funktionierte das auch sehr gut, weil denen ganz andere Dinge an mir wichtig waren - nämlich (und das nicht im oberflächlichen Sinne) nur mein Aussehen, dem sie mit Ausdrücken wie "so wie du mit die Oogen gucken tust, siehst du aus als wie wenn du die Kleene von ... bist" oder "wenn man dit nicht besser wüsste, könnte man denken du bist nicht das Tantchen sondern die Mama von ..." die größtmögliche Ähnlichkeit zu meinem Bruder und meiner Nichte bescheinigten.

Dann habe ich aber eines Tages einen Tramper mitgenommen. Der sah das Presse-Schild in der Windschutzscheibe meines Wagens und stellte daher neugierige und interessierte Fragen zu meinem Beruf, die ich auch brav beantwortet habe - später zu diesen gut 30 doch recht vergnüglichen und erkenntnisreichen Autominuten vielleicht mal mehr. Bezeichnend aber ist der folgende Satz: "Ich liebe ihn, aber das hat leider überhaupt keinen Sinn." - und das sagte ich über keinen geringeren als meinen Beruf.

Sonntag, 13. Juli 2014

just B

Sing it out loud: Es gibt Länder, wo was los ist. Länder, wo richtig was los ist. Und es gibt  ...
B-R-A-N-D-E-N-B-U-R-G ...*

Wie gut. Als ich noch jung war, unverbraucht und voller Illusionen (Praktikantin) genoss ich das dicke B oben an der Spree. Ich war 21 Jahre alt und lebte eine wunderbare aber kurze Weile in Berlin. Berlin. Hallelujah, Berlin, hallelujah ... jaja ... Jetzt bin ich nicht mehr so jung, nicht mehr so unverbraucht und doch noch nicht so desillusioniert wie ich sein könnte (Journalistin). Und ich liebe es, eine lange Weile in Brandenburg zu verleben. Dort lebt mein größter Bruder mit seiner größer werdenden Familie, sie nehmen mich auf und lassen mich auftanken. Auch allein. Ich darf bald nach Brandenburg.

Wie gut. Es stimmt ja. Es ist nichts los. In Brandenburg. Und bestimmt gibt es dort auch wieder Wölfe. (Aber die gibt es auch dort, wo ich herkomme.) In Brandenburg bin ich ... niemand ... unbekannt ... faul ... allein ... ruhig ... gedankenlos ... nicht ausgebrannt ... bin ich ... in Brandenburg.

Schon der Weg ist das Ziel. Ich fahre nicht zu dicht auf. Ich fahre nicht zu schnell. Ich überhole nicht. Was soll es auch? Ich will ja ankommen. Wenn ich überholen würde, würde ich doch nur feststellen, dass vor mir wieder zwei Lkw sind und vor denen noch zwei und weiter vorne noch einmal. Was soll es auch? Der Weg ist eine einzige 70er-Zone, meine geistige 30er-Zone, und schließlich verkehrsberuhigte Zone für meinen nimmer stillen aber müden Geist. Es geht schnurgerade geradeaus. Kurz hört der ewige Wald auf. Da biege ich links ab und bin da. Angekommen.

Wald, Wiese, Sand. Nichts. Nichts weiter. Schon kaum Handyempfang. Drei Plätzchen auf dem Grund und Boden meiner Familie kenne ich, wo ich überhaupt ansatzweise Empfang habe. Man kann die Plätze aufsuchen oder meiden. Ende der selbst verschuldeten Dauererreichbarkeit. Funkloch, Funkstille - gut kartografiert und das solange ich es will. Keine Anrufe, SMS, Mails, facebook- und WhatsApp-Nachrichten, die ja auch bei Freunden und Bekannten am Ende doch nur Berufliches tangieren und zum Teil sogar von Unbekannten kommen. Könnte man nicht mal in der Zeitung was machen zur mangelnden Grünpflege bei Herrn Hinz? Herr Kunz hat ein Problem mit der Verwaltung? Was soll dieser Beschluss vom Stadtrat? Wohin fährt die Feuerwehr? Mir doch egal! Ich bin in Brandenburg.

Wenn ich auf die Straße gehe, treffe ich kaum eine Menschenseele. Wenn doch, bin ich nicht "Frau Jacob von der Zeitung" oder "die Kleine von der Zeitung" oder "Ich kenne Sie doch aus der Zeitung". Es ist keine Frage, was ich beruflich mache und ob man da nicht mal was machen könnte in der Zeitung über das Schulfest der Enkeltochter, den Fußballverein des Sohnes, die neue Ladentheke im Geschäft, den Skandal im Rathaus. Ich bin in Brandenburg. Wenn ich auf die Straße gehe, wird die Menschenseele, die ich dort eventuell treffe, nur wissen wollen, was ich im 80-Seelen-Dorf will und wer ich wirklich bin. Was ich sonst bin - Journalistin - und worüber ich mich so oft definiere, ist egal. Punkte gibt es nur für die Verwandtschaft. Dann wird es nur heißen, dass ich die kleine Schwester von ... bin. Vielleicht wird die Menschenseele wie so viele vor ihr feststellen, dass man das schon an den großen, braunen, funkelnden Augen sieht. Der Rest ist egal. Ich bin in Brandenburg. 

In Brandenburg verschließe ich meine Augen vor der Welt. In Brandenburg mache ich nicht nur keine, ich konsumiere auch keine Medien. Ich bin aus der Welt. Ich bin in Brandenburg. Bei meiner Familie steht zwar neuerdings ein Fernseher in der Küche. Aber vor einem TV-Programm abdriften, das kann man nicht - für die klassisch lümmelige Haltung sind die Stühle zu unbequem. Auf den Stühlen kann man aber wunderbar eine Stulle mit Butter und Salz und dazu ein paar Spreewaldgurken genießen, albern sein oder kluge Gespräche führen. Setze ich mich ins Auto und fahre durch die Gegend, höre ich kein Radio (oft eh schon polnischer Sprache), sondern ich höre CD's. Und die Zeitung, die meine Familie abonniert, lasse ich links liegen. Es ist eh Sommerloch und noch weniger los in einem Land, in dem nichts los ist. Ich bin in Brandenburg.

In Brandenburg trage ich tagelang kein festes Schuhwerk und was ich sonst trage, ist mir auch ziemlich egal. Zwischen meinen Zehen krabbelt der märkische Sand und auf meiner Haut kitzelt die Sonne. Ich radle, laufe, paddle, verbrenne mir die nackten Füße auf heißen Steinen, kühle meine Zehen mit Grashalmen dazwischen, springe manchmal Trampolin. Ich schlafe, wenn mir danach ist. Und ich stehe auf, weil mir danach ist. Ich liege viel herum und das einzige, was ich dabei zu analysieren bereit bin, sind die Wolken- oder Sternenformationen am Himmel. Wenn ich mal lese, lese ich ein gutes Buch. Wenn ich denke, denke ich übers Essen nach. Es könnte mir nichts egaler sein. Wie schön. In Brandenburg. Wo nichts los ist. Nur ich.

* Eine Ode von Rainald Grebe.

Abschied und Willkommen

In sonntäglicher Tradition habe ich soeben das Lesezeichen in meinem Kalender um eine Woche verlegt und einen Blick auf die Termine der anstehenden Tage geworfen. Ich bin traurig. Folgendes wird passieren: Ich werde - um den Regiewechsel an der örtlichen Theaterakademie verkünden zu müssen - die alte und die neue Geschäftsführerin zu einem gemeinsamen Interview treffen. Das wird hart. Seltsam. Ein Trauerfall mit Ansage.

Erst vor wenigen Tagen habe ich für eine andere Story schon einmal mit den beiden Frauen an einem Tisch gesessen. Dann fragte die eine Frau, ob wir uns demnächst mal noch zu einem Interview treffen könnten. Ich ahnte nichts Gutes. Sie stockte kurz - um dann zu verkünden, dass sie die Akademie gen Schweiz und für den totalen Neuanfang verlassen wird. Mir stockte der Atem. Menno. Ich sagte, dass ich ja dann auch mal gehen könnte. Immer gehen die Guten. Warum ich nicht auch? Ich stand und stehe so ein wenig unter Schock.

Um das zu verstehen, sollte man unsere kleine gemeinsame Geschichte abseits der Zeitungsnotizen kennen.

Sommer 2011: Ich lernte die junge Frau am Rande eines Termins kennen - sie ist mit ihren 24 sechs Jahre jünger als ich und damit so alt wie mein kleiner Bruder, vielleicht mag ich sie darum (großschwesterlicher Mutterinstinkt) mehr als andere meiner journalistischen Kontakte. Damals war noch eine andere Frau die Geschäfsführerin der Theaterakademie und die junge Dame sollte "nur" als Praktikantinstudentenjobberinirgendwas die PR machen. Und ich sollte in wenigen Wochen heiraten. Ich gab der jungen Frau die letzte Visitenkarte mit meinem alten, meinem Geburtsnamen. Ich heiratete und flog flittern. Ich kam wieder und sie war Geschäftsführerin geworden. Wir taten beide unseren Job, trafen uns zu diversen Interviews und bei den Aufführungen an diesem kleinen Theater, das sich meine Kleinstadt glücklich schätzen darf haben zu dürfen. Wir tranken Kaffee, redeten über dies und das, hatten Spaß bei der Arbeit. Wir hatten ein sehr professionelles und doch durchaus noch freundschaftlich geprägtes Verhältnis zueinander.

Sommer 2012: Ich entwickelte diese Sache hier mit den Jacobs Wegen, sie ging den Jakobsweg - den echten. Auch davon erzählte sie mir und es war eine sehr anrührende Geschichte, die ich aufschreiben durfte. Die Geschichte einer jungen Frau, die körperlich und seelisch an ihre Grenzen und darüber hinaus gegangen war. Sie sagte während des Gesprächs, dass das Denken nicht auf dem Jakobsweg kam, sondern danach - und sie jetzt viel in Frage stelle, viel in Zweifel ziehe und das, ihr Leben überdenke. Meine Ehe war inzwischen schon ein Fragezeichen geworden. Wir führten ein Interview, das vielleicht auch die Grenzen der Professionalität überschritt. Ich kam wieder ins Büro und sagte zum Kollegen "Ich hoffe, dass sie bleibt!" Irgendwie hatte ich ein ungutes Gefühl.

Sommer 2013: Der Jacobsweg wurde ein Singletrail. Zum Glück. Die junge Frau war noch da und mein ungutes Gefühl damit passé. Sie entwickelte neue und großartige Ideen für die Akademie, holte weitere namhafte Dozenten, rührte neue Kooperationen ein, Absolventen ergatterten gute Engagements und ich gute Geschichten. Die Akademie feierte ihren fünften Geburtstag und ein erfolgreiches Jahr, ich durfte teilhaben und meinen Teil dazu tun. Es lief gut und besser nach ihrem Jakobsweg und glücklicher auf meinen Jacobs Wegen. Ich war geschieden. Wir lachten über unsere diversen privaten Entwicklungen, tranken wieder Kaffee und duzten uns fortan.

Sommer 2014: Siehe oben. Menno!

Das Gute daran ist nur, dass die Neue und ich uns nun schon mal kennen - und zwar so wie wir wirklich sind. Meinem "Menno!" folgte auch die angewiderte Frage, wer denn dann jetzt die sei, die den Job übernimmt. Doch die - Trommelwirbel - befand sich schon im Raum, reagierte auf meine charmante Schnoddrigkeit mit nur noch mehr sympathischer Schnoddrigkeit. Wir stellten unter anderem auch fest, dass wir ein und denselben Landstrich - nämlich Brandenburg - mehr als zu schätzen wissen und dort Kraft tanken. "Ich denke dort mal nicht nach", sagte ich. "Doch, ich denke dort sehr viel nach", meinte sie, "nämlich, was ich abends auf den Grill packe." Passt. Also: Willkommen und Abschied.

Sonntag, 6. Juli 2014

Winkewinke

Ich habe eine latent komische Woche hinter mir, die mich in einem Mix aus Kopfkratzen und Grinsen auf der Couch niedersinken lässt. Ich wurde und werde derzeit immer so nett gegrüßt, vor allem ältere Herren winken mir - so wie gerade eben ein Herr an die 60 - neuerdings gerne mal zu. 

Wie ich möglicherweise, genauer genommen hier, mal am Rande erwähnte, habe ich eine Jobserie in der lokalen Zeitung. Ich probiere mich dafür in anderen Berufen als meinem eigenen aus, schreibe meine Erfahrungen mit der mir eigenen Selbstironie und Ehrlichkeit auf, lasse mich in allen möglichen und unmöglichen Momenten ablichten und grinse dann regelmäßig aus der Zeitung - und ich habe nicht gerade ein Gesicht zum Vergessen. In mindestens 20, in Worten: zwanzig, solcher Selbsterfahrungsberichte habe ich seit Anfang 2012 bereits verfasst. Ich war Bibliothekar, Tierpfleger, Feuerwehrfrau, Polizist, Kindergärtner, Kellner, Müllfahrer, Schauspielstudent ... puh, ich bekomme selbst schon nicht mehr alles zusammen ...

Am letzten Juni-Wochenende, also vor genau einer Woche nun war ich für diese Jobserie Teil des historisch geprägten Festes, das in meiner Heimatstadt gefeiert wird. Das war zwar anstrengend, aber - vermutlich gerade aus diesem Grund - auch sehr schön. Ich lief, unter anderem, als Pikenier verkleidet im großen Festumzug mit insgesamt rund 1000 Akteuren und noch mehr Zuschauern mit. Ich zog mit Landsknechten aufs Schlachtfeld, agierte als Bombenfütterin und ich durchquerte als Bombenfutterlandsknecht vor großem Publikum den Stadtgraben, um die Erstürmung der Stadt mit nachzustellen. Unser Stadtgraben? Ein eher stehendes verschlicktes Gewässer ohne rechten Zufluss. Ich habe mich und mein helles Knechthemd darin nass gemacht, richtig schön nass.* Darin, quasi auf dem Grabengrund möglicherweise liegt der Grund für die neuen Nettigkeiten.

Ich bin der Landsknecht mit dem roten Hut
und zeitweise bis zum Schlüsselbein schön nass.

Ein ähnliches Bild dieser Wasserwaterei veröffentlichte ich, übrigens bei vollem Bewusstsein, auch in der Zeitung. Auf fünf Spalten gezogen. Das Bild zeigt mich von der Seite, als ich gerade das Fass hoch über meinen Kopf gereckt durch den Graben trage. Mein kleiner Bruder meinte, dass 85 Prozent aller weiblichen Brüste im nassen Zustand gut aussehen würden. Ja, meine Brüste gehören definitiv nicht zu den anderen 15 Prozent. Nun gut. Die Winkewinke-Männer wissen ja nicht, wie ich nach dieser Brackwasserschlacht gerochen habe.

* Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass ich natürlich einen blickdichten BH und noch ein Top unter dem Hemd trug. Aber nass ist nass und schön ist schön.

Samstag, 21. Juni 2014

Allesmacher

Fotos, das Interview und die Notizen für die Story. Und später dann das Layout, dazu das Management sowie die komplette Redaktionsorganisation, Korrekturlesen und so weiter - im heutigen Journalismus, vor allem dem lokalen Journalismus, scheinen die Macher Alleskönner zu sein. Tatsache ist: Wir sind bloß Allesmacher.

Am Anfang meiner "Laufbahn" (ich nenne es manchmal steiles Bergabrennen) lächelte ich noch hochtrabend über die älteren Kollegen, die sich bei der Ansage von Terminen dem Mitnehmen einer Kamera strikt verweigerten oder einfach nur immer mal wieder erwähnten, dass sie nicht alles gleichzeitig machen wollen und können. Inzwischen stellt sich ein Einsehen bei mir ein. 

Zwar zähle ich mich durchaus zu den Journalisten, die viele der oben genannten Fähigkeiten auf sich vereinen. Warum ich das so betone? Ähm: Ich habe leider auch schon feststellen müssen, dass es Journalisten gibt, die nicht mal richtig schreiben können. Aber: Ich bin auch nicht gut in allen Bereichen.

Auf folgende Dinge verlasse ich mich: Ich kann gut schreiben. Ich kann gut mit Menschen umgehen. Ich habe gute Ideen und einen guten Instinkt für gute Geschichten. Ich bin ein guter Manager. 

Aber: Ich kann schon nur noch ordentlich layouten und nur passabel fotografieren. Ordentlich und passabel! Heißt: Es ist kein Verlass darauf, dass ich ein Foto immer gut mache und beim Layout mangelt es mir manchmal an guten Ideen. Gute Fotos sind bei mir oft Zufallstreffer. Termine, bei denen man kein Foto stellen kann und gleichzeitig seinen Text in den Block holen muss, die kann ich inzwischen nicht mehr wirklich gut finden - weil das Ergebnis immer in irgendeinem Bereich nicht gut genug ist. Und ich würde mich lieber auf den Text als das Drumherum wie das Layout konzentrieren. Zudem stelle ich fest, dass ich am Ende eines langen Tages immer häufiger Fehler in den Texten übersehe.

Man könnte nun meinen, dass ich einfach langsam alt werde und der Überforderung anheimfalle. Nein! Ich habe nur begriffen, dass dieses Allesmachen ein Teil des Ruins, vor allem im lokalen Journalismus, ist. 

Denn das Ergebnis einer solchen Allesmacherei ist oft, dass es an irgendeiner Stelle mangelt - wir können nicht alles gleichzeitig gut machen, wir sind keine Alleskönner. Man bekommt einen guten Text hin. Aber muss das eigene eher schlechte Foto verwenden, das ja aber den Leser in den Text ziehen soll. Oder das Foto ist gut. Aber dadurch war die eigene Aufmerksamkeit zu schlecht, um all die wichtigen Infos für einen guten Text auch mitzubekommen und der Artikel wird eher lala. Und der gute Text steckt in einem uninspirierten Layout fest. Oder man verliert die Lust und Energie, zugunsten eines guten Fotos auch mal ein schon angelegtes Layout komplett umzustoßen und es so insgesamt alles besser zu machen.

Versteht mich nicht falsch: Das Ergebnis dieser Allesmacherei ist nicht unbedingt der totale Qualitätsverlust und es ist ja nicht alles schlecht. Doch früher, also in der Zeit des Journalismus aus der meine vor ein paar Jahren von mir noch belächelten Kollegen stammen, war eben Vieles besser.

Und es könnte heute alles richtig, richtig gut sein, wenn wir wieder die Aufgaben auf die jeweiligen Spezialisten und damit echten Könner übertragen würden. Sehr gute Fotografen. Sehr gute Layouter. Sehr gute Chefs vom Dienst. Sehr gute Korrekturleser. Damit gute Journalisten den Freiraum haben, sehr, sehr gute Schreiber zu sein. Mehr nicht.

Leider weiß ich, dass ich eine Zeit des Journalismus, in der das möglich ist, nicht mehr erleben werde. Früher war eben wirklich mehr Lametta und das Bild hängt schon lange schief!

Dienstag, 10. Juni 2014

Kaffee and the Kleinstadt

Mein Job ist ... vermutlich eine Gelegenheit für Dates am laufenden Band. Als ich vor wenigen Wochen mal wieder einer Gemeinderatssitzung folgte, ging es dort mal wieder um den tief in der finanziellen und organisatorischen Scheiße steckenden Abwasserzweckverband. Damit die Kacke ein wenig weniger dampft, hat der Verband sich vor Jahren einen technischen und kaufmännischen Betriebsführer eingekauft. Der Stab aus BWLern und Ingenieuren glättet Wogen, die Kacke dampft aber noch immer - und so geht es immer hoch her, wenn das Thema Abwasser auf der Agenda steht. 

Auch neulich wieder. Der BWLer (Typ Parfum und Nadelstreifen) und ich schauen uns dann manchmal fast mitleidig an. Überhaupt tauschen wir sehr oft Blicke aus. Tiefe Blicke. Für mich ist das wüste Gezetere kaum in der Zeitung zu verarbeiten. Für ihn ist das maulige Gerede nicht konstruktiv, da es sich auf Fehler lange vor seiner Zeit bezieht. Diesmal sagte er mir zum Abschied, übrigens für alle deutlich hörbar: "Also, wir zwei sehen uns immer nur hier und wir müssen endlich mal was Schönes zusammen machen." Dann lächelte er  mit roten Wangen und fügte an: "Ich lade Sie zu einem Kaffee ein!" Ich habe abgelehnt. Schon wegen der Nadelstreifen ...

Heute aber hat ein wahrer Charmebolzen (Typ eher mal Dreitagebart und Jeans) einfach so seine rechte Schulter an meine linke Schulter geschmiegt (ein wahrer Schulterschluss), hat mit seiner Schulter zart an meine gestupst, hat mir zugezwinkert und mich am Sonntag zu einem Kaffee eingeladen. Wir kennen uns auch schon eine Weile. Letztens hat er mir verschmitzt grinsend gesagt, dass er lieber mich als meine Kollegen anruft und Termine lieber mit mir macht, damit er mich sehen kann. Und neulich wechselte er die Straßenseite, um ein Gespräch mit mir anzufangen. Und eine Schale Kirschen hatte er heute für mich mit den Worten "Was Süßes für die Süße" bereitgestellt. 

Er ist älter, erfahren und noch einer der alten Schule. Er ist naturverbunden und angenehm herb. Erdig. Geerdet. Er kann gut zuhören. Er sprudelt über vor Ideen. Er ist interessiert, gebildet, aufrichtig. Toller Mann! Konkurrenz brauche ich nicht fürchten. Er ist Witwer. Er ist über die Mitte 70 hinaus. Er ist der Vorsitzende der örtlichen Gartensparte, die gerade im Bundeswettbewerb um Deutschlands schönsten, tollsten und allerbesten Kleingartenverein antritt - eine Bloggerkollegin nennt es The Schreber Spirit. Und bevor im Juli die Jury kommt, präsentiert er am Sonntag die Sparte mit all ihren tollen Ideen vom Senioren- über den Schul- bis zum Tafelgarten erstmal beim "Tag der offenen Gartentür", den es in meiner Stadt gibt. Zum Abschied heute drückte er mir ein Gänseblümchen in die Hand, weil ich die doch besonders mögen würde (oh ja). Ich nenne ihn manchmal säuselnd "Horschte". Kaffee? Mit so einem Mann? Ich habe sofort zugesagt!

Sonntag, 25. Mai 2014

Schade eigentlich und großes B

Menno! Ich weiß ja selbst nicht genau warum ... aber es scheint keiner mehr so recht an den Lokaljournalismus glauben zu wollen ... oder Zahlen sind so viel wichtiger als Durchhaltevermögen und mal andere als die erwarteten Ideen zum Gegensteuern in einer Krise. Anders sind die unter anderem hier beim Kollegen Daniel Große beschriebenen Pläne für die hiesige Regional-/Lokalzeitung erstmal nicht recht zu fassen. Kurz mal umrissen: zentralen Regiodesk aufbauen und die Umfänge noch weiter in diversen Belangen reduzieren - wohl auch personell und damit am Ende wohl auch bis hin zu "manuell" und dem, was der lokale Leser dann tatsächlich noch in Händen hält. 

Herrje, ich möchte schon gar nicht mehr drüber reden ... das tut meinem Blutdruck nämlich gar nicht gut ... Wer diese Art "Spaß" haben möchte, der kann ja gerne von Zeit zu Zeit mal googeln oder die einschlägigen Medienportale besuchen und schauen, was es Neues dazu gibt.

Sicherlich ist meine Art zu denken absolut nicht (mehr) gefragt. Denn ich frage mich, was eine lokale Zeitung noch wert ist, die nicht recht und nicht mit genug Leuten vor Ort ist? Ich frage mich auch, ob man mit noch weniger Leuten ein gutes Produkt machen kann? Kann man vielleicht. Aber ich frage mich, ob man unter den dann herrschenden Bedingungen auch noch jene Journalisten findet, die Lokaljournalismus mit Leidenschaft und qualitativ hochwertig machen? Ich frage mich, ob die lokalen Leser noch bereit sind für ein Produkt zu zahlen, das nach ihrem Ermessen zu bis zu 85 Prozent aus dem besteht, was sie am Vorabend des Erscheinens schon in der Tagesschau gesehen haben? Ich frage mich auch, ob ein Andersdenken und Andersmachen bei dieser sparsamen Variante von Lokaljournalismus noch zu packen und gewollt ist? 

Belanglose Themen, unkritische Haltung, schlecht recherchierte Beiträge und den unzeitgemäßen Umgang mit manchen Themen diagnostiziert zum Beispiel Juliane Wiedemeier hier in ihrem von mir sehr geschätzten Blog dem deutschen Lokaljournalismus. Unter anderem liege es am vom Sparwillen der Verlage immer weiter verschärften Redakteur-Seiten-Verhältnis, bei dem ein Redakteur für eine Seite alleinverantwortlich ist und diese dann nur noch mehr schlecht als recht "zukloppen" kann. Ich weiß bestens, wie sich das anfühlt und ich bin oft müde vom Kampf dagegen. Und ich fürchte, dass es wirklich nicht besser wird ... jedenfalls nicht jetzt, wo weiter deutschlandweit immer nur an den Machern des Lokaljournalismus gespart wird.

Nennt mich naiv, aber ich glaube nach wie vor wie viele andere meiner Journalistengeneration, dass es doch noch anders gehen kann und muss. Lokaljournalismus ist mit Sicherheit nicht tot. Nee! Es braucht nur festen Glauben, neue Ideen, viel Kreativität, hohe Qualität, nimmermüde Leidenschaft und eine andere Sicht auf die Dinge - so hier zum Beispiel kann man den Lokaljournalismus sehen und machen. Wieder ein Post (m)einer Kollegin, den ich jederzeit unterschreiben würde und der zeigt, dass wir Andersdenkenden nie allein sind. Ich also glaube weiterhin an den Lokaljournalismus.

Im Moment stehe ich noch etwas unter Schock der neuesten Nachrichten aus Konzernen. Aber ich will einen Plan B. Ich glaube, ich kann einen B-Plan daraus entwickeln. Ein paar Ideen hätte ich da schon mal:
  • Bombe
  • Brandenburg
  • Berufsfeld (neu)
  • Barista
  • Bratwurststand 
  • Buch
  • Blog
  • Boss (eigener) 
  • ...
Kennt noch einer ein B-Wort?

Montag, 28. April 2014

Bollebollebolle

Ich wohne in einer Kleinstadt mit großartigen Menschen. Ich habe die Ehre einige dieser großartigen Menschen zu kennen, einer davon macht mich stolz wie Bolle...

Ein guter Freund hat für meine Kleinstadt eine kleine großartige Lesebühne geschaffen. Er ist ein schlauer Fuchs, den Schreibenden eine feine Bühne und den Zuhörern jeden vierten Sonntag im Monat ein paar schöne Momente bei freiem Eintritt zu bieten. Es lesen Leute vor Publikum, die sich das selbst nie zugetraut hätten. Es wird gelacht, nachgedacht, gestaunt, das Leben mit Buchstabensalaten aller Art genossen. Der Stoff ist so vielfältig wie die Vorleser. Mancher kommt jeden vierten Sonntag. Ich zum Beispiel führe die Zuhörer jedes Mal auf den Jacobsweg. Mein kleiner Bruder liest auch immer was vor. Der schreibt nämlich auch - genau wie seine große Schwester. Die große Schwester, die immer besser war in der Schule und auf die ihn alle Lehrer ansprachen und Erwartungen hatten. Die große Schwester, die auch sonst immer alles irgendwie besser gemacht hat - das Studium in Windeseile und sehr gut absolvierte, lange den geraden Weg ging, nie scheiterte ... alles eben ein bisschen besser.

Wer sich ein bisschen mit dem Haben von Geschwistern auskennt, der weiß: Es ist nicht immer leicht. In der Bewerbung um mein Volontariat schrieb ich den schönen Satz "Als eines von vier Kindern habe ich Teamfähigkeit, Organisationstalent, Verantwortungsbewusstsein und Durchsetzungsvermögen schon früh verinnerlicht" - ja, so kann man es auch ausdrücken ... So sehr wir, ich als one of the boys, auch eine verschworene Einheit sind, gibt und gab es auch die harten Momente des Geschwisterseins. Mittleres Kind und einziges Mädchen? Nicht einfach, aber dafür bin ich inzwischen dankbar. Nesthäkchen wie mein kleiner Bruder? Ui, das ist erst recht schwer! Und als Jüngster stehst du immer im Schatten deiner älteren Geschwister ... Pustekuchen!

Ich bin Journalist, mein kleiner Bruder kann schreiben!

Mein kleiner Bruder macht etwas, was man am ehesten noch als Poetry Slam beschreiben kann. Er schreibt Sätze, von dem dir jeder einzelne im Hirn explodiert vor Bildgewalt. Sätze, die alles in dir herausfordern und dein Denken wie deine Herzfrequenz beschleunigen, wenn du sie hörst. Sätze, die dich in Untiefen nicht nur (s)einer Seele sondern einer ganzen Generation entführen und dir den Spiegel vorhalten, dass du staunen und dein Leben anders und besser machen willst. 

Jetzt fragt Ihr Euch vielleicht: Ja, schön, kann man da mal eine Kostprobe haben? Nee, das möchte ich nicht! Denn, was mein kleiner Bruder macht, ist nicht gedacht für die copypastesaugenden Internetklicker, die nur schnellschnell irgendwas lesen und noch schneller vergessen wollen - ich wollte nur mal sagen, dass ich stolz bin im Schatten meines kleinen Bruders zu stehen. Und manchmal kann man die kleine Lesebühne vom hiesigen Web-Radio holen.

Aber wehe einer klaut bei dieser Gelegenheit die herzpochenden Explosionssätze meines kleinen Bruders! Dem blüht, was ihm ein paar Mal passierte: Es gibt Ärger, aber so richtig!, mit seiner großen Schwester!!!

Freitag, 25. April 2014

M oder M?

Es gibt Berufsgruppen, die werden gar nicht und es gibt Berufsgruppen, die werden häufig im TV und Film thematisiert. Eine Serie über Müllmänner oder Maurer? Hm. Eher unwahrscheinlich. Eine Serie über Ärzte oder Anwälte? Hm. Qual der Wahl, welche man denn schauen will. 

Journalisten werden auch ganz gerne mal im Fernsehen zur Figur. Nebenrolle. Zum Beispiel in Krimis, wo sie als Schmierfinken und/oder Informanten auftauchen, die Ermittler nerven und zu Schimpfereien über die Medien an sich herausfordern. Mit Klischees freilich wird nicht gespart. Entweder handelt es sich um die abgehalfterten Herren, die in einem Mantel der Art Horst Schlämmer Berufzynismus streuen oder es handelt sich um Frauen mit Hang zum Burschikosen. 

Insofern aber waren die Darstellungen trotz so mancher Klischees wenigstens noch so halbwegs nah an der Realität. Der Großteil der Journalistinnen hat tatsächlich Sinn für praktische Ästhetik, auch wenn es um das eigene Auftreten und Aussehen geht - ich habe es nicht nur an mir selbst beobachtet (lest hier). Jetzt aber sah ich in der vermutlich xten Wiederholung einer Krimiserie, ich meine es war "Der letzte Bulle", eine Journalistin des Typs Mäuschen. Mäuschen, Mäuschen, Mäuschen ...

Mäuschen wie sie neuerdings auch immer wieder in der Realität des Journalismus auftauchen. Hohe Hacken an den pedikürten Füßen, kurze Kleidchen auf den zarten Leibern, lange Haare, die wimpernklimpernd um die eigenen Finger gewickelt werden ... bis einer eingewickelt ist. Und so sehr ich auch Carrie Bradshaw aus "Sex and the City" für ihren Intellekt, Humor, Charme und nahezu embed(d)ed journalism zu schätzen und in biggen Momenten auch zu beneiden weiß, so möchte ich sie doch jedes Mal belehren, wenn sie sich selbst als Journalistin bezeichnet. 

Zunächst einmal ist sie Kolumnistin, die nur einen Beitrag pro Woche abzuliefern hat und dennoch beinahe täglich Schuhe kauft, deren Preise meine Monatsmiete übersteigen. Und auch sonst sieht man ihrem Äußeren an, dass sie keine echte Journalistin sein kann, die Tag für Tag ranklotzt. Eine echte Journalistin trägt kein Täschchen, welches sie an einem immer wieder rutschenden Henkel auf der Schulter oder am Handgelenk drapiert, damit es vor allem gut aussieht. Journalistinnen greifen gerne zur Umhängetasche, die ein Notizbuch in A5 mindestens zu verstauen weiß. Eine echte Journalistin sucht in ihrer Tasche auch nicht nach ihrem einzigen Kugelschreiber. Journalistinnen verstauen gerne mehrere Schreibutensilien und haben ein nahezu komplett ausgestattetes Büro bei sich, wenn sie unterwegs sind, das ihnen jederzeit ermöglicht von fotografieren bis notieren zu arbeiten (seht hier).

Journalistinnen bevorzugen auch eine Absatzhöhe unterhalb der vier Zentimeter für ihre Schuhe. Sie sind leger schick angezogen und so jederzeit in der Lage, sich mit einem zu interviewenden Bauern auf die Weide zu stellen oder mit einem Bürgermeister in ein Zimmer zu setzen - und für beide Gelegenheiten gut angezogen. Sie können an einen Unfallort düsen und in Straßengräben hockend Fotos von Rettungsarbeiten schießen, ohne sich Fingernägel oder Pfennigabsätze dabei abzubrechen. Wenn sie zu frieren beginnen, ziehen sie einfach den Reißverschluß ihrer (Leder)Jacke hoch und müssen kein Mäntelchen vor Dreck oder das Gesamtbild ihres Stylings bewahren. Vor allem aber interessieren sie sich mehr für ihre Umwelt und Mitmenschen als für die neuesten Designerkollektionen und die eigene Maniküre.

Leider aber scheinen nachwachsende Journalistinnen sich mehr am Äußeren der Carrie Bradshaw zu orientieren als an ihren sonstigen Qualitäten. Sie verkennen, dass Carrie neben der Vogue vor allem eine Reihe Bücher verschlingt und mit Zeitungslektüre in die eigene Bildung investiert. Und bei ihnen ist auch das bisschen Carrie-Journalisten-Tum leider nur "schöne" Hülle und Outfit - von Intellekt, Humor und Charme, Klappe, Kurven und Köpfchen ist nichts zu spüren. Stellt sich die Frage, wohin uns der Trend noch führen wird: zur Model- oder Modelljournalistin?

Freitag, 18. April 2014

96 Sekunden Haltung, ungefähr

Der Mensch braucht Kaffee. Am besten in einem Café und in netter Gesellschaft. Das alles habe ich mir kürzlich mal wieder gegönnt. Der Auftritt eines hier nicht näher zu benennenden Politikers, von dem ich aufgrund seiner Neigung zur Perfektion gelegentlich annehme, dass er eine Extra-Schulung für seine immer akkurate Frisur absolviert hat und in seinem vermutlich begehbaren Schrank ein Fach nur für Accessoires wie Krawatten und Einstecktücher besitzt, hat diese Atmosphäre durch eine Vorführung in Sachen korrekter Auftritt und immerwährende Haltung bereichert.

Der Blick kann ungehindert aus dem Café mit angeschlossener Bäckereifiliale auf den Parkplatz schweifen. Es biegt jenes Vehikel ab, in dem der Politiker sonst meist chauffiert wird. Doch an diesem Tag lenkt er selbst die Geschicke des Pkw. Er stellt ihn ab. Steigt aus der Fahrertür. Sogleich an die linke hintere Tür. Es erscheint ein Sakko, welches sogleich übergezogen wird. Oha, möchte ich mutmaßen, er hat wohl einen wichtigen Termin, für den es sich korrekt zu kleiden gilt. Weiter herum um das Auto zur rechten hinteren Tür. Er entnimmt etwas - mehr als erahnbar, dass es sich um ein ausgehfeines Herrenhandtäschchen oder eine zu groß geratene Geldbörse handelt. Der Mann betritt das Café. Aha, möchte ich weiter mutmaßen, der wichtige Termin findet wohl hier statt.

Fürwahr. Es ist sehr wichtig, denn der Politiker auch nur Mensch. Der Mann ordert diverse Kohlenhydratprodukte. Bezahlt. Verlässt den Laden wieder. Zurück zum Auto. Kofferraumklappe. Brot und Brötchen verstauen. Hintere rechte Tür. Portemonnaie weg. Zur hinteren linken Tür. Das Sakko wieder aus, Stoff kurz abklopfen, uniformierte Gründlichkeit weghängen. Fahrertür. Weg.

Großzügig überschlagen wurde das Sakko ungefähr Pi mal Daumen ziemlich genau 96 Sekunden zum Zwecke der Transaktion Bares gegen Brot getragen. Das nenne ich Haltung und stets gefeierte Perfektion, wie Otto Normal sie kaum zu leben bereit ist.

Donnerstag, 27. März 2014

Gut gemacht

Wenn jemand einen Oscar, einen Grammy oder sonst mal einen Preis bekommt, so dankt er in seiner verheulten Dankesrede gerne Gott und seinen Eltern. Ich habe noch nie einen Preis bekommen. Ich glaube nicht an Gott. Aber ich danke heute meinen Produzenten. Dafür, dass ...

... ich nie gehört habe "Das ist nichts für dich, du bist ein Mädchen."
... sie mir ein gesundes Selbstbewusstsein gegeben haben.
... ich immer eine eigene Meinung haben durfte und darf.
... sie nie gesagt haben "Wir haben's dir doch gesagt", wenn ich scheiterte.
... ich mutig geworden bin. 
... sie immer da sind.
... ich aufrichtige Unterstützung und klare Ansagen bekomme.
... sie meine Träume mitleben und noch größere für mich träumen.
... ich immer gelesen werde.
... sie ehrlich ihre Meinung zu allen Dingen in meinem Leben sagen, gefragt oder ungefragt in den richtigen Momenten.
... ich Respekt erfahre und habe.
... sie Wissen und Erfahrung teilen.
... ich nie bevormundet werde.
... sie immer großzügig und herzlich sind (auch zu allen Menschen, die in meinem Leben auftauchen), ohne Geschenke und Geld dafür einzusetzen.
... ich weiß, was wahre Liebe und Freundschaft sind.
... sie immer ehrlich sind.
... ich nie einsam bin, egal wo ich bin
... sie meine Ideen unterstützen.
... ich nie meinen Humor verliere.
... sie mir Talent schenkten.
... ich ein ebenso großes Herz habe wie sie.
... sie mir drei Brüder gaben.
... ich bin wie ich bin.

Dienstag, 18. März 2014

Stadt verlassen

Ein Drittel meines Lebens habe ich zwar in einer Großstadt verbracht, dennoch liebe ich meine Kleinstadt. Sehr. "Ein leidenschaftlicher Journalist kann kaum einen Artikel schreiben, ohne im Unterbewusstsein die Wirklichkeit ändern zu wollen." hat der Herr Augstein mal gesagt. Ich schreibe manche Artikel in der unter- bis bewussten Hoffnung, die kleine Kleinstadtwelt zu ändern ... zum Besseren. Ja. Trotzdem habe ich kürzlich daran gedacht, meine liebe Stadt zu verlassen und einfach in eine Millionenmetropole zu ziehen, wo mich niemand kennt und ich niemanden kenne.

Ich (29, Single, fabulous) wollte eigentlich nur mal nett in netter Begleitung was essen gehen. In der einzig wahren Kneipe meiner Stadt, der ich übrigens auch schon mal eine öffentliche Liebeserklärung machte und die ich in letzter Zeit so oft besuchte, dass ich ernstlich darüber nachdenke meine Anschrift in ihre zu ändern. Nun gut. Wir betreten also das Lokal. Darin befindlich ist bereits eine kleine Ansammlung Stadtratsmitglieder und ein Sympathisant dieser kleinstädtischen Opposition. Hingesetzt. Die Tür geht auf. Es kommt eine Ansammlung aus guter Freund, Bekannter und flüchtig Bekannter (welcher angeblich ein Auge auf mich geworfen hat) herein. Freundlich grüßen und weiter im Text des "Lass uns doch mal was essen gehen"-Tänzchens. Die Tür geht wieder auf. Herein spazieren Stadtoberhaupt, eine enge Mitarbeiterin und ein Mann, der sehr viel von sich selbst und weniger von meiner Stadt hält. Nennen wir sie einfach "Vater Mutter Kind". Es entsteht eine Situation, in der gelinst und getuschelt, Blicke und Kommentare ausgetauscht werden. Es erfüllt allmählich den Tatbestand von "Nett ist der kleine Bruder von Scheiße". Ich fühle mich beobachtet. Weil ich sonst der Beobachter bin, nervt mich das. Ich frage also mein Gegenüber, ob er sich nicht einfach sein Bier einpacken lassen will. Witzig.

Das Gesicht meines Gegenübers schläft ein, als die Kellnerin mir einen Whisky bringt. Sie kommentiert, der sei von einem Herren mit den besten Grüßen für mich. Nicht witzig. Aber lecker. Wenig später bringt die Kellnerin die zwei von uns nur wenige Bruchteile zuvor georderten Weinbrände. So schläft mir das Gesicht ein, als die enge Mitarbeiterin des Stadtoberhaupts meinen Alkoholkonsum kommentiert. Ich möchte mir nur noch ein Fass Bier to go bestellen.

Insgesamt ist es mir aber nun inzwischen gelungen, mir meine Gesamtsituation schön zu trinken. Ich glaube daher, dass ich trotzdem in der Stadt bleibe. Es ist manchmal so furchtbar nett hier. Und man trifft immer nette Leute. Und die treffen einen.

Freitag, 7. März 2014

Umfragehoch

Ab sofort mag ich eventuell vielleicht Umfragen. Eventuell! Vielleicht! Normalerweise versuche ich mich nämlich nach Möglichkeit, Tagesform und Nein-Fähigkeit um die Durchführung von Umfragen zu drücken. Der geneigte Leser dieses Blogs und Kenner meiner Person weiß, dass ich sie nicht leiden kann - steht unter anderem hier oder auch hier mal. Heute aber hatte ich echt Erfolg bei der Umfrage! In nur 20 Minuten war alles Wichtige erledigt, eine Stimme mehr als gefordert im Kasten und die Laune bestens.

Das Thema im weitesten Sinne: Was bedeutet Frühling für sie? Weil Nebel und Kälte draußen auf der Straße heute eher nach November aussahen, beschloss ich die Umfrage nach drinnen zu verlegen. Ich ging in einen Blumenladen. Für mich macht es sehr viel Sinn, einen Blumenhändler nach seiner Definition von Frühling zu fragen. Unter anderem sagte er, dass Frühling das Zwitschern von Vögeln am Morgen ist. Wie wahr! Und weil er sich oft Arbeit mit nach Hause nimmt, also seiner Frau einfach mal Blumen mitbringt, würde er auch ganzjährig für Frühlingsgefühle sorgen können. "Auch bei Novemberwetter im März?", fragte ich ihn. Und er schenkte mir dies hier:


Der Strauß ist die perfekte Schreibtischdeko und wird sicherlich bald so richtig aufblühen. Ich habe sogar etwas davon abgegeben.

Denn für die Umfrage musste eine männliche und eine weibliche Stimme her. Ich huschte in das nächste Geschäft. Ein Schuhladen... Ich fand zwei nette Verkäuferinnen und so gleich zwei Stimmen statt nur noch einer weiteren Umfragestimme. Für beide ist Frühling, wenn sie die Ballerinas aus der Mottenkiste und an die Füße holen. Wie wahr! Für die eine ist derzeit immer Frühling, weil ihr Freund ihr immer gerne Blumen schenkt. Die andere bekommt keine Blumen geschenkt, bedauerte sie. Ich half aus und gab ihr zwei Blümelein von meinen ab. Der Frau mit Blumenschenkerfreund aber gab ich auch zwei ab. Beim Verlassen des Ladens bekam ich Frühlingsgefühle, denn ich sah dies hier:


Ich bekam Blumen geschenkt und kaufte Schuhe - andersrum wäre es günstiger für mich gewesen.