Montag, 17. Dezember 2018

Viel zu lernen

Man lernt nie aus. Was ja auch irgendwie fatal wäre... Gerade in meinem Job lernt man beinahe täglich was dazu. Was ja auch irgendwie gut ist… Ein paar Sachen mache ich anders als noch vor ein paar Jahren oder gar Monaten, weil ich es mehr oder weniger schmerzhaft gelernt habe. Unter anderem habe ich die folgenden Punkte allmählich echt gut drauf:

 

 

Kommentare ignorieren


So gut ich mich selbst beherrschen und zügeln kann, vermeide ich es, jene Kommentare zu lesen, die zu meinen online veröffentlichten Artikeln eintrudeln*. Das raubt nur Zeit und vor allem Nerven. Meistens – so jedenfalls meine Erfahrung - echauffiert sich doch nur irgendein Troll, der ohnehin nicht mehr als die Überschrift gelesen hat, bezeichnet einen als dummen Praktikanten und weiß eh immer besser, wie Journalismus und – meistens geht es ja darum – Regierungsarbeit funktioniert. Nichts gegen konstruktive Kritik, aber das bringt mir so rein gar nichts außer Puls. Da ich meinen niedrigen Blutdruck inzwischen so gut wie überwunden habe, brauche ich das aber nicht.

* Manchmal werde ich doch schwach, lese Kommentare und rege mich darüber auf, dass sich wer anders aufregt. Sinnlos!

Menschen blockieren


Man ist als Mensch und weniger als Journalist bei Facebook oder Instagram oder sonst irgendwo. Irgendwo sonst ist die Zeitung nicht im Briefkasten oder etwas anderes irgendwie nicht nach dem Geschmack einer Person gelaufen. Sie greift nicht zum Hörer und wendet sich an eine Hotline, sie greift zur Tastatur und schreibt einen bei Facebook an, weil man blöderweise der einzig deutlich erkennbare aus der Redaktion ist und damit in den Augen einiger wohl für alles zuständig. Ich weise höflich darauf hin, dass ich da jetzt (meistens ist es Samstagabend 22 Uhr) nicht helfen kann und verweise wiederum an den Kundendienst ab Montag. Dafür werde ich dann beleidigt, dass der Service bescheiden ist und ich mich gefälligst JETZT kümmern soll. Ich schreibe noch, dass es mir um diese Zeit (zur Erinnerung: meistens ist es Samstagabend 22 Uhr) unmöglich ist, die Zeitung in ein 15 Kilometer entferntes Dorf nachzuliefern. Das interessiert nicht. Auch beim nächsten Mal wieder. Und wieder. Die Person begreift nicht, dass ich die falsche Adresse für ihre Themen bin und lässt ihre Wut an mir aus, gerne auch die zum Thema „Lügenpresse“ allgemein. Das reibt auf. Es fällt schwer, sich nicht in Diskussionen verwickeln zu lassen. Also blockiere ich solche Menschen. Ruhe kehrt ein.

Nein sagen


Samstag 18 Uhr. Anruf auf dem Privathandy, Nummer hat man sich von XY über Z besorgt. Morgen um 10 Uhr ist dies, das und jenes auf dem Dorf los, steht schon lange fest, hat man nur vergessen dem Kollegen zu sagen und ich sei ja wenigstens erreichbar. Aha. Morgen pünktlich um zehn soll ich bitte kommen und einen Bericht über die Kranzniederlegung, die Eröffnung der neuen Blumenstube oder die Konfirmation schreiben. Nö, kann ich nicht, mache ich nicht, meine Termine für das Wochenende stehen, sage ich. Aber Journalisten seien doch immer so spontan?! Ja, sage ich, das schon, aber nur wenn es wirklich nicht anders geht und gerade am Bahnhof der ICE entgleist oder der Oberbürgermeister verhaftet worden ist. Ansonsten gilt: Wenn ich wirklich jedes einzelne Mal spontan springen würde, wenn einer das von mir haben will, dann hätte ich keinerlei Freizeit und Privatleben mehr. Ein Recht auf Freizeit habe ich trotz meines Jobs. Also: Termine bitte künftig nicht kurz vor knapp, sondern mit ein paar Tagen Vorlauf und für morgen um zehn Uhr gibt es daher nur ein klares Nein*, der Kollege wird sich ab Montag telefonisch dazu melden.

* Daraus lernt man wiederum: Nein sagen zu können, wird ja immer gerne propagiert – aber wehe man macht es wirklich … es kommt nie gut an, es wird meist als persönliche Beleidigung aufgefasst. Da müssen wir alle noch ganz viel lernen.

Sonntag, 11. November 2018

Fünf Monate und fünf Jahre

Mancher hat sich vielleicht gefragt, ob ich nun total verrückt bin, als ich Anfang des Jahres meinen Mitgliedsantrag für die Freiwillige Feuerwehr abgegeben habe. Für mich dagegen war das einfach eine logische Folge meiner bisherigen Erfahrungen und der letzten fünf Jahre. 

Konsequenzen ziehen


Ich bin seit gut fünf Jahren auch Blaulichtreporter und in dieser Zeit so gut wie immer dabei gewesen, wenn feuerwehrtechnisch in meiner Stadt irgendwas lief - zu jeder Tages- und Nachtzeit. Jedenfalls bin ich mindestens auch immer wach geworden, wenn feuerwehrtechnisch was lief. 

Und machen wir uns nix vor ... nicht alles, was eine Feuerwehr macht, ist auch presserelevant. Deshalb ist es aber nicht weniger wichtig. Da gibt es Tragehilfen und Türöffnungen für den Rettungsdienst, Ölspuren von der Straße zu entfernen und immer wieder fehlerhaft ausgelöste Brandmeldeanlagen. Es gibt eine Menge Bagatellen. Und es gibt zu wenig Leute, die das Ehrenamt noch machen. 

Ich dachte mir irgendwann, warum ich eigentlich immer nur daneben stehe oder ob es wirklich einen Unterschied macht, ob ich nachts auf meinen Pieper gucke und mir beim Stichwort "Tragehilfe" denke "Ach, ist eh nix fürs Blatt, schlaf ich weiter" (und dann ja doch nicht so schnell wieder ins Lummerland finde) oder einfach gleich mit aufstehe und den Job erledige. 

Das sieht doch schon ganz professionell aus. Der Helm ist nicht meiner, ich musste ihn mir kurz leihen.
Also habe ich eine Grundausbildung absolviert und seit dem ersten Einsatz am 21. Juni 2018 auch einige Einsätze. Ich bin gut ausgebildet, ich habe in diesen fünf Monaten einiges an Erfahrung gesammelt. Und doch habe ich immer wieder das für mich und meinen Perfektionismus ungute Gefühl, dass mir eine Menge fehlt. Dabei ist es nur eins:

Routine

Mir fehlt Routine.

Und ich werde sie vielleicht nie bekommen. 

Bauchgefühl geht vor


Ich merke es bei bestimmten Stichworten. Wenn da was von Wohnungsbrand auf dem Pieper steht, kommt der erste geistige Hammer - die Überlegung, ob ich gleich als Presse anrücke oder doch als Einsatzkraft. Die Überlegung, welchen von beiden Jobs ich nun in diesem Ernstfall besser beherrschen würde und welchen ich mir eher zutraue. Beide Jobs gleichzeitig zu erledigen, wird mir nicht gelingen. Ich muss mich entscheiden. Jedes einzelne Mal. Die Überlegung wandert jedes einzelne Mal direkt weiter an mein Bauchhirn, ich lasse das Bauchgefühl entscheiden. Oft genug entpuppt sich so ein Wohnungsbrand ja auch als vergessenes Essen auf dem Herd...

Neulich gab es mitten in der Nacht wieder so ein Stichwort. Ich eilte zum Gerätehaus. Ich schmiss mich in die Einsatzklamotten. Ich eilte zum Löschfahrzeug. Zeitgleich ein anderer Kamerad. Einer mit Atemschutztauglichkeit, welche ich nicht habe. Ich habe absichtlich mein Tempo rausgenommen (ich habe lange schnelle Beine, ich kann in meiner Schrittgeschwindigkeit fast jeden überholen) und ihm so den Vortritt gelassen. Er bekam den letzten Platz auf dem Fahrzeug. 

Bei mir regte sich schon da wieder das Bauchgefühl. Ich habe mich schnell wieder umgezogen und bin weiter zu meinem Auto. Der Brand war berichtenswert. Ich war besser darin als ich vor Ort in Einsatzkleidung gewesen wäre. Ich weiß es. Und als Blaulichtreporter habe ich dermaßen Routine, dass es mich selbst manchmal sogar erschreckt, wie abgeklärt ich an die Dinge herangehe.

Als Blaulichtreporter funktioniere ich einfach, vielleicht besser - oder besser: verlässlicher - als als Einsatzkraft. Ich weiß, wie es geht und was ich wann zu tun oder zu lassen habe. Ich bin schnell und zuverlässig dabei. Ich laufe dann wie auf Schienen. Ich kenne jeden meiner Schritte. In meinem Kopf ploppt eine Liste auf, die ich Stück für Stück und stoisch abarbeite. Ich weiche von diesem Skript nicht ab. Es ist wie die Grundübung in meiner Feuerwehrausbildung. Jede Kleinigkeit ist festgelegt und wenn man sich daran hält, gelingt sie auch. 

Ich habe Routine.

Sie wächst mit jedem Mal.

Das gilt für beide Jobs.

Sonntag, 30. September 2018

Sprechstunde

Halb zieht er mich. Halb sink' ich hin. Dabei macht er wie so viele in letzter Zeit eine Bemerkung über meinen nicht gerade üppigen Körperbau. Er ist der erste Mensch seit langer Zeit, dem ich das nicht einen Hauch übel zu nehmen vermag. Vielleicht liegt es auch daran, dass seine große starke Hand noch immer meine kleine kalte hält und den Rest von mir auf ein Sofa dirigiert. 

Er hat mir Tee gekocht. Mit der Begründung, ich würde wie ein Teetrinker wirken. Ich bin ganz verzückt von so viel Aufmerksamkeit. Das Konzept "Dornenvögel" macht irgendwie plötzlich Sinn.

Eigentlich bin ich hier, um dem Pfarrer etliche Fragen zu einem Thema zu stellen. Er hat sich so gut auf diesen Termin vorbereitet, dass er - es wirkt spontan und ist es gewiss doch nicht - ein 30-minütiges Referat hält, an dessen Ende keine meiner Fragen offen bleibt und ich keine einzige gestellt habe. Seine sonore Stimme hat mich ganz und gar eingelullt. Ich möchte gar nicht mehr gehen.

Also gießt er mir noch eine Tasse Tee ein und lädt mich ein, zu bleiben und über Gott und die Welt zu reden. Er stellt mir interessante und interessierte Fragen, nur über mich. Das kenne ich nicht, sonst stelle ich die Fragen und schon gar nicht geht es nur um mich. 

Er weiß, dass ich Atheist bin und nennt mich doch einen sehr religiösen Menschen, erstens weil letztlich alle Menschen religiös seien und zweitens weil ich so auf mein Karma bedacht sei - dabei habe ich das Wort ihm gegenüber nicht einmal in den Mund genommen habe. Wir alle suchen und finden unsere Rituale, sagt er. Wir alle haben unsere Gebete, jeder auf seine Art, sagt er. Wir alle haben unsere Tempel, mit und ohne Dach, sagt er. Tatsächlich kommen wir überein, dass man es mit Faithless halten kann und Gott doch ein DJ ist. 

Beseelt gehe ich heim. Schade eigentlich, dass ich so lange nichts mit Religion am Hut hatte, denke ich. Und ahne doch, dass ich eine habe. Meine eben. Und er hat seine. Unfassbar, dass es deshalb immer wieder Mord und Totschlag gibt und ich könnte mit das Hirn zermartern, warum das so ist - oft genug tue ich das auch.

Wochen später treffe ich ihn bei einer Familienangelegenheit wieder und er sagt ganz unvermittelt: "Wenn Gott ein DJ ist, dann tanzen Sie besser über manche Dinge nach als sich den Kopf zu zerbrechen, okay!?" God Is A DJ und der Pfarrer ein Psychologe. Amen.

Montag, 13. August 2018

Urlaub in den Misanthropen

Es ist nicht gerade ideal für meinen Job, aber ich gestehe: Ich kann Menschen (die meisten von ihnen) nicht leiden, ich habe nicht gerne mit Menschen (mit den meisten von ihnen) zu tun, Menschen (fast alle von ihnen) nerven mich. Oft fühle ich mich schlecht deshalb.

Am Freitag rief gegen 11 Uhr eine ältere Dame in der Redaktion an, der man in einem örtlichen Discounter nicht gestattet hatte, die Mitarbeitertoiletten zu benutzen. Das ist natürlich – und erst recht angesichts eines Darmleidens der Frau – sehr ärgerlich. Eine echt beschissene Situation, um ehrlich zu sein. Doch irgendwo in meinem Hinterkopf klingelte schon, dass Discounter da strenge Vorgaben haben und gesetzlich, so glaubte ich, nicht zu Kundentoiletten verpflichtet sind. Das hätte ich der Frau ja gerne erzählt … hätte sie mich zu Wort kommen lassen. Sie aber betonte lieber in fortwährend aufgebrachtem Tonfall, dass sie seit 40 Jahren Abonnentin der Zeitung ist, für die ich arbeite und nun sei es mal Zeit, dass ich was für sie tue. Okayokayokay. Ich versicherte ihr sofort beim Markt beziehungsweise dessen Konzernzentrale anzufragen und betonte noch, dass es aber sehr wahrscheinlich nicht sofort eine Antwort geben würde, ich mich dann aber umgehend melde.

Kaum hatte ich mich heute morgens kurz nach halb neun an den Schreibtisch gesetzt, klingelte das Telefon und am anderen Ende war wieder die Frau. In einem wahrlich pissigen Ton, ich kann es nicht anders sagen, fragte sie mich, was ich denn nun für sie erreicht hätte. Ich öffnete fix die Mails, wozu ich noch gar nicht gekommen war und fand – Glück für mich – ein Antwortschreiben des Marktes. Wie vermutet, gibt es gesetzliche Vorschriften, die es verhindern, dass die Mitarbeitertoiletten von Kunden benutzt werden und wiederum keine gesetzlichen Vorschriften, Kundentoiletten vorzuhalten. Die Firma entschuldigte sich dennoch, versicherte zudem, dies auch persönlich bei der Frau zu tun, wenn ich denn einen Kontakt herstelle.

Die Frau vernahm meinen Bericht, willigte der Kontaktweitergabe ein und geiferte doch munter weiter, ich solle jetzt mal dafür sorgen, dass sie mindestens Blumen von dem Markt bekommt. Als ich ihr sagte, mein Part sei ja jetzt getan und alles Weitere kläre sie doch lieber persönlich, sobald der Markt sich bei ihr meldet, giftete sie wiederum mich an als sei ich persönlich verantwortlich für das Geschehene und forderte mich auf, ihr eine Übersicht öffentlicher Toiletten zu liefern. Guten Morgen!

Man sollte meinen, dass das für einen Morgen reicht. Getoppt aber wurde das noch durch einen Herren, der gerne einen Termin mit mir wegen eines lokalen Artikels machen wollte. Nur dummerweise fiel sein Terminvorschlag (oder sollte ich besser Terminbefehl sagen?) auf einen jener Tage, die ich auslandsurlaubend und virtuos abwechselnd zwischen Essen und Schlafen verbringen wollte. Im Leben nicht hätte ich damit gerechnet, dass der Mann tatsächlich sauer werden könnte und wiederum wie schon die Dame zuvor argumentierte, er sei ja lange genug Abonnent, dass ich das einfach mal einrichten müsste. Ich bot noch an, einen Kollegen zu schicken oder vor oder nach meinem Urlaub zu kommen, doch wütend schnaubend verließ der Mann das Haus und ließ mich stirnrunzelnd zurück. Vermutlich ist es nur menschlich, Menschen nicht leiden zu können. Ich träume vom Urlaub in den Misanthropen.

Sonntag, 17. Juni 2018

Lokaljournalismus geht durch den Magen

Auch 2018 erfüllt der Lokaljournalismus noch Klischees. Das vom Bratwurstjournalismus zum Beispiel, also das der Berichterstattung über Dorffeste und andere "Friede, Freude, Eierkuchen"-Veranstaltungen als wäre außer "für das leibliche Wohl war bestens gesorgt" und Wetter nebst "tollem" Kindergartenauftritt nicht viel gewesen. Ich bin nicht nur wegen der Klischees leicht angefressen über den Lokaljournalismus 2018. Dass ich an diesem Samstag und auch sonntags arbeiten muss, macht mich pappsatt.

Nein. Es ist nicht so, dass ich mich nach meiner folgenschweren Phase des Workaholicseins nun komplett 180-Grad-gedreht in ein arbeitsscheues Mäuschen verwandelt habe. Doch wenn Lokaljournalisten in Zeiten hoher Arbeitsverdichtung auch noch den Job des Sekretariats erledigen, haben sie freie Tage verdient, finde ich. Dennoch bin ich an diesem Samstag auf dem Weg zu einem Dorffest. Die Sonne lacht. Ich könnte jetzt auch an den See fahren und rumlümmeln. Ich fahre arbeiten. Kotzt mich an. Man kann es nicht anders sagen.

Lecker Lokaljournalismus


Dass ich mit meinen neuen und ewigen Schwiegereltern in spe jetzt quasi Verwandtschaft in dem Dorf habe, schmälert das Angefressensein ein wenig. Besuch bei seinen Eltern, Arbeit, zwei Fliegen mit einer Klappe. Klappe meiner üblen Laune.

Ankunft Festwiese. Der Papa Bär, der der Vater meines Freundes ist, entdeckt mich sofort und winkt und herzt und fragt als erstes "Hast du schon was gegessen?" Ja, habe ich. Aber er und Schwiegermama stehen an der Gulaschkanone der Feuerwehr, in der sie sich seit Jahren engagieren und die logische Antwort auf die Frage kann nur "Ja, aber ich könnt' schon wieder!" lauten*. Platsch. Eine große Kelle Erbsensuppe landet in einer Schüssel. Flupp, taucht eine Bockwurst hinterher. 

Ich genieße meine Suppe. Dann, sag ich, muss ich aber erstmal arbeiten und was Substanzielles über das Fest berichten. Wo ich denn unter der Devise mal nachfragen sollte, frage ich meine Schwiegermama. "Geh mal zu den Landfrauen, da gibt es lecker Kuchen", sagt sie. 

Die Landfrauen begrüßen mich gleich mit einem Stuhl, den sie mir sitzbereit unter den Po schieben. "Wollen Sie erstmal was essen, bevor Sie weiterarbeiten? Sie können es vertragen", sagen sie und ehe ich widersprechen kann, fliegt von links ein Streuselkuchenstück heran, von rechts ein Muffin. Mit vollem Mund stelle ich ein paar belanglose Fragen. Zum Abschied gibt es ein Stück Aprikosenkuchen auf die Hand, Rhabarber sei leider schon alle, entschuldigen sich die Damen regelrecht.

Wie gut, dass ich den Bürgermeister treffe. Da muss was mit Substanz zu holen sein. Ein ernst zu nehmendes Zitat, eine Botschaft... "Na, meine Kleene", sagt er. Ich mag es eigentlich nicht, wenn mich (175 Zentimeter groß und 34 Jahre alt) Männer zur "Kleenen" machen oder mich anderweitig verniedlichen. Doch sein Händedruck ist so herzlich, dass ich an solche Prinzipien gar nicht mehr denken kann. 

Er wendet sich zum Papa Schwiegerbär: "Jetzt gib der Kleenen doch erstmal was zu essen, sie kann's vertragen, sieht schon ganz dürr aus!" Bemerkungen über meinen Körperbau bringen mich gerade in letzter Zeit normalerweise auf die Palme, in diesem Fall grinse ich wie ein Honigkuchenpferd. Platsch. Eine große Kelle Erbsensuppe landet in einer Schüssel. Flupp, taucht eine Bockwurst hinterher. Wir reden ein bisschen, während ich esse natürlich. Dies und das. Geplänkel. Eine Landfrau kommt über die Festwiese geeilt. "Ich habe doch noch ein Stück Rhabarber gefunden, ist nur der Kuchenrand, tut mir leid, aber bevor Sie weg sind", sagt sie und überreicht mir den Teller, auf dem noch ein Muffin thront.

Vollgemampft und satt im Herzen fahre ich später am See vorbei und dann heim in den Feierabend. Am Sonntag fährt mein Freund ins Dorf. Tags zuvor musste er nämlich eine seiner 24-Stunden-Schichten arbeiten. Ich sitze wieder am Schreibtisch. Ich schreibe irgendwas über Friede, Freude und Eierkuchen. Bratwurstjournalismus vom Feinsten. Er nimmt eine Tupperschüssel mit, Erbsensuppe ist mir gewiss.

* Wenn ein Eintopf stundenlang in großer Menge wie in einer Wanne heiß badet, ist das nachweislich eine der größten kulinarischen Köstlichkeiten überhaupt. Selbst unter größter Mühe bekommt man daheim niemals so gute Erbsen-, Gulasch- oder Kartoffelsuppe hin. Auch ein Sternekoch kann das nicht. Fakt!

Samstag, 9. Juni 2018

Just B 2Punkt0

Eigentlich müsste man als Journalist ja großer Fan von Ereignissen sein. Wenn nichts passiert, ist das immerhin nicht gerade ideal für den Job. Man ist berufsbedingt meist auch mehr hyperaktives Gör als Faultier. Das haut bei mir auch ungefähr 48 Wochen pro Jahr hin. Die bisher beste Woche meines Jahres liegt jetzt hinter mir. Ich war endlich wieder in dem Land, in dem nichts passiert. Mein heiß geliebtes Brandenburg...

Ich bin immer wieder erstaunt, dass es dort auch Lokalzeitungen gibt, am Ende aber doch nicht neugierig genug in Erfahrung bringen zu wollen, wie die Journalisten dort mit 48 Wochen Sommerloch pro Jahr umgehen. Ich will ja nicht, dass in Brandenburg was passiert und Kontakt mit solchen Menschen wie es Journalisten sind, will ich auch nicht.

Passiert ist natürlich schon was. Und was!!! Mein ältester Bruder hat geheiratet. Das nenne ich mal Ereignis. Und das haben wir natürlich entsprechend gefeiert. 

Durchgemacht

Ansonsten? Nüchtz. Besser geht es nicht. B wie Brandenburg, Brandenburg wie bestens... Und ich dachte schon, dass ich mittels Verpartnerung meine Brandenburgfähigkeiten verloren hätte. 

Ich kann aber noch sehr gut brandiburgisieren. Aufstehen, um rumzulümmeln. Mampfen, um dann Verdauungsspaziergänge konsequent abzulehnen und sich wieder hinzulegen. Nach dem Mittagsschlaf nur aufstehen, um weiter rumzulümmeln. Dann nur ein bisschen stinkfaules Yoga mit viiiiiel Savasana oder Meditation (das ist genau das, was immer alle über Yoga denken: nur rumliegen/rumsitzen und atmen). In den Himmel und die Natur blicken. Nichts tun. Wirklich nichts. Höchstens mal was lesen. Nur ein bisschen Stoffwechsel betreiben und sonst nix.

Irgendwo habe ich mal gelesen, dass ein Faultier einen Kalorienverbrauch von 24 kcal pro Stunde oder so hat. Ich bin mir sicher, dass ich das in Brandenburg mittels massiver Faulheit noch unterbiete. Ich bin jetzt sogar stolze Besitzerin eines Urlaubskilos und noch zwölf solcher Wochen und man kann meine Hüftknochen nicht mehr sehen. Herrlich. Es müsste einfach mehr solcher Wochen geben... blöd, dass immer dieser Job im Weg ist.

Sonntag, 13. Mai 2018

Ä wie Äraänderungen

Der Mai macht alles neu. Sagt man. Während ich privat solcher Aufbruchsstimmungsyeahyeahsachen wie der Hochzeit meines ältesten Bruders erfreut entgegenfiebere, könnte ich beruflich auf einige mailiche Veränderungen echt gut verzichten.

Nachdem sich schon vergangenen Monat der erste Kollege in die Rente verabschiedet hat, wird es Ende des Monats der andere Kollege tun. Als Ersatz dafür kommen neue Kollegen, ist klar. Und mit denen komme ich auch klar, freue mich auf die Zusammenarbeit und neue Potenziale. Das ist ja schon Umstellung genug. Und eigentlich noch okay, die gute Version von "Alles neu macht der Mai".

Was aber nicht okay ist, ist die Rente der Redaktionssekretärin und dass es für sie keinen Ersatz geben wird ... sieht man mal davon ab, dass man im 30 Kilometer entfernten Haupthaus einen Sekretariatspool sitzen hat, der E-Mails weiterleitet und Kilometergeldabrechnungen annimmt. Schön und gut. Aber das ist doch kein Ersatz. Es wird keine Sekretärin mehr bei uns vor Ort geben. Das ist das Ende einer Ära. Und da rede ich nicht davon, dass sie uns den Hintern nachgetragen hätte. So Klischee-Sekretariatsaufgaben wie Kaffee kochen und Spülmaschine ausräumen haben wir immer alleine gewuppt. Der Verlust ist aus anderen Gründen gewaltig.

In zwei Tagen ist unsere wichtigste Kollegin weg. Vorgestern haben wir Verbliebenen mit ihr einen Rundgang durch die Redaktion gemacht und ich habe fein säuberlich notiert, welche Aufgaben wir dann übernehmen müssen. Das fängt beim Leeren des Briefkastens an und hört beim Überblick über vorhandenes Material wie Druckerpapier, Notizbüchern und Kugelschreibern (was Journalismus nun mal auch braucht) auf. Unsere beste Kollegin hat aber auch ohne großen Kommentar die Geschirrtücher der Büroküche einfach daheim gewaschen und sauber wieder hingehängt. Bis zur Liste werden manche von uns gedacht haben, die Dinger wachsen an dem Haken, an dem sie hängen - genau wie die fein säuberlich archivierten Zeitungen. Nee! Und da gibt es noch mehr Beispiele...

Es sind tausend Kleinigkeiten, die eine gute Sekretärin übernimmt und die ihren Job so wichtig und sie so großartig machen. Ich rechne fest damit, dass wir in drei Monaten durch Unterlassen das erste stattliche Chaos angerichtet haben oder heulen, weil nirgends mehr eine Büroklammer aufzufinden ist. Klingt lächerlich? Aber: Erst wenn das kleinste Rädchen sauber läuft, funktioniert die ganze große Maschine. Ich fürchte, dass die Journalismus-Maschine ohne Sekretariat unrund laufen wird. 

Freitag, 20. April 2018

Dienst und Schnaps

Dienst und Schnaps. Schnaps und Dienst. Gehören nicht zusammen. Sagt man.

Kann man Job und Privatleben trennen? Sollte man. Geht das immer? Nein. Ist man im Job genauso wie im Privaten? Also ich nicht. Nicht mehr. Ich habe eine Dienst- und eine Schnapspersönlichkeit. Ich leiste sie mir sogar bewusst.

Terminjournalismus. Muss ja auch mal sein. Eine Genossenschaftsidee in meiner Stadt wird vorgestellt, die Infoveranstaltung soll Bürger locken, Anteile zu erwerben. Das ist grundsätzlich für mich eine gute – und zugegeben auch bequeme - Gelegenheit, zu erfahren, wie es um die Genossenschaft steht und wer sich dafür interessiert. Irgendwie ist das auch Chronistenpflicht. Also bin ich hier.

Vor mir sitzt eine Frau. Sie lauscht aufmerksam, was so geredet wird. Als es an die Fragerunde geht,  schnellt ihr Arm nach oben. Mit betont kritischer Stimme fragt sie, was sich hinter diesem und jenem Punkt der Genossenschaftssatzung verbirgt. Gut. Kann man fragen. Muss man nicht. Ich höre ihr aufmerksam zu. So wie ich jedem aufmerksam zuhöre, der mir im beruflichen Alltag begegnet. Egal erstmal, was für einen Sch… er erzählt. Erstmal zuhören, dann aussortieren. Das gehört zum Job. Ich höre zu. Ihr auch. Auch dann, als sie zu erläutern beginnt, warum sie diese Frage so gestellt hat. Eine aus meiner privaten Sicht unnötige Erläuterung.

D-Zug

 

Zwei Stunden später. Ich bin in der kleinsten Bar der Stadt. Naja, besser gesagt bin ich davor. Das Wetter ist schön genug, auf dem Bürgersteig zu sitzen und Pigmente zu haschen. Einmal wöchentlich wird in und vor der kleinen Bar der Feierabend bei Drinks und Häppchen eingeläutet. Ich trinke keine Drinks mehr, ich trinke Brause. Vielleicht wäre es mit Drink aber anders.

Wieder die Frau. Sie erzählt. Und erzählt. Durchaus unterhaltsam, irgendwie erinnert ihr Reden aber immer ein bisschen an Auftritt. Hier und da eine Pointe, da was Nachgeäfftes, dort eine ungewohnte Betonung. Gesten. Schenkelklopfer. Den heutigen Witz lässt sie per Video auf dem Smartphone einen alten Mann im bunten Hemd erzählen. Der Witz ist nicht so alt wie der Mann, ich habe ihn trotzdem schon vor einem Jahr gehört. Also höre ich nicht zu. Ich schalte auf Durchzug. Wie ich es oft bei ihr und anderen Bekannten mache. Körperlich bin ich anwesend, ich bringe mich auch immer mal ins Gespräch ein, aber 100 Prozent – so wie im Job - gebe ich für solche Plaudereien nicht. Bei Freunden mache ich das nicht. Für die nehme ich mir Zeit und erst recht die zur echten Kommunikation, wenn die Zeit auch knapp bemessen sein mag oder selten...

Aber Menschen wie der Frau höre ich immer schlechter zu. Ich schalte ganz bewusst auf Durchzug. Weil ich es kann. Für mich eine gute Nachricht.

Jahrelang hat meine Hypersensibilität an meinen Nerven gezerrt, gezehrt und sie überreizt. Ich habe an einer vier Meter langen Tafel voller Gesprächsdurcheinander noch mitbekommen, was der Kerl am anderen Ende der Tafel als Drink bestellt und genossen hat. Ich konnte Tage später noch erzählen, wer wann was als Kleidung anhatte. Und ich konnte Stunden später benennen, welche Autokennzeichen mir auf der Landstraße entgegenkamen. Mir ist kaum etwas entgangen. Im Job mag das nicht schlecht sein, fürs Leben ist es nichts. Ich lebe zwar lieber und zum Leben gehört vermutlich für jeden irgendeine Bekannte oder irgendein Bekannter, der mit seinem Smartphone ganze Runde unterhalten will. Im Leben muss man aber auch nicht alles mitmachen und in sich hinein- und auf sich hören. Nur muss ich mit meinem D-Zug nicht alle anderen abhalten von dem, was sie okayer finden als ich. Ich bin also einfach aus der Bar getürmt. Entzug ist in Sachen Schnaps echt ein probates Mittel.

Sonntag, 11. Februar 2018

Zeitverschwender

Neulich schrieb ich hier über die Sache mit der Arbeitszeit. Klar ist: fokussiert arbeiten = eher fertig. Und so sinke ich oft schon zur Mitte des Nachmittags zufrieden im Bürostuhl zurück und habe meine To do-Liste (ich liebe Listen) abgearbeitet. Klappt nur nicht immer. Klar ist auch: Menschen verschwenden ihre Zeit. Und Menschen verschwenden die Zeit von Menschen. 

Ich verplempere jeden Tag zum Beispiel noch immer zu viel Zeit in angeblich sozialen Netzwerken und in sinnlosen Diskussionen, will mich aber nicht zu sehr über mich selbst ärgern. Ärger über andere Menschen bleibt dagegen nicht aus. 

Ich schätze mal, dass mindestens eine halbe Stunde wöchentlicher Arbeitszeit für Menschen wie Babuschek draufgeht - das ist der Nervenräuber, dem ich hier schon mal (Zeitverschwendung?) Zeilen widmete, nachdem ich ihm wieder jede Menge Zeit geschenkt hatte. Es sind aber auch Telefonate wie dieses, die Zeit und Nerven kosten:

Klingelringelling.
Ich: "Die XXX in Y, Christine Jacob. Guten Tag!"
Sie: "Ja, ich wollte mich beschweren!"
Ich: "Hm. Was gibt es denn für ein Problem?"
Sie: "Wir haben die Zeitung hier im Ort alle immer mittwochs, heute hat gar keiner eine bekommen."
Ich (verwundert): "Immer mittwochs, ja?! Und in Z?"
Sie: "Ja, immer mittwochs das Anzeigenblatt, der Zetter Wochenspiegel."
Ich: "Ahja. Sie sind hier aber in der Redaktion der XXX gelandet und in ß gelandet. Wir haben mit dem Anzeigenblatt in Z aber absolut nichts zu tun. Der Zetter Wochenspiegel gehört nicht zu unserem Unternehmen."
Sie: "Also kümmern Sie sich jetzt?"
Ich: "Nein, das kann ich nicht. Das Anzeigenblatt hat mit der XXX wirklich wirklich gar nichts zu tun. Sie sind hier in der Redaktion gelandet."
Sie: "Also wir wohnen in der ..."
Ich: "Moment mal, bitte. Es geht Ihnen um das Anzeigenblatt, das immer mittwochs kommt, ja?! Nicht um die Zeitung, die jeden Tag außer sonntags erscheint?!"
Sie: "Sag ich doch, die Mittwochszeitung."
Ich: "Hm. Wie gesagt, da sind Sie bei mir leider falsch!"
Sie: "Aber ich habe schon wo angerufen und die haben gesagt, ich soll bei Sie anrufen und haben mich Ihre Nummer gegeben."
Ich (mich gefällt das gar nich, mich wirft es die Stirn in böse Falten): "Nein, nein. Das war eine Fehlinformation. Das Anzeigenblatt in Z machen wir nicht und wir stellen es auch nicht zu."
Sie: "Okay, da kümmern Sie sich jetzt also."
Ich: "Nein!"
Sie: "Aber Sie sind doch bei der Zeitung."
Ich: "Ja, bei der Zeitung XXX, nicht beim Zetter Wochenspiegel. Ich habe Ihnen jetzt zwischendurch mal die Nummer rausgesucht."
Sie: "Ich will nicht noch wo anrufen. Kümmern Sie sich doch, dass ich die Mittwochszeitung bekomme, dafür habe ich doch angerufen!"
Ich: "Nochmals: Das Anzeigenblatt geht die Redaktion der XXX nichts, absolut gar nichts an! Die Nummer von denen lautet 12345. Rufen Sie bitte dort an!"
Sie: "Also haben Sie sich das jetzt notiert, wird jetzt nachgeliefert?!"
Ich: "12345 sollten Sie sich notieren! 12345 und die sollen sich kümmern!"
Sie: "Achso?! ... Achso ... Na gut."
Tut-tut-tut ...

In der Zeit hätte ich locker mindestens ein Katzenvideo gucken können.

Sonntag, 4. Februar 2018

Balance-Schlaupelz

Es ist Sonntag und ich arbeite nicht. Gut so. So ein freier Tag - und erst recht dieser - scheint ein erster möglicher Schritt zu dieser "Work-Life-Balance", von der immer so viele reden. Es sei denn man hat einen Job, in dem man sonntags arbeiten muss (!), ist der freie Sonntag echt für die meisten Menschen möglich. So wie das freie Wochenende. Die durchgeschlafene Nacht. Gut so. Freizeit ist wichtig. Ein echter Erholungseffekt tritt mit Arbeit sieben Tage die Woche - und seien es auch nur jeweils ein paar Stündchen - nun mal nicht ein. Für viele ist die Sache mit dieser Balance also machbar. 

Zumindest auf dem Papier. Denn es geht um mehr als die freien Tage und die mit Arbeit. Es geht um mehr als freie Sonntage. Es geht auch um die Frage, wie die Qualität der Freizeit aussieht und was man Sinnstiftendes mit ihr anfängt*. Es geht auch um das Empfinden bei der Arbeit. Es geht um vieles mehr. 

Grundsätzlich macht das quantitative Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit natürlich einen Grundbaustein dieser Work-Life-Balance aus. Bei mir kann es sich ergeben, dass ich trotz aller Bemühungen wochenends und nachts arbeite, weil ich Blaulicht-Reporter bin und da muss man und vor allem will man arbeiten, wenn was passiert. "Armes Mädchen", möchte man jetzt vielleicht denken. Quatsch!

Ich arbeite nicht zu viel, will ich auch gar nicht (mehr)


Ich arbeite, betrachtet man das große Ganze, dennoch nicht zu viel. Ich habe mir seit meiner Festanstellung jetzt genau ein Jahr lang in meinen Kalender meine Arbeitszeit notiert und immer drauf geachtet, dass ich nicht zu viel arbeite beziehungsweise Überstunden bei Gelegenheit abfeiere. Jahrelang habe ich als überemsiger Freiberufler definitiv zu viel gearbeitet, das Klischee des faulen Angestellten wollte ich zumindest in Sachen Zeit jetzt gerne erfüllen. Den ersten offiziellen Monat von Arbeitszeiterfassung habe ich nun auch rum. 

Dreieinhalb Überstunden habe ich zusammen bei einer vertraglich geregelten Arbeitszeit von 36,5 Stunden pro Woche. Dreieinhalb finde ich absolut in Ordnung. Es ist nicht Ziel und in meinem Job auch nur bedingt machbar, eine Punktlandung auf 36,5 hinzulegen. Im Februar könnten zwei Minusstunden das Resultat sein, im März vielleicht fünf Überstunden. Alles im Rahmen. Für mich schrillen da keine Alarmglocken. Ich bin voll in Balance.

Fakt ist: Ich habe einen fordernden Job, der nicht immer in geregelten Arbeitszeiten zu machen ist und das war mir von Anfang an bewusst, ich würde ungern darüber jammern. Die politischen Gremien der Lokalpolitik tagen nun mal meist erst abends und oft auch lange. Viele Gesprächspartner kann ich gar nicht zwischen 9 und 17 Uhr treffen, weil der für das Lokale angeblich achso typische Kaninchenzüchter ja selbst einem Job nachgeht und erst nach seinem Feierabend dort für ein Interview zur Verfügung steht. Und dann noch die Sache mit dem Blaulicht ... Ich arbeite vielleicht mehr als andere und empfinde es doch nicht als zu viel.

Diese und jene Tage


Ja, es gibt Tage, da bin ich von früh bis spät unterwegs und meine Freizeit ziemlich knapp. Es gibt Wochen, da kommen mehrere solcher Tage zusammen und es gibt Monate, da habe ich nur ein freies Wochenende. Es gibt auch Wochenenden, da bin ich mehr unterwegs als unter der Woche. Das Entscheidende ist: Ich steuere dagegen, ich hole mir mein Stück vom Freizeitkuchen zurück. Indem ich Mittagspausen verlängere, später komme und noch früher gehe. Wenn ich mal einen reinen Redaktionstag habe, an dem ich "nur" schreiben muss, brauche ich bei fokussierter Arbeit nicht die vertraglich festgelegten 7,3 Stunden dafür und schaffe es meist auch noch, etwas vom nächsten Tag vorzuarbeiten. Warum sollte ich, wenn ich meine Arbeit geschafft habe bis zum Sandmann im Büro hocken? Nur weil die anderen noch da sind und ich ihnen ihre Arbeit auch gar nicht abnehmen kann?** Mir doch egal! Also gehe ich eher, auch wenn die Uhr die 7,3 Arbeitsstunden noch nicht erreicht hat. Oder ich mache fix einen Friseurtermin und lege die halbe Stunde für meinen Kurzhaarschnitt einfach mitten in das, was andere so Kernarbeitszeit nennen würden. Solange ich meine Arbeit schaffe und die Zeitungsproduktion nicht gefährdet ist, weil mein Aufmacher erst nach der Frisur kommt, ist das alles in Ordnung.

Es gilt: Freizeit schafft man sich selbst in diesem Job! Sofern es denn möglich ist und solange Redaktionen nicht ihr Personal so weit runtersparen, dass nur noch ein Redakteur da ist, ist es noch möglich! Das gilt es im positiven Sinne auszunutzen. Ich bin nun mal ein Organisationstalent, selbst wenn es nur um die Organisation meiner selbst geht.

An meinem Dienst-PC hängt ein Spruch:
"Arbeite weniger, aber intelligenter, sei ein Schlaupelz." 
Ich bin ein verdammter Schlaupelz. Und ich werde mich solange es geht immer daran halten. 


* Es ist vielleicht auch mal ganz nett, aber ein auf der Couch vertrödelter Tag ist für mich keine gewinnbringende Freizeit und nach echter Erholung fühlt es sich für mich auch nicht an.

** Manchmal mache ich sogar das. 

Freitag, 26. Januar 2018

Auswärts

Werde ich alt? Besser: Werde ich wie die alten Kollegen?

Ich habe die Kollegin, welche inzwischen im Ruhestand, immer ein bisschen belächelt, wenn sie sich nach einem Happen in der Mittagspause mit Verweis auf ihre schmerzende Schulter reckte und streckte, ihre Jacke überzog und mit den Worten „Ich muss mal raus, an die frische Luft“ verschwand und erst nach 15 bis 20 Minuten wieder erschien.

Inzwischen ahne ich, warum sie das getan hat.

Weil Journalisten selbst in der Mittagspause immer nur ein Thema kennen. Die Arbeit. Aber leider oft nicht im kreativen Brainstormingsinne und um wild ein paar Ideen zu entwickeln, einige zu verwerfen und am Ende irgendwie produktiv – und gesättigt – zu sein.

Nein. Sie lamentieren darüber, das früher alles besser war und was dieser oder jene Kollege (der, der gerade nicht mit am Tisch sitzt) wieder gesagt und besser gelassen hätte. Sie jammern wie schlecht es der Branche geht, was dieser oder jene Vorgesetzte besser machen könnte, welcher Leseranruf wie genervt hat und … Sie jammern über das Wetter, das zu kalt, zu heiß, zu nass, zu trocken, zu irgendwas ist. Sie meckern über dies, das, jenes ... ach, es nervt mich eigentlich das alles wiederzugeben.

Bis vor rund sechs Monaten habe ich mich oft an diesen Runden beteiligt, sogar inhaltlich. Und irgendwie hatte ich nach der Mittagspause nicht nur wegen der ein oder anderen Currywurst meist weniger Energie als vorher. Es raubt Zeit, Nerven und Energie diesen negativen Trott mitzulatschen. Nichts kommt dabei raus. Es ist weder für die Seele noch den Körper gesund, was passiert, wenn man immer stur sitzen bleibt und sich der Spirale abwärts hingibt.

30 bis 45 Minuten Pause haben wir per Gesetz je nach Arbeitstag. Die kann man sinnvoller gestalten. Also esse ich was, recke und strecke mich, freue mich über meinen gesunden Bewegungsapparat und gehe raus, um eine Runde um den Block oder den nahen Stadtgraben zu laufen. Wenn ich wieder komme, sitzen die anderen meist noch da. Die Mundwinkel zeigen abwärts. Ich habe so rosige Laune wie Apfelbäckchen. Die frische Luft, das wusste die „alte“ Kollegin schon immer, pustet das Hirn frei. 

Nur eines ist noch besser: öfter die Mittagspause ganz und gar außerhalb der Redaktion zu verbringen. Man verpasst garantiert nichts. Die beste Antwort auf das Abwärts ist auswärts. 

Sonntag, 7. Januar 2018

Deemanzipation in Heftform

Beim Friseur, im Wartezimmer, in der Sauna, vorm Besuch bei meinem Lieblingskosmetiker, lese ich Frauenzeitschriften, gerne die mit Sportbezug. Wo sie doch schon mal rumliegen?! Ich gebe zu: Wann immer die so eine Yoga-DVD vorne aufs Heft kleben, dann kaufe ich sie sogar. Dann bereue ich es. 

Nicht wegen der DVD, die meistens "nur" die Kurz-Version einer bald erscheinenden und zu bewerbenden neuen ist - Inspiration schadet ja nix und beim Thema Yoga bin ich sehr leicht einzufangen, folge diversen Angeboten bei Facebook und habe in dem Bereich so das eine oder andere Ideechen... Ich bereue es, weil ich mich am Ende doch nur über die Heftinhalte aufrege. 

Problemzone Heftinhalt


Es ist eine einzige Abfolge von Kalorienangaben und der Abtrainiererei von Kalorien - und natürlich jeder Menge Werbung. Da gibt es kein Essen nach dem Motto "Schmeckt einfach saulecker und ist nebenbei auch gesund", sondern nur "landet nicht auf der Hüfte" und "drei Runden joggen und das Essen ist abtrainiert". Es gibt keinen Sport, den man, äh frau einfach aus Spaß an der Freude machen könnte. Es geht immer um Effizienz. Es gibt nur Sport, der bestimmte Verbrennungseffekte erzielt oder eine Wirkung auf bestimmte und uns angedichtete Problemzonen hat. Ich wüsste nicht, was an "Bauch, Beine, Po" problematisch sein sollte ... außer wenn ein weißer Hai große Stücke davon entrissen hat, also das ist dann ein echtes Problem.

Und weil - auch irgendwie logisch - sportliche Frauen natürlich nicht (mehr) über die (Selbst)Wahrnehmung der uns Frauen eingebläuten klassischen Problemzonen verfügen oder tatsächlich - oh weh, oh weh! - so ein Selbstbewusstsein haben, dass sie ihnen ganz herzlich am durchaus cellulitären Allerwertesten vorbeigehen (Frauen haben weibliches Bindegewebe. Punkt.), erfinden die Zeitschriften einfach neue Problemzonen. Kleiderbügelschultern zum Beispiel, bei denen die Schultern vom Nacken her abfallen - oder so, keine Ahnung. Monat für Monat kann frau eine andere Unzulänglichkeit an sich finden. Die wird dann wiederum mit speziellen Trainings, Cremes, Klamotten und mehr behoben. Monat für Monat wird was optimiert. Der Ist-Zustand ist nie, nie, niiiiie okay, damit die Maschinerie schön am Laufen bleibt.

Ich kann hier kein Problem feststellen.
Auf dem Cover tun die - speziell die Fitnessmagazine für Frauen - dabei immer so, als ob es ihnen um starke und selbstbewusste Frauen ginge. Das ist Quatsch. Zwischen den Zeilen geht es nie darum, zwischen den Zeilen wird das Selbstbewusstsein fein säuberlich zerlegt und der weibliche Mensch auf seine Figur reduziert.*

Selbst beim von mir so geschätzten Yoga vergreifen sich die Zeitschriften dafür permanent im Ton. Es geht nie um die stabile Mitte, mit der man gleichzeitig in sich ruht. Es geht nicht um die Standfestigkeit. Es geht nicht um die innerliche Balance dank der äußerlichen. Es geht nicht um das erhebende Gefühl, sich selbst auf Händen tragen zu können. Es geht ihnen vor allem darum, dass diese und jene Asanas (so heißen die Körperübungen im Yoga) einen flachen Bauch, einen knackigen Hintern und straffe Beine machen oder in Tops (siehe Modestrecke ab Seite x, plus dazu der sauteure Selbstbräuner von Seite y) optisch toll wirkende Arme formen. Ich kann gar nicht so viel meditieren, wie ich mich darüber aufregen könnte...

Als ich jung war


Das Schlimmste - und zugleich Beste - daran ist, dass ich kurz nach meinem ersten Studium mit zarten 23 mal eine Bewerbung bei einem großen Medienhaus laufen hatte, das auch eine ganze Reihe solcher Zeitschriften herausgibt. Was ein Glück! Ein Vorstellungsgespräch und schon wollten die mich nicht. Mit 33 weiß auch ich: Ich hätte das echt nicht gekonnt.

* Fitnesshefte für die männliche Zielgruppe sind sehr wahrscheinlich keinen Deut besser.