Donnerstag, 29. Dezember 2016

Quatschlaunen

Wir sind zum Interview verabredet. Er sitzt mir gegenüber. Ich stelle Fragen. Er antwortet. Er redet viel. Er schaut mich kaum an. Nur flüchtig huscht mal einer seiner Blicke zu mir rüber. Ansonsten spricht er tatsächlich mit der Anbauwand und ich habe sein Profil und vielleicht auch eine dazu passende Neurose vor mir. Seine Hände ruhen wie der Körper. Ich sehe seinen Nasenrücken. Ich komme ins Grübeln. Für einen Mann eine recht feinporige Nasenhaut. Huch. Ich wollte doch wegen der Em(m)anzipation so nicht mehr reden, nicht mehr denken ... "Für einen Mann" ... "Für eine Frau" ... diese Schubladen. Für eine Frau bin ich ganz schön hart, sagen manche. Für einen Mann ist er ganz schön verstockt, denke ich. Obwohl. Sagt man nicht, wer andere nicht anblicken könne oder wolle, der verschweige etwas und lüge? Das Band läuft seit knapp 15 Minuten. Hat er mich jetzt 15 Minuten angelogen? Von wegen Lügenpresse... Meine Gedanken kehren zurück zur nächsten Frage. Ein kurzer Blick zu mir, langer Halt an der Anbauwand. Der Mann tut, was ich von anderen schon verlangt habe - er erzählt es der Wand! Ich überlege, ob ich winken sollte. Mein Blick fixiert ihn. Vielleicht könnte ich jetzt einen dieser Stinkefingertänze aufführen, bei denen man mit einem zur Faust geballten Gesicht immer wieder die von den Mittelfingern garnierten Unterarme rhythmisch schwingt? Würde er es merken? Zu spät. Keine Fragen mehr. 23 Minuten. Band aus und raus hier. Ein kurzer und schlaffer Händedruck. Er macht gleich die Tür zu. Und ich habe es auch eilig.

Der andere Mann


Wir sind zum Interview verabredet. Er sitzt mir gegenüber. Er wirkt müde. Ich bin müde. Er fragt, ob meine Nacht auch so kurz war? Ich nicke. Er sagt, er macht uns erstmal Kaffee. Wir starten das Band. Ich stelle Fragen. Er antwortet. Er redet viel. Er schaut mich an. Er lächelt. Ich lächle zurück. Ich stelle noch eine Frage. Er antwortet und gestikuliert. Er sagt, ich solle mal aufs Stopp drücken. Es zieht, er will erstmal das Fenster im Nebenraum schließen. Er kommt wieder rein. Noch Kaffee? Nö, passt schon. Weiter, sagt er. Ich frage, er antwortet. Elf Minuten läuft das Band, dann sind alle Fragen besprochen. Wir hören auf. Ach, sagt er, das passt ganz gut und er kann fix mal heim. An der Garderobe gestern haben sie seinen Mantel vertauscht. Und dann zog sich der Abend ja noch länger hin. Er hat sich ja abgewöhnt, Schlüssel im Mantel zu lassen. Weil das mit dem vertauschten Mantel ist schon mal passiert. Da hat es eine ganze Woche gedauert, den wieder zu bekommen und der Ärger war groß. Wenn wir uns das nächste Mal zum Empfang der Stadt sehen, da kommt er nur im Jackett. Ja, clever, sage ich. Aber bei solchen Veranstaltungen hängt ja ein Berg von schwarzen oder anders dunklen Mänteln rum, da kann man als Garderoben-Sachverständiger schon mal daneben geifen und selbst als Empfänger kann man glauben, es sei das eigene Textil. Ja klar, sagt er. Volles Verständnis. Wir nicken beide. Ich, sage ich, habe mir ja angewöhnt, an so einem Abend meinen gelben Schal zu tragen und den dann so in die Ärmel oder um den Kragen zu wickeln, dass man ihn unweigerlich sieht. Verwechslungsgefahr gebannt. Er, sagt er, habe aber keinen gelben Schal. Wenn er einen findet, sagt er, laufe ich ja dann mit seinem Mantel weg. Wir lachen. Alles geklärt. Danke für die gute Zusammenarbeit, sagt er. Auch wenn es manchmal kracht. Aber in einer guten Ehe sei das ja nun mal so.

Freitag, 23. Dezember 2016

Traditionsbruch

Alle Jahre wieder gibt es hier traditionell zum 24. Dezember eine, einen, ein bisschen Weihnachts-Post von mir - siehe hier, hier, hier und hier. Traditionsbruch ist eine feine Sache, finde ich. Daher schon heute und einen Tag eher ...

Weihnachts-Post 

 

Und doch wie alle Jahre ... Ich stelle auch kurz vor diesem Weihnachtsfeste und Jahreswechsel fest, dass ich reich beschenkt bin mit denen und dem, was ich habe. Ich bin gesund und was da nicht passt, das kann passend gemacht werden. Ich bin glücklich privat und beruflich. Ich darf meine Berufung ausleben. Ich habe Spaß an dem, was ich tue und wie ich es tue. Ich habe Talent und kann es seit fast einem Jahrzehnt nutzen, verdiene Geld im Traumberuf. Lokaljournalismus ... ich kann das, darf das, mag das. Welch Glück das alles ... manchmal staune ich selbst.

Das Glück aber fing ja schon vor langer Zeit an ... Es fängt ja schon mal damit an, dass ich Eltern habe, die mich gemacht (ein gelungenes Werk) und zu der Person gemacht haben, die ich heute bin. Obendrein schenkten sie mir drei Brüder. Die wiederum sind vermutlich der Grundstein für all die Männer meines Lebens und die Tatsache, dass ich inzwischen einer der besten Männer bei der Zeitung bin, für die ich arbeite. Naja, zumindest hab ich ordentlich Eier in der Hose, das kann nicht jeder von sich behaupten und es ist ein wichtiger Charakterzug in diesem Job mit all seinen Facetten.

Und ich habe Freunde, die wahre Freunde sind. Familie und Freunde, meine Freuamilie - sie helfen mir in allen Lebens- und Berufslagen. Sie helfen, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Sie helfen, mich und meine Arbeit zu reflektieren. Sie helfen, Themen zu finden und Sachen durchzuziehen. Sie machen mir Mut und sie geben mir Kraft. Sie geben Anregungen, Tipps und Hilfestellung. Sie geben ihren Rat - gefragt und ungefragt. Sie sind so kritisch wie ich. Und so positv verrückt wie ich.

In der Tine-Zelle


Es hat Vor- und Nachteile, ausgerechnet in der Stadt als Journalist zu arbeiten, in der man selbst und auch die eigene Familie lebt. Geschenkt. Inzwischen sehe ich da fast nur noch Vorteile. Wenn mal wieder jemand so wilde wird, dass er mich in Ungnade fallen lässt und die Sippenhaft verfügt ... tja ... dann dreht meine Sippe erst so richtig auf in unserer Zelle. Meine Mutter macht einen schönen Salat, mein Vater wirft den Grill mitten in der Zelle an, meine Brüder schleppen Bier herbei, mein Schatz spendiert mir eine Massage, dann kommen all unsere Freunde und wir feiern eine fette Party im Ostflügel der JVA - an deren Ende meine Oma, die ja sonst nicht viel sagt, dem Vollzugsbeamten einen bissigen Kommentar an den Kopf knallt, der sich gewaschen hat und der nichts anderes als ein verbaler Stinkefinger ist. 

Ja! Oh ja! Ich Selige! Ich habe ein Netzwerk - beruflich und privat - von einer Qualität, auf die längst nicht jeder Mensch bauen kann. Wenn es Ärger gibt, habe ich zudem den Rückhalt von den Chefs, die mich machen lassen und mir viel Vertrauen schenken. Auch nicht selbstverständlich in diesen Zeiten. Ich glaube, 2017 wird richtig gut, mindestens so gut wie 2016.

Paula Print ist gewachsen und es gibt einen guten Plan.

Samstag, 17. Dezember 2016

Wir schaffen das

In der Redaktion haben sich ein paar Dinge verändert. Manches daran war gut. Andere Dinge dabei taten und tun noch immer weh. Sagen wir mal so: Wir haben eine Arbeitskraft verloren und Erkenntnisse gewonnen, die uns wie eine Lawine trafen. Das ist eine lange Geschichte. Sie gehört nicht hierher.

Am Ende steht, dass ich nun seit fast zwei Monaten der Chef des Teams bin. Zwei Männer, die meine Väter sein könnten, ein so freier Mitarbeiter wie ich und ein Volontär gehören zu meinem Team. Und ich bin der Chef, der sie zudem vor den anderen und höheren Chefs vertritt.

Wie eine Schwangere, mental gesehen


Ich mag meine Kollegen. Ehrlich. Menschlich mag ich sie sehr. Und ungewohnt ist die Sache mit der Führungsposition auch nicht, ich habe das immer vertretungsweise gemacht, wenn die verlorene Arbeitskraft krank oder im Urlaub oder aus anderen Gründen nicht da war. Da hatte ich stets die Perspektive, dass es zum Tag X auch wieder vorbei ist mit dem Cheftum. Nun hört es nicht mehr auf...

Wenn ich jetzt Feierabend mache, fühle ich mich manchmal so wie schwangere Frauen sich vielleicht fühlen. Nur dass ich nicht für zwei lebe und esse, sondern es sich anfühlt, als ob ich oft für fünf denke - mich selbst auch mal noch eingerechnet, versteht sich. 

Ich telefoniere 3- bis 25-mal am Tag mit den Chefs im Haupthaus. Ich maile wie wild. Ich veranstalte Brainstormings in Teeküchen und auf offener Straße. Ich suche ständig nach Themen und Ideen und neuen Ansätzen und Motivationen, die ich meinen Kollegen geben kann. Ich habe 20 Aufgaben gleichzeitig am Wickel. Oft wähne ich mich allein auf weiter Flur. Unerwartet werde ich doch gestärkt. Ich plane, verwalte, tippe, gebe, regle, organisiere, motiviere, insistiere, rebelliere, korrigiere, redigiere, diskutiere, recherchiere, arrangiere, mache, tue, schimpfe,  schlucke, verteidige, beschwichtige, beharre, verzichte, scherze, schelte, flippe aus und schnappe zu bis ein. Ich kann nicht so aalglatt wie mein Vorgänger sein. Ich kann nicht nicht launisch sein - vor allem aber kann ich launig. Arbeit macht auf meine Art viel mehr Spaß als Spaß und das vermittle ich meinen Leuten. 

Denken für alle anderen, für meine Leute? Ohne mich funzt es nicht? Ich sehe das natürlich alles ganz subjektiv. Aber was soll ich machen? So fühlt es sich nun einmal an... Es strengt an. Und ich, das Arbeitstier, habe noch eine Spur mehr Workaholic in mir entdeckt und aktiviert, denn mein normales Schreibpensum muss ich weiter liefern. Ich habe noch mehr Zielstrebigkeit entdeckt. Ich will unsere Zeitung besser machen. Mit meinem Team. Es wird nicht über Nacht gehen - wie ungeduldig mich das auch macht. Das jetzt ist meine Chance, den und meine Art Lokaljournalismus besser zu machen. Das einwandfreie Rezept dafür ist noch nicht gefunden, zuversichtlich bin ich aber.

Jeder Arbeitstag auf diesem elend langen Weg powert mich aus. Ich gehe hundemüde ins Bett. Am Morgen danach schaue ich die Lokalzeitung an, die wir gemacht haben und ich bin schon ziemlich stolz. Man merkt nicht, dass die Arbeitskraft fehlt. Man merkt, dass meine Jungs und ich noch da sind. Ich sehe Potenzial. Wir machen das schon ganz gut. Und ich weiß, dass wir das noch besser können. Das ist natürlich alles eine Frage des Chefs. Ich bin guter Hoffnung. Ich kann das. Ich knie mich rein.

Foto: Freund und Helfer, bearbeitet von nachtgedanken-und-mehr.blogspot.de

Mittwoch, 23. November 2016

Augenblick

Novembertag. Der Himmel ist grau. Die Felder sind weit. Mein kleines rotes Auto flitzt durch die Landschaft. Ich kann es mir leisten. Ich beiße in einen knackigen Apfel. Ich kann ihn mir leisten.  Mein Job finanziert mir das. Und mein Job ist schön.
Ich muss mich beeilen. Ich muss noch zu einen Termin. Und ich muss noch ein paar Sachen schreiben. Ich muss Anfragen stellen. 

Nein. Ich darf.

Ich durfte gerade eine Malerin und Grafikerin kennenlernen, die in diesem Monat Artist in Residence im Künstlerhaus in einem Dorf ist. Wir haben ein wenig geredet. Über sie und ihre Arbeit. Damit mache ich meine Arbeit und schreibe über sie und das Projekt. 

Wir haben viel geredet. Über die Kunst, den inneren Drang dazu. Über die politschen Zustände in unserem Land und auf der Welt. Wir haben geredet über das Schreiben und die Sprache. Sie, geborene Russin, spricht vier Sprachen. Ich, geborene Deutsche, spreche nicht mal zwei. Sie, sagte sie, fühlt sich in keiner zu Hause und kann daher nicht schreiben im literarischen Sinne. Ich, sagte ich, wohne in meiner. Wir haben geredet und geredet. 

Ich kann das. Mein Job gibt mir die Chance dazu. Ich lerne Menschen kennen. Ich erweitere meinen Horizont. Ich darf zuhören, wenn Menschen von sich erzählen und Dinge preisgeben. Ich darf lernen. Ich darf jeden Tag sehen, dass es so viele Grautöne auf unserer Erde gibt. Ich darf erfahren, wie bunt das Leben ist. Ich darf so viel. Von Berufs wegen.

Und ich bin mir dessen bewusst.

Ich fühle mich geehrt. Ich sitze in meinem Auto. Der Apfel knackt bei jedem Biss. Der Himmel ist grau. Die Landschaft ist so fahl, dass sie mit ihm verschwimmt. Die Welt ist bunt und schön. Es ist ein Augenblick. Ich werde ihn nicht bitten, zu verweilen. Er wird wieder kommen.

Freitag, 14. Oktober 2016

Ich nerve mich

Ein Schwarz-Weiß-Foto, auf dem eine junge Frau lächelt. Ein Lächeln irgendwo zwischen einem spitzbübischen Grinsen und selbstbewusster Freundlichkeit mit Hang zum Besserwisserischen. Es folgen zirka 40 Zeitungszeilen klarer und doch gewählter Worte, deren Übersetzungen aber immer wieder entweder auf ein „Das ist scheiße!“ oder „Das fetzt!“ hinauslaufen. „Die Initiative wird der Stadt noch fehlen.“, „Auch ein Kindergarten muss sich rechnen.“, „Das ist ein Unding.“, „Das kann dem Verband aber egal sein. Es muss ihm egal sein.“, „,Wünsch dir was' geht nicht.“ Meine Worte in Kommentaren. Viermal in nur einer Woche (= sechs Ausgaben) schon Anfang dieses Monats grinste ich mich selbst aus der Zeitung heraus an.

Ich habe das so gewollt. Ich habe mich freiwillig gemeldet. Und zwar noch bevor die Chefs überhaupt anfingen, nach dem Verfasser des täglichen Kommentars in der Lokalzeitung zu suchen. „Herr Lehrer, ich weiß was!“, scheint in meinem Hirn beinahe täglich was zu schnippen.

Unterdessen ein paar Beispiele

 

Ich gehe mir selbst abgesehen von zum Beispiel der Kommentarschreiberei aber auch aus anderen Gründen ziemlich auf die Ketten. Unter anderem, weil ich „aber“, „auch“ und „aber auch“ und noch ein paar andere Worte mitunter doch so gerne verwende wie Bindestriche und Doppelpunkte.


Unterdessen ich mir Kommentare verkneife, könnte ich mich also über meinen Stil auch sonst ziemlich ärgern. Ein paar Beispiele für Artikel-Anfänge allein aus den vergangenen zwei Wochen - bereits erschienen oder noch unveröffentlicht -, aber alle von mir verfasst:
„Es ging einfach nicht, die Kehle war wie zugeschnürt. XXX hatte als junger Mann regelrecht Panik, vor Menschen zu sprechen. Heute setzt sich der 41-Jährige einfach so auf Bühnen und an Pulte, lässt seine Stimme sonor durch Räume tanzen, liest seine eigenen oder fremde Texte und steht mittendrin auf, um mit voller raumgreifender Gestik und Mimik durch die Reihen seines lachenden Publikums zu gehen.“
„Unter den Füßen sind kalte Fliesen und in den Regalen stehen die Bücher ganz dicht beinander, so dass man meist nur den Titel auf dem Buchrücken sehen kann. Aber so schauen sich Kinder nicht nach Büchern um – wenn sie denn überhaupt schon Schrift lesen können, macht das von oben nach unten laufende Schriftbild Probleme. Kinder achten zum Beispiel auf die bunten Bilder vorne auf den Buchdeckeln. Das Team der Stadtbibliothek will dem Rechnung tragen und den Kinderbuchbereich umgestalten, ausbauen und versetzen.“

„Ihre Stimme ist warm und weich, das Buch liegt ruhig in der Hand, wenn sie vorliest. Und schaut sie von den Buchstaben auf, huscht immer wieder ein Lächeln über ihre Lippen. XXX ist in ihrem Element. Schon als Kind hat sie ihren Puppen Unterricht gegeben und ihnen aus Büchern vorgetragen, heute ist die einstige Lehrerin die Vorleserin.“

„Tagesordnungspunkt aufrufen, Abstimmung, Haken dran, weiter. Manchmal ist Kommunalpolitik ein schnelles Schauspiel. Da dauern öffentliche Ausschuss-Sitzungen kaum eine Minute, sind heikle oder millionenschwere Beschlüsse im Stadtrat in Sekunden gefasst. Doch mit Leichtfertigkeit oder Geheimhaltung hat das – durch die Bank aller 30 Stadträte weg – nichts zu tun.“

„Es ist an der Zeit, hart durchzugreifen: ,Wir haben einige Schuldner, die einfach nicht zahlen', ärgert sich XXX, Verbandsvorsitzender des Abwasserzweckverbands. Und nicht nur der Bürgermeister ist grimmig.“
Was soll das sein? „Bäm!* Willkommen im Text!“ oder was? Als ich vor 13 Jahren Praktikantin bei genau der Lokalzeitung war, habe ich gefühlt jeden zweiten Artikel mit einem Zitat beginnen lassen. Mit gefühlt – ich fühle überhaupt sehr gerne – 90 Prozent szenischer Einstiege in Texte und dem Hang zu Kurzsatz oder Aufzählung, fühle ich mich gerade aber auch nicht deutlich weiterentwickelt. Irgendwo zwischen den Text-Einstiegen mancher Kollegen (mancher – auch so (m)ein Nervwort, genau wie das Einklammern von Buchstaben), die irgendwie immer nach Wikipedia-Eintrag klingen und meinem „Los, Leser, komm schon ... du Stück du ... nimm auch noch die nächsten 80 Zeilen zur Kenntnis“ muss es doch noch was Besseres geben ... 

Lösung: Ich mache erst mal eine Woche Urlaub. Ich lese einen Stapel Bücher. Es hilft. Entweder gegen Jammern auf hohem Niveau oder es bringt neuen stilistischen Einfluss. Bäm!


* Ein wichtiger Ratschlag aus dem Text, zu dem dieser Link führt: „Artikel bei der Zeitung sollen aber nicht wie Beethoven sein, sondern wie die Backstreet Boys – viele kurze Sätze – bam, bam, bam.“

Montag, 10. Oktober 2016

Lügen pressen statt Manic Monday

Es ist Montag. Ich sitze satt und zufrieden an meinem Laptop. Ich habe gebackenen Kürbis gegessen, mir die dritte Tasse Tee gemacht. Ich habe einen Tisch in der Stammkneipe reserviert. Ich habe die Wäsche erledigt. Ich habe anschließend mit einem Maschinenpfleger die Türdichtung der Waschmaschine abgerieben und ein Pflegeprogramm mit Entkalker durchlaufen lassen. Ich habe eine Tüte für die Altkleidersammlung gebündelt. Ich habe darüber nachgedacht, die Fenster zu putzen. Ich habe einen wunderbaren und wahren Beitrag über Lokaljournalismus im Internet gefunden.

Für mich hat das Nachrichtenwert. Heute ist nämlich Montag. Ich bin ein faules Stück. Ich bin ein Schwänzer. Ich bin ein Lügner. Ich könnte Foodblogger werden, hier deutlich zu erkennen:


War lecker. Doch zurück zum Thema. Montags läuft das eigentlich so: Ich arbeite vormittags für die Lokalredaktion und verfasse je nach redaktioneller Planung zwischen 30 und 300 Zeilen. Ich schiebe meine Recherchen an und vereinbare Termine. Ich arbeite vor und lege schon mal einen Artikel auf Halde. Man weiß ja nie. Ich konferiere mit den Kollegen der Lokalredaktion, die inzwischen zum großen Teil drauf eingestellt sind, dass ich ab spätestens eins nicht mehr zur Verfügung stehe. Es wird zwölf. Ich esse einen Happen in der Redaktion. Ich verabschiede mich. Ich gehe zu mir nach Hause, hole das Auto aus dem Hof und fahre in die Boomtown, wo ich der Layoutgehilfe eines Anzeigenblatts bin.

Ich beschreibe das gerne so: Ich baue Fotos und Texte um Anzeigen herum, zwischen Anzeigen hindurch, unter Anzeigen hinweg, über Anzeigen drüber, links neben Anzeigen, rechts neben Anzeigen. Klingt anspruchslos? Is es aber nich! Seit drei Jahren geht das jetzt so. "Manic Monday", immer wieder. Früher bin ich erst nachmittags gegen fünf beim Layout angetreten, saß dann bis zehn dort. Inzwischen hetze ich mich lieber am Vormittag ein bisschen ab und bin dafür abends eher daheim. Außerdem tagt an einem der Montage der Rat der Gemeinde, für die ich zuständig bin - und die Sitzung beginnt immer 19.30 Uhr.

Och nö


Kurz vor zwölf erreichte mich die Nachricht der Kollegen vom Anzeigenblatt, dass meine Hilfe heute nicht nötig ist. Sofort schoss mir durch den Kopf, dass ich damit Geld verliere und ob das jetzt häufiger passieren könnte - man wird ja immer gleich so panisch wegen Medienkrise, weniger Anzeigen, weniger Blattumfang und so. Dann kam mir in den Sinn, dass ich jetzt den Kollegen in der Lokalredaktion eigentlich sagen könnte, dass ich nachmittags zur Verfügung stehe. Wenig später verdrängte ein großes "och nö" diesen netten Gedanken wieder. Ich habe noch einen Happen gegessen. Ich habe mich verabschiedet. Ich bin nach Hause gegangen. Ich habe nicht gesagt, ich würde jetzt layouten fahren. Ich habe nur "Tschüssi" gesagt. Technisch gesehen also keine Lüge. Nur so ein klitzekleines Verschweigen.

Ich habe erstmal Mittagsschlaf gemacht. Mittagsschlaf fetzt. Ich habe eine Menge verrückter Sachen mit meiner Waschmaschine angestellt - so ein Flusensieb ist recht interessant, wenn man es drei Jahre lang nicht gereinigt hat. Und vielleicht kann mir jemand Wolle spinnen aus dem, was sich darin fand. Und ich könnte an irgendeinem anderen Montag lernen, mir daraus einen Pullover zu stricken. Vielleicht auch ein Strickkleid. So eins bis runter zum Knöchel. Und mit Rollkragen.

Und ich habe mich heute wie mit 16 gefühlt. Da sollten wir zum Sportfest im Freibad acht Bahnen schwimmen. Ich habe angegeben, ich würde gerade menstruieren und könne daher nicht ins Wasser. Die Benutzung von Tampons würde ich ablehnen, fiel ich dem Lehrer noch ins Wort. Dann habe ich mich an den Beckenrand gesetzt, die Beine baumeln lassen und was gelesen. Wenn der Sportlehrer guckte, hielt ich mir den Bauch und guckte wie Alice Schwarzer. Zum Glück konnte heute keiner meiner Kollegen nach mir sehen. Ich weiß nicht, wie man Layouten vortäuscht.

Sonntag, 11. September 2016

Journalistisches Boot-Camp

Lange nix passiert auf diesem Blog, ne?! Das hat einen einfachen, einen sehr schönen Grund. Ich war fast den ganzen August in Brandenburg. Und danach musste ich mich erstmal wieder an meine Arbeit gewöhnen. Das ist mit dem altbekannten Muster "zwei Wochen inklusive der Wochenenden durcharbeiten" ganz gut gelungen. Kein Grund zur Sorge...

Alles kein Ding. Es ist ja nicht so, dass ich in Brandenburg so gar nicht journalistisch tätig gewesen wäre. Ich würde das sogar als Boot-Camp für Journalisten wie mich betrachten. 

Erstens mal: weil ich Boot fahren war. Zweitens mal: weil ich mehrere Tage mit der intensiven Beobachtung von wachsendem Gras, Hühnern, Katzen, dem eigenen Stoffwechsel, Lauf der Sonne, Wolkenformationen und Geräuschkulisse des Waldes zugebracht habe. Beobachtungsgabe ist wichtig für Journalisten.

Zudem habe ich mich erinnert, dass ich die Darstellungsform des gedruckten Interviews nicht zu meinen Stärken zähle. Wie vermutlich viele Print- und Onlinejournalisten. Aus - zumindest kann ich da für mich sprechen - einem sehr einfachen und sehr faulen Grund. Ob ich nun für einen Fließtext oder ein Interview ein Gespräch führe - es macht immer Arbeit. Aber es macht deutlich mehr Arbeit, Fragen und Antworten für ein gedrucktes Interview zu tippen, mehr Arbeit als einen Fließtext zu schreiben. Weil man das Band wiederholt abhören muss, zum Beispiel. 

Als Trainingspartner für Interviews habe ich sieben Hühner und einen Hahn gewonnen. Einem der Hühner ging der Presseaufwand scheinbar gegen den Strich, weshalb es ein paar Tage nach meiner Ankunft in Brandenburg nicht mehr aufzufinden war. Sehr wahrscheinlich nimmt es sich nur eine kleine Auszeit, lebt nun als Waldhuhn und wird im Sommerloch 2017 ein großartiges Comeback feiern. 

Im Rahmen der Interviews habe ich die anderen Hühner übrigens immer wieder gefragt, wer zuerst da war, Huhn oder Ei? Wir sind zu keinem abschließenden Ergebnis gekommen. Und ich bin überhaupt zu faul, diese Interviews aufzuschreiben. Tja. Shit happens.


Samstag, 23. Juli 2016

Die Männer meines Lebens

Glaube ich Zeitschriften, Fernsehproduktionen und Büchern, geht es für Frauen darum, den Mann fürs Leben, die Liebe fürs Leben zu finden. Ich glaube nicht. Einer reicht nicht.

Es fängt schon damit an, dass ich mich oft frage, wie es eigentlich andere Frauen ohne Brüder schaffen? Ich habe drei Brüder. Meine Eltern haben mir viel gegeben, vor allem gaben sie mir drei Brüder. Ein Leben ohne Brüder scheint mir möglich. Aber sinnlos. Ich kann mit meinen Brüdern - allen zusammen oder jeweils einem davon - einfach nur mal da sitzen. Wir mampfen was, spülen alles mit Bier runter und schweigen uns an. Wir sagen uns in diesen Momenten mehr als Worte können. Wenn einer von ihnen sagt "alles klar, du musst gar nix sagen", weiß ich, dass er weiß, dass ich weiß, dass er mich ohne Worte versteht. Ansonsten prügeln wir uns - verbal.

Gewalt ist (k)eine Lösung. Das habe ich auch von meinen Brüdern. Als ich gerade eingeschult war, hat mich ein älteres Mädchen aus der Vierten massiv geärgert, auch mit Gewalt. Mein ältester Bruder hat sich gekümmert. Ich kann nicht sagen, was er getan hat. Bei der Mafia redet auch keiner über die Methoden. "Erlebnisorientierte Sportgruppe" heißt es bei meinen Brüdern, wenn sie Menschen um mich - bevorzugt Männern, mit denen das weiterführend Zwischenmenschliche wegen deren Verfehlungen nicht gelang - ein paar Takte vermitteln wollen.

Ich bin also von Geburt an ein Jungsmädchen. Eine von den Jungs. Kindergarten- und Schulzeit verbrachte ich gerne mit Jungs. Erst als Teenager habe ich eine gewisse Tragik darin gesehen, dass ich wiederum für sie der Kumpel war und die anderen Mädchen die Angebeteten des Monats oder mehr waren. Heute weiß ich, dass ich genau damit das große Los gezogen habe. Ich habe Männer fürs Leben.

Viele davon habe ich durch meinen Job als Journalist gefunden. Wie die drei, mit denen ich das Volontariat absolvierte. Manchmal sitzen wir einfach da, spülen bis spät in die Nacht mit Bier und alles ist gut. Mehr gibt es nicht zu sagen. Es gibt weitere Männer, mit denen ich regelmäßig die Nacht verbringe. So wie Mister XL, den Feuerwehrmann, über den ich mal schrieb. Nicht nur wegen seines Ehrenamts fällt er in die Kategorie Freunde, die man jederzeit nachts um vier aus dem Bett klingeln kann. 

Ich habe Männer in meinem Leben, die können mit mir einfach nur bis zum Morgengrauen reden und schweigen. Sie müssten danach in eine ganz andere Richtung laufen und einer mindestens besteht darauf, mich nach Hause zu bringen. Jedes Mal diskutieren wir darüber, dass ich meine, das nicht zu brauchen - und sie es sehr wohl anders sehen. Einmal sind wir dabei auf den Pkw eines Mannes getroffen, der zum Ende eines Was-auch-immer zu einer Art Stalker mutierte. "Du bist ein Kumpel mit Titten für mich, aber auch eine Dame, geh mal weiter", sagte ein Mann meines Lebens. Danach sagte er, dass er jetzt gar nicht mehr so Druck auf der Blase hätte.

Ich habe auch Männer in meinem Leben, mit denen Beziehungen & Co. zwar nicht gut im Frauenzeitschriftenfilmbuch-Sinne ausgingen, die aber trotzdem an meiner Seite bleiben als jene, die ich nachts um vier aus dem Bett klingeln kann.

Ja. Vielleicht stimmt, was in den Zeitschriften steht. Frauen suchen Helden-Männer fürs Leben, Ritter in glänzender Rüstung. Männer, die uns vermitteln, dass wir nicht alles allein schaffen können, wollen und müssen. Ich war jedenfalls schwer gerührt, als einer meiner Männer einem Angebeteten des Monats das Folgende sagte: "Isch kannsch schon jud leiden, abbbber wenn du meinäh Tinäh wehtust, muss isch disch verprügeln!" Okay, er war betrunken. Aber in dieser Krisensituation noch an mich und mein kleines Herz zu denken - also das zeugt von wahrer Freundschaftsliebe. Es gibt sie wohl nur unter Männern.

Freitag, 8. Juli 2016

Ist es noch weit?

Wenn es etwas gibt, auf das ich mich noch mehr freue als auf Weihnachten und Ostern und Geburtstag* zusammen, dann ist es Brandenburg. Brandenburg, das ist dieses wunderschöne Stückchen Erde, das mir in den vergangenen drei Jahren in die Seele gewachsen und zum Paradies geworden ist. Ich lerne von Brandenburg. Ich lebe Brandenburg. Ich liebe Brandenburg. 

Mich trennen noch 160 Kilometer und vier Redaktionswochen von Brandenburg. Und von Anblicken wie diesen hier. Anblicke, die es hier zwar gibt, die ich dort erst richtig zu schätzen weiß, die ich dort erst erkenne:


Denn in Brandenburg sind meine Sinne nicht vernebelt von meinem Multitasking. In Brandenburg fällt der Kopf aus. Ich denke nicht, also bin ich ... in Brandenburg. Am liebsten ganz allein. Einsam bin ich nie. Vergangenes Jahr habe ich es geschafft, Tage kein einziges Wort zu reden, weil niemand da war, um zuzuhören - vor allem war niemand da, mich vollzuquatschen oder irgendwas von mir zu wollen. Die Bäckersfrau war die erste, zu der ich wieder sprach - nur ein "Hallo, ich möchte ein Gurkenbrot bitte!" und das war's für die nächsten zwei Tage. Das will ich wieder haben. Ich will, ich will, ich will - Ruhe. 

Mein Job ist es Fragen zu stellen, bestimmte überhaupt erst aufzuwerfen, Fragen zu klären, Debatten anzustoßen, Probleme mitzuwälzen, Lösungen aufzuzeigen, Antworten zu hören, Antworten zu gewichten, Informationen zu beschaffen und Informationen zu verbreiten, das Alles und Nichts dieser Welt ständig mitzubekommen, keine Ruhe zu kennen. Alles schön, ich brauche auch das, ich lebe und liebe meine Berufung. Aber irgendwann muss mal Pause sein.

In Brandenburg muss ich nur die wirklich wichtigen Fragen des Lebens klären: Ist noch Bier da? Ist das Grillgut gut? Auf welche Seite drehe ich mich jetzt? Was ist mit mir? Mehr ist nicht wirklich wichtig.


* Ostern und Geburtstag zusammen klappt schon immer mal - WTT.

Sonntag, 12. Juni 2016

Rolling in the Dorf

Ein Abend im Frühsommer. Langsam sinkt die Sonne am Horizont tiefer und tiefer. Ein Spaziergang in sauberer Luft und der Ruhe eines Dorfes. Ich höre Vögel singen, Frösche quaken, einen Traktor in der Ferne tuckern, kaum ein Auto fährt vorbei, die Äste wippen von Zeit zu Zeit in einem lauen Lüftchen. Es könnte alles so schön sein ...

Aber ich bin gerade inmitten eines Entenmarsches. Ich bin als Journalist Teil eines Dorfrundgangs, den der Ortschaftsrat des schnuckeligen kleinen Nestes terminiert hat. In jedem Dorf gibt es das in den Sommermonaten, jede Woche lockt ein anderer Spaziergang zum Probleme wälzen und darüber schreiben. Ich finde das grundsätzlich gut. Hier auf dem Land werden Sachverhalte noch als Geschichten übern Gartenzaun geklärt statt nur am runden Tisch. Was ich nicht so gut finde: dass ich plötzlich lachen muss...

Gerade habe ich im Rahmen einer kleinen Nahtoderfahrung meinen Körper verlassen. Und ich sehe mich aus dem Blickwinkel der Frau, die gerade mit dem Gartenschlauch ihren Rasen sprengt. Eine Frau mit Notizbuch, Stift und Kamera tapst inmitten einer dörflichen Reisegruppe umher und lässt Schritt für Schritt die Flügel ein wenig mehr hängen. Es muss eine Zeitungsente sein. Wann immer jemand Dinge wie "bei Schulzens, Herbert" oder "wo Müller, Werner früher wohnte" sagt, guckt das Entchen rätselnd um sich. Es wirkt müde.

Ein Mann in Jeans, einem weißen Hemd und Krawatte führt die Reisegruppe an. Sublokal wie es hier ist, ist dem adretten Führer kein nach oben gereckter Regenschirm nötig. Schimpfender Rabe, blubbernder Truthahn, gackernde Henne, plappernde Spatzen und die kleine schweigsame Ente folgen dem Pfau auch so.

Das Schilf im Dorfteich, sagt ein Mann, sei nie und nimmer richtig gestutzt worden. Noch im Winter war es unter der Wasseroberfläche mit Spezialtechnik abgemäht worden. Und nun steht es wieder wie eine Eins. Es mag an den sommerlichen Temperaturen und bestem Nährboden liegen, legt die Zeitungsente ein Gedanken-Ei. Und schweigt. Der Mann schimpft weiter. Die Zeitungsente erkennt derweil einen Trend. Zu kurzen Hosen, einem verblichenen T-Shirt und Schlappen trägt der Mann vom Dorf Socken. Sie sind weit über den Knöchel hoch gezogen. Dunkelblau oder schwarz sind sie. Weiß nicht. Acht von zehn Teilnehmern eines Dorfspaziergangs tragen diesen Look. Der Rest trägt Sandalen. Jeder Rabe Socke weiß zu 100 Prozent, wie es besser gehen würde. Zehn von zehn Teilnehmern sind schlauer als der Rest der Welt.

Die Henne pickt. Zwischen den Steinen des Fußweges kommt ein Unkraut hervor, weiter vorn gar sehr viel davon. So, meint sie, sehe in der Stadt, dessen Ortsteil jenes Dorf ist, aber kein Fußweg aus. Die Zeitungsente weiß es besser, hält aber den Schnabel. Gegen die Ungerechtigkeit der Welt, alle fühlten sich immer ungerecht behandelt ... da ist wohl kein Kraut gewachsen. Das sieht das Zeitungsentchen nun ein. Die da oben, wir hier unten. Die da drinnen, wir hier draußen. Die Stadt, das Dorf. Muss erst was passieren, bevor was passiert? Das Leben ist nicht fair ...

Flügellahm verabschiedet sich das Entchen, es kuschelt sich ins Schilf an irgendeinem anderen See und schaut der Sonne beim Untergehen zu. Daran gibt es nix zu meckern.

* Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist rein zufällig und unbeabsichtigt. Dichtung und Wahrheit einer Nahtoderfahrung heben durch Übertreibung das Wesentliche hervor.

Sonntag, 5. Juni 2016

Früher war man besser

Die Saison der Dorf-, Stadt- und Heimatvereinsfeste hat wieder begonnen. Juchu. Endlich darf der freie Lokaljournalist wieder fast jedes Wochenende draußen verbringen - zwischen Kinderschminktischen, Hüpfburgen, Kuchenbasar und Biertischgarnituren. Endlich darf sich der freie Lokaljournalist wieder schuldig fühlen.

Der freie Lokaljournalist - aber auch der gebundene - muss nämlich gar nicht jede Hüpfburg mitnehmen, nicht jede Biertischgarnitur Probe sitzen. Die Zeitung wurde umstrukturiert, der Anspruch wurde ein anderer. Richtig gedacht, wird inzwischen noch mehr als früher nicht mehr über jedes Dorffest berichtet. Sondern über ausgewählte Feste, mitunter sogar nur sehr wenige Anlässe. Die großen Stadtfeste, seltenere Aktionstage oder Feste auf dem Dorf mit Besonderheiten, die aus den sonst üblichen Programmpunkten solcher Feiern herausstechen. Und für Stadtfeste wird inzwischen lieber auf mehr Fotos und wenig Text gesetzt. Die (Aus)Wahl zu treffen, misslingt einem logischerweise nicht immer zur Zufriedenheit aller.

Glaubt man den Beschwerdeführern in der Dorffest- und Leserschaft war das früher "aber gaaaaanz anders" und vor allem "viiiiel besser", denn jede Festivität auf jedem Dorf spielte früher immer, stets und ständig berichtenswerte Rolle. Vor allem die eigene von Bratwurstduft und Schlagermusik getränkte Schaffe. Mit viel Text und Foto. Ist doch klar. Denn jeder will doch am Mon- oder Dienstag in einem Nachbericht lesen, dass es am Samstag bestes Wetter in X, Kurzweil für Jung und Alt in Y und die Sorge ums leibliche Wohl in Z gab. 

Nun ja... Da hatte ich ja schon immer meine Zweifel. Dorffeste sind toll. Fürs Dorf. Für die Dorfgemeinschaft. Ich finde sie wichtig und richtig. Die Stimmung ist gut, man trifft sich und schnattert. Ein bisschen Musik. Ein bisschen Programm wie Kita-Tanzgruppen, der Chor des Ortes, ein kleiner Festumzug mit der Feuerwehr. Schön. Das ist alles ganz prima. Aber was genau nützt es zwei Tage später zu lesen, wie es und dass das eben so war? Erst recht, wenn man aus einem etliche Kilometer entfernten anderen Dorf ist? Mehr gedient ist wohl allen Seiten, wenn solch ein Fest im Vorfeld angekündigt und beworben wird, man Lust auf einen Besuch bekommt. Mehr Leute live und vor Ort dabei, ist fürs Dorf doch besser als hinterher Blabla, wie schön es wieder war mit dem immer gleichen Programm ...

Beziehung verkackt


Falsch gedacht. Ich habe in den vergangenen Wochen diverse Menschen getroffen, die das Nicht-Erscheinen der lokalen Berichterstatter bei Dorffesten offenkundig ziemlich scheiße fanden. Man interessiere sich ja gar nicht mehr für sie. Mit "man" ist man als Journalist dann stets ganz persönlich gemeint. So als habe man eine Beziehung zum Dorf geführt und lasse es nun am ausgestreckten Arm verhungern oder sei irgendwie nicht mehr so aufmerksam wie früher. Und neulich habe man den Müll nicht runtergebracht und die Zahnpastatube mal wieder offen gelassen. Und dass man über ein anderes Fest - zum Beispiel eine seltene Jubiläumsfeier - berichtet hat, wird einem besonders übel genommen. Dass man dies nicht aus persönlichen Interessen, sondern meist aus vom Chef vorgegebener Pflicht getan hat, das würde zur Verteidigung auch nicht reichen. Wichtig und richtig ist immer nur das, was man nicht besucht hat. Schämen sollte man sich. Ich verstehe schon, dass sich mindestens die Organisatoren eines Festes geehrt fühlen, wenn man darüber berichten würde. Nur verstehen die wohl nicht, dass es nun mal nicht immer Sinn macht.

Erscheint man doch zu einem der auserwählten Dorffeste, kommt garantiert der Vorwurf, dass man es zur falschen Zeit tut. Man hätte vorher da sein müssen. Als der Kuchenbasar anfing. Oder der Kegelwettstreit. Als der Bürgermeister ein paar Worte sprach ... und dann wieder entschwand. Man macht es grundsätzlich verkehrt. Vorhin hätte man den Anstich des Fassbiers fotografieren müssen, denn das braucht das Dorf unbedingt für die Chronik. Der Journalist, scheint so mancher zu glauben, arbeitet nämlich auf Bestellung für alle Seiten und ist der auf Fingerschnipp einzusetzende Dorfchronist, der sich ständig einsatzbereit hält. "Warum kommen sie jetzt erst? Sie hätten vorhin das Foto machen müssen!", polterte mich gestern eine Frau an. Dass ich vorher noch andere Termine hatte, fand sie nicht zufriedenstellend als Begründung. Dass ich nach 70 Minuten (!) wieder ging, fand sie auch blöd.

Dass man nicht die ganze Zeit mit dabei ist bei solch einem Fest ist eben ein Verbrechen. Warum nur bleibt man nicht die ganzen neun Stunden? An beiden Tagen? Das bedeutet ja, dass einem irgendwas anderes wichtiger ist. Ein anderes Dorffest vielleicht? Die Texte, die noch zu schreiben sind? Dass man noch seine Wohnung putzen müsste? Am Ende das Privatleben? Oder gelegentlich ein freier Tag? Warum mag man nicht jedes Wochenende Bratwurst essen?

Schlimmer macht man es nur noch, wenn man solch ein Fest einfach mal ganz kurz privat besucht und nicht mal sein Notizbuch aus der Tasche nimmt. Man kommt vielleicht, um leckeren Kuchen zu essen oder fix ein paar Bekannte zu treffen. Vielleicht nutzt man ja nebenbei ein wenig die Chance, den aktuellen Dorftalk aufzufangen und daraus später mal Recherchen zu entwickeln und neue Themen zu entdecken. Die Wertschätzung fürs Dorf nur mit Anwesenheit und keinem Artikel (der sich eh 08/15 irgendwo zwischen Wetterbeschreibung und Smalltalk mit dem Dorfhäuptling liest) auszudrücken, das ist scheinbar mieser als ganz fern zu bleiben. 

Ich freue mich. Noch bis September habe ich die Chance, fast jedes Wochenende in ein neues Fettnäpfchen zu latschen. Ob ich nun da bin oder nicht.

Freitag, 22. April 2016

I've been Lok-ing for freedom

Wenn ich mich entspannen will, gehe ich in die Buchhandlung. Wenn ich abgespannt bin, bleib ich lange in der Buchhandlung. Die Urlaubsreife verlangte an diesem Mittwochnachmittag vor zwei Wochen wirklich nach Lesestoff für die kommenden zwei Wochen und seeeeehr viel Zeit in der Buchhandlung.

Ich stöberte durch die prall gefüllten Regale und suchte nach neuem Futter. Da klingelte mein Handy. Die Chefin meiner Steuerberaterin. Sowohl die Chefin als auch meine noch sehr junge Steuerberaterin schätze ich sehr. Aber Anrufe von ihnen schätze ich nicht. Meist wollen sie mir da nämlich schlechte Nachrichten übermitteln. Etwa, dass mich das Finanzamt besteuern möchte als sei ich der Chefredakteur der ganzen Zeitungsbude oder Intendant beim Öffentlich-Rechtlichen und nicht ein kleiner Honorarschreiber. Besonders schlimm ist die Botschaft, wenn die Chefin selbst anruft. Die Urlaubsreife türmte sich beim Starren aufs Display weiter auf.

Zähneknirschend ging ich also ran. Und war irritiert, als die Dame am anderen Ende prompt sagte "Ich weiß nicht, wen ich sonst anrufen soll. Nur Sie können helfen." Ähm ja. Das kam dann doch mal unerwartet für mich. Normalerweise ruft unsereins ja beim Steuerberater an und winselt um Hilfe. Auf meine Frage, was denn los sei: Ihr Sohn habe ihr erzählt, dass auf dem Abstellgleis am Bahnhof die Lok stehe, die 1989 den Zug mit den ersten Flüchtlingen aus der Prager Botschaft nach Hof gezogen hat. Die werde vielleicht sogar verschrottet oder so. Aber die Kennung der Lok - eine Reihe von Zahlen - lasse keinen Zweifel, dass es diese Lok mit Weltgeschichte sei. Die Lok, die den ersten Zug der Freiheit gen Westen zog. Auf sowas reagiert man natürlich euphorisch: "Aha, hm", sagte ich, "ich melde mich vielleicht später bei Ihnen!"

Ich verließ sofort die Buchhandlung und rief den Fotografen der Redaktion an und erzählte ihm - inzwischen deutlich euphorisiert -, was mir grad erzählt wurde. Es folgte die Reaktion eines echten Journalisten: "Gut. Ich bin grad noch auf einem Termin, dann komme ich und wir fahren zu der Lok, bevor die wegkommt oder so."

Gesagt, eine Stunde später getan ...

 

Wir fotografierten die Lok und ihre Kennung. Und sprachen wie aus einem Mund: "Keine Ahnung, aber ich hab da so ein Gefühl - das ist sie!" Wir fragten einen Arbeiter der nahen Eisenbahngesellschaft, der die Lok inzwischen gehört. "Ersatzteilspender" nannte er sie. Von Prag, der Botschaft, dem Zug, Genscher und so wollte er nix wissen. Aber ich. Ich rief die Steuerberaterin an, wie der Sohn eigentlich darauf komme. Ich müsse mir nur mal Fotos von damals anschauen und mich über die Baureihe der Lok informieren, riet sie. Ihren Sohn könne ich vielleicht später erreichen, grad sei er leider nicht da. Aber sie glaube ihm.

Lok mit dem entscheidenden Look.

Ich googelte Bilder vom sogenannten Zug der Freiheit 1989 und fand auch eines, wo eine Lok am Morgen des 1. Oktober 1989 im Bahnhof Hof so fotografiert wurde, dass man ihre Kennzahlen erkennt: 132 701-4. Die Lok auf dem Abstellgleis trug 232 701-3. Ich informierte mich über die Baureihe und stellte dabei fest, dass grundsätzlich umbenannt wurde, als die DB die Deutsche Reichsbahn übernahm. Es wurde umlackiert. Umfirmiert. Umgebaut. Es kommt eine Menge zusammen in einem langen Lokleben. Immerhin: Auf den Tag genau zwei Jahre vor meiner Geburt wurde die Lok in Dienst gestellt.

Diese ersten Erkenntnisse, verbunden mit der grundsätzlichen Frage, ob ich dem Ganzen trauen kann, übermittelte ich noch am Abend meinem Vater - gelernter Eisenbahner von der Pike auf und mit Dipl.-Ing. in dem Fachbereich ausgestattet. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. "Ja, sie ist es." Mehr brauchte ich nicht. 

Es ging nur noch an den Beweis...

 

Ich wühlte mich grinsend durch etliche Portale, Zeitschriften und Seiten. Zu meinem Gefühl gesellte sich Gewissheit. Und so stellte ich Donnerstagmorgen eine Anfrage an die DB. Mit einem Berg dessen, was man als Journalist eigentlich ja nicht soll - geschlossene Fragen stellen. Ist es richtig, dass ... und es folgten Fragen zu Details dieser Lok, den Sonderzügen und ihrer Arbeit im Herbst 1989, die ich bereits gesammelt hatte. Überzeugt von meiner Sache, fing ich schon mal zu schreiben an - Zeile um Zeile, schnell war eine Zeitungsseite voll.

Freitag vor Urlaub, Freitag vor zwei Wochen. Kurz nach neun rief ich bei der Pressestelle der DB an, ob ich heute eine Antwort bekommen könne. Es sei wichtig. Und dringend, weil die Story müsse ich unbedingt heute noch eintüten, denn der Urlaub nahe. "Mommmmennnnt, ich horche mal kurz beim Chef", sagte die Dame. Gedämpft hörte ich Stimmengemurmel. Ihr Chef übrigens war mal junger Mitarbeiter, als auch mein Vater noch in der sogenannten Reichsbahndirektion Dienst tat und er kann sich dran erinnern, sobald er meinen Geburtsnamen hört. "Jaaaaa", schmunzelte die Dame nun deutlich hörbar, "jaaaaa, die Antworten bekommen Sie heute noch."

Mein Apparat klingelte nur ein paar Minuten später. Ich hoffte auf die Bahn. Dran war eine ältere Dame. Übliche lokale Geschichte. Noch immer fehlt in ihrem Wohngebiet ein Stück Fußweg. Sie ruft mich einmal jährlich dazu an. Durchaus interessant, durchaus ärgerlich für die dort wohnenden Menschen, definitiv eine Story wert. Dabei schimpft die ältere Dame neben dem Nicht-Fußweg auch über die Stadtpolitik und grundsätzliche Probleme des Alters. Dazu kann sie lange referieren. Jahr zu Jahr wird meine Aufmerksamkeitsspanne aber kürzer, das muss ich gestehen. Als ich mit Blick auf den Computer das Mailprogramm aufploppen sah, die DB habe geantwortet, hatte ich erst recht keine Lust mehr auf Zuhören. "Hmmmmm" und "hmhhmm" murrte ich weiter.

So von einem Bein zum anderen getippelt bin ich das letzte Mal, als ich es im Kindergarten mal besonders eilig hatte auf Toilette zu kommen. Die alte Dame redete weiter. Ich gab dem Drang nach. Ich öffnete die Mail einfach, entnervte mir immer wieder mal ein "hmmm ja" aus der Kehle. Und las "vielen Dank für Ihre Anfrage. Der Einfachheit halber haben wir die Antworten direkt zu Ihren Fragen gestellt." Ich sah meinen großen Haufen "Ist es richtig, dass ..." - und dazwischen immer wieder: ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja und ja. Und auch ich sagte plötzlich "Jajajajajaja". Die alte Dame ist nach unserem Gespräch vielleicht in ein Restaurant gegangen und bestellte das, was ich hatte.

Jetzt wurde der Sack nur noch zugemacht. Die Story, die ich nur noch geringfügig durch neuen Text ergänzte, meldete ich als Seite 3 für den nächsten Tag an. Und fuhr mit dem Fotografen erneut zur Lok. Die neuen Besitzer lächelten. "Sie schon wieder", sagte der Mann vom Mittwoch - Prokurist der Firma, wie sich herausstellte. Er ließ uns auf die Lok. Und sprach: "Wir haben mal geschaut, es stimmt, das ist die Lok." Und aus der werde kein Ersatzteilspender, sondern sie werde wieder aufgebaut, um nochmal über Jahre ihren Dienst zu tun. Als eine Lok wie jede andere. Etwas anderes sei sie ja nicht. 


Quelle: Christine Jacob, in der LVZ, 9./10. April 2016
Stimmt. Für mich ist sie trotzdem eine besondere Lok. Wenn ich sie nun auf dem Gleis stehen sehe, muss ich unweigerlich lächeln. Die Lok macht mich glücklich. Ich liebe meinen Beruf. Es gibt durchaus Momente, da nervt er mich. Und es gibt Momente, da könnte ich platzen vor Glück. Einen ganzen Tag und noch viel mehr währt solch ein Moment dank dieser Lok. Die Arbeit guter Journalisten kann zum Selbstläufer werden. Eben, weil sie gut sind ... da ruft man sie an, gibt ihnen Tipps. Sogar faul in einer Buchhandlung rumzustehen, kann einem guten Journalisten großartige Arbeit liefern.

Dienstag, 19. April 2016

Warum ich nicht schreibe

Kluge Köpfe meinen, dass Journalismus Literatur in Eile wäre und Journalisten bloß verhinderte Schriftsteller seien. Einige Journalisten haben das ja schon bewiesen, indem sie das Fachgebiet wechselten. Das ist mir lieber als jene Journalisten, die plötzlich Regierungssprecher werden und jetzt die alten Kollegen triezen. So lag die Frage einer befreundeten Echt-Schriftstellerin wohl nahe, ob bei mir nicht auch der Wunsch zum Schreiben bestehe ... ich hatte nicht sofort eine Antwort parat.

Es mangelt mir nicht an Selbstbewusstsein - im Sinne von sich selbst bewusst sein. Und eigentlich mag ich den Begriff "Powerfrau" auch nicht sonderlich. Doch was soll ich machen ... Angesichts dieser Powerfrau war ich für ein bis zwei Momente eingeschüchtert. Sie schreibt Romane. Richtig gut gemachte unterhaltende Romane mit Krimi-Einschlägen, die über das vorhersehbare Happy-End-Gehasche üblicher Frauenliteratur hinausgehen. Sie hat einige davon fertig in Gedanken, Gedanken-Schubladen und echten Schubladen. Sie hat immer wieder neue Ideen. Das Lesen eines unveröffentlichten Manuskripts hat mich als sonst nur überzeugten TV-Täter sogar zum Krimileser gemacht. Sie hat es mit ihrem Debüt im vergangenen Sommer weit nach oben in der Bestsellerliste geschafft - verdientermaßen. Ihr zweiter Roman kommt in knapp zwei Monaten in den Handel. 

So weit würde ich es nicht bringen. Warum? Weil ich Selbstbewusstsein habe. Den guten Journalisten und den guten Schriftsteller eint, dass gute Schreibe allein nicht reicht. Zu diesem Handwerkszeug sollten sich Fähigkeiten wie Recherche, Beobachtungsgabe, Gespür, Gefühl und noch einiges mehr gesellen. Ein Getriebensein noch dazu. Der innere Drang, den sie als Schriftstellerin spürt, wenn sie eine Geschichte unbedingt aufschreiben und erzählen muss, den verspüre ich - bislang - nur im Journalistischen. Oft muss ich eine Story einfach machen - so zwanghaft, dass ich schreibe wie wild und an nicht viel anderes denke, viel dafür opfere. Betrachte ich die Welt um mich herum, sehe ich darin und auch in vielen Menschen "bloß" potenzielle Zeitungsgeschichten.

Und wenn ich mal schriftstellerische Ideen habe, kommen diese für meinen durch einen Magister in Literaturwissenschaft geprägten Geschmack nicht weit genug von der Realität und vor allem meiner selbst weg. Es geht doch um Dichtung und Wahrheit ... Ich habe mir als Teenager die Geschichte meiner Familie angesehen, ein Haufen Leben zwischen Weltkriegen und Weltgeschichte und ich erkannte Potenzial - für einen großen Roman dem Laden von Strittmatter nahe (Teenager eben). Ich schaue mir mein eigenes Leben an und ich entdecke Potenzial - für einen Film, der reichlich euphemistisch ins Genre "Romantische Komödie" einsortiert würde und Dienstag bei Sat1 liefe. Das ist alles ziemlich egozentrisch. Wann kommt da die Dichtung zur Wahrheit ins Spiel? Und nichts dabei treibt mich so an, dass ich das unbedingt aufschreiben muss. Dabei weiß ich um mein Handwerkszeug und mein Talent. Ich weiß, was ich kann. Also lasse ich das Schriftstellern.

Der neue Roman meiner Schriftsteller-Freundin wird mit vier Seiten im Verlagsprogramm beworben und einem eigenen Aufsteller für die Buchhandlungen. Darüber freut sie sich riesig, das macht sie stolz. Diese Werbung beinhaltet einen ganzen Abschnitt von mir aus einer Rezension über ihr Debüt. Darüber freue ich mich riesig, das macht mich stolz. Ich bin eben ein guter Journalist. Ich habe Selbstbewusstsein.

Samstag, 26. März 2016

In eigener Sache

Geneigter Leser,

schon eine ganze Weile pflege ich nun diesen Blog. Immer mehr Leser kommen dazu, immer häufiger werde ich auf meinen Blog angesprochen. Das freut mich sehr! Manchmal fragt Ihr, warum ich so lange nicht mehr geschrieben habe. Hm. Dann ist entweder nichts passiert, was ich erwähnen wollte oder sollte - oder mir ist was dazwischen gekommen, das Leben zum Beispiel. Das muss nichts Schlechtes sein. Wenn hier mal lange Zeit nix passiert, passiert mitunter hier was:

Frau Jacobs Momentmale

Schaut gerne auch mal dort vorbei. Da schreib ich über all das, was neben Journalismus noch eine schreibenswerte Rolle für mich spielt - aktuell gibt es dort den Girly Talk.

Danke und FROHE OSTERN!

Sonntag, 6. März 2016

Hui!

Mir ist ja schon viel passiert wegen meines Jobs. Anlächeln. Anfeinden. Aber umarmt wegen 70 Zeilen Text wurde ich noch nie ...

Und das kam so ... Die Teamsitzung nahte. Ideenmäßig war ich grad nicht die hellste Kerze auf der Torte, hatte übrigens auch keine Lust zu brennen. Unmotiviert surfte ich durchs Internet. Noch eine Minute bis Sitzung, 30 Sekunden ... Und da war sie: irgendwo in den unendlichen Weiten von Facebook wurde mir eine Schlagzeile angezeit, in der ich las, die Städte München, Stuttgart und Frankfurt/Main seien unter die Top Ten der lebenswertesten Städte gekürt worden. Und plötzlich war sie da, die Idee: lokalpatriotische Seite 3. Warum schreiben meine Kollegen, die ebenso verheimatet in ihrer Berichterstattungsstadt wie ich sind und ich nicht einfach mal auf, was wir so an unseren Städten mögen und was sie lebens- und vor allem liebenswert macht?!?

Direkt Feuer und Flamme waren die Umsitzenden nicht gleich. Aber es funkelte schon deutlich. "Ein Streichholz noch", dachte ich. Und da der nächste verheimatete Redakteur nicht an der Sitzung teilnahm, wurde ich gebeten, doch einfach eine Mail zu dem Thema zu schreiben. 

Ich schrieb also eine Mail, die die Kollegin als mitreißend und motivierend bezeichnete. Das Streichholz zündete. Und so machten wir drei Schreiberlinge uns dran, Liebeserklärungen an unsere Städte zu verfassen. Der Kollege schwärmte zum Beispiel vom Duft der kleinen Schmalspurbahn. Die Kollegin vom Großwerden ihrer Töchter. 

Ich (lest gerne auch hier) schrieb von (m)einer Hood, die cooler ist als jede Hypecity. Ich schrieb von einer kurzen Vergangenheit und langer Zukunft, die ich hier sehe. Unter anderem, weil ich hier und nirgends sonst wie Pippi Langstrumpf leben kann. 70 Zeilen ...  Ich hätte noch so viel mehr sagen wollen und können. Ich hätte noch gerne von den Sommernächten erzählt, in denen ich barfuß über Kopfsteinpflaster lief und laufen werde. Vom Duft, den das heiße Pflaster beim Abkühlen ausströmt. Von erwachsenen Männern, die ich Jungs nenne und denen ich das Wort "Bierse" als korrekte Mehrzahl von Bier eingetrichtert habe. Von der Natur direkt vor der Haustür. Vom zwitschernden Vogel im kleinen Baum vor meinem Fenster, der sein Tschilpen nicht mal verstummen lässt, wenn die Geschäftsstraße unter meinem Fenster zum Leben erwacht. Vom Klang der Glocken der Kirche. Vom Knutschen im Park unter einer blütenweißen Statue und mit den nackten Füßen im Springbrunnen. Von den vielen freundlichen Menschen, die mir jeden Tag begegnen. Vom Lächeln, das mit Lächeln beantwortet wird. Von dem Moment, wenn am Samstag gegen eins plötzlich alle Geschäftigkeit aus meiner Straße weicht und gespenstische Ruhe ist. Von der Schlange, die sich von einer Straßenseite zur anderen erstreckt, wenn die Eisdiele wieder öffnet. Es gibt so viel, was meine Heimatstadt für mich ausmacht.

Scheinbar hat gereicht, was ich auf den 70 Zeilen schrieb. Am gestrigen Samstag erschien die Geschichte. Dass sie nicht einfach überblättert wird, hatte ich gehofft. Dass es aber zu solchen Reaktionen kommt, damit hatte ich nicht die Spur gerechnet. Mein Morgen begann mit Glückwünschen zu einem tollen Text auf meiner Facebook-Seite, etlichen Benachrichtigungen und Nachrichten. Ein journalistischer Schatz sei das, hieß es zum Beispiel. Man bedankte sich. Bedanken? Für eine journalistische Arbeit? Wie oft kommt das vor? Gerade heutzutage? Es sei aus der Seele gesprochen, schrieb man. Menschen - bekannte, weniger bekannte und unbekannte Menschen - grüßten mich auf der Straße und lobten, "sooooo schön" sei das gewesen. Als ich zum Wochenendeinkauf meinen "Späti", den Konsum, betrat, jauchzte eine mir flüchtig bekannte Dame auf und mit einem "Jetzt muss ich Sie einfach mal drücken" schloss sie mich in die Arme und herzte mich aus tiefstem Herzen. Hui! Ich bin überwältigt! Hui! Hui! Hui! Mehr fällt mir dazu echt nicht ein.

Sonntag, 28. Februar 2016

Gesichtsblindheit oder so

Eigentlich kann ich mir Sachverhalte und Personen und Gesichter sehr gut merken. Umso peinlicher berühren mich zwei Vorfälle jüngerer Vergangenheit. 

Vorfall 1

 

Ich war gerade für eine Schulung zu Gast im Haupthaus meines Hauptauftraggebers. Zwischen zwei Etagen darf dort geraucht werden. Na bitte, Rauchen ist nach wie vor weit verbreitet. Ein Laster, das ich mir zum Glück nie angewöhnte. Ich eilte von Etage zu Etage, besser bekannt als Treppensteigen. Auf der Raucherinsel stand ein Mann, den ich meinte als den Hauptbuchhalter erkennen zu können. Er sieht dem Hauptgeschäftsführer recht ähnlich. Sehr viele Häuptlinge arbeiten im Haupthaus. Aber ich bin ja überzeugt, dass ich mir Sachen und Gesichter gut merken kann. Ich habe ja ein gesundes Selbstbewusstsein in allen Lebenslagen. Ich sprach den Mann, den ich für das buchhaltende Haupt 1 hielt also als solchen an. Voll überzeugt. Es kam zur Antwort - lächelnd übrigens -: "Nein, ich bin Herr Schmidtmüller und nicht Herr Schulzmeier." Ups. Es handelte sich also um den Geschäftsführer vom Ganzen, Entscheider auch über mein Haupt. Klassisches Ups. Besser wurde es durch mein abwinkendes "Ach, na ja, ich bin auch nur freie Mitarbeiterin und Sie kennen mich ja auch nicht!" vermutlich auch nur bedingt. Wobei sein "Schade eigentlich!" darauf hindeuten könnte. Peinlich ist's mir trotzdem.

Vorfall 2

 

Ich überquerte gestern auf dem Weg zu meinen Eltern eine Straße. Eine Frau fuhr freundlich "Hallo, Frau Jacob, schönes Wochenende!" grüßend auf ihrem Rad an mir vorbei. Ich grüßte irritiert zurück. Wer war das noch gleich?! Wer war das?!? Ah ja! Frau König. Die Reinigungskraft in unserer Redaktion. 

Frau König kommt immer erst abends, wenn von uns - regulär - schon lange keiner mehr da ist. Der Job ist schlecht bezahlt und sie hat keine zwei Stunden Zeit ein ganzes Haus mit einem knappen Dutzend Zimmern und zwei Toiletten zu putzen. Als ich neulich mal schwer erkältet war und abends doch noch einmal in der Redaktion war, traf ich sie ihr Abendwerk verrichten. In unseren Papierkörben darf nur Papier landen. Ich fragte sie, ob ich mir wegen meiner Erkältung mal eine Mülltüte einhängen und die Rotztücher gleich am Schreibtisch entsorgen dürfte, statt in die Teeküche zu laufen. "Das mach ich schon, das mach ich für Sie"", sagte Frau König. Als die Erkältung vorbei war, legte ich ihr eine Pralinenpackung mit der Aufschift "Danke" auf meinen Schreibtisch und ein Post-it drauf "Meine Rotznase ist geheilt, ich brauch keine Tüten mehr." Das Post-it fand ich am folgenden Tag mit einem "Kein Problem, immer gern. Gute Gesundheit für Sie!" Zu Weihnachten legte ich Frau König ein Geschenk in den Schrank mit ihren Utensilien, ich hatte Süßes und ein kleines Büchlein mit der Aufschrift "Reinigende Gedanken" nett verpackt. Nach Weihnachten fand ich einen meiner Notizzettel, auf den Frau König mir unter Einsatz all der bunten Stifte, die mein Schreibtisch so zu bieten hat "Alles Gute und Liebe für 2016!!!" geschrieben hatte. Erst am vergangenen Montag traf ich sie wieder. Ich war abends nochmal in die Redaktion gehuscht, weil ich eine Nachricht online stellen musste. Wir plauderten kurz. Sie klagte übers Wetter. Ich klagte über die Allergie. Seit Dienstag sind in meinem Papierkorb wieder Plastetüten. 

Bei wem von beiden war es mir wohl peinlicher, die Person nicht erkannt zu haben?!?

Sonntag, 21. Februar 2016

Mein zweites Ich in Scharen

Ist man freier Journalist, steht es einem vor allem frei mit verschiedensten Arbeiten Zeilen und damit Geld machen zu müssen. Zum Beispiel bei Anzeigenblättern. Das ist nämlich ein noch recht leicht verdientes Geld. Ich layoute dort, also baue Texte um Anzeigen drum herum. Das wiederum ist gar nicht so leicht. Aber ich stelle dafür Rechnungen - schwuppdiwupp ist also ein bisschen Krankenkassenbeitrag verdient. Der Doktor müsste sich ohnehin mal kümmern. Ich habe ein zweites Ich entwickelt. Es ist nach den zweiten Vornamen meiner Eltern benannt und es ist ein kleines Phrasenschweinchen, es ist ganz anders als ich sein will. 

Bei meinem zweiten Ich kommen Menschen in Scharen in neu oder wieder eröffnete Geschäfte. Dinge reichen immer von bis - von einem Superduper bis zum nächsten, und sei es nur von Kleidergröße 34 bis 50. Egal, um was es geht: Mit hoher Qualität wird genauso gepunktet wie mit der individuellen und kompetenten Beratung. Ich würde vermutlich sogar bei einem Schnellrestaurant schreiben, dass der Mindestlöhner hinter der Theke mit individueller und kompetenter Beratung punktet, wenn er einem übellaunig nach Schema F einen Burger zusammenbastelt. Und der Kunde findet - auch in meinen Texten - garantiert, was das Herz begehrt. Der Kunde ist König. Erst recht bei einem Anzeigenblatt.

Das Schlimme daran ist, dass das Zeilenhonorar für solche Geschichten ebenso ausfällt wie das für eine echte Story. Ob man nun wirklich recherchiert und die verschiedensten Seiten einer Medaille beleuchtet oder die einseitige Sichtweise eines Anzeigenkunden in so einem Blatt darlegt - Zeitungen und Blättchen haben gleiche beziehungsweise sehr ähnliche, denn leider geringe Zeilen- und Fotohonorare zu bieten. Das heißt: Für eine echte Recherche kommt man am Ende garantiert auf einen Stundenlohn unter Mindestlohn - bekommt also nicht, was man verdient. Beim Anzeigenblatt kann man auch mal 40 Euro in einer Stunde kriegen. 

Das Zitat von George Orwell "Journalism is printing what someone else does not want printed: everything else is public relations." kommt mir daher wie bittere Ironie vor - viel zu schlecht ist es bezahlt, das zu tun, was andere nicht wollen. Dafür ist das, was man eigentlich nicht will umgerechnet zu gut bezahlt. Ich darf froh sein, dass ich ein Pauschalhonorar für die echten Arbeiten bekomme und das andere "nur" Zubrot ist. So rechnet sich das Leben als freier Journalist für mich und auch das zweite Ich.

Samstag, 6. Februar 2016

My office-office is my castle

Schöne neue Technikwelt. Das neue Redaktionssystem "meiner" Zeitung erlaubt es, von überall zu arbeiten. Also von überall dort, wo man Internetzugang haben kann. Also vermutlich nicht von Brandenburg aus. Man muss nicht mal mehr den Weg wie früher gehen und dem Chef einen Text per Mail schicken, wenn man mal nicht in der Redaktion ist. Nein, man kann den Text bei Bedarf und Lust und Laune von der heimischen Couch direkt auf die Zeitungsseite schreiben. Oder direkt online stellen. Und dabei kann man noch dazu direkt sehen, wie weit der Produktionsstand des Tages ist.

Es gibt Kollegen, die nutzen dies alles gerne fürs Home-Office oder das Arbeiten vom Sonstwo. Ein Kollege arbeitet zum Beispiel meistens nicht mehr direkt in der Stadt, über die er berichtet - sondern vom Haupthaus in 30 Kilometern Entfernung aus. Eine meiner Kolleginnen habe ich sogar seit gut sechs Monaten nicht mehr gesehen oder gesprochen, sie ist lieber daheim. Sie gelten als produktiver und effizienter. Da frage ich mich doch: Kann ich das auch?

Klar. Kann ich. Es ist ja einfach: Man setzt einfach zusätzlich zur längst gang und gäbe gewordenen privaten Kamera und dem privaten Handy noch den heimischen Rechner ein und schon kann es losgehen. Im privaten Gefilde. Im Schlafanzug, wenn man mag. Als großer Freund der auf Selbsterfahrung basierenden Recherche habe ich einen knapp zweistündigen Test gemacht:
Der Kaffee bei mir daheim ist deutlich besser als in der Redaktion. Ich stelle fest, dass der Knopf an meiner Schlafanzughose locker ist. Ich trinke noch einen zweiten Kaffee. Ich blicke in das Regal neben mir und meine, dass ich Stifte sortieren könnte. Ich sehe die Yogamatte. Nein, doch nicht. Heute Abend. Disziplin muss sein. Außerdem hab ich Hunger, fix ein Müsli gerührt. Mir fallen meine Zimmerpflanzen und deren Vernachlässigung auf - sie haben quasi mit hängenden Blättern gewunken. Fertig. Ich habe eine Menge CD's im Schrank, die ich lange nicht gehört habe. Das tippt sich gut, tippen nach Beat. Ich muss nachschlagen. Mein Schreibtisch ist ziemlich klein, das aufgeschlagene Notizbuch passt kaum neben den Laptop. Bei Ikea finde ich nicht gleich auf Anhieb einen Beistelltisch, der meinem Geschmack und den Platzverhältnissen entspricht. Das ist blöd. Aber die Musik ist gut. Da kann ich doch noch mal fix einen Discofox mit dem Besen durch die Küche tanzen. Ich fange an dabei mit mir selbst zu reden. Jetzt reicht's.
In einem Job, in dem die Grenzen zwischen Beruf und dem Privaten schon viel zu oft verwischen, fürchte ich noch mehr um die Abgrenzung. Mir fehlen meine Kollegen. Die gut gelaunte Sekretärin. Der Kollege, der mir was vom Bäcker mitbringt. Ich will mit Menschen kommunizieren. Von Angesicht zu Angesicht. Ich will mich von Menschen ablenken lassen. Ich will Scherze machen und lachen. Ich will einen Arbeitsweg, der etwas länger als zwei Meter ist. Ich will ins Büro nebenan gehen und Ratschläge geben und bekommen. Ich will mit den Augen rollen, wenn der Kollege zum x-ten Mal die gleiche "blöde" Frage stellt. Ich will ihn vom Arbeiten ablenken, während ich auf das Kochen meines Teewassers warte. Ich will mit den anderen Mittag essen. Dabei tauschen wir uns über Ideen aus und entwickeln neue. Wir kritisieren uns konstruktiv. Ich will ein Redaktionsleben! Home-Office? Ohne mich!

Die Heidi Klum der Büros: Hübsch anzusehen,
kann aber sonst nicht viel und nervt irgendwann.

Ausnahme: Wenn ich abends, nachts und wochenends mal wieder zu einem Einsatz der Feuerwehr ausrücke und möglichst schnell davon berichte, ist die schöne neue Technikwelt fast unbezahlbar. Ich könnte noch vom Einsatzort die erste Nachricht absetzen. Ich kann mich auch wieder in den Schlafanzug kuscheln, den lockeren Knopf ignorieren und meine Arbeit tun. Ein bisschen Adrenalin hilft beim Konzentrieren. Wenn ich dann später neue Infos im Nachgang des Einsatzes bekomme oder hochschrecke, weil mir noch was einfällt, dann muss ich nicht mehr mitten in der Nacht mit der Jeans überm Schlafanzug in die Redaktion huschen. Ich kann schneller sein als andere Medien. Effizienter und produktiver. Ich habe es getestet und weiß nun: Dann mag ich sie, die schöne neue Technikwelt.

Dienstag, 5. Januar 2016

Hund, bunt trifft Headhunter

Es ist ganz nett als Journalist in der eigenen Heimatstadt zu arbeiten. Man macht sich einen Namen (einen guten Namen im Idealfall), fällt immer wieder positiv bis negativ auf und wird dadurch erkannt. Das kann natürlich auch nerven. Oft sogar. 

Kneipenausflüge werden bei mir auch mal mit "Trinken Sie heute privat oder beruflich?" kommentiert, morgengrauende Ausflüge zum Bäcker mit "Na, Sie sehen aus als hätten Sie eine Nacht durchgeschrieben!" und neulich wurde im Wartezimmer mein Bildchen im Zeitungskommentar mit der Realität abgeglichen. Ein bisschen befremdlich für mich ist es auch, dass meine Frauenärztin während der laufenden Untersuchung mit mir über meine Artikel sprechen mag. Nur mein Zahnarzt hat eingesehen, dass ich nicht immer antworten kann und will. 

Und wenn ich grad im Drogeriemarkt Klopapier, Spülmittel, Tampons, Kondome, Mottenfallen oder Kontaktlinsenreiniger auswähle, fordert dies meine Konzentration an sich in einem so ausreichenden Maße, dass ich gerade mal nicht mehr über die Stadtpolitik, die Medien an sich oder andere Ärgernisse sprechen mag ... Aber manchmal ist es doch gut, in solchen Momenten als "Sie, Sie sind doch die von der Zeitung" aufzufallen. Auf dem Arm drei Packungen Tee und eine Flüssigseife klingelte heute ein süßes "Wie muss man sich denn da bewerben, dass Sie mal zu uns kommen? Was muss man da genau machen?" in meinem Ohr. Der kleinstädtische Headhunter hatte mich vor der Flinte und drückte ab!

Ich befülle die lokale Zeitung regelmäßig mit etwas, das ich "Jobserie" nenne. Darin - es ist inzwischen rund 25 Mal geschehen - versuche ich einen Tag beziehungsweise eine Schicht lang andere Berufe und schreibe über all das, was ich dabei erlebe, erfahre und empfinde.Ich war mal Bibliothekar, Kindergärtner, Tierpfleger, Feuerwehrmann, Polizist, Bademeister, Schokoladenfabrikant, bei einem Abwasserzweckverband (schöne Scheiße), im Museum, Stadtführer, Kulturamtsleiter ... Als ich mir mal dachte "Na, das nutzt sich doch aber alles ab" und das Projekt gezielt durch Nicht-Aktion einschlafen lassen wollte, verlangten Leser per "Wann kommt denn da mal was Neues?" und "Aber das war doch immer schön!" danach. Also ging es wieder los ... dann ließ ich es wieder dümpeln, schon weil man für so viele Berufe so verdammt früh aufstehen muss ... es kamen wieder Fragen ... es ging wieder los ...

Zuletzt gab ich Gastspiele als Melker, Straßenwärter und bei der Tafel. Ich musste wieder so verdammt früh aufstehen. Aber einschlafen lassen? Geht nicht. Sobald meine Selbsterfahrungswerte wieder regelmäßig zu lesen sind, kommen die Angebote und Fragen erst recht ins Haus. Beziehungsweise zwischen den mittagspausigen Einkauf im kleinen Supermarkt um die Ecke, der meine Versorgung sichert. Letztens fiel ich auch mal einer Putzfrau vor die Füße, die mir prompt ihren Job anbot. Einer von der Bundeswehr will mich kriechen sehen. Und dann komme ich auch selbst wieder auf so Ideen ... einen Tag Chefredakteur ... Bundeskanzler ... hach

"Wie muss man sich denn da bewerben, dass Sie mal zu uns kommen? Was muss man da genau machen?" ... für eine Sekunde dachte ich daran, mir einen kleinen Spaß zu gönnen und mir für ein mehrstufiges Auswahlverfahren irgendein Formular mit drei Durchschlägen und 23 sinnfreien Vorschriften (nur weiße Blumen in der Garderobe von Frau Jacob, den Champagner stets bei 13 Grad halten,  ...) auszudenken ... so ein bisschen Mariah Carey steckt ja in jedem von uns ...

Dann fiel mir ein, wie lieb die Damen im kleinen Markt meines Vertrauens immer zu mir sind und dass es eigentlich dumm war, nicht selbst drauf zu kommen. So klärte ich prompt, dass sie mit ihrer Frage schon genug der Bewerbung um meine Dienste getan hat. "Ach, das wäre schön wenn Sie zu uns kommen, das ist immer lustig mit Ihnen!", sagte sie. Ich frag sie dann mal, woher sie das eigentlich wissen will. Wenn der Vorstand der lieben Handelskette zustimmt, darf ich mich hinter Kasse und Wursttheke schwingen, zwischen Getränkekästen und Tiefkühlwaren buckeln. Hoffentlich muss ich nicht so verdammt früh aufstehen ...