Freitag, 26. Mai 2017

Der Nervenräuber

Es gehört zum Alltag in Redaktionen, dass der Kontakt mit dem Leser nicht ausbleibt. Das ist ja grundsätzlich auch in Ordnung so. Die Leute/Leser kommen zu uns in die Redaktion und reden mit uns, sie wollen Sorgen loswerden, Themen beachtet finden, Fragen stellen, Kritik äußern. Das ist schön. Von Zeit zu Zeit (bis zu viermal wöchentlich) haben wir es aber mit einem besonders nervigen Exemplar der Sorte Leser zu tun.

Nennen wir ihn doch einfach Babuschek*. Besagten Nerventod kennt man in der Stadt. Meinem Vater beschrieb ich den Mann mal so: „Er sieht aus wie eine von den kleinen Figuren unten auf der Weihnachtspyramide, viel größer ist er auch nicht und er läuft wie Donald Duck.“ - mein Paps wusste Bescheid… 

Der Mann nervt uns, und vermutlich nicht nur uns, seit Jahren. Er kommt und fragt, warum diese und jene Straßensperrung nicht im Blatt stehe – es stellt sich heraus, dass es sich um ein Parkverbot für einen ganz privaten Umzug handelt. Er kommt und fragt, warum wir nicht über jenes Flugzeug berichtet haben, das in terroristischer Absicht fast in die örtliche Schokoladenfabrik geflogen sei, um uns alle fertig zu machen – es stellt sich heraus, dass es sich um einen geistigen Tiefflieger mit optischen Täuschungen handelt … und achja, das Flugzeug war im Landeanflug.

Weil ich streitlustig bin, sind wir in der Redaktion dazu übergegangen, dass ich mit ihm „rede“. Ich sitze oben an meinem PC und höre unten im Sekretariat seine Stimme. Er hört dann meine schnellen und kräftigen Schritte auf der Treppe und guckt neuerdings irgendwas zwischen verschreckt und freundlich, wenn ich um die Ecke biege. Und irgendwo zwischen verschreckt und freundlich verlaufen auch unsere „Gespräche“. Zwei aktuelle Beispiele:

4. Mai 2017


Am 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, ist auch unsere Zeitung wie viele andere mit einem von Yoko Ono gefertigten Titelbild erschienen.



Yoko Ono


Babuschek betritt die Redaktion. Ich höre ihn sagen: „Das geht so nicht, da müssen Sie mal was machen!“
Schnelle, kräftige Schritte treppabwärts.

Ich: „Tach Herr Babubschek! Was geht so nicht?“
Babuschek: „Na, wie die Zeitung gestern aussah!“
Ich: „Wie sah sie denn aus?“
Babuschek: „Na das Bild ganz vorne, das geht so nicht!“
Ich: „Das Bild wo vorne? Im Lokalteil? In der gesamten Zeitung?“
Babuschek kramt eine Ausgabe aus seinem Stoffbeutel und winkt mit der Titelseite von Yoko Ono.
Ich: „Okay… und wo ist jetzt das Problem?“
Babuschek: „Sie müssen das mal weitergeben!“
Ich: „Was muss ich weitergeben?“
Babuschek: „Dass man das gar nicht lesen kann. Ich habe sogar die große Brille rausgenommen und konnte das nicht lesen!“
Ich: „Lag es vielleicht daran, dass es Englisch ist?“
Babuschek: „Achso?“ Hüsteln „Aber das konnte ich auch nicht lesen, Sie müssen das mal klären!“
Ich: „Mit wem muss ich was klären? Mit Ihrem Optiker? Ihrem Englischlehrer?“
Babuschek: „Neiiiiiin! Mit dem, der das gemacht hat!“
Ich: „Hm. Okay.“
Babuschek: „Machen Sie das?“
Ich: „Ja, nur bin ich mir jetzt nicht sicher … wie verbleiben wir denn nun? Rufe ich Yoko Ono an oder wollen Sie das machen?“
Im Hintergrund sind lachende Kollegen zu hören. Babuschek stutzt.
Babuschek: „Aber das geht doch so nicht! Das können Sie als Zeitung nicht machen, sowas hat Folgen!“
Ich weise auf die Tür: „Sie sind der beste Beleg dafür, dass Deutschland nur Platz 16 in der Rangliste der Pressefreiheit hat, schönes Leben noch!“
Babuschek zieht schnaubend davon. Ich google die Telefonnummer von Yoko Ono, habe beim ersten Versuch keinen Erfolg und gebe schnell wieder auf.

12. Mai 2017


Auf der lokalen Titelseite erscheint eine große Ankündigung zum Tag der offenen Gartentür in meiner Stadt, diese Aufmachung ist garniert mit einer Optik eines älteren Paares. Der abgebildete Mann ist Teilnehmer der ersten Stunde, ich nenne ihn „Horscht Clooney“ und ich mag ihn - und zu DDR-Zeiten muss er mal ein großes Tier in der Partei gewesen sein. Das war 1989, wir haben 2017.

Babuschek betritt die Redaktion. Ich höre ihn sagen: „Sie machen sich Feinde!“
Sehr schnelle, sehr kräftige Schritte treppabwärts.
Ich: „Womit, Herr Babuschek, womit?“
Babuschek weist mit wild schnippendem Finger auf die lokale Titelseite: „Mit diesem Foto da!“
Ich: „Wieso?“
Babuschek: „Wissen Sie denn nicht, wer das ist?“
Ich: „Doch, steht ja sogar dran!“
Babuschek: „Wissen Sie, was dieser Mann früher gemacht hat?“
Ich: „Früher war ich Quark im Schaufenster.“
Babuschek: „Diesen Mann kann hier keiner leiden.“
Ich: „Ich schon.“
Babuschek: „So machen Sie sich Feinde. Den kann keiner leiden.“
Ich: „Na und?“
Babuschek: „Sie müssen eine Gegendarstellung zu dem Foto bringen!“
Ich: „Ui, das wird nüchtz!“
Babuschek: „Ich will Sie doch nur warnen, Sie machen sich alle Feinde, den Mann kann keiner leiden und den können Sie doch nicht in der Zeitung zeigen!“
Ich: „Wissen Sie, den Oberbürgermeister kann auch keiner leiden und der ist fünfmal wöchentlich bei uns im Blatt.“
Babuschek: „Ich will Sie nur warnen!“
Ich: „Wovor?“
Babuschek: „Dass es Morddrohungen gegen Sie geben könnte!“
Ich: „Drohen Sie mir etwa?“
Babuschek: „Neiiiiin, ich sag doch nur, dass das passieren kann, dass Sie Morddrohungen bekommen!“
Ich: „Gut. Wir wollen doch nicht, dass ich mal ein Hausverbot gegen Sie ausspreche, ne!?“
Babuschek: „Wie Hausverbot?“
Ich: „Sie haben schon verstanden, und jetzt gehen Sie!“

Seitdem haben wir Babuschek nicht mehr gesehen. Das ist bestimmt nicht von Dauer. Ich rechne derweil fest damit, dass ein von IS-Terroristen gesteuerter Kampfjet zwecks Zerstörung wichtigster Infrastruktur auf die Schokoladenfabrik einer 25.000-Einwohner-Stadt stürzt, so den Umzug eines Mannes zunichte macht, den keiner leiden kann, jemand wegen falscher Bildauswahl die Redaktion kurz und klein haut und Yoko Ono uns zu Ehren eine Titelseite macht, die eh keine Sau lesen kann.

Sonntag, 14. Mai 2017

Gegen das Rauchen

Neulich war in der Zeitung, für die ich arbeite eine Beilagenreihe zum Thema Gesundheit. Im Allgemeinen und Besonderen wurde auf verschiedene Felder eingegangen. Ein Part befasste sich mit der - nicht mehr ganz so neuen - Erkenntnis, dass Sitzen das neue Rauchen sei. 

Sitzen ist das neue Rauchen? Es soll alarmieren: sitzende Tätigkeit ist so gesundheitsschädlich wie das Quarzen. Es gibt da wohl einige Studien, es gibt Bücher und Unmengen an Artikeln. Kurzum: wer viel sitzt, stirbt früher und ist auch noch selbst daran schuld - wie beim Rauchen. Zu langes Sitzen führt zu Muskelverspannungen und Rückenproblemen, es erhöht die Risiken für Bluthochdruck, Diabetes, Arteriosklerose, Thrombosen und manche Krebsarten. Sogar Teile des Hirns sollen im Sitzen degenerieren. Na, das sind ja tolle Aussichten ...

Wie "nett", dass diese Beilage ausgerechnet zu uns Bürotieren ins Haus kam. Ich dachte ja bislang, wir hätten als Journalisten einen recht aktiven Beruf, der kaum mal von Tag zu Tag gleich ausfällt. Pustekuchen... mental beweglich zu bleiben, hat eben nix mit körperlicher Bewegung zu tun. 

Die Deutschen sitzen angeblich rund 14 Stunden am Tag, und wir Journalisten sitzen vermutlich sogar noch länger - weil die Bürotage oft länger sind. Und haben wir Termine, dann fahren wir mit dem Auto dorthin und sitzen dort wiederum beim Gesprächspartner. Und im restlichen Leben sitzen Journalisten genau wie alle anderen auch: schon beim Frühstück, dann im Auto oder in sonst einem Vehikel auf dem Weg zur Arbeit, abends gemütlich auf der Couch.

Was tun?


Ich schaue mir meine älteren Kollegen in diversen Redaktionen an und sehe, dass sie in den vergangenen Jahren in erster Linie körperlich an Format gewonnen haben. Vor allem aber berichten immer wieder ältere Kollegen von Rückenproblemen und sonstigen Erkrankungen des Bewegungsapparats. Und der nicht mal 40 Jahre alte Kollege fiel mal vier Wochen wegen einer kaputten Schulter aus. Und die hatte er sich nicht beim Tennis oder so, sondern im Büro zugezogen. Das gibt mir mit meinen 33 Lenzen dann schon zu denken ...

Ich habe mich schon vor einiger Zeit gegen das Rauchen entschieden. Ich laufe zur Arbeit. Okay, der Weg ist auch verdammt kurz. Ich fahre nach Möglichkeit mit meinem Rad zu Terminen. Okayokay, man sitzt auch auf einem Rad - aber anders, immerhin trainiert man den Muskelapparat. Ich sitze kaum eine Stunde still an meinem Rechner. Ein durchschnittlich nerviger Tag mit mir beginnt ja schon so: Ich komme in die Redaktion. Ich gehe hoch in mein Büro und lade meine Taschen ab. Ich gehe durch die anderen Büros und schaue, wen ich noch begrüßen kann. Ich gehe in mein Büro und hole mir einen Teebeutel. Ich gehe runter zum Wasserkocher und schalte ihn an. Ich gehe wieder hoch und starte meinen Rechner. Ich gehe runter und brühe den Tee auf. Ich gehe wieder hoch. Ich setze mich an den Rechner und drucke Mails aus, am liebsten auf dem Drucker der unteren Etage. Ich stehe auf und hole sie, um sie auf meinen Schreibtisch zu bringen. Ich gehe runter und hole meinen Tee. Ich setze mich wieder, beginne meine Liste an Aufgaben abzuarbeiten. Zwischendurch stehe ich auf und schaue wenige Meter weiter ins Terminbuch der Redaktion. Ich stehe auf und lese in der heutigen Ausgabe, die aufgeschlagen auf einem Regal liegt. Ich rufe den Kollegen nicht an, ich gehe rüber oder runter in sein Büro und stelle meine Frage. Ich stehe auf und mache noch einen Tee oder hole mir ein Glas Wasser. Und so geht es immer weiter ... bis ich irgendwann zum Feierabend aus der Redaktion gehe.

Und ansonsten ist da noch die Sache mit meiner Leidenschaft für tägliches Yoga. Seit geraumer Zeit gehe ich zudem fast täglich mit einer Freundin spazieren oder ich drehe allein meine Runde. Dann habe ich neuerdings die Sache mit dem Joggen entdeckt. Den Post hier schreibe ich gerade zwar sitzend, aber der Sitz erinnert irgendwie an eine Yoga-Asana, mit so verknoteten Beinen und einem weit nach vorne gestreckten, fast auf der Tastatur aufliegenden Oberkörper. 

Es könnte klappen


Diese Woche traf ich einen ziemlich drahtigen Kerl, der gestern seinen 95. Geburtstag gefeiert hat. Darüber, dass er mit 95 Jahren noch jeden Tag seinen Kleingarten bewirtschaftet und ziemlich fit ist, schrieb ich einen kleinen Artikel. Ich nahm es dem Mann nicht die Bohne krumm, dass er Allgemeinplätze wie "Wer rastet, der rostet" zum Besten gab. Jeden Tag Bewegung müsse einfach sein, sagte er, dann klappe das auch bei mir mit der 95. Spaziergänge würden nur was bringen, wenn sie "strafff" ausgeführt werden, riet er und schwärmte von seiner täglichen bis zu fünf Kilometer langen Runde. Außerdem solle ich viel Gemüse essen - am besten selbst angebautes, weil "noch mehr bio geht nicht". Und nur nicht zu lange auf meinem Hintern solle ich sitzen, reckte er mir seinen Zeigefinger entgegen, "da könn' Se ja och gleich paffen!" Ich biss dankend in eine noch sehr zarte Gewächshausgurke, schwang mich auf mein Rad und hatte ein gutes Gefühl.