Freitag, 21. Juli 2017

Das Elend mit dem Elend

Wer als Lokaljournalist arbeitet, der sollte nichts gegen Kleingärtner haben. Natürlich besteht gut gemachter Lokaljournalismus aus so viel mehr als Tauben- und Kaninchenzüchtern, Laubenpiepern und Kindergartenfesten, aber drumrum kommt man doch nie so ganz.

Ich hatte mich ja in all den Jahren als überzeugter Lokaljournalist an die Kleingärtner gewöhnt, zuletzt habe ich sie sogar richtig gemocht. Ich kenne da zum Beispiel einen von fast 80 Jahren, bei dem werden auch meine Freundinnen schwach, wenn ich nur seinen Namen erwähne … Horscht Clooney nennen ich ihn, wobei George Clooney sich vermutlich in Wirklichkeit ein Beispiel an seinem Charme genommen hat. Ich trinke eigentlich keinen Kaffee mehr, aber bei Horscht würde ich sofort Koffein in meine Venen spritzen lassen. Kaffee and the Kleinstadt? Mit Horscht jederzeit. Horscht, ach Horscht …

Ich schweife ab. Ich kann Kleingärtner nicht mehr leiden. Zumindest für diese Woche. In einem Kleingartenverein hat der Vorsitzende, jetzt Ex-Vorsitzende, eine stattliche Summe Geld veruntreut. Abbuchung um Abbuchung muss er das Vereinskonto abgeräumt haben. Von dem Geld könnte man schon mal ein schönes Auto oder so kaufen. Über den Fall wird berichtet. Kleinstadt, Lokaljournalismus, Kleingarten, ungewöhnlicher Fall, Bericht, alles klar.

Ich habe mit dem Kreisverband der Kleingärtner gesprochen, mit dem Vorstand des Vereins, mit Kleingärtnern in der Anlage, ich habe versucht den Ex-Vorsitzenden zu erreichen. Vor Kurzem war ich wieder in der Anlage. Wieder sprach ich mit ein paar Leuten, die waren auch alle ganz nett. Dann verließ ich die Sparte und fühlte mich gleich selbst kriminell.

Vor mir baute sich eine Frau auf. Wenn ich noch einmal illegal fotografieren würde, deutete die Frau auf die Kamera (mit Objektivdeckel verschlossen) in meiner Hand, dann setze es aber eine Anzeige. Ich sagte, keine Gärten oder so, sondern nur einen auch von der Straße aus einsehbaren Aushang fotografiert zu haben. Das interessiere sie einen Sch…, meinte die Frau.

Es brach aus ihr heraus. Ich würde mich am Elend bereichern, kassiere dafür noch Extra-Geld und das werde noch bestraft. Ihr aggressiver Blick ließ vermuten, dass sie mich nicht so einfach gehen lassen wollte. Ob sie sich denn noch erinnern könne, dass nicht ich das Geld veruntreut habe? Das interessiere sie einen Sch…

Sie wisse genau, dass ich dafür noch Extra-Geld kassiere. Ich würde mich am Elend bereichern, wiederholte sie. Nein, egal welches Thema, in meinem Vertrag seien keinerlei Extras wegen schlechter Nachrichten vereinbart. Dochdochdoch, sagte sie. Mein Name sei ihr bekannt und sie werde das anzeigen. Und wieder wiederholte sie: „Sie bereichern sich am Elend!“ Ob ich oder Medien im Allgemeinen … „Sie bereichern sich am Elend!“, fiel sie ins Wort. Ich setzte erneut an. Ob ich oder Medien im Allgemeinen sich denn auch am Elend bereichern würden, wenn wir über Kriege schreiben, fragte ich. Ja, "ebend", über die „Scheiß-Ausländer“ würden wir berichten. Dabei gäbe es genug Elend hier vor Ort über das man mal berichten solle.

Ich wollte mich nicht mehr auf die für mich nun doch drängende Konversation einlassen, ob sie sich da nicht ein wenig selbst widersprechen würde. Ich bin gegangen. Einfach gegangen. Manchmal ist es echt schwer Kleingeister UND den Job zu mögen, es geht vielleicht nur eins von beiden.

Freitag, 7. Juli 2017

Damals und heute

2007. 2017. Damals war G8-Gipfel in Heiligendamm. Heute ist G20 in Hamburg. Ich erinnere mich heute lieber an damals als mir das Heute anzuschauen. Damals hatte ich ein Magister-Zeugnis in der Tasche, aber keinen Job. Meine Eltern – auf die man mit 23 genauso gut hören kann wie heute mit 33 - rieten mir, mich doch für den neuen Master in Journalistik an der Uni Leipzig zu bewerben.

Ich musste damals ein Auswahlverfahren bestehen, dafür Wissenstests und vermutlich auch Wesenstests absolvieren und mich dann in der nächsten Stufe mit Arbeitsproben beweisen. Ich weiß heute nur noch, dass ich damals in wenigen Minuten einen Kommentar zum G8-Gipfel schreiben sollte. Was ich geschrieben habe, weiß ich heute nicht mehr. Aber die Prüfer damals müssen das ganz in Ordnung gefunden haben. Ich kam in die nächste Stufe des Auswahlverfahrens.

Eine Gesprächsrunde mit drei Dozenten und drei potenziellen Studenten. Reihum beantworteten wir damals allerhand Fragen, die sie uns stellten und dank derer sie über unsere Tauglichkeit entscheiden wollten.
Welche drei Journalisten wir unbedingt einmal treffen wollen würden und welche Fragen wir ihnen stellen würden, fragten sie. Die anderen beiden hantierten mit wohl berühmten, mehrfach ausgezeichneten Journalisten (die mir bis heute nichts sagen) noch namhafterer Zeitungen und legten wohlformulierte Begründungen hin. Auch sie wollten erreichen, was diese Männer (es waren vor allem Männer) geschafft haben und auch mal was Preisverdächtiges schaffen. Ich war kurz verschüchtert.

„Und Sie?“, bohrte der Prof mir gegenüber. Einen x-beliebigen aber langjährigen Society-, einen Blaulicht- und einen Lokalreporter irgendeiner kleinen Regionalausgabe wolle ich mal treffen, sagte ich und schaute die Praxis-Dozentin neben ihm an. „Ach, warum das denn?“, fragte die Gegenseite nach. Ich wolle sie alle drei einfach nur mal fragen, wie sie das mit Nähe und Distanz in ihrem Job hinbekommen und wie sie die Grenzen ziehen. Heute könnte ich meinem Damals vielleicht ein paar Antworten auf diese Fragen geben. Und heute könnten Ich und Ich einiges diskutieren.

Ich wurde damals aus der Runde angenommen. Nach kaum dreieinhalb Semestern schmiss ich das Studium und ging lieber in die Praxis. Noch heute bereue ich das nicht. Der Master Journalistik ist auch heute schon lang nicht mehr, was er damals noch zu sein versuchte. Es war mir damals – wie heute – zu theoretisch, und noch ein paar andere Dinge mehr im Argen. 

Die Erstsemesterparty war aber nicht schlecht. Wir 30 Auserwählten ließen eine Art Poesie-Album rumgehen, in dem Fragebogen unter anderem Folgendes: „Wo siehst du dich in zehn Jahren?“ Wieder schrieben die anderen von großen und großartigen Plänen, von Preisen, eigenen TV-Formaten und Hängematten auf Bali. Ich schrieb: „Als Name in der Zeitung“.