Samstag, 29. Dezember 2012

Back for Good

Das Zeitungskrisenspiel ist aus, aus, aus! Der Kollege Arbeitsehemann und ich sind nach unserer schweren Krise wieder ein Traumpaar. Zumindest hatten wir gestern unseren allerbesten Arbeitstag seit Langem, die alte gemeinsame Wellenlänge wieder. Seit Jahresbeginn sprachen wir immer mal wieder davon, die Silvesterausgabe unseres Lokalblatts mit einer Satireseite zu veredeln. So wie man sagt, man müsse doch mal mehr Sport treiben, sich gesünder ernähren oder einfach mal wieder ein gutes Buch lesen. Wir redeten und redeten darüber, taten aber nix. Zeit war ja noch ... Im Spätspätsommer fingen wir an, wenigstens auch mal daran zu denken, dass man dafür auch mal lustige Fotos von Bürgermeistern und anderen braucht und legten einen Ordner an, in dem wir zumindest diese sammelten. Die Blätter fielen wie unsere Arbeits- und Humormoral ... und plötzlich war Dezember. Wir müssten mal, waren wir uns einig und taten nix. Es weihnachtete und wir taten nix. Als nur noch vier Tage (eigentlich nur ein Arbeitstag) bis Silvester blieben, ergriff ich - die abendliche Redaktionsruhe nutzend - einfach die Initiative und bastelte ein Layout für die Seite. Ich fügte erste Fotos und Arbeitsüberschriften für erste Textideen ein, hoffte das Beste. Gestern legte ich dem Kollegen die Seite morgens auf den Tisch und fragte, ob er jetzt mitspielen will oder ich das alles allein machen soll, setzte dazu mein drohendes Entweder-Oder-Gesicht (Linke Augenbraue nach oben gezogen, böser Blick mit fast schwarzen Augen und schmaler Mund) auf und stemmte die Arme in die Seiten. Breites Grinsen war die Antwort. 

So fingen wir an, die Texte untereinander aufzuteilen, uns Tipps zu geben, Ideen zu spinnen, das Layout zu ändern, neue Fotos zu finden, Witze zu reißen, Textpassagen wieder zu löschen und neu aufzuziehen, uns gegenseitig diabolisch grinsend pure Boshaftigkeit zu unterstellen, uns neue Namen zu geben, schmutzige Witze nebenbei zu erzählen, Politiker und Stadtobere nachzuäffen, den Text des anderen zu genießen, zu lachen und zu lachen ... Wir hockten vor den Computern und schlossen die anderen Kollegen dabei fast gänzlich aus, kicherten wie kleine Schulmädchen und riefen uns ständig gegenseitig an oder stürmten ins Büro des Kollegen, um den jeweils anderen wild plappernd über den Zwischenstand zu informieren. Eine Stunde musste ich den Kollegen allein lassen und einen Termin absolvieren. Endlich zurück ging der Spaß ungebremst weiter, weil die 12-Uhr-Konferenz ausfiel. Erst kurz vor eins fiel uns ein, dass wir eigentlich zunächst einmal eine ernst gemeinte Seite für den 29. Dezember und erst dann unsere ernsthafte Lokal-Satire für den 31. Dezember zu machen hätten. Wir stümperten die heutige Ausgabe zusammen, husteten ein paar 08/15-Meldungen darauf und wälzten ansonsten möglichst viele Aufgaben auf die Kollegen ab ... und widmeten uns wieder der gemeinsamen Herzensangelegenheit, infizierten am Nachmittag sogar noch einen weiteren Kollegen mit unserem Wahn und Virus. Inzwischen ist auch ganz schnurzpiepegal, ob die Seite bei den Lesern überhaupt so gut ankommt wie wir sie selber finden ... allein der Spaß an der Arbeit war es wert!

UPDATE: Fertiges Produkt in den Händen und stolz wie Bolle. 
UPDATE-UPDATE: Fanpost und viel Lob bekommen.

Zusammenfassung für meinen Mann: Arbeit macht viel mehr Spaß als Spaß, alles klar?

Mittwoch, 26. Dezember 2012

Gedankenverlust, mit Absicht

Ein Zoo-Ausflug mit Fremdkind und Eigenkegel hat die Notwendigkeit eines Off-Topic-Posts ans Licht gebracht: Ich erinnere mich wieder ... ich hatte vor meinem besten Job der Welt auch schon den zweitbesten Job meiner Welt. Das abgebrochene Journalistikstudium habe ich mir die fast zwei Jahre des Durchhaltens nur am Rande mit Artikeln (kein Mensch kann von nebenberuflichen Zeilenhonoraren leben!) und hauptsächlich mit einem Studentenjob als Verkäuferin im Zoo finanziert. Ich war, mit einer ganzen Kollegenschar, Herrin über eine ganze Armee von Kuscheltieren. Ich durfte Wege gehen, die dem gemeinen Zoobesucher mit Verbotsschildern verborgen bleiben. Hinter den Kulissen ist ein Zoo mit seinen betonierten Wegen und Gittern, Futtereimern und Besen zwar nicht deutlich aufregender als davor ... aber ein Hauch Exklusivität brachte das Eilen in safarigrüner Uniform schon mit sich. Drei verschiedene Shops gab es damals im Zoo, in einen ließ ich mich besonders gerne einteilen ...

... in den Sommermonaten wurde ein paar Meter neben der asiatischen Elefantenanlage des Zoos aus einem Bretterverschlag verkauft, was das Herz der Touristen, Zoogänger und Tierfreunde begehrt: geschnitzte Dekodickhäuter, Elefantenfiguren aus (Speck)Stein, Tücher, Kissen, Wimpel, Windspiele, Räucherstäbchen, aus Dung hergestelltes Papier ... und möglichst überall Elefanten drauf. Hunderte Menschen walzten täglich am Stand vorbei, Tausende Euros blieben in der Kasse. Irgendwann nahte immer mit der Lautsprecherdurchsage, dass der Zoo bald schließt der Feierabend und der allerallerbeste Moment der ganzen Arbeit ... und der eigentliche Grund, den nicht sonderlich gut bezahlten Job (5,50 Euro die Stunde) überhaupt angenommen zu haben. Gute Vorbereitung ist alles: Wechselgeldkontingent schon lange vor der Durchsage wieder sauber in die Geldkassette einsortieren, Verschlag schon lange vor der Durchsage in Ordnung bringen, Besen schon lange vor der Durchsage schwingen, Tageseinnahmen schon lange vor der Durchsage kontrollieren. Mit der Durchsage, die eigentlich Startsignal für die Arbeiten sein sollte, kam die ersehnte Ruhe für den Abstecher zur Anlage. Man konnte von einer kleinen Plattform aus perfekt auf die Elefanten und nur leidlich auf den Laden schauen ... kein gern gesehenes Verhalten. Doch: Nichts auf der Welt strahlt mehr Ruhe aus als ein Elefant. Fünf unbezahlbare Minuten. Mindestens. In meinem Kopf war dann immer absolute Leere und Stille.

Ein paar Jahre später konnte ich, dem besten Job der Welt sei es gedankt, einen Artikel über einen Zirkus schreiben, der sein Winterquartier in meiner Heimatstadt aufschlug und endlich einmal einen afrikanischen Elefanten anfassen, die raue Haut berühren und unter den Fingern spüren. Der Elefant war in Ketten gelegt. Die Leere und Stille kam nicht ... mehr ...

Zusammenfassung für meinen Mann: Ein paar Stundenlöhne habe ich damals als mein bester Kunde gleich im Zoo-Shop gelassen.

Montag, 24. Dezember 2012

Oh, ich Sentimentale!

Bumsdirumtadah! Weihnachten und seine allgemeine Gefühlsduseligkeit hat nun auch mich eiskalt erwischt und ein wenig ganz schön doll sentimental gemacht. Darum ist es an der Zeit für einen verhältnismäßig rührenden und ironiefreien Post. Es ist Zeit für einen Dank an Euch alle. Euch, meine lieben Leser! Die, die mich hier lesen und die, die mich obendrein auch noch in der Zeitung lesen:

Vielen Dank, dass Ihr mich überhaupt lest - meistens sogar freiwillig. Vielen Dank, dass Ihr auf meine Blog-Texte und Artikel reagiert - meistens vergnügt und mit lobenden Worten, die ich wie ein kleines Kind aufsauge, weil ich noch immer an mir selbst zweifle und nicht glaube, dass ich schon gut genug bin. Vielen Dank, dass Ihr mir sagt oder schreibt, dass Euch ein Zeitungsartikel wirklich berührt hat. Vielen Dank, dass Ihr sagt oder schreibt, ob ein Artikel eher langweilig ist. Vielen Dank, wenn Ihr sagt oder schreibt, dass ein Kommentar zu zahm ist. Vielen Dank, dass Ihr ertragt, dass ich bei solcher Kritik oft zuerst schnippisch und erst später einsichtig werde. Vielen Dank, dass Ihr sagt oder schreibt, dass ein Witz in der Wochenendkolumne nicht zündet. Vielen Dank, dass manche von Euch sie schon vorab lesen und verbessern. Vielen Dank, dass Ihr sagt oder schreibt, ob Euch ein Blog-Eintrag zum Lachen gebracht hat. Vielen Dank für all Eure Anregungen und gelieferten Ideen für Artikel in der Zeitung und Postings hier - ob nun bewusst oder unbewusst. Vielen Dank für Eure konstruktive Kritik an meiner Arbeit, sie lässt mich auch nach ein paar Jahren in diesem Job immer besser werden - nicht von Tag zu Tag, aber stetig. Vielen Dank für das Aufzählen all der Worte, die ich viel zu oft benutze - ich zucke jetzt neuerdings immer kurz zusammen, wenn ich mal wieder versucht bin, eines dieser Kopfschuss-Worte in die Zeitung zu bringen. Vielen Dank, dass Ihr mir das Gefühl gebt, vor allem hier nicht sinnlos und ungelesen ins Weltall zu schreiben. Vielen Dank, dass Ihr an diesem Blog ungefähr so viel Spaß habt wie ich. Vielen Dank, dass ich wegen Euch mit ganzem Herzen machen kann, was ich am liebsten mache: Schreiben. Vielen, vielen Dank!


Puh, das war jetzt aber wirklich ein bisschen weinerlich wie bei der Oscar-Verleihung, fehlte nur noch der Dank an den lieben Gott - noch dazu dieses kitschige Foto. Egal. Ich stehe dazu. Ihr habt es echt verdient! Warum aber wirft das Herz auf meiner Brust so blöde Falten? Sollte ich das Shirt mal bügeln? Auch egal. Frohes Fest!

Zusammenfassung für meinen Mann: Es ist doch Weihnachten, das musste einfach mal raus - du könntest jetzt aber durchaus mal kurz peinlich berührt nach unten gucken.

Samstag, 22. Dezember 2012

Benimm dich!

Vom richtigen Verhalten als hinten sitzender Pressevertreter in kommunalpolitischen Gremien:


Korrektes Benehmen:

  • Ruhig sitzen. Ruhig bleiben. Keine bis maximal leichte Miene verziehen, Pokerface. Fleißig jede Einzelheit mitschreiben. Beschlussvorlagen nach und nach abhaken, gründlich mitlesen. Wenn nicht alle Vorlagen zur Verfügung gestellt werden: brav danach fragen. Keine Unterhaltungen führen - weder mit dem Kollegen noch mit umsitzenden Politikern. Bereitgestelltes Wasser genießen. Anschließend kleine Recherche- und Geplänkelgespräche mit Lokalpolitikern führen und gehen. 

 

Jacobs Weg:

  • Gesicht Bände sprechen lassen. Gelegentlich lautes Lachen unterdrücken und durch breites Grinsen ersetzen. Wenn es besonders schlimm wird: eigene Stirn demonstrativ auf die Tischplatte hauen. Nur mitschreiben, was einen interessiert. Kleine Kringel und Kritzel, bei Bedarf Comicfiguren ins Notizbuch malen. Beschlussvorlagen weitgehend ignorieren. Wenn nicht alle Vorlagen zur Verfügung gestellt werden: aufstehen und sie dem nicht anwesenden NPD-Stadtrat vom Tisch klauen. Kollegen und Umsitzende mit Randbemerkungen zum Schmunzeln bringen/sich selbst zum Schmunzeln bringen lassen. Selbst mitgebrachte Verpflegung, am besten Capri-Sonne. Anschließend Lokalpolitiker mit geheucheltem Interesse für sein iPad zum Posen provozieren und sich auf fünf Meter blickkontaktend mit einem anderen darüber lustig machen. Einfach weg.
Zusammenfassung für meinen Mann: Ja, ich weiß, dass ich nervig bis infantil bin, so what?

Freitag, 21. Dezember 2012

Eins werden mit der Geschichte

Es wird jetzt richtig weihnachtlich. Der Kollege hat den Jackpot gezogen und darf sich der familiären Harmonie durch Sonntags- (Ausgabe für Heiligabend) und Feiertagsdienst (Ausgabe für 27. Dezember) entziehen. Ich habe nur den Sonntagsdienst am 30. Dezember gewonnen. Der kollegiale Anstand aber verlangt, dass ich was da lasse. Damit der Kollege - es ist doch Weihnachten! - nicht die ganze Zeitungsseite ganz allein vollschreiben muss. Die Regel greift für einen 30. Dezember wahrscheinlich nicht, fürchte ich. Kein Ding. Hab da ja diese Story zum Thema trockene Alkoholiker in der Glühweinweihnachtszeit im Block. Im Block. So nennt der Journalist jene Geschichten, die er sich in seinem Notizbuch notiert und fertig recherchiert hat, aber eben noch nicht geschrieben hat. "Trocken in der Suffzeit", so mein Arbeitstitel. Nun ist es 150 Zeilen seltsam selbstverarschendes Journalistengestümpere geworden, das der Kollege nun da hat.

Geboren wurde die Idee zur Geschichte nach einer redaktionellen Weihnachtsfeier, die mit zwei grunzenden Kollegen auf meiner Couch endete, nachdem wir zu dritt noch eine - wenigstens schon angebrochene - Wodkaflasche tilgten. Teambildung für Fortgeschrittene. Den Termin mit der Selbsthilfegruppe Trockener trat ich an einem Abend an, dem ein redaktioneller Mittagssekt vorausgegangen war. Den Artikel selbst ging ich nun heute an, nachdem ich mir gestern aus gegebenem Anlass schon vor Besuch der Lokalpolitik-Sitzung im heimatstädtischen Rathaus noch einen redaktionellen Glühwein mit einem der grunzenden Couch-Kollegen genehmigt hatte, weil wir ja jetzt Kumpels wie Sau sind. Zum Ausgleich dafür lehnte ich den redaktionellen Mittagswein (trocken, weiß, kalt) - es ist doch Weihnachten! - heute auch nicht ab. Aber der Artikel ist gut.

UPDATE: Story kam bis hinauf in die Chefetage gut an.

Zusammenfassung für meinen Mann: Das klingt jetzt aber versoffener als gewollt, ich würde es insgesamt einfach lebenslustig bis lebenshungrig nennen - übrigens, couchen mit Kollegen ist nicht verboten.

Dienstag, 18. Dezember 2012

Erkenne dich selbst

Bei der Recherche für eine Geschichte zum Thema trockene Alkoholiker in der glühweingeschwängerten Weihnachtszeit auf einen sehr interessanten Link gestoßen: Zehn Fragen zur Arbeitssucht vom Journalist. Uiuiui ... es stimmt dann doch einen kurzen Moment bedenklich, was da so steht ...
"Der Süchtige arbeitet vor allem zum Selbstzweck und erreicht so einen Gefühlszustand, der ihm etwa Selbstbestätigung vermittelt oder Sicherheit gibt. Für einen Arbeitssüchtigen steht die Arbeit an erster Stelle – und danach kommt lange nichts."
Stimmt! Denn wir Journalisten sind jobtechnisch eitel, extrem. Wir stehen ja darauf, unseren eigenen Namen in der Zeitung zu lesen - wenn wir nicht genug von der Selbstdarstellung bekommen können, bloggen wir einfach. Im Idealfall wollen wir den eigenen Namen in der Zeitung möglichst oft erleben und drängen mit unseren Artikeln auf die Zeitungsseite wie die Oma im Schlussverkauf an den Grabbeltisch. Wir stehen einfach auf Bestätigung, wir wollen gelobt werden - von den Kollegen in der Blattkritik, am besten noch vom Leser - dem Lob anderer folgt quasi die Selbstbestätigung auf dem Fuße. Schön ist es auch, in einem anderen Medium zitiert zu werden. Der Satz "Wie die XY-Zeitung berichtet ..." ist ein wahres Heiligtum. Im Lokaljournalismus ist der Gral kaum zu erreichen, dafür werden wir zum Glück aber gerne mal in Stadt- und Gemeinderäten zitiert. Der Satz "Sie haben ja sicher alle in der XY-Zeitung gelesen" vom Bürgermeister ist dann gute Ersatzdroge. Geht aber auch mal so: Wenn wir merken, dass eine Geschichte gut ist, sitzen wir breit grinsend an unseren Computern und klopfen uns selbst auf die Schulter. Oder wir rennen zu unseren Kollegen und pranzen rum, was wir da wieder Heißes aufgerissen haben wie der hormongesteuerte Anfangszwanziger in der Disco. Und in der Tat sind nicht wenige von uns mit ihrem Job verheiratet. "Das ist mein Job" bekommt nicht selten mal gefühligeren Klang als "Das ist mein Mann/Kind/Haus/Auto/Hund". Erst die Arbeit und damit das Vergnügen! Arbeitssüchtig sind wir Journalisten wahrscheinlich alle und durch die Bank weg. Es legt sich höchstens mit den Dienstjahren.
"Anspruchsvolle, kreative Berufe mit flexiblen Arbeitszeiten und Berufe, in denen sich Menschen stark mit ihrer Arbeit identifizieren, sind generell anfälliger für Arbeitssucht als andere."
Ist doch eigentlich selbsterklärend. Natürlich ist der Job anspruchsvoll. Natürlich ist er kreativ - drum ist er ja so toll. Natürlich identifizieren wir uns mit unserer Arbeit. Wäre auch schlimm, wenn es anders wäre. Unsere Arbeit immerhin ist auch eine öffentliche Arbeit. Die Fehler, die wir machen, stehen dummerweise in der Zeitung. Wir identifizieren uns mit unseren Artikeln, manche davon sind wie eigener Nachwuchs. Wir denken Jahre später noch vergnügt an die ganz großen Nummern unserer Karriere. Und flexible Arbeitszeiten? Ja, so kann man es nennen, wenn der Arbeitstag gerne mal um neun Uhr morgens beginnt und zwölf bis 14 Stunden später nach einem Gemeinderat endet und die Woche ihr Finale im Sonntagsdienst erlebt. Wir verbringen einfach mehr Zeit auf Arbeit als in den eigenen vier Wänden und fühlen uns sogar ziemlich gut dabei. Wir langweilen uns sonst. Und schnell werden bei uns aus Quellen Bekannte und Freunde und aus Bekannten und Freunden Quellen. Der Rest unserer Freunde sind die direkten Arbeitskollegen, mit denen wir so viel Zeit verbringen, oder andere Leute aus der Branche. Privat- und Berufsleben verschmelzen einfach, bis wir es kaum mehr trennen können.
"Zeichnet sich erst der Beginn einer Arbeitssucht ab, können sich Betroffene möglicherweise noch selbst aus der sich anbahnenden Abhängigkeit befreien."
Wir wissen es. Und handeln doch dagegen. Wir wissen, dass wir schwer abschalten können. Und sitzen doch im Urlaub und konsultieren eine andere Zeitung allein nach den Gesichtspunkten, was wir uns dort abgucken könnten und welches Thema wir in unserem Blatt mal umsetzen könnten. Wir schauen Nachrichten und überlegen, welches Thema wir lokal runterbrechen können, wie es so schön heißt. Wir unterhalten uns mit Menschen und lassen unsere Themenuhr mitlaufen, sind dankbar für jede Anregung, die sie uns bewusst oder unbewusst liefern. Wir schreiben unseren lieben Kollegen an freien Tagen Mails mit gut gemeinten Tipps und Ideen. Wir rennen an unseren freien Tagen in Stadträte, damit wir nix verpassen. Wir opfern Urlaub für Geschichten. Oder wir sitzen in unserer Freizeit am PC und bloggen noch nach einem Tag, der 300 Zeitungszeilen aus uns gequetscht hat. Und wir genießen es. Es erfüllt uns. Punkt.

UPDATE: Stadtrat: Das eigene Blatt mindestens fünfmal erwähnt, yes!

Zusammenfassung für meinen Mann: Ich werde trotzdem nicht den Vorsatz für 2013 fassen, weniger zu arbeiten.

Samstag, 15. Dezember 2012

Kopfschuss goes on

Der Schulterschluss mag auf dem Friedhof der Floskeln beerdigt sein. Doch nicht auszuschließen, dass der muntere Metaphernprotz* in einem Moment der Schwäche wieder aufersteht. Denn zu viele seiner Art - der Art der sinnfrei ausgelutschten Sprachbilder - sind noch zu beerdigen. Das beweist das kleine Studium der aktuellen Wochenendausgabe:

  • "Bundesrat macht Weg frei für NPD-Verbotsverfahren" steht als Überschrift auf der Titelseite. Wie genau sieht dieser freie Weg aus? Ist es ein Feldweg? Eine gepflasterte Straße? Autobahn? Holperpiste? Musste der nun freie Weg noch gefegt werden? Mit Kehrmaschine? Lag Gerümpel auf dem Weg? Oder musste noch eine Schranke bedient werden? Hat der Bundesrat den Weg zuvor in Türstehermanier blockiert? Was ist mit Schlaglöchern?
  • "Jetzt ist Karlsruhe am Zug:" lautet der Einstiegssatz zugehöriger Meldung. Was genau wird die Stadt jetzt tun? Steht sie an einem Bahnsteig? Hat sie einen ICE erreicht? Oder steigt sie in eine Bimmelbahn? Oder zieht sie einfach nur eine Zigarette durch?
  • "Bundesrat gibt grünes Licht für neues Verfahren zum NPD-Verbot" ist wiederum die längere Meldung überschrieben, auf die die angesprochene Titelmeldung ins Innere der Zeitung verweist. Dieser Bundesrat also ist im Besitz einer funktionstüchtigen Ampelanlage? Oder ist er selbst die Signalanlage? Gibt es denn auch gelbes Licht? Und was passiert bei rotem Licht? Gibt es auch einen Ampelpfeil für Rechtsabbieger?
  •  

* Inka Bause lässt schön grüßen!

Zusammenfassung für meinen Mann: Ich schenke mir selbst zu Weihnachten ein neues Synonymwörterbuch.

Donnerstag, 13. Dezember 2012

Kopfschuss Schulterschluss

Kritikfähig? Nee! Das ist jetzt nicht so unbedingt Stärke dieser Journalistin hier. Doch heute fiel es mir dann auch mal auf, dass Kritik ja nicht unbedingt unangebracht ist. Ich hab da eine Floskel (vermutlich nicht nur eine), der sollte ich einen Kopfschuss verpassen und sie dann beerdigen: 
Ruhe sanft, Schulterschluss!
Es heißt, ich verwende das Wort Schulterschluss ganz gerne. Der Kollege Arbeitsehemann nimmt es auch gerne. Es ist ja aber auch so, so bequem, immer wieder ein Wort zu verwenden, statt nach einem neuen Begriff zu suchen. Der Schulterschluss, der hat ja sogar Bedeutung. Als Wort für Zusammenhalt. Es ist doch nett, wenn Menschen zusammenhalten!? 

Nun ja, nett - sagt eine ebenso ausgelutschte wie leider wahre Floskel - ist der kleine Bruder von scheiße. Ich saß heute einer Frau gegenüber, die informierte auf Anfrage - so eine nette Floskel, damit wirklich jeder Leser schnallt und Beifall klatscht, dass wir Journalisten da ganz, ganz allein auf die Idee zum bisschen Nachfragen gekommen sind - zu einem Riesenfest, das im Herbst 2013 in meiner kleinen Stadt steigen soll. Groß genug jedenfalls soll es werden - drum braucht es Organisation und Hilfe. "Wir haben den Schulterschluss mit dem Landratsamt gemacht", sagt die Frau. Aha! Sie und ihr ganzer Mitarbeiterstab also haben ihre Schultern gegen ein Gebäude gepresst, sich an den kalten Stein geschmiegt, ganz, ganz dicht, da passt - nette Floskel - kein Blatt Papier mehr dazwischen.
Ruhe sanft, Schulterschluss!
Zusammenfassung für meinen Mann: Journalismus, das ist mir heute wieder aufgefallen, ist manchmal auch nur dumme Fließbandarbeit.

Dienstag, 11. Dezember 2012

Der große Unbekannte

Zwischenmenschlich läuft es eher kompliziert bis gar nicht zwischen uns Journalisten und unseren Lesern. Weniger Beziehung geht eigentlich gar nicht. Wir kennen uns nämlich gar nicht! Nun gut, im Lokalen mit seinen Gartenzäunen und privatberuflichen Verquickungen weicht das natürlich gerne mal auf, bringt der konstruktiven Kritik aber auch nicht viel - was schließlich nützt es, wenn der Nachbar oder flüchtige Bekannte das allgemeine Blabla zum Wetter mit einem kleinen Gefälligkeitslob des jüngsten Textes einleitet? Im Kern der Sache bleibt eine bittere Erkenntnis für uns Printjournalisten: Der Leser ist der große Unbekannte in unserer kleinen Zeitungswelt. Wir kennen den Leser nicht! Wir kennen nur seine Zahl, nennen es Auflage und bekommen das große Zittern, wenn diese sinkt ... und das tut sie eigentlich immer. Wir wissen nicht, was der Leser von uns erwartet, was er mag, wie er uns und was er haben möchte. Der Leser, das unbekannte Wesen ...

Als Zeitungsmacher weiß man trotz regelmäßiger redaktionsinterner Blattkritik kaum, ob die eigenen Artikel nur von den eigenen Kollegen (schon das ist kaum zu beweisen) oder tatsächlich von den eigenen Lesern gelesen werden - ob sie gut oder schlecht ankommen, weiß man also auch nicht. Abhilfe können auch wissenschaftliche und teure Verfahren schaffen, die uns den Leser näher bringen sollen. Der Readerscan kann mittels ausgefeilter Elektronikspäße genauestens aufzeigen, was gelesen wird oder wo im Text der Leser aussteigt - am Ende steht eine Lesequote, die auch in meiner Redaktion grad wieder diskutiert wird. Schön. Aber: Am liebsten aber würden wir Journalisten das alles gar nicht so genau wissen. Wir haben alle zu großen Schiss! Ich jedenfalls. Es könnte ja rauskommen, dass ausgerechnet man selbst gar nicht gut ankommt und ausgerechnet uns keiner in der Zeitung sehen will. Die Eindrücke solcher Scans in den vergangenen Jahren lassen sich aber, Geld kann man ja sparen, aufs Printwesen insgesamt übertragen. Was also tun, wenn der Leser mehr Sex & Crime haben will? Jedem Polizei- und Feuerwehreinsatz hinterher und richtig blutige Fotos machen, die dann nebst detailreicher Beschreibung des verunglückten Fahrzeugs und Opfers in der Zeitung erscheinen? Dazu noch ein bisschen boulevardesk im Privatleben des Verunglückten stöbern, notfalls Schmiergeldchen zahlen und dann Zeilen wie "Mann schrieb noch schmutzige SMS an seine Geliebte, war abgelenkt und fuhr gegen Baum" in die Zeitung rotzen? Die schmutzige SMS dann ganz exklusiv online auf dem Nachrichtenportal der eigenen Zeitung veröffentlichen, damit alle Seiten des Verlags was Gewinnbringendes davon haben? Dann muss man sich abends wahrscheinlich den Mund mit Seife ausspülen oder sich regelmäßig das eigene Hirn mit Alkohol betäuben ... Job ist aber Job. Was tun, wenn der Leser uns einfach anschwindelt, weil er ja trotz unserer Nichtbeziehung nicht schlecht vor uns dastehen will und behauptet, er stehe ja total aufs Hochtrabende, schätze unseren Intellekt und tiefsinnige Essays? Dann mühen wir uns eben damit ab, heben alles auf ein intellektuelles Podest und schreiben doch an der breiten Masse - die unsere Jobs letztlich (mit)finanziert - vorbei.

Doch nicht nur diese Grundlinien sind große Unbekannte des Printwesens geworden. Etliche Fragen türmen sich vor uns Zeitungsmachern auf. Wir alle stellen sie uns, mal öffentlich, mal im stillen Kämmerlein unseres geistigen Hinterstübchens. Wie lang oder kurz sollte ein Text sein? Mögen die Leser klein- oder großteilige Layouts? Wollen sie gerne mal intellektuell gefordert werden, lesen sie gerne mal zwischen den Zeilen? Oder muss alles einfacher werden? Sich der Schnelllebigkeit anpassen, in wenigen Minuten zwischen Kaffee, PC und Morgenmagazin konsumierbar sein? Sollen mehr und größere Bilder in die Zeitung? Ist die Sportseite wirklich wichtig? Die Kulturseite? Macht der Bericht über ein Kita-Fest irgendeinen Sinn? Wollen ihn nicht mal die Eltern und Großeltern haben? Wen interessiert eigentlich der Bericht vom Weihnachtsmarkt, wenn er doch selbst dort zu Besuch gewesen sein kann? Werden am Ende vielleicht nur die Traueranzeigen gelesen? Welchen Stil bevorzugen die Leser? Locker und flockig? Amtlich und trocken? Was ist ein guter Text? Was ist ein schlechter Text? Was können wir besser machen? Was sollten wir lieber lassen? Ist die Zeitung zu ernst? Sollte mehr Witz rein? Macht eine Kolumne Sinn? Ist die Meinung und Sichtweise des Journalisten überhaupt gefragt? Kommen die eigenen Ideen eigentlich an? Wer kommt bei den Lesern an und was ist sein Geheimnis, sollten wir alle so schreiben? Was nervt den Leser nur? Wird die Arbeit geschätzt oder ist sie wirklich Wegwerfprodukt? Mehr knallharte Recherchen, die einem Leser die Schlechtigkeit der Welt aufzeigen? Oder mehr heile Welt, kuschelig und flauschig? Mehr personalisierte Geschichten über den Mann ums Eck? Mehr Verlautbarungen der Mächtigen? Was will der Leser eigentlich? Am Ende bleibt eine Frage:  
Mehr oder weniger?  
Mehr oder weniger Zeitung, mehr oder weniger (Qualitäts)Journalismus?

UPDATE: ... to be continued ...

Zusammenfassung für meinen Mann: Die Antworten auf all die Fragen könnten langfristig meine Jobwelt sichern - könnten!

Samstag, 8. Dezember 2012

Wenn's nicht läuft, dann läuft's nicht

Bilanz einer beschissenen Woche:
  • Montag, Arbeitscomputer gibt gegen 15.00 Uhr mit einem leisen Zischen seinen Geist auf, Bildschirm schwarz, Rechner mausetot. Der täglich die Außenredaktionen abfahrende Kurierfahrer, der Post und defekte Geräte mit ins Haupthaus zu den entsprechenden Stellen nimmt, hat vor fünf Minuten die Lokalredaktion verlassen. Wechsel an einen anderen freien PC, Anmeldung unter dem eigenen Namen ist dort möglich, dennoch Feststellung: Großteil des eigenen Arbeitsprofils (Mails, Kontakte, Texte) ist zerstört.
  • Dienstag, Versuch der Arbeit am Rechner der in freien Tagen weilenden Kollegin, nix funktioniert. EDV-Mann sagt, dass mein Arbeitsprofil mit ihrem wohl nicht kompatibel ist. Ich sage, das sei mir immer klar gewesen. EDV-Mann und ich verbringen eine gemeinsame Fernwartungsstunde miteinander am Telefon, dann geht der Rechner doch. Versuch regulärer Arbeit nachzugehen, Griff zum Telefon. Gegen 16.30 Uhr gibt das Telefon mit dem kurz flackernden Erlöschen seines Displays den Geist auf.
  • Mittwoch, Telefon ist getauscht und funktionstüchtig. Es ist mal an der Zeit, einen Text auszudrucken, Drucker speit gegen 11 Uhr plötzlich Fehlermeldungen, aber kein Papier. EDV-Mann sagt, da sei wohl der Wurm bei mir drin. EDV-Mann und ich verbringen wieder eine gemeinsame Fernwartungsstunde miteinander am Telefon. Zeit für Schwätzchen bleibt. EDV-Mann hat übrigens drei Kinder und seine Frau schon alle Weihnachtsgeschenke gekauft. Aha, wie schön. Drucker macht wieder seine Arbeit. Laune steigt nachmittags wieder deutlich nach oben - mache ein paar blöde Witze mit dem Kollegen, wir könnten auch mal wieder eine richtig tolle Polizeimeldung gebrauchen und die Feuerwehr sei ja auch schon lange nicht mehr im Einsatz gewesen, Zunder sei doch immer ein schönes Foto. Zehn Minuten später geht die Sirene. Kollege schimpft mich blöde Kuh.
  • Donnerstag, läuft bis 15 Uhr ohne Zwischenfälle. Internet funktioniert plötzlich nicht. Fällt natürlich auf, Kollege ruft an: "Hast du das Internet kaputt gemacht?" Kann sein. Ist aber blöd, wenn das Layout-System internetbasiert läuft. EDV-Mann sagt aber, das sei an diesem Tag wohl ein generelles Problem und "nicht unbedingt" (O-Ton) meine Schuld. Behebung folgt.
  • Freitag, läuft ohne besondere Vorkommnisse. Abends journalistischer Besuch auf dem Weihnachtsmarkt der Heimat- und Arbeitsstadt. Gelegentlich fällt dort wohl der Strom an einigen Büdchen und Teilen des Bühnchens aus. Was würde der EDV-Mann wohl dazu sagen?
UPDATE: Selbstabsturz am Samstag.

UPDATE-UPDATE: Rechner, repariert, ist nach fast zwei Wochen PC-Nomadenschaft an fremden Computern seit dem 14. Dezember 2012 wieder da, habe ihn selbst angeschlossen und er funktioniert trotzdem:

 
Zusammenfassung für meinen Mann: So ein bisschen Selbstmitleid ist ja wohl mal erlaubt, es hat auch gar nicht dolle gebrannt und die elektrischen Geräte Zuhause funktionieren noch!

Samstag, 1. Dezember 2012

Wutheulen

Adventskalender versetzen mich in Krisenalarm. Alle Jahre wieder? Bitte nicht! Am 1. Dezember 2012 ist die Zeitungskrise allerorten greifbar, sogar den allmächtigen Spiegel hat sie erwischt. Am 1. Dezember 2011 erlebte ich meine persönliche Zeitungskrise. Mir, ausgestattet mit einem bis Ende 2012 befristeten Vertrag, wurde binnen weniger Wimpernschläge greifbar, was es eigentlich heißt, wenn die Branche kriselt:

Einen Tag zuvor hatte jeder Mitarbeiter Post vom Verlag bekommen - einen Adventskalender und ein standartisiertes Schreiben, Mitarbeitern wie unsereins sei es zu verdanken, dass das Unternehmen schwarze Zahlen schreibt. Am Nachmittag verdichtete sich eine einige Tage zuvor aufgetauchte Nachricht über Stellenabbau im Verlag zur Gewissheit. Das erste Türchen grad geöffnet, saß auch schon der Betriebsrat in unserer Lokalredaktion. Punkt 12. Ausgerechnet. 30 Stellen in der gesamten Redaktion müssten weg, sagte der Mann, blieb dabei ganz ruhig - ich nicht, mein Herz begann zu rasen. Lösung des Verlags: Altersteilzeit und Streichen der befristeten Stellen. Mit dem jeweiligen Vertragsende alles aus und vorbei, Diskussionen und bisheriges Bemühen um Verlängerung aussichtslos. "Wir kämpfen für jeden einzelnen von Euch", sagte der Mann noch, "aber nicht für die Befristeten, da können wir leider nix machen!" 

Meine Schläfen fingen an zu pochen, ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen, mein Herz rumpelte, setzte kurz aus, mein Magen krampfte sich zusammen, der Mund wurde trocken, die Adern an den Händen traten hervor, der Puls kletterte weiter ... und plötzlich kullerten die Tränen. Einfach so. Unkontrolliert. Wutheulen! Peinlich, dumm, emotionsgeladen, selbstmitleidig, eklig, trauriger Anblick ... und doch unvermeidbar. Direkt neben mir saßen nach meinem Dafürhalten schließlich ausgerechnet jene Kollegen, die grad kaum den Anschein machten, diesen Job nicht als nine to five zu betrachten. Kollegen mit unbefristeten Verträgen. Kollegen, die jetzt tröstend gemeint Dinge wie "Vielleicht solltest du ja ganz was anderes machen" oder "Du kannst doch erst mal Kinder kriegen" von sich gaben. Kollegen, mit denen nicht Schluss gemacht wurde. So eine Zeitungskrise ist verdammt ungerecht. Ich will nix anderes und ich will auch keine Kinder!

Nichts anderes als "Warum ich?" konnte ich denken! Ich, seit Kindertagen verliebt in diesen Job. Ich, überzeugt von mir selbst. Ich, talentiert. Ich, bissig. Ich, gut. Ich, engagiert. Ich, zuverlässig. Ich, anders als andere. Ich, beliebt bei vielen Lesern. Ich bin nicht mehr gewollt? Ich. Ich. Ich ........... Ich verließ den Raum, wischte die Tränen ab und ging zum nächsten Termin. Das "Warum ich?" blieb. Ich, verliebt, verlobt und verheiratet mit meinem Job, fühlte mich verlassen. Als hätte der Job, der (ich Naivling wusste es ja eigentlich mit einem Blick in den Vertrag) nicht mal eine dauerhafte Beziehung mit mir eingehen wollte, mich jetzt einfach so sitzen gelassen. Ich wäre am liebsten raus vor die Tür gegangen und hätte meinem Job das Auto demoliert, den Lack mit dem Schlüsselbund zerkratzt und den Seitenspiegel mit einem Ruck abgetreten. Blöderweise bin ich real und der Job "nur" ein Job, der mir schlimmsten Liebeskummer bescherte, weil er sich betriebswirtschaftlich logisch denkend einfach für andere Partner entschieden hatte. Partner, mit denen er schon lange verheiratet war und denen er Unsummen bei der Scheidung zahlen müsste. Also brachte ich den Tag zu Ende, schrieb und redigierte, las Korrektur, layoutete und produzierte. Weil ich den Job nicht ohrfeigen konnte, obwohl der es ja (wie ich fand) echt verdient hätte, setzte ich mich nach getaner Arbeit in mein Auto und peitschte mit 130 Sachen über die Landstraße, fluchte und tobte, fuhr aggressiv und (selbst)zerstörerisch. Später suchte ich Daheim Trost in einer Flasche Wodka. Da ich seit Punkt 12 nicht mehr gegessen hatte, reichten drei Gläser locker für den kompletten Knock-out. Ich musste mir Stunden später alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen und verbrachte die restliche Nacht auf dem Badezimmerfußboden meiner wutheulenden Tatsachen. Am nächsten Tag stand ich auf und machte weiter. So wie vorher. Ich arbeitete nicht schlechter, weil es ja eh egal sei. Ich arbeitete nicht besser, weil es ja für mich sprechen könnte. Ich blieb ich. 

Fast ein Jahr lang lebten der Job und ich in Trennung. Dann sah er nach Lob- und "Liebes"briefen meines Lokalchefs endlich mal genauer hin und bot mir zumindest eine Affäre als Pauschalistin an. Geht doch! Wenigstens was. Eines Tages wird der Job mir vielleicht doch noch einen Antrag machen ...

Zusammenfassung für meinen Mann: Egal, wie blöd es manchmal läuft und was ich auch schimpfe, so liebe ich doch meinen Job - (m)ein verletzter Stolz ist einfach eine schlimme Sache.