Montag, 30. September 2013

Großarschiger Tag

Wer die Erholungseffekte eines an sich netten Wochenendes mit so Dingen wie angetüdelt Sterne glotzen schnellstmöglich und effektivstmöglich zunichte machen will ... ähm, der werde doch bitte einfach Journalist.

Denn die Vernichtung jedweder Schönheit, die eigene - sofern vorhanden - inbegriffen, funktioniert irgendwie kreislaufig. Der eine Journalist raubt dem anderen die Erholung. Das geht positiver Natur (siehe Einleitung) oder negativer Natur (siehe meine Augenringe, die kraus gezogene Stirn, die genervt gehobene Augenbraue, immer ich).

Das Wochenende war verlängert. Mit dem Kollegen Arbeitsehemann war abgesprochen, dass meinem verlängerten Wochenende sein verlängertes Wochenende folgt - man braucht ja auch mal Abstand. Zudem war abgesprochen, dass ich mindestens eine Stunde später als sonst üblich in der Redaktion erscheine und der dritte Kollege mit der anderen Kollegin derweil loslegt. Dazu hatte der Kollege Arbeitsehemann dem Kollegen eine Liste geschrieben und einen Layoutplan entworfen, zudem bat er um Themenvorschläge für die Mittagssitzung mit dem großen Chef.

Ich erscheine um zehn Uhr irgendwas, ja ich erscheine, also knapp 80 Minuten später als sonst in der Redaktion. Und? Ernte ich die Feststellung, dass die Post (stapelweise an Montagen) noch nicht mal angerührt wurde und jungfräulich in ihrem Fach liegt. Zur Begrüßung gibt es ein "Hast du was für die Randspalte? Eine Aufmachung könnten wir eigentlich auch noch gebrauchen...." 

Es folgt mit dem Starten des Rechners die Erkenntnis, dass die Kollegin sich dem Layout gewidmet hat. So hängen Textboxen zusammen, die einfach nicht zusammen gehören sollten. Hier der Abstand zu groß. Da zu klein. Dort einfach eine andere Schriftart. Während der sich nun aufdrängende Ausdruck "Kraut und Rüben" also durchaus als Euphemismus purer harmonischer Zweisamkeit zwischen eben Kraut und Rüben noch um des lieben Frieden willens passen würde, denkt man angesichts dessen schlicht an den Verlust jeder Form von Anstand und sagt etwas wie "Bist du eigentlich so besoffen wie ich noch vor zwei Stunden war oder was soll das da bitte sein?". Kindisch. Unsachlich. Aber: Wohltat für den Moment.

Wenig später schlufft der Kollege ins Büro und sagt, dass er heute leider nicht mehr viel schreiben kann, weil er eine Sonderseite für den nächsten (!) Montag vorbereiten muss. Und man muss Termine für die große Aktion "Redakteure besuchen Schüler" organisieren. Und dem großen Chef müsse man noch Themen aufschreiben.

Die einzig richtige Reaktion in dieser Situation? Ruhig bleiben und den eigenen Standpunkt ruhig und sachlich erklären. Nun ja ... es geht aber auch AvD - Arsch vom Dienst. Und das geht so (kleine Anleitung zum Glücklichsein):

  • Dem Kollegen sofort mit konstruktiven Vorschlägen kommen: "Die Seite für nächsten Montag machst du nach Feierabend oder du fängst zeitiger an!"
  • Dem Kollegen bei der Aktion die Termine in den zeitigen Schulstunden und in den am weitesten entfernten Dörfern verschaffen. Kommentarlos.
  • Den Kollegen auflaufen lassen. Großer Chef fragt nach Themen. Kollege stammelt was. Lächeln. Chef die eigenen Themen, jedes einzelne von einem fetten "Ich" eingeleitet, vorschlagen. 
  • Großherzig gegen 15 Uhr den CvD-Posten übernehmen und die Aufgaben verteilen, bis für einen selbst leider, leider, leider gar nix mehr übrig ist.
  • Büro zeitiger als abgemacht verlassen, um 15.50 Uhr und in weniger als sechs Stunden keinen Strich geschrieben, nur "recherchiert".
= großarschiger Tag! ab morgen wieder lieb ... oder so

Montag, 2. September 2013

Weil man sich (er)kennt

War mal eine Weile weg. Unterwegs als Urlauber in einem anderen deutschen Landstrich, der sich neben Wald, Sand, Weite, Ruhe und relativer Ereignislosigkeit unter anderem dennoch dadurch auszeichnet, kein reiner Einzeitungskreis zu sein - aber das mal nur am Rande. Denn solche wie mich findet man ja überall, egal wie hoch die Zahl der Zeitungen tatsächlich ist! Das geht ganz einfach: einen flüchtigen Blick auf Menschen werfen, Schublade auf und wieder zu. Wer in die Schublade Journalist gehört, scheint mir inzwischen recht einfach von der Hand zu gehen:

Ich verbringe also einen waldigen, sandigen, ruhigen und relativ ereignislosen Sonntag mit der Beobachtung meines großen Bruders bei der Vorführung seines Jobs im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Altes Handwerk" - die anwesenden Kinder bezeichnen das Werk als Gemetzel, denn er ist ja schließlich Steinmetz. Die Besucherzahl ist ganz ordentlich, setzt sich aber auch in nicht geringem Umfang aus Bekannten zusammen. Da parkt ein Auto ein (Marke "praktisch, nix aufregendes") und eine Frau kaum schätzbaren Alters in Garderobe der Marke "praktisch, nix aufregendes" steigt aus. Vor dem Bauch trägt sie eine Spiegelreflexkamera. Ihr Blick ist suchend, aber nicht verklärt sonntäglich. "Du, du wirst heute noch interviewt", deute ich dem Bruder mit einem Nicken in Richtung der sich nähernden Frau - ich glaube, dass sich in meiner Nase ein Hauch von Stallgeruch herumtreibt und meine Finger zu jucken beginnen. Nicht jeder mit Kamera sei ja Journalist, deutet neben der Familie auch die liebe Dorfgemeinde. Na aber! Wetten, dass doch?! Die Frau werde jetzt ein bisschen rumgehen, ein bisschen fotografieren und dann ein paar ausgewählte Leute sprechen, prophezeie ich.

Die Frau beobachtet ein, zwei Minuten. Sie schleicht ein wenig herum, um Unsichtbarkeit bemüht und immer mit einem wachen Blick auf Einzelheiten und als wolle sie grad durchzählen. Sie macht ein paar Fotos und blickt nach fast jedem Klicken des Auslösers kontrollierend auf das Display, zoomt heran und wiegt die Kamera millimeterweise hin und her, einmal begrenzt sie den Bildausschnitt mit der linken Hand. Sie kramt ein Notizbuch der Marke "egal, Hauptsache Platz" aus der Tasche. In dem Notizbuch steckt ein Kugelschreiber, der die aktuelle Seite markiert und der Marke "gab es mal als Werbegeschenk irgendwo" zuzuordnen ist. Sie schreibt was auf und klemmt das Notizbuch unter ihren linken Arm. Sie zückt den Programmflyer, liest kurz was und umschleicht den Bruder. Als der sich voll konzentriert auf sein Handwerk kurz zu einem anderen Steinstück entfernt, hechtet sie mit langen Schritten hinterher, setzt dem konzentrierten Gesicht ein freundliches Lächeln auf und spricht ihn von der Seite an, dass sie von einer Zeitung kommt und ob er jetzt mal ein, zwei Minütchen für sie hätte. Sie nimmt das Buch wieder aus der Klemme und notiert sich die Aussagen des Bruders, guckt dabei immer mal freundlich interessiert hoch. Sie stellt scheinbar einem inneren Plan und einer Erwartungshaltung folgend Fragen wie "Würden Sie sagen, dass sich Ihr Beruf gewandelt hat in den letzten Jahren?", "Würden Sie sagen, dass der Steinmetz vor allem mit Grabsteinen in Verbindung gebracht wird?" Insgesamt reden sie fast 20 Minuten miteinander. Ich bin kurz "hilfreich", indem ich der Frau die Visitenkarte des Bruders reiche und so hoffe, dass sie den im Flyer falsch geschriebenen Nachnamen wenigstens in der Zeitung richtig buchstabiert - die Blutsbande, zu der ich mich ganz gleich wie ich derzeit heißen mag zuordne, schreibt sich schließlich mit "ä" wie "Ärger" und darauf lege ich großen Wert! Dann redet die Frau noch kurz mit dem anderen Steinmetz und den paar Leuten, die sie auf den Fotos mit drauf hat. Nach gut 45 Minuten steckt sie das Notizbuch wieder in ihre Umhängetasche der Marke "abgewetzt, aber sooooo praktisch", steigt wieder in ihr Auto und ist weg.

Zwei Tage später ist der Artikel in der Zeitung. Der Bruder ist ganz zufrieden und sieht darin auch kostenlose Werbung. Der Nachname ist richtig mit "Ärger" geschrieben. Nur in der Bildunterschrift ist mein Bruder plötzlich ein "Steinmelz". Kann passieren.