Freitag, 14. Oktober 2016

Ich nerve mich

Ein Schwarz-Weiß-Foto, auf dem eine junge Frau lächelt. Ein Lächeln irgendwo zwischen einem spitzbübischen Grinsen und selbstbewusster Freundlichkeit mit Hang zum Besserwisserischen. Es folgen zirka 40 Zeitungszeilen klarer und doch gewählter Worte, deren Übersetzungen aber immer wieder entweder auf ein „Das ist scheiße!“ oder „Das fetzt!“ hinauslaufen. „Die Initiative wird der Stadt noch fehlen.“, „Auch ein Kindergarten muss sich rechnen.“, „Das ist ein Unding.“, „Das kann dem Verband aber egal sein. Es muss ihm egal sein.“, „,Wünsch dir was' geht nicht.“ Meine Worte in Kommentaren. Viermal in nur einer Woche (= sechs Ausgaben) schon Anfang dieses Monats grinste ich mich selbst aus der Zeitung heraus an.

Ich habe das so gewollt. Ich habe mich freiwillig gemeldet. Und zwar noch bevor die Chefs überhaupt anfingen, nach dem Verfasser des täglichen Kommentars in der Lokalzeitung zu suchen. „Herr Lehrer, ich weiß was!“, scheint in meinem Hirn beinahe täglich was zu schnippen.

Unterdessen ein paar Beispiele

 

Ich gehe mir selbst abgesehen von zum Beispiel der Kommentarschreiberei aber auch aus anderen Gründen ziemlich auf die Ketten. Unter anderem, weil ich „aber“, „auch“ und „aber auch“ und noch ein paar andere Worte mitunter doch so gerne verwende wie Bindestriche und Doppelpunkte.


Unterdessen ich mir Kommentare verkneife, könnte ich mich also über meinen Stil auch sonst ziemlich ärgern. Ein paar Beispiele für Artikel-Anfänge allein aus den vergangenen zwei Wochen - bereits erschienen oder noch unveröffentlicht -, aber alle von mir verfasst:
„Es ging einfach nicht, die Kehle war wie zugeschnürt. XXX hatte als junger Mann regelrecht Panik, vor Menschen zu sprechen. Heute setzt sich der 41-Jährige einfach so auf Bühnen und an Pulte, lässt seine Stimme sonor durch Räume tanzen, liest seine eigenen oder fremde Texte und steht mittendrin auf, um mit voller raumgreifender Gestik und Mimik durch die Reihen seines lachenden Publikums zu gehen.“
„Unter den Füßen sind kalte Fliesen und in den Regalen stehen die Bücher ganz dicht beinander, so dass man meist nur den Titel auf dem Buchrücken sehen kann. Aber so schauen sich Kinder nicht nach Büchern um – wenn sie denn überhaupt schon Schrift lesen können, macht das von oben nach unten laufende Schriftbild Probleme. Kinder achten zum Beispiel auf die bunten Bilder vorne auf den Buchdeckeln. Das Team der Stadtbibliothek will dem Rechnung tragen und den Kinderbuchbereich umgestalten, ausbauen und versetzen.“

„Ihre Stimme ist warm und weich, das Buch liegt ruhig in der Hand, wenn sie vorliest. Und schaut sie von den Buchstaben auf, huscht immer wieder ein Lächeln über ihre Lippen. XXX ist in ihrem Element. Schon als Kind hat sie ihren Puppen Unterricht gegeben und ihnen aus Büchern vorgetragen, heute ist die einstige Lehrerin die Vorleserin.“

„Tagesordnungspunkt aufrufen, Abstimmung, Haken dran, weiter. Manchmal ist Kommunalpolitik ein schnelles Schauspiel. Da dauern öffentliche Ausschuss-Sitzungen kaum eine Minute, sind heikle oder millionenschwere Beschlüsse im Stadtrat in Sekunden gefasst. Doch mit Leichtfertigkeit oder Geheimhaltung hat das – durch die Bank aller 30 Stadträte weg – nichts zu tun.“

„Es ist an der Zeit, hart durchzugreifen: ,Wir haben einige Schuldner, die einfach nicht zahlen', ärgert sich XXX, Verbandsvorsitzender des Abwasserzweckverbands. Und nicht nur der Bürgermeister ist grimmig.“
Was soll das sein? „Bäm!* Willkommen im Text!“ oder was? Als ich vor 13 Jahren Praktikantin bei genau der Lokalzeitung war, habe ich gefühlt jeden zweiten Artikel mit einem Zitat beginnen lassen. Mit gefühlt – ich fühle überhaupt sehr gerne – 90 Prozent szenischer Einstiege in Texte und dem Hang zu Kurzsatz oder Aufzählung, fühle ich mich gerade aber auch nicht deutlich weiterentwickelt. Irgendwo zwischen den Text-Einstiegen mancher Kollegen (mancher – auch so (m)ein Nervwort, genau wie das Einklammern von Buchstaben), die irgendwie immer nach Wikipedia-Eintrag klingen und meinem „Los, Leser, komm schon ... du Stück du ... nimm auch noch die nächsten 80 Zeilen zur Kenntnis“ muss es doch noch was Besseres geben ... 

Lösung: Ich mache erst mal eine Woche Urlaub. Ich lese einen Stapel Bücher. Es hilft. Entweder gegen Jammern auf hohem Niveau oder es bringt neuen stilistischen Einfluss. Bäm!


* Ein wichtiger Ratschlag aus dem Text, zu dem dieser Link führt: „Artikel bei der Zeitung sollen aber nicht wie Beethoven sein, sondern wie die Backstreet Boys – viele kurze Sätze – bam, bam, bam.“

Montag, 10. Oktober 2016

Lügen pressen statt Manic Monday

Es ist Montag. Ich sitze satt und zufrieden an meinem Laptop. Ich habe gebackenen Kürbis gegessen, mir die dritte Tasse Tee gemacht. Ich habe einen Tisch in der Stammkneipe reserviert. Ich habe die Wäsche erledigt. Ich habe anschließend mit einem Maschinenpfleger die Türdichtung der Waschmaschine abgerieben und ein Pflegeprogramm mit Entkalker durchlaufen lassen. Ich habe eine Tüte für die Altkleidersammlung gebündelt. Ich habe darüber nachgedacht, die Fenster zu putzen. Ich habe einen wunderbaren und wahren Beitrag über Lokaljournalismus im Internet gefunden.

Für mich hat das Nachrichtenwert. Heute ist nämlich Montag. Ich bin ein faules Stück. Ich bin ein Schwänzer. Ich bin ein Lügner. Ich könnte Foodblogger werden, hier deutlich zu erkennen:


War lecker. Doch zurück zum Thema. Montags läuft das eigentlich so: Ich arbeite vormittags für die Lokalredaktion und verfasse je nach redaktioneller Planung zwischen 30 und 300 Zeilen. Ich schiebe meine Recherchen an und vereinbare Termine. Ich arbeite vor und lege schon mal einen Artikel auf Halde. Man weiß ja nie. Ich konferiere mit den Kollegen der Lokalredaktion, die inzwischen zum großen Teil drauf eingestellt sind, dass ich ab spätestens eins nicht mehr zur Verfügung stehe. Es wird zwölf. Ich esse einen Happen in der Redaktion. Ich verabschiede mich. Ich gehe zu mir nach Hause, hole das Auto aus dem Hof und fahre in die Boomtown, wo ich der Layoutgehilfe eines Anzeigenblatts bin.

Ich beschreibe das gerne so: Ich baue Fotos und Texte um Anzeigen herum, zwischen Anzeigen hindurch, unter Anzeigen hinweg, über Anzeigen drüber, links neben Anzeigen, rechts neben Anzeigen. Klingt anspruchslos? Is es aber nich! Seit drei Jahren geht das jetzt so. "Manic Monday", immer wieder. Früher bin ich erst nachmittags gegen fünf beim Layout angetreten, saß dann bis zehn dort. Inzwischen hetze ich mich lieber am Vormittag ein bisschen ab und bin dafür abends eher daheim. Außerdem tagt an einem der Montage der Rat der Gemeinde, für die ich zuständig bin - und die Sitzung beginnt immer 19.30 Uhr.

Och nö


Kurz vor zwölf erreichte mich die Nachricht der Kollegen vom Anzeigenblatt, dass meine Hilfe heute nicht nötig ist. Sofort schoss mir durch den Kopf, dass ich damit Geld verliere und ob das jetzt häufiger passieren könnte - man wird ja immer gleich so panisch wegen Medienkrise, weniger Anzeigen, weniger Blattumfang und so. Dann kam mir in den Sinn, dass ich jetzt den Kollegen in der Lokalredaktion eigentlich sagen könnte, dass ich nachmittags zur Verfügung stehe. Wenig später verdrängte ein großes "och nö" diesen netten Gedanken wieder. Ich habe noch einen Happen gegessen. Ich habe mich verabschiedet. Ich bin nach Hause gegangen. Ich habe nicht gesagt, ich würde jetzt layouten fahren. Ich habe nur "Tschüssi" gesagt. Technisch gesehen also keine Lüge. Nur so ein klitzekleines Verschweigen.

Ich habe erstmal Mittagsschlaf gemacht. Mittagsschlaf fetzt. Ich habe eine Menge verrückter Sachen mit meiner Waschmaschine angestellt - so ein Flusensieb ist recht interessant, wenn man es drei Jahre lang nicht gereinigt hat. Und vielleicht kann mir jemand Wolle spinnen aus dem, was sich darin fand. Und ich könnte an irgendeinem anderen Montag lernen, mir daraus einen Pullover zu stricken. Vielleicht auch ein Strickkleid. So eins bis runter zum Knöchel. Und mit Rollkragen.

Und ich habe mich heute wie mit 16 gefühlt. Da sollten wir zum Sportfest im Freibad acht Bahnen schwimmen. Ich habe angegeben, ich würde gerade menstruieren und könne daher nicht ins Wasser. Die Benutzung von Tampons würde ich ablehnen, fiel ich dem Lehrer noch ins Wort. Dann habe ich mich an den Beckenrand gesetzt, die Beine baumeln lassen und was gelesen. Wenn der Sportlehrer guckte, hielt ich mir den Bauch und guckte wie Alice Schwarzer. Zum Glück konnte heute keiner meiner Kollegen nach mir sehen. Ich weiß nicht, wie man Layouten vortäuscht.