Sonntag, 13. Juli 2014

just B

Sing it out loud: Es gibt Länder, wo was los ist. Länder, wo richtig was los ist. Und es gibt  ...
B-R-A-N-D-E-N-B-U-R-G ...*

Wie gut. Als ich noch jung war, unverbraucht und voller Illusionen (Praktikantin) genoss ich das dicke B oben an der Spree. Ich war 21 Jahre alt und lebte eine wunderbare aber kurze Weile in Berlin. Berlin. Hallelujah, Berlin, hallelujah ... jaja ... Jetzt bin ich nicht mehr so jung, nicht mehr so unverbraucht und doch noch nicht so desillusioniert wie ich sein könnte (Journalistin). Und ich liebe es, eine lange Weile in Brandenburg zu verleben. Dort lebt mein größter Bruder mit seiner größer werdenden Familie, sie nehmen mich auf und lassen mich auftanken. Auch allein. Ich darf bald nach Brandenburg.

Wie gut. Es stimmt ja. Es ist nichts los. In Brandenburg. Und bestimmt gibt es dort auch wieder Wölfe. (Aber die gibt es auch dort, wo ich herkomme.) In Brandenburg bin ich ... niemand ... unbekannt ... faul ... allein ... ruhig ... gedankenlos ... nicht ausgebrannt ... bin ich ... in Brandenburg.

Schon der Weg ist das Ziel. Ich fahre nicht zu dicht auf. Ich fahre nicht zu schnell. Ich überhole nicht. Was soll es auch? Ich will ja ankommen. Wenn ich überholen würde, würde ich doch nur feststellen, dass vor mir wieder zwei Lkw sind und vor denen noch zwei und weiter vorne noch einmal. Was soll es auch? Der Weg ist eine einzige 70er-Zone, meine geistige 30er-Zone, und schließlich verkehrsberuhigte Zone für meinen nimmer stillen aber müden Geist. Es geht schnurgerade geradeaus. Kurz hört der ewige Wald auf. Da biege ich links ab und bin da. Angekommen.

Wald, Wiese, Sand. Nichts. Nichts weiter. Schon kaum Handyempfang. Drei Plätzchen auf dem Grund und Boden meiner Familie kenne ich, wo ich überhaupt ansatzweise Empfang habe. Man kann die Plätze aufsuchen oder meiden. Ende der selbst verschuldeten Dauererreichbarkeit. Funkloch, Funkstille - gut kartografiert und das solange ich es will. Keine Anrufe, SMS, Mails, facebook- und WhatsApp-Nachrichten, die ja auch bei Freunden und Bekannten am Ende doch nur Berufliches tangieren und zum Teil sogar von Unbekannten kommen. Könnte man nicht mal in der Zeitung was machen zur mangelnden Grünpflege bei Herrn Hinz? Herr Kunz hat ein Problem mit der Verwaltung? Was soll dieser Beschluss vom Stadtrat? Wohin fährt die Feuerwehr? Mir doch egal! Ich bin in Brandenburg.

Wenn ich auf die Straße gehe, treffe ich kaum eine Menschenseele. Wenn doch, bin ich nicht "Frau Jacob von der Zeitung" oder "die Kleine von der Zeitung" oder "Ich kenne Sie doch aus der Zeitung". Es ist keine Frage, was ich beruflich mache und ob man da nicht mal was machen könnte in der Zeitung über das Schulfest der Enkeltochter, den Fußballverein des Sohnes, die neue Ladentheke im Geschäft, den Skandal im Rathaus. Ich bin in Brandenburg. Wenn ich auf die Straße gehe, wird die Menschenseele, die ich dort eventuell treffe, nur wissen wollen, was ich im 80-Seelen-Dorf will und wer ich wirklich bin. Was ich sonst bin - Journalistin - und worüber ich mich so oft definiere, ist egal. Punkte gibt es nur für die Verwandtschaft. Dann wird es nur heißen, dass ich die kleine Schwester von ... bin. Vielleicht wird die Menschenseele wie so viele vor ihr feststellen, dass man das schon an den großen, braunen, funkelnden Augen sieht. Der Rest ist egal. Ich bin in Brandenburg. 

In Brandenburg verschließe ich meine Augen vor der Welt. In Brandenburg mache ich nicht nur keine, ich konsumiere auch keine Medien. Ich bin aus der Welt. Ich bin in Brandenburg. Bei meiner Familie steht zwar neuerdings ein Fernseher in der Küche. Aber vor einem TV-Programm abdriften, das kann man nicht - für die klassisch lümmelige Haltung sind die Stühle zu unbequem. Auf den Stühlen kann man aber wunderbar eine Stulle mit Butter und Salz und dazu ein paar Spreewaldgurken genießen, albern sein oder kluge Gespräche führen. Setze ich mich ins Auto und fahre durch die Gegend, höre ich kein Radio (oft eh schon polnischer Sprache), sondern ich höre CD's. Und die Zeitung, die meine Familie abonniert, lasse ich links liegen. Es ist eh Sommerloch und noch weniger los in einem Land, in dem nichts los ist. Ich bin in Brandenburg.

In Brandenburg trage ich tagelang kein festes Schuhwerk und was ich sonst trage, ist mir auch ziemlich egal. Zwischen meinen Zehen krabbelt der märkische Sand und auf meiner Haut kitzelt die Sonne. Ich radle, laufe, paddle, verbrenne mir die nackten Füße auf heißen Steinen, kühle meine Zehen mit Grashalmen dazwischen, springe manchmal Trampolin. Ich schlafe, wenn mir danach ist. Und ich stehe auf, weil mir danach ist. Ich liege viel herum und das einzige, was ich dabei zu analysieren bereit bin, sind die Wolken- oder Sternenformationen am Himmel. Wenn ich mal lese, lese ich ein gutes Buch. Wenn ich denke, denke ich übers Essen nach. Es könnte mir nichts egaler sein. Wie schön. In Brandenburg. Wo nichts los ist. Nur ich.

* Eine Ode von Rainald Grebe.

Abschied und Willkommen

In sonntäglicher Tradition habe ich soeben das Lesezeichen in meinem Kalender um eine Woche verlegt und einen Blick auf die Termine der anstehenden Tage geworfen. Ich bin traurig. Folgendes wird passieren: Ich werde - um den Regiewechsel an der örtlichen Theaterakademie verkünden zu müssen - die alte und die neue Geschäftsführerin zu einem gemeinsamen Interview treffen. Das wird hart. Seltsam. Ein Trauerfall mit Ansage.

Erst vor wenigen Tagen habe ich für eine andere Story schon einmal mit den beiden Frauen an einem Tisch gesessen. Dann fragte die eine Frau, ob wir uns demnächst mal noch zu einem Interview treffen könnten. Ich ahnte nichts Gutes. Sie stockte kurz - um dann zu verkünden, dass sie die Akademie gen Schweiz und für den totalen Neuanfang verlassen wird. Mir stockte der Atem. Menno. Ich sagte, dass ich ja dann auch mal gehen könnte. Immer gehen die Guten. Warum ich nicht auch? Ich stand und stehe so ein wenig unter Schock.

Um das zu verstehen, sollte man unsere kleine gemeinsame Geschichte abseits der Zeitungsnotizen kennen.

Sommer 2011: Ich lernte die junge Frau am Rande eines Termins kennen - sie ist mit ihren 24 sechs Jahre jünger als ich und damit so alt wie mein kleiner Bruder, vielleicht mag ich sie darum (großschwesterlicher Mutterinstinkt) mehr als andere meiner journalistischen Kontakte. Damals war noch eine andere Frau die Geschäfsführerin der Theaterakademie und die junge Dame sollte "nur" als Praktikantinstudentenjobberinirgendwas die PR machen. Und ich sollte in wenigen Wochen heiraten. Ich gab der jungen Frau die letzte Visitenkarte mit meinem alten, meinem Geburtsnamen. Ich heiratete und flog flittern. Ich kam wieder und sie war Geschäftsführerin geworden. Wir taten beide unseren Job, trafen uns zu diversen Interviews und bei den Aufführungen an diesem kleinen Theater, das sich meine Kleinstadt glücklich schätzen darf haben zu dürfen. Wir tranken Kaffee, redeten über dies und das, hatten Spaß bei der Arbeit. Wir hatten ein sehr professionelles und doch durchaus noch freundschaftlich geprägtes Verhältnis zueinander.

Sommer 2012: Ich entwickelte diese Sache hier mit den Jacobs Wegen, sie ging den Jakobsweg - den echten. Auch davon erzählte sie mir und es war eine sehr anrührende Geschichte, die ich aufschreiben durfte. Die Geschichte einer jungen Frau, die körperlich und seelisch an ihre Grenzen und darüber hinaus gegangen war. Sie sagte während des Gesprächs, dass das Denken nicht auf dem Jakobsweg kam, sondern danach - und sie jetzt viel in Frage stelle, viel in Zweifel ziehe und das, ihr Leben überdenke. Meine Ehe war inzwischen schon ein Fragezeichen geworden. Wir führten ein Interview, das vielleicht auch die Grenzen der Professionalität überschritt. Ich kam wieder ins Büro und sagte zum Kollegen "Ich hoffe, dass sie bleibt!" Irgendwie hatte ich ein ungutes Gefühl.

Sommer 2013: Der Jacobsweg wurde ein Singletrail. Zum Glück. Die junge Frau war noch da und mein ungutes Gefühl damit passé. Sie entwickelte neue und großartige Ideen für die Akademie, holte weitere namhafte Dozenten, rührte neue Kooperationen ein, Absolventen ergatterten gute Engagements und ich gute Geschichten. Die Akademie feierte ihren fünften Geburtstag und ein erfolgreiches Jahr, ich durfte teilhaben und meinen Teil dazu tun. Es lief gut und besser nach ihrem Jakobsweg und glücklicher auf meinen Jacobs Wegen. Ich war geschieden. Wir lachten über unsere diversen privaten Entwicklungen, tranken wieder Kaffee und duzten uns fortan.

Sommer 2014: Siehe oben. Menno!

Das Gute daran ist nur, dass die Neue und ich uns nun schon mal kennen - und zwar so wie wir wirklich sind. Meinem "Menno!" folgte auch die angewiderte Frage, wer denn dann jetzt die sei, die den Job übernimmt. Doch die - Trommelwirbel - befand sich schon im Raum, reagierte auf meine charmante Schnoddrigkeit mit nur noch mehr sympathischer Schnoddrigkeit. Wir stellten unter anderem auch fest, dass wir ein und denselben Landstrich - nämlich Brandenburg - mehr als zu schätzen wissen und dort Kraft tanken. "Ich denke dort mal nicht nach", sagte ich. "Doch, ich denke dort sehr viel nach", meinte sie, "nämlich, was ich abends auf den Grill packe." Passt. Also: Willkommen und Abschied.

Sonntag, 6. Juli 2014

Winkewinke

Ich habe eine latent komische Woche hinter mir, die mich in einem Mix aus Kopfkratzen und Grinsen auf der Couch niedersinken lässt. Ich wurde und werde derzeit immer so nett gegrüßt, vor allem ältere Herren winken mir - so wie gerade eben ein Herr an die 60 - neuerdings gerne mal zu. 

Wie ich möglicherweise, genauer genommen hier, mal am Rande erwähnte, habe ich eine Jobserie in der lokalen Zeitung. Ich probiere mich dafür in anderen Berufen als meinem eigenen aus, schreibe meine Erfahrungen mit der mir eigenen Selbstironie und Ehrlichkeit auf, lasse mich in allen möglichen und unmöglichen Momenten ablichten und grinse dann regelmäßig aus der Zeitung - und ich habe nicht gerade ein Gesicht zum Vergessen. In mindestens 20, in Worten: zwanzig, solcher Selbsterfahrungsberichte habe ich seit Anfang 2012 bereits verfasst. Ich war Bibliothekar, Tierpfleger, Feuerwehrfrau, Polizist, Kindergärtner, Kellner, Müllfahrer, Schauspielstudent ... puh, ich bekomme selbst schon nicht mehr alles zusammen ...

Am letzten Juni-Wochenende, also vor genau einer Woche nun war ich für diese Jobserie Teil des historisch geprägten Festes, das in meiner Heimatstadt gefeiert wird. Das war zwar anstrengend, aber - vermutlich gerade aus diesem Grund - auch sehr schön. Ich lief, unter anderem, als Pikenier verkleidet im großen Festumzug mit insgesamt rund 1000 Akteuren und noch mehr Zuschauern mit. Ich zog mit Landsknechten aufs Schlachtfeld, agierte als Bombenfütterin und ich durchquerte als Bombenfutterlandsknecht vor großem Publikum den Stadtgraben, um die Erstürmung der Stadt mit nachzustellen. Unser Stadtgraben? Ein eher stehendes verschlicktes Gewässer ohne rechten Zufluss. Ich habe mich und mein helles Knechthemd darin nass gemacht, richtig schön nass.* Darin, quasi auf dem Grabengrund möglicherweise liegt der Grund für die neuen Nettigkeiten.

Ich bin der Landsknecht mit dem roten Hut
und zeitweise bis zum Schlüsselbein schön nass.

Ein ähnliches Bild dieser Wasserwaterei veröffentlichte ich, übrigens bei vollem Bewusstsein, auch in der Zeitung. Auf fünf Spalten gezogen. Das Bild zeigt mich von der Seite, als ich gerade das Fass hoch über meinen Kopf gereckt durch den Graben trage. Mein kleiner Bruder meinte, dass 85 Prozent aller weiblichen Brüste im nassen Zustand gut aussehen würden. Ja, meine Brüste gehören definitiv nicht zu den anderen 15 Prozent. Nun gut. Die Winkewinke-Männer wissen ja nicht, wie ich nach dieser Brackwasserschlacht gerochen habe.

* Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass ich natürlich einen blickdichten BH und noch ein Top unter dem Hemd trug. Aber nass ist nass und schön ist schön.