Samstag, 25. Mai 2013

Fatal lokal

Lokaljournalismus ist eine feine Sache. Man kann sich seinen Alltag zwischen Kaninchenzüchtern und Landräten ziemlich abwechslungsreich gestalten. Vor allem aber kann man zumindest versuchen, eine kleine Welt etwas besser zu machen. 

Doch auch diese kleine Welt ist keine heile Welt. Bestechung lauert gerade im Lokalen überall! Nur die Güter sind gänzlich andere. Vor allem mit "Genussmitteln" versucht das Gegenüber den Lokaljournalisten irgendwie bei Laune zu halten, ein Teil davon fällt in die Kategorie Bewirtung. Eine Auswahl an "Geschenken", die ich schon erhalten habe (grobe Schätzungen):
  • 978 Gramm grüner Spargel
  • 500 Gramm Erdbeeren
  • 600 Gramm Kirschen
  • 3000 Gramm Kaubonbons
  • zirka 15 Bratwürste mit Senf
  • drei eiskalte Cola
  • 14 eiskalte Sekt
  • 17 zu warme Sekt
  • 165 Kaffee (viel Milch, viel Zucker)
  • 18 Bier
  • eine Portion Nudeln
  • ein großes Schnitzel 
  • ein Glas Honig
  • ein Brot
  • eine Stange Sellerie
  • ein Softeis
  • ein Bananenmilchshake
  • vier Rosen
  • eine Pusteblume
  • fünf Kalender
  • drei Notizbücher
  • zwei Bleistifte
  • eine CD
  • ein Stück Flatterband
  • ein Gutschein für Haushaltswaren
  • zwei Stacheln eines Stachelschweins
  • eine Runde Spiegeltreten auf dem Schrottplatz
  • eine Runde Signalgeben im Polizeiauto
  • ein müdes Lächeln
Zusammenfassung für meinen Mann: Sorry - ich vergass, ich hole wie folgt nach: Der Spargel schmeckt bestimmt, wenn ihn meine Schwiegermutter dann endlich mal fertig hat. :)

Donnerstag, 16. Mai 2013

Falsche Erziehung

"Weil de nüschts kannst", würde mein kleiner Bruder wohl jetzt sagen. Recht hat er. Fast drei Wochen war ich nun mal wieder Praktikantenmutti. Und ich habe total versagt. Als das 15 Jahre alte Kind ("Kind" nenne ich alle Praktikanten, weil meine Kollegen mich für meine von ihnen so betitelte "liebevolle Strenge" in Praktikantenphasen immer "Mudddddddddiiiii" rufen) mir zu Beginn gleich sagte, dass es eigentlich nicht mehr Journalistin werden wolle, habe ich innerlich aufgeatmet. Umsonst!

Wieder wurde einer von der dunklen Seite der Macht abgehalten, dachte ich ... Keine Frage: Journalist zu sein, ist der schönste Job der Welt (für mich). Aber die Bedingungen sind schlecht bis beschissen - die Zeitungen sterben, Festanstellungen gibt es kaum noch und wenn man diese Abhandlung hier über die Auswirkungen von Befristungen ansieht, hätte ich mir schon vor Jahren eine Kugel durch den Kopf jagen müssen ... die zweite Kugel dann, als ich zum Freiberufler wurde. Hab ich nicht gemacht, ich liebe den Job noch immer. Manchmal stehe ich zwar auf und frage mich, warum ich mir das antue und nicht was Vernünftiges gelernt habe. Gerade dann, wenn mir ein Anwalt aufs Dach steigen will oder der Bürgermeister mich mit fiesen Kommentaren aus der Reserve locken will. Oder mich jemand am Telefon runterputzt, weil ich eine heile Welt angekratzt habe. Aber dann stelle ich mir vor, dass ich einen Job habe, bei dem der Feierabend immer geregelt ist und die Arbeitsabläufe entgegen der wenigen journalistischen Routinehandlungen auch immer klar geregelt sind - Papier von links nach rechts und dann von rechts nach links ... und dann möchte ich mir wirklich eine Kugel durch den Kopf jagen.

Obwohl oder gerade weil ich den Job liebe, weiß ich aber wie belastend die Beziehung zum Journalismus sein kann - unsicherer als ich Journalistin kann man seine eigene Zukunft kaum gestalten.

Daher rate ich keinem Praktikanten dazu, den Beruf zu ergreifen. Sondern: nur dann, wenn es nicht anders geht. Nur dann, wenn man sich nix anderes vorstellen kann. Dann sei der Job auch unter heutigen Bedingungen noch was. Es wird dann immer kitschig, wenn ich sage "Da musst du auf dein Herz hören. Wenn du verknallt in den Job bist, solltest du ihm eine Chance geben"! Aber innerlich hoffe ich immer, dass das jeweilige Kind da im Herzen nicht "Journalismus" hört.

Und nun passiert dies: Der Kollege fragt das Kind, ob es sich nun gegen Ende des Praktikums vorstellen könne, diesen Job mal selbst zu machen. Ich dachte an das erste Gespräch und freute mich schon auf das Nein. Und? Das Kind sagt mit leuchtenden Augen (ganz schlechtes Zeichen): "Auf jeden Fall, das ist ein schöööööööööner Job!" Und fügt doch glatt noch an, dass gerade ich ihr gezeigt hätte, wie toll der Beruf sei.

Na prima! Erziehung total daneben gegangen ... Ich hätte das Kind nicht zu jedem Termin mitnehmen sollen, ich hätte nicht mit dem Kind an Texten arbeiten sollen, ich hätte dem Kind auch nicht Zugang zu allen Konferenzen verschaffen sollen, ich hätte dem Kind nicht alles erklären sollen, ich hätte dem Kind nix zutrauen sollen, ich hätte das Kind nicht als vollwertiges Teammitglied behandeln sollen. Praktikanten sollen Kaffee kochen! Scheiße aber auch!

Sonntag, 5. Mai 2013

Praktikantenmutti

Beim journalistischen Nachwuchs stellt sich nur eine Frage: Muss das denn wirklich sein? 

Es ist ja mittlerweile üblich, dass Schüler im besten Teenageralter (9. oder 10. Klasse, so zirka 15 Jahre alt) ein zweiwöchiges Praktikum zur Berufsfindung machen.* 

Es mag der geringe tatsächliche Altersunterschied zwischen mir und diesen Schülerpraktikanten (in Zahlen: zirka 14 Jahre) und der an meinen gelegentlichen Wesenszügen gemessene noch geringere Alterschunterschied zwischen mir und diesen Schülerpraktikanten sein (in Zahlen: 0 Jahre), der den Chef dazu brachte, mich eines schönen Frühlingstages zur "Praktikantenmutti" zu küren. Seit diesem Tag bin ich die Betreuerin sämtlicher Praktikanten in unserer Redaktion. Es waren zum Glück nicht viele, fünf oder sechs oder auch sieben bislang. Drei aber sind mir überhaupt in Erinnerung geblieben.

Der Junge
Ein Sommer-Praktikant war ein schlacksiger Junge, der mit Pickeln und Zahnspange die volle Breitseite des Teenagerlebens bekam. Er hatte Lust mal in den Beruf zu schnuppern und war nicht zwangsverpflichtet, sondern machte sich selbst noch einmal zum Schülerpraktikanten - das fand zunächst mein Lob. Er bekam trotz nahender Volljährigkeit selten mal ein Wort heraus. Auch dann nicht, wenn man ihn direkt ansprach. Wenn aber, so erkannte man deutlich, dass er lesen und schreiben kann und im Unterricht und sogar bei der Tagesschau mal zuhört, gelegentlich auch Zeitung liest. Nur journalistisch schreiben, das war seine Sache nicht - das musste ich ihm dann auch sagen, weil ich Wahrheit ja mag. Dafür beherrschte der Junge die Kunst, mich ziemlich alt aussehen zu lassen, weil ich den Großteil seiner kleinen Zettelbotschaften mit diversen wahrscheinlich in Chatrooms umtriebigen Kürzeln überhaupt nicht verstand. Erst beim ersten Herz hatte ich ungefähr verstanden, wo der Hase lang hoppelte. Da waren die zwei Wochen zum Glück aber auch schon wieder vorbei.

Das Model
Eine Schülerpraktikantin im klassischen Sinne. Sie kam, weil es eben so im Lehrplan stand. Sie war also nicht wirklich freiwillig da (der Junge ja irgendwie schon). Und sie sagte bei unserem Kennenlernen den schönen Satz "Ich möchte was mit Medien machen". Mein Grinsen und ein "Ah, das wollen viele..." als einzige Reaktion auf diesen Satz verstand sie nicht. Ich musste leider schnell erkennen, dass es bei ihr mit diversen Grundfertigkeiten nicht zum Besten stand. Was auch immer ich ihr als Aufgabe übertrug, es endete in einem Durcheinander aus PC-Abstürzen, unzähligen Rechtschreib- und Grammatikfehlern. Und schmerzhaften Offenbarungseiden. Nein, lesen würde sie eigentlich nicht gerne und Zeitung schon mal gar nicht. Nein, nicht mal Zeitschriften würde sie lesen. Da schaue sie immer nur die Bilder an. Und im Fernsehen schaue sie eigentlich nur RTLII. ARD? Nee, das sage ihr jetzt nicht direkt was. Dann fiel ihr ein, dass da "Sturm der Liebe" läuft.

Ich ließ sie mal eine Meldung zu einem dieser ewiglokalen Blutspendetermine des DRK schreiben (alle Infos auf einem Blatt: wann, wo, wer, blabla) - in ihrer Version hätte der Leser aber leider nie erfahren, wann und wo er sein Blut spenden kann. Dafür hätte er gesehen, dass "Bluth" wichtig ist für einen "menchen". Dafür aber trug sie selbstbewusst vor, der Leser wisse ja nun immerhin, dass es eine Blutspende gibt - ja, irgendwann. Mein bissiges "Dann geht der Leser also jeden Tag irgendwann irgendwo hin und hofft mit in den Bauch gestandenen Beinen, dass mal einer mit einer Kanüle kommt, ja?!" verstand sie wohl nicht. Ich erklärte ihr, wie so eine Meldung sein muss und versuchte es erneut. Das Ergebnis blieb wie beim ersten Mal. Ich gab wenig später total auf. Denn eines Tages musste ich erleben, dass sie mich vollkommen ernst fragte, wer eigentlich Angela Merkel ist. Ich musste leider auch mit ansehen, dass sie den schwarz gewordenen PC-Bildschirm als Spiegel zum Schminken benutzte. Am letzten Tag setzte ich mich mit ihr an einen Tisch und sagte ihr, dass der Beruf absolut nichts für sie ist. Ich fing sanft an (wollte nicht, dass sie heult) und wurde doch strenger, weil sie mal wieder nicht den leisesten Anschein des Verstehens machte:
"In diesem Job musst du schreiben können - möglichst korrekt und möglichst fesselnd. Du kannst in drei Sätzen nicht 20 Fehler machen oder darauf pfeiffen, ob der Inhalt überhaupt stimmt und die Merkel nun in der CDU oder der FDP oder der NPD ist. In diesem Job musst du clever sein und ein großes Wissen mitbringen. Du brauchst Allgemeinwissen! Aber das gilt eigentlich für jeden Beruf und fürs Leben! Du weißt höchstens über Heidi Klum was. Oder über Mascara. Aber wenn du echt erst googeln musst, was die SPD ist, bist du definitiv total ungeeignet als Journalistin! Lass es bitte!" 
Ihre Antwort: "Ich wollte eh Model werden!"

(Das tat mir alles in diesen zwei Wochen so weh, ich könnte jetzt noch flennen oder mir einen Duden auf den Kopf hauen, damit ich mich und mein Hirn wieder spüre).

Die Hoffnung
Seit Donnerstag bin ich wieder Praktikantenmutti. Das Mädel hat mir zunächst gesagt, dass sie sich vor einem Jahr beworben hatte und nun eigentlich nicht mehr Journalistin werden wolle, weil die Jobaussichten ja schlecht seien - das habe sie in den vergangenen Monaten ja immer wieder gelesen und gesehen. Auf meine Frage, wo sie das denn bitte gelesen habe, führte sie unter anderem Spiegel Online an. Sie habe nun aber auch nicht mehr absagen, sondern ihre Pflicht tun wollen - mein Herz ging auf. Ich fragte möglichst sachlich, ob sie sonst vielleicht irgendwas mit Medien machen wolle und sie musste feixen. Ich bat sie eine Liste mit Themen anzufertigen, die sie gerne mal umsetzen würde. Sie schlug unter anderem vor, sich doch mal "kritisch" mit den Busfahrplänen unserer ländlichen Region zu befassen, da Schüler vom Dorf spätestens ab 18 Uhr weder in die Stadt noch aus ihr heraus kämen und daher Freizeitgestaltung quasi nur mit Rumlungern zu wuppen sei. Und überhaupt könnten mal mehr jugendliche Themen in die Zeitung - ich bin ohne je einen Strich von ihr gelesen zu haben schon jetzt schlicht ein wenig Feuer und Flamme. Ich glaube, dass es dieses Mal ein gutes Ende nehmen könnte ...jedenfalls bin ich guter Dinge, dass ihr Angela Merkel ein Begriff ist!

*Also ich war mal Schülerpraktikantin bei einem Anzeigenblättchen - die Arbeitsproben von damals habe ich inzwischen "verloren", was mich natürlich immens traurig stimmt ... genauso traurig stimmt es mich, dass ich mal eine geschenkte Vase mit rosa Blüten fallen gelassen habe und einen gelben ebenfalls geschenkten Schal versehentlich der Altkleidersammlung zuordnete ... uuuuuuuuuuuuuuuuups

Zusammenfassung für meinen Mann: Wir haben ja vielleicht alle mal angefangen - trotzdem sind Praktikanten in erster Linie eine Nervenprobe.

Donnerstag, 2. Mai 2013

Für diesen einen Moment!

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Aber ein guter Moment macht einen guten Tag. Ganz gleich, was sonst ist. Für diesen einen Moment lohnt es sich. Es ist der Moment, in dem dein Text einen Menschen erst sprachlos macht. Es ist der Moment, in dem dieser Mensch seine Sprache wieder findet und dich fragt, wie du in seinen Kopf gekommen bist.

Heute war ein guter Tag. Es hat viel Arbeit gekostet. Mühelose Arbeit. Es gibt in meiner Stadt einen Rollstuhlfahrer-Verein. Ich habe recht oft darüber geschrieben, den Verein in verschiedene Berichte einbezogen. Zum Beispiel, als ich eines schönen Wocheneinkaufs erbost feststellen musste, dass ein örtlicher Supermarkt seine eigenen Behindertenparkplätze mit voller Absicht mit einem Sonderangebot an Blumenerde zugeparkt hatte und dem Marktbesitzer seine geballte Ungerechtigkeit mit einem Zeitungsartikel um die Ohren schlug. Einen Tag später waren die Behindertenparkplätze wieder frei. Ein Kampf gewonnen. Auch ein guter Tag. Eines Tages mal erwähnte die Vereinsvorsitzende beiläufig, dass sie in diesem Mai 35 Jahre im Rollstuhl sitzt. Anlass gefunden. Es ist Mai! Ich habe sie gebeten, über sie und ihr Leben schreiben zu dürfen. Sie sagte zu. 

Vor einer Woche habe ich der Frau gegenüber gesessen. Sie hat mir alles erzählt, wie sie durch Krankheit im Rollstuhl landete und wie ihr Leben sich darstellt. Ihr ganzes Sein hat sie vor mir ausgebreitet. Und ich habe es aufgeschrieben. Ich habe ihr den Text geschickt, damit sie ihn vor Erscheinen lesen und absegnen kann. Ich werde den Text hier nicht widergeben. Es spielt keine Rolle, wie genau dieser Text aussieht und ob ihn andere überhaupt gut finden. Das ist egal. Es geht nur um mich und sie. Und den Text.

Ich habe ihn am Montag geschrieben. Als alle anderen die Redaktion verlassen hatten. Ich habe 190 Zeilen (für den Laien: gut eine halbe Zeitungsseite) in 45 Minuten geschrieben. Ich habe nicht nach meinen Notizen gesehen. Ich hätte sie gar nicht machen müssen. Ich habe geschrieben als wäre es mein Leben. Ich habe geschrieben. Ohne große Tippfehler zu machen. Ich habe geschrieben, ohne zu denken. Es passte alles. Und es fühlte sich gut an. Wie guter Sex. Oder als würde man mit Tempo 200 über die Straße rasen, mit der man plötzlich eins wird.

Dann habe ich der Frau den Text geschickt. Ihr Zeit gelassen. So viel sie wollte. Heute rief sie an. Sie stockte, nachdem ich mich mit Namen und Redaktionskennung meldete. Sie sei kurz sprachlos gewesen, erklärte sie dann. Dann sagte sie, dass ich sie wirklich erkannt hätte - ich sei wohl in ihren Kopf eingestiegen. "Sie haben mich berührt, ich musste weinen. Aber ich war gar nicht traurig. Jedes Wort stimmt! Ich danke Ihnen!"

Ein gutes Gefühl.

Zusammenfassung für meinen Mann: Dort, wo andere ein schwarzes Loch haben, habe ich ein großes Herz.