Freitag, 21. November 2014

Ich will, ich will, ich will

Mein keimendes Burnout ist einer Art Boreout gewichen. Noch bis Jahresende bin ich vertretungsweise bei einem Anzeigenblatt (lest hier nach). Zu tun hat man dort schon ordentlich, das ist keine Frage. Aber was mich daran stört, ist genau das, was meine Arbeitskolleginnen dort so sehr schätzen: alles ist geregelt (igitt), vor allem die Arbeitszeiten. Was man heute nicht schafft, kann man auch mal liegen lassen und in den geregelten Feierabend starten. Und noch einige andere schöne Dinge ... 16 Uhr ist man manchmal schon daheim. Gerade die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei toll, finden meine zeitweisen Kolleginnen. Heute haben sie mich gefragt, wie mein Alltag als Tageszeitungsjournalist so aussieht ... und was ich so für Geschichten gemacht habe in meiner Laufbahn ... und wie das so ist ...

... und ich erzählte und erzählte ...

  • ... von dem Tag, an dem ich 4.30 Uhr (morgens) an einer vielbefahrenen Bundesstraße mitten durch ein Dorf stand, um vom Alltag in diesem Dorf zu berichten, wo die Leute morgens allein schon 20 Minuten mehr auf dem Weg zur Arbeit einplanen, um aus ihrer Einfahrt auf die Bundesstraße einbiegen zu können ... und ich erzählte, dass ich dann ab 9 Uhr in der Redaktion saß und normal an der Ausgabe des Folgetages arbeitete und an dem Tag noch bis abends 22 Uhr in einem Gemeinderat gesessen habe, um den aktuellen Abwasserzoff zu dokumentieren ... und ich erzählte, dass die Geschichte über das Dorf nicht nur in der Lokalausgabe, sondern der gesamten Ausgabe erschien und ein Boulevardblatt sie abkupferte und TV-Teams ins Dorf kamen ...
  • ... und ich erzählte, dass ich mal eine Reportage über einen Swingerclub geschrieben habe und einmal aus dem spontanen Mitnehmen von zwei Trampern eine wunderbare Story über ein Metalfestival entstand ... und ich erzählte, dass ich mal im Sommerloch wirklich den Aufmacher auf der Straße fand, indem ich über die vielen Flickarbeiten auf dem Pflaster vor meiner ehemaligen Haustür berichtete
  • ... und ich erzählte, dass ich gerne Satirisches über die lokalte Politik und ihre Macher schreibe und dass ich deswegen manchmal nicht weniger bitterböse Kommentare der lokalen Politiker einstecken darf und mich das erst recht anstachelt ...
  • ... und ich erzählte, dass ich diverse Male von Unfällen und Bränden berichtet habe, in Straßengräben hockte, um Fotos zu machen und oft zu schnell Auto fahre, wenn ich gute Bilder haben will und dass bei mir der Reflex zum Kamera schnappen und losrennen einsetzt, wenn ich eine Sirene höre ... und ich erzählte, dass ich mich geärgert habe, dass die letzten großen Einsätze an Kollegen von mir gegangen sind ...
  • ... und ich erzählte, dass ich bis auf den Sport Tag für Tag im Lokalen jedes Ressort bearbeite - mal rezensiere ich die aktuelle Produktion am örtlichen Theater, dann wühle ich mich durch den städtischen Haushaltsplan oder besuche Firmen ...
  • ... und ich erzählte, dass es oft stressig zugeht an der Tageszeitungsfront, weil da nix liegen bleiben kann ... und man an manchen Tagen ohne Murren 300 Zeilen von sich geben muss ...
  • ... und ich erzählte, dass mich eine Geschichte vor Gericht und zu schlaflosen Nächten gebracht hat ...
  • ... und ich erzählte von Leuten, die mich auf der Straße wegen einer besonders schönen Geschichte ansprachen und dass sie mir oft sagen, dass ich sie zum Lachen oder auch Weinen gebracht habe ... und ich erzählte, dass mich einmal ein Polizist bei einer Demo, über die ich berichtete, herauszog, nur um mir zu sagen, dass er bei meiner Geschichte über einen Feuerwehrmann geweint hat ...
  • ... und ich erzählte, dass ich so bekannt bin, dass ich mich manchmal nicht mehr unerkannt in meiner Stammkneipe rumtreiben kann und irgendwie jedes Gespräch schnell ins Berufliche kippt ... und mich Leute gerne über mein privates Facebookprofil & Co. anschreiben und ich nie ganz abschalten will ... und ich erzählte, dass ich so wie eine kleine Spinne ein Netz an Informanten habe ...
  • ... und ich erzählte, wie gerne ich Schulklassen von meinem Beruf erzähle und sie mich meistens fragen, wann ich mich für diesen Beruf entschieden habe und ich dann sage, dass ich damals selbst noch Grundschüler war und doch sofort verliebt ...
... und als ich so erzählte und erzählte und erzählte ...

... wurde mir klar, dass ich nichts anderes will als das - genau das alles! Ich will Lokaljournalismus machen. In meiner Heimatstadt. Sonst nix.

Samstag, 1. November 2014

Die Journalistin in meinem Kopf

Wenn ich ihr so Geschichten aus meinem Leben erzähle, sagt meine Mama gerne mal, dass ich doch ein Buch schreiben solle. Hm. Vielleicht besser nicht! Oder: Der Zug ist abgefahren. Und überhaupt und sowieso! Denn über Journalisten heißt es doch ohnehin schon, dass sie verhinderte Schriftsteller seien. 

Und außerdem hat eine andere schon ein Buch geschrieben, das ich selbst nicht besser hätte formulieren können. Es folgt also eine Werbeunterbrechung. Quasi ...

Bekanntlich bin ich großer Brandenburgfan. Dort trug sich jener Glücksumstand zu, der zum Erwerb des Buches "Mir fehlt ein Tag zwischen Sonntag und Montag Geschichten vom schönen Scheitern" der wunderbaren Katrin Bauerfeind führte. Die Buchhändlerin hatte mich in meiner brandenburgischen Lesesucht bereits einige Tage zuvor gut beraten und da überwand ich auf ihr Zuraten hin meine Abgneigung dem Bauerfeind-Buch gegenüber. Es ist ja nicht so, dass ich die Bauerfeind nicht mögen würde. Ich freue mich, wann immer ich sie im TV oder diesem Internet sehe. Aber als es hieß, die habe jetzt auch ein Buch geschrieben ... da zog ich die Augenbraue nach oben und lehnte es aus Prinzip ab, dieses Buch zu kaufen. Dieser ewige Reflex bekannt bis berühmt gewordener Menschen jetzt auch noch ein Koch-, Ratgeber- oder Irgendwasbuch massenhaft unters Volk zu bringen und das auch nur dank des eigenen Promistatus? Noch so eine selbstironische Frau um die 30, die meint ihre Sicht auf die Dinge aufschreiben und damit am Ende auch noch Anerkennung und/oder Geld verdienen zu müssen? Tzzzz! Das muss ich doch nicht unterstützen! Da konnte ich die Katrin gleich ein bisschen weniger leiden.

Die Buchhändlerin meinte aber, das sei alles Quatsch und das Buch sei perfekt für mich, meinen Beruf, mein Alter und so weiter. Also gekauft. Und an einem Nachmittag verschlungen. Tränen gelacht, Bauchaua von Lachkrämpfen bekommen. Und eine große Verschwörungstheorie entwickelt!

Ich vermute, dass die Bauerfeind so ein bisschen auch in meinem Kopf steckt. Zumindest schreibt sie wohl vielen Frauen (oder Frauen wie mir, es muss doch noch mehr von meiner Sorte geben...) aus dem Herzen, von der Seele ...

Zum Beispiel, dass es furchtbar ist als Singlefrau um die 30 immer ein wenig schief angesehen zu werden. Dass auf die Ansage, dass man solo sei, immer so ein Zweifel in der Stimme der anderen liegt, wenn sie etwas wie "Waaaaaas?! Dabei bist du doch so eine tolle Frau!" sagen. Da schwingen Mitleid und Abkanzeln mit. Als habe man nicht einfach nur keinen Partner, sondern einen an der Klatsche. 

Ich habe schon lange die Vermutung, dass viele Menschen lieber in unbefriedigenden Beziehungen leben als den Stempel "Single" zu tragen. Sie leben lieber unglücklich zu zweit als glücklich allein. Lieber die Fassade (ich nenne solche Leute Fassadenmenschen) wahren, man sei ja total "normal", weil wie jeder andere auch in einer wenn auch eher lala Beziehung als eben "abnorm", weil man lieber allein ist als mit irgendjemandem zusammen, der eigentlich nicht wirklich zu einem passt, mit dem man sich nicht austauschen und den man nicht wirklich lieben kann  (den wirklich "passenden" Menschen kennt man übrigens auch unter dem Begriff Lebensmensch, ich nenne so jemanden aber entsprechend meiner TV-Sozialisierung auch mal Mr. Big oder McDreamy).

Und wer obendrein als Frau mit um die 30 keine massiv tickende biologische Uhr hat, muss ja sowieso eine elende Schrulle sein. Sagen die! Die Bauerfeind erklärt, wie es wirklich ist und man möchte ihr sofort einen Antrag dafür machen. Kinderlos sei nicht das neue langweilig und Kinder kaum mit Hunden zu vergleichen, weil der Hund nämlich der beste Freund des Menschen ist, weiß Frau Bauerfeind unter anderem in einem Kapitel zu berichten, das ich beim ersten Mal wild lachend durchlas. Und schrullig sind in Wirklichkeit diese bloßes Muttertier gewordenen Frauen, die sich nur noch um das Kind drehen. Ich halte inzwischen Abstand zu solchen Frauen. Aus gutem Grund. Während sie in dieser angeblich modernen Gesellschaft nicht erklären müssen, warum sie Kinder haben, muss ich erklären, warum ich keine habe.

Nein, Kinder sind nicht für jede Frau das Ziel im Leben. Genauso wenig wie den Mr. Right nach dem Motto "Mr. Right, alles right" zu finden (Nein! Die wichtigste Beziehung ist die zu sich selbst). Es geht sehr gut auch ohne diese angeblich einzig erstrebenswerten Punkte! Es ist eine Frechheit, dass einem dies dann aber als Scheitern ausgelegt wird. Ohne diese angeblichen Standards im weiblichen Leben zu sein, ist kein Schicksalsschlag oder Makel - sondern eine absolut bewusste Entscheidung.

Und dass die Bauerfeind wie ich ein Opfer der Kosmetikindustrie ist, das jede Art Creme schon auf dem Gesicht hatte und jedes Versprechen dieser milliardenschweren Industrie erstmal glauben mag, werte ich als den letzten Beweis, dass Journalistinnen um die 30 sich hierzulande ziemlich ähnlich sind. Sie haben ein paar Macken (durchweg sympathische), Ecken und Kanten, ihren eigenen Kopf, erste Falten (frau nennt sie Veronica Ferres, damit die Falte weiß, was frau von ihr hält), Talent, Humor, Selbstironie, Lebenslust, Spaß an ihrem Job, die Emanzipation begriffen, Spleens wie den mit der Cremegläubigkeit, das (Selbst)Bewusstsein einfach toll zu sein (ich finde mich super, aber auch toll und großartig) ... tausend andere Facetten - und manche eben ein Buch auf dem Markt.

Ich werde übrigens demnächst zu einer Lesung der Bauerfeind gehen. Ich werde sie bitten, mir mein Exemplar mit "BauerNfeind" zu signieren. Das ist sie mir schon schuldig. 

Und was ich eigentlich sagen wollte: Kauft und vor allem lest dieses Buch!


* Zu Verschwörungstheorien, sagt sie selbst, neigt die Bauerfeind übrigens auch! Diverse Male beim Lesen dachte ich nämlich das Folgende: "War die in meinem Kopf? Warum stehen da genau meine Gedanken zu all diesem Karriere-, Kinder-, Männerkram? Sind wir alle gleich?"