Sonntag, 12. Juni 2016

Rolling in the Dorf

Ein Abend im Frühsommer. Langsam sinkt die Sonne am Horizont tiefer und tiefer. Ein Spaziergang in sauberer Luft und der Ruhe eines Dorfes. Ich höre Vögel singen, Frösche quaken, einen Traktor in der Ferne tuckern, kaum ein Auto fährt vorbei, die Äste wippen von Zeit zu Zeit in einem lauen Lüftchen. Es könnte alles so schön sein ...

Aber ich bin gerade inmitten eines Entenmarsches. Ich bin als Journalist Teil eines Dorfrundgangs, den der Ortschaftsrat des schnuckeligen kleinen Nestes terminiert hat. In jedem Dorf gibt es das in den Sommermonaten, jede Woche lockt ein anderer Spaziergang zum Probleme wälzen und darüber schreiben. Ich finde das grundsätzlich gut. Hier auf dem Land werden Sachverhalte noch als Geschichten übern Gartenzaun geklärt statt nur am runden Tisch. Was ich nicht so gut finde: dass ich plötzlich lachen muss...

Gerade habe ich im Rahmen einer kleinen Nahtoderfahrung meinen Körper verlassen. Und ich sehe mich aus dem Blickwinkel der Frau, die gerade mit dem Gartenschlauch ihren Rasen sprengt. Eine Frau mit Notizbuch, Stift und Kamera tapst inmitten einer dörflichen Reisegruppe umher und lässt Schritt für Schritt die Flügel ein wenig mehr hängen. Es muss eine Zeitungsente sein. Wann immer jemand Dinge wie "bei Schulzens, Herbert" oder "wo Müller, Werner früher wohnte" sagt, guckt das Entchen rätselnd um sich. Es wirkt müde.

Ein Mann in Jeans, einem weißen Hemd und Krawatte führt die Reisegruppe an. Sublokal wie es hier ist, ist dem adretten Führer kein nach oben gereckter Regenschirm nötig. Schimpfender Rabe, blubbernder Truthahn, gackernde Henne, plappernde Spatzen und die kleine schweigsame Ente folgen dem Pfau auch so.

Das Schilf im Dorfteich, sagt ein Mann, sei nie und nimmer richtig gestutzt worden. Noch im Winter war es unter der Wasseroberfläche mit Spezialtechnik abgemäht worden. Und nun steht es wieder wie eine Eins. Es mag an den sommerlichen Temperaturen und bestem Nährboden liegen, legt die Zeitungsente ein Gedanken-Ei. Und schweigt. Der Mann schimpft weiter. Die Zeitungsente erkennt derweil einen Trend. Zu kurzen Hosen, einem verblichenen T-Shirt und Schlappen trägt der Mann vom Dorf Socken. Sie sind weit über den Knöchel hoch gezogen. Dunkelblau oder schwarz sind sie. Weiß nicht. Acht von zehn Teilnehmern eines Dorfspaziergangs tragen diesen Look. Der Rest trägt Sandalen. Jeder Rabe Socke weiß zu 100 Prozent, wie es besser gehen würde. Zehn von zehn Teilnehmern sind schlauer als der Rest der Welt.

Die Henne pickt. Zwischen den Steinen des Fußweges kommt ein Unkraut hervor, weiter vorn gar sehr viel davon. So, meint sie, sehe in der Stadt, dessen Ortsteil jenes Dorf ist, aber kein Fußweg aus. Die Zeitungsente weiß es besser, hält aber den Schnabel. Gegen die Ungerechtigkeit der Welt, alle fühlten sich immer ungerecht behandelt ... da ist wohl kein Kraut gewachsen. Das sieht das Zeitungsentchen nun ein. Die da oben, wir hier unten. Die da drinnen, wir hier draußen. Die Stadt, das Dorf. Muss erst was passieren, bevor was passiert? Das Leben ist nicht fair ...

Flügellahm verabschiedet sich das Entchen, es kuschelt sich ins Schilf an irgendeinem anderen See und schaut der Sonne beim Untergehen zu. Daran gibt es nix zu meckern.

* Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist rein zufällig und unbeabsichtigt. Dichtung und Wahrheit einer Nahtoderfahrung heben durch Übertreibung das Wesentliche hervor.

Sonntag, 5. Juni 2016

Früher war man besser

Die Saison der Dorf-, Stadt- und Heimatvereinsfeste hat wieder begonnen. Juchu. Endlich darf der freie Lokaljournalist wieder fast jedes Wochenende draußen verbringen - zwischen Kinderschminktischen, Hüpfburgen, Kuchenbasar und Biertischgarnituren. Endlich darf sich der freie Lokaljournalist wieder schuldig fühlen.

Der freie Lokaljournalist - aber auch der gebundene - muss nämlich gar nicht jede Hüpfburg mitnehmen, nicht jede Biertischgarnitur Probe sitzen. Die Zeitung wurde umstrukturiert, der Anspruch wurde ein anderer. Richtig gedacht, wird inzwischen noch mehr als früher nicht mehr über jedes Dorffest berichtet. Sondern über ausgewählte Feste, mitunter sogar nur sehr wenige Anlässe. Die großen Stadtfeste, seltenere Aktionstage oder Feste auf dem Dorf mit Besonderheiten, die aus den sonst üblichen Programmpunkten solcher Feiern herausstechen. Und für Stadtfeste wird inzwischen lieber auf mehr Fotos und wenig Text gesetzt. Die (Aus)Wahl zu treffen, misslingt einem logischerweise nicht immer zur Zufriedenheit aller.

Glaubt man den Beschwerdeführern in der Dorffest- und Leserschaft war das früher "aber gaaaaanz anders" und vor allem "viiiiel besser", denn jede Festivität auf jedem Dorf spielte früher immer, stets und ständig berichtenswerte Rolle. Vor allem die eigene von Bratwurstduft und Schlagermusik getränkte Schaffe. Mit viel Text und Foto. Ist doch klar. Denn jeder will doch am Mon- oder Dienstag in einem Nachbericht lesen, dass es am Samstag bestes Wetter in X, Kurzweil für Jung und Alt in Y und die Sorge ums leibliche Wohl in Z gab. 

Nun ja... Da hatte ich ja schon immer meine Zweifel. Dorffeste sind toll. Fürs Dorf. Für die Dorfgemeinschaft. Ich finde sie wichtig und richtig. Die Stimmung ist gut, man trifft sich und schnattert. Ein bisschen Musik. Ein bisschen Programm wie Kita-Tanzgruppen, der Chor des Ortes, ein kleiner Festumzug mit der Feuerwehr. Schön. Das ist alles ganz prima. Aber was genau nützt es zwei Tage später zu lesen, wie es und dass das eben so war? Erst recht, wenn man aus einem etliche Kilometer entfernten anderen Dorf ist? Mehr gedient ist wohl allen Seiten, wenn solch ein Fest im Vorfeld angekündigt und beworben wird, man Lust auf einen Besuch bekommt. Mehr Leute live und vor Ort dabei, ist fürs Dorf doch besser als hinterher Blabla, wie schön es wieder war mit dem immer gleichen Programm ...

Beziehung verkackt


Falsch gedacht. Ich habe in den vergangenen Wochen diverse Menschen getroffen, die das Nicht-Erscheinen der lokalen Berichterstatter bei Dorffesten offenkundig ziemlich scheiße fanden. Man interessiere sich ja gar nicht mehr für sie. Mit "man" ist man als Journalist dann stets ganz persönlich gemeint. So als habe man eine Beziehung zum Dorf geführt und lasse es nun am ausgestreckten Arm verhungern oder sei irgendwie nicht mehr so aufmerksam wie früher. Und neulich habe man den Müll nicht runtergebracht und die Zahnpastatube mal wieder offen gelassen. Und dass man über ein anderes Fest - zum Beispiel eine seltene Jubiläumsfeier - berichtet hat, wird einem besonders übel genommen. Dass man dies nicht aus persönlichen Interessen, sondern meist aus vom Chef vorgegebener Pflicht getan hat, das würde zur Verteidigung auch nicht reichen. Wichtig und richtig ist immer nur das, was man nicht besucht hat. Schämen sollte man sich. Ich verstehe schon, dass sich mindestens die Organisatoren eines Festes geehrt fühlen, wenn man darüber berichten würde. Nur verstehen die wohl nicht, dass es nun mal nicht immer Sinn macht.

Erscheint man doch zu einem der auserwählten Dorffeste, kommt garantiert der Vorwurf, dass man es zur falschen Zeit tut. Man hätte vorher da sein müssen. Als der Kuchenbasar anfing. Oder der Kegelwettstreit. Als der Bürgermeister ein paar Worte sprach ... und dann wieder entschwand. Man macht es grundsätzlich verkehrt. Vorhin hätte man den Anstich des Fassbiers fotografieren müssen, denn das braucht das Dorf unbedingt für die Chronik. Der Journalist, scheint so mancher zu glauben, arbeitet nämlich auf Bestellung für alle Seiten und ist der auf Fingerschnipp einzusetzende Dorfchronist, der sich ständig einsatzbereit hält. "Warum kommen sie jetzt erst? Sie hätten vorhin das Foto machen müssen!", polterte mich gestern eine Frau an. Dass ich vorher noch andere Termine hatte, fand sie nicht zufriedenstellend als Begründung. Dass ich nach 70 Minuten (!) wieder ging, fand sie auch blöd.

Dass man nicht die ganze Zeit mit dabei ist bei solch einem Fest ist eben ein Verbrechen. Warum nur bleibt man nicht die ganzen neun Stunden? An beiden Tagen? Das bedeutet ja, dass einem irgendwas anderes wichtiger ist. Ein anderes Dorffest vielleicht? Die Texte, die noch zu schreiben sind? Dass man noch seine Wohnung putzen müsste? Am Ende das Privatleben? Oder gelegentlich ein freier Tag? Warum mag man nicht jedes Wochenende Bratwurst essen?

Schlimmer macht man es nur noch, wenn man solch ein Fest einfach mal ganz kurz privat besucht und nicht mal sein Notizbuch aus der Tasche nimmt. Man kommt vielleicht, um leckeren Kuchen zu essen oder fix ein paar Bekannte zu treffen. Vielleicht nutzt man ja nebenbei ein wenig die Chance, den aktuellen Dorftalk aufzufangen und daraus später mal Recherchen zu entwickeln und neue Themen zu entdecken. Die Wertschätzung fürs Dorf nur mit Anwesenheit und keinem Artikel (der sich eh 08/15 irgendwo zwischen Wetterbeschreibung und Smalltalk mit dem Dorfhäuptling liest) auszudrücken, das ist scheinbar mieser als ganz fern zu bleiben. 

Ich freue mich. Noch bis September habe ich die Chance, fast jedes Wochenende in ein neues Fettnäpfchen zu latschen. Ob ich nun da bin oder nicht.