Dienstag, 18. April 2017

Ich bin Opa

"Du bist noch so jung, aber du gehörst zur alten Schule", sagte mein Kollege heute um 16.22 Uhr. Er geht auf die 60 zu, wechselt damit nächstes Jahr in die passive Phase der Altersteilzeit, seine Tochter ging in meine Klasse und macht ihn demnächst zum dreifachen Opa. Gerade stand ich im Besprechungsraum neben seinem Büro und schimpfte über die Jugend von heute, die keinen Sinn für Tugenden habe - dann schüttelte ich abschätzig mit dem Kopf und ereiferte mich noch ein wenig, ein paar Flüche als Garnitur und ferdsch.

Ich (33 Jahre alt) dachte ja der Gipfel sei erreicht, als mich vergangenen Sommer eine junge Frau Anfang 20 zum verabredeten Interviewtermin 21 Minuten warten ließ und dann fröhlich und im vollen Bewusstsein ihres Zuspätkommens erklärte, sie habe noch ein Pokémon jagen müssen.
Vergangene Woche war ich mit einer anderen jungen Frau Anfang 20 zum Gespräch für einen Artikel in einem Café verabredet. Ich saß da und saß und saß, ich trank einen Tee, saß und saß. Meine Miene ward finster. 15 Minuten nach dem angesetzten Termin kontaktierte ich die junge Frau. Hach, sie habe es ganz verschwitzt, sie schaffe es ja aber in einer Stunde - nur da hatte ich schon meinen nächsten Termin und ich kann es nicht leiden, Termine abzusagen, zu verschieben oder zu spät zu kommen. Also verabredete ich einen neuen Termin mit der jungen Frau. Heute 9.30 Uhr wollten wir uns wieder in dem Café treffen. 8.30 Uhr (immerhin!) erhielt ich eine Nachricht, sie schaffe es nicht, weil sie noch - Trommelwirbel und Konfetti - Haare glätten müsse ... Haare glätten ... wichtig, ganz wichtig, einer muss es ja machen ... das ist noch besser als ein Pokémon! Wenn mir ein Arzt erklären würde, er hätte gerade noch eine Operation am offenen Herzen durchführen müssen, ich hätte deutlich weniger Verständnis. Haare glätten dagegen? Hey, also bitte!?!

Sie komme dann später am Tag mal in der Redaktion vorbei, meinte die Frau. Ja! Sehr gut! Genau! Bekanntlich sitzen Journalisten den ganzen Tag im Büro und warten, ob mal wer des Weges kommt und was erzählt. Andere Termine haben sie nicht. Ich schlug also einen Termin um 16 Uhr vor. Sie willigte ein. 16.01 Uhr ... keine Gesprächspartnerin ... 16.15 Uhr keine Gesprächspartnerin ... 16.16 Uhr keine Reaktion auf meine versuchte Kontaktaufnahme ... 16.22 Uhr fiel der Satz "Du bist noch so jung, aber du gehörst zur alten Schule.". Ich weiß nicht, was der Grund für das erneute Zuspätkommen oder besser - nennen wir es doch beim Namen - erneute Versetzen war, die junge Frau meldete sich nicht, es ist mir mittlerweile auch ziemlich wurscht. Ich bin durch mit der Jugend von heute.

Wie gerne denke ich da an den vergangenen Donnerstag. 14 Uhr hatte ich einen Termin mit einem 49-Jährigen. Er war 13.55 Uhr da. Er entschuldigte sich dafür, dass er so zeitig dran sei. Ich sagte, dass mein Opa schon immer "Fünf Minuten vor der Zeit, ist des Soldaten Pünktlichkeit!" sagte und frohlockte.

Ich mag Pünktlichkeit. Und ich höre oft die Stimme meines Großvaters in meinem Kopf. Fünf Minuten vor der Zeit ... Verbindlichkeit. Pünktlichkeit. Ich finde beide super. Sie sind meine Zwänge und ich steh' drauf! Wenn ich im Job merke, dass ich nur 90 Sekunden vor einem Termin da sein kann, dann rufe ich mein späteres Gegenüber am liebsten schon mal an und sage, dass ich vielleicht später komme. Wenn ich wirklich mal ein oder zwei Minuten später komme, weil mir auf dem Weg noch so etwas wie eine Feuerwehr- oder Unfallberichterstattung dazwischen gekommen ist, dann entschuldige ich mich dafür und habe garantiert auf dem Weg versucht, anzurufen und entsprechende Info zu geben. 

Dienstlich bin ich so diszipliniert wie privat. Ich bin aus kosmetischen Gründen noch nicht mal zu meiner eigenen Hochzeit zu spät gekommen, die Frisur saß überpünktlich. Wenn ich doch mal zu privaten Terminen zu spät komme, dann liegt es in 99 Prozent der Fälle an meiner Begleitung - und dann bin ich entsprechend sauer auf diese und schimpfe sie für ihr unstrukturiertes Dasein und halte Vorträge zur Organisation und Nulltoleranzpolitik. Ja, ich würde sagen, ich bin ein Pünktlichkeitsnazi! Mir ist daher bis heute peinlich, dass ich - alleinbeteiligt! - neulich zu einer spontanen Verabredung zu einem Spaziergang zirka 40 Sekunden zu spät gekommen bin. Ich entschuldigte mich wortreich und sagte, ich sei von jemandem aufgehalten worden. Pfui, Ausrede! Die Wahrheit ist: Ich hatte mich beim Strukturieren meiner To-do-Liste im Terminkalender verzettelt.

Donnerstag, 13. April 2017

Nicht nur draufhauen, auch streicheln musste können!

Die morgendliche Bloglektüre hat mir was offenbart. Kurz für alle, die dem Link nicht folgen oder nicht noch mehr lesen möchten: Autorin Madhavi Guemos plädiert dafür, auf den Spruch „Eigenlob stinkt!“ zu pfeifen und über positive Dinge, Entwicklungen und Erreichtes auch zu sprechen*. Überhaupt plädiert sie immer wieder für eine positive Einstellung, der Blog ist sehr zu empfehlen.

Tue Gutes und sprich darüber, sagt man doch. Warum auch nicht? Im Journalismus kann man zum Sprachrohr werden. Nur scheinbar sind nur die schlechten Nachrichten Nachrichten. Warum ich entgegen meiner naiven journalistischen Anfänge mit dem Ziel Kulturjournalist zu werden inzwischen liebend gerne Lokaljournalist bin? Ganz einfach: Kaum in einem anderen Ressort hat man die Chance, die Welt so oft auch von ihrer guten Seite zu zeigen. Die Welt ist schön und es gibt einen Haufen gute Nachrichten. Und einen Haufen guter Menschen.

Genau die rücke ich seit einiger Zeit verstärkt in den Fokus meiner Arbeit. Ich kann und ich habe auch Spaß am Hau-drauf-Journalismus. Ich bin kritisch und ich komme sehr gut mit den Konsequenzen klar. Doch es geht um mehr als das. Guter Journalismus ist nicht nur der, der das Negative beleuchtet. Gerade im Lokalen. Ich zeige gerne das Positive. Natürlich hat jede Medaille immer zwei Seiten. Aber warum bitte soll man den Lesern nicht auch mal eine Freude machen mit einer einfach netten Geschichte? Nicht immer ist nett der kleine Bruder von Sch…

Die Welt ist voll von schlechten Nachrichten. Ständig ist irgendwo Krieg. Das bekommt auch der lokale Leser stets und ständig um die Ohren gehauen. Das muss er aushalten, unsere Welt ist nun mal so und wir müssen uns dem stellen, dürfen die Augen auch nicht verschließen - dafür würde ich nie plädieren. Aber warum sollte der Lokalteil nicht auch immer mal die Gelegenheit zum Durchatmen sein?

So berichte ich gerne über den Mann, der im Rathaus die Märkte organisiert und das ziemlich gut macht. Ich finde den Kerl sehr sympathisch und noch besser finde ich seine Arbeit. Ich fand es nun einfach mal an der Zeit ihn und seine Arbeit auch zu würdigen – mit einem großen Artikel und einem Kommentar dazu. Warum auch nicht?
Ich berichte gerne über den kleinen Verein, der Kultur aufs flache Land bringt und das seit 20 Jahren. Warum soll man da nicht einfach mal nett sein und einen einfach nur netten Artikel schreiben? Gerade der lokale Journalismus sollte sich den Boulevard sparen – Boulevards gibt es doch eh nur in großen Städten ...

*Macht man das mit dem auf „Eigenlob stink!“-Pfeifen übrigens (als Frau) im Journalismus mit Sätzen wie „Das hab ich gut geschrieben.“ oder „Da war ich schnell dran am Thema.“ oder „Klar, das traue ich mir zu.“ wird einem sowas gerne mal als zu viel „Sendungsbewusstsein“ angekreidet. Nun ja. Geschmackssache. Ich bleibe dabei.