Freitag, 20. April 2018

Dienst und Schnaps

Dienst und Schnaps. Schnaps und Dienst. Gehören nicht zusammen. Sagt man.

Kann man Job und Privatleben trennen? Sollte man. Geht das immer? Nein. Ist man im Job genauso wie im Privaten? Also ich nicht. Nicht mehr. Ich habe eine Dienst- und eine Schnapspersönlichkeit. Ich leiste sie mir sogar bewusst.

Terminjournalismus. Muss ja auch mal sein. Eine Genossenschaftsidee in meiner Stadt wird vorgestellt, die Infoveranstaltung soll Bürger locken, Anteile zu erwerben. Das ist grundsätzlich für mich eine gute – und zugegeben auch bequeme - Gelegenheit, zu erfahren, wie es um die Genossenschaft steht und wer sich dafür interessiert. Irgendwie ist das auch Chronistenpflicht. Also bin ich hier.

Vor mir sitzt eine Frau. Sie lauscht aufmerksam, was so geredet wird. Als es an die Fragerunde geht,  schnellt ihr Arm nach oben. Mit betont kritischer Stimme fragt sie, was sich hinter diesem und jenem Punkt der Genossenschaftssatzung verbirgt. Gut. Kann man fragen. Muss man nicht. Ich höre ihr aufmerksam zu. So wie ich jedem aufmerksam zuhöre, der mir im beruflichen Alltag begegnet. Egal erstmal, was für einen Sch… er erzählt. Erstmal zuhören, dann aussortieren. Das gehört zum Job. Ich höre zu. Ihr auch. Auch dann, als sie zu erläutern beginnt, warum sie diese Frage so gestellt hat. Eine aus meiner privaten Sicht unnötige Erläuterung.

D-Zug

 

Zwei Stunden später. Ich bin in der kleinsten Bar der Stadt. Naja, besser gesagt bin ich davor. Das Wetter ist schön genug, auf dem Bürgersteig zu sitzen und Pigmente zu haschen. Einmal wöchentlich wird in und vor der kleinen Bar der Feierabend bei Drinks und Häppchen eingeläutet. Ich trinke keine Drinks mehr, ich trinke Brause. Vielleicht wäre es mit Drink aber anders.

Wieder die Frau. Sie erzählt. Und erzählt. Durchaus unterhaltsam, irgendwie erinnert ihr Reden aber immer ein bisschen an Auftritt. Hier und da eine Pointe, da was Nachgeäfftes, dort eine ungewohnte Betonung. Gesten. Schenkelklopfer. Den heutigen Witz lässt sie per Video auf dem Smartphone einen alten Mann im bunten Hemd erzählen. Der Witz ist nicht so alt wie der Mann, ich habe ihn trotzdem schon vor einem Jahr gehört. Also höre ich nicht zu. Ich schalte auf Durchzug. Wie ich es oft bei ihr und anderen Bekannten mache. Körperlich bin ich anwesend, ich bringe mich auch immer mal ins Gespräch ein, aber 100 Prozent – so wie im Job - gebe ich für solche Plaudereien nicht. Bei Freunden mache ich das nicht. Für die nehme ich mir Zeit und erst recht die zur echten Kommunikation, wenn die Zeit auch knapp bemessen sein mag oder selten...

Aber Menschen wie der Frau höre ich immer schlechter zu. Ich schalte ganz bewusst auf Durchzug. Weil ich es kann. Für mich eine gute Nachricht.

Jahrelang hat meine Hypersensibilität an meinen Nerven gezerrt, gezehrt und sie überreizt. Ich habe an einer vier Meter langen Tafel voller Gesprächsdurcheinander noch mitbekommen, was der Kerl am anderen Ende der Tafel als Drink bestellt und genossen hat. Ich konnte Tage später noch erzählen, wer wann was als Kleidung anhatte. Und ich konnte Stunden später benennen, welche Autokennzeichen mir auf der Landstraße entgegenkamen. Mir ist kaum etwas entgangen. Im Job mag das nicht schlecht sein, fürs Leben ist es nichts. Ich lebe zwar lieber und zum Leben gehört vermutlich für jeden irgendeine Bekannte oder irgendein Bekannter, der mit seinem Smartphone ganze Runde unterhalten will. Im Leben muss man aber auch nicht alles mitmachen und in sich hinein- und auf sich hören. Nur muss ich mit meinem D-Zug nicht alle anderen abhalten von dem, was sie okayer finden als ich. Ich bin also einfach aus der Bar getürmt. Entzug ist in Sachen Schnaps echt ein probates Mittel.