Sonntag, 24. Dezember 2017

Dankbarkeit

Weihnachten. Zeit für den traditionellen Weihnachts-Post so wie hier, hier, hier und hier. Zeit für Dankbarkeit. Natürlich all jenen gegenüber, die mich auf meinem Jacobsweg begleiten. Dankbarkeit für all die Dinge in meinem Leben, die einfach so gut sind und gut laufen. Dankbarkeit, dass ich so eine gute Freuamilie an meiner Seite habe.

Zu spüren bekommen habe ich das unter anderem, als der eigentlich gut gemeinte Plan für 2017 - mein Wechsel von der Selbstständigkeit in die Festanstellung - zum langen Nervenkrieg wurde, bei dem ich nach wie vor nicht ins Detail gehen kann. Wichtig ist das Ende: Ich habe daraus gelernt. Viel. Sehr viel. Das vergesse ich nicht. Und ich will etwas zurückgeben, unter anderem stelle ich mich zur Betriebsratswahl und hoffe, dass ich dann ein paar Sachen im Unternehmen verbessern kann. Wenn ich nicht gewählt werde, bringe ich meine guten Ideen trotzdem ein. Seinen Gestaltungswillen kann man auch hinter den Kulissen ausleben, auch das habe ich gelernt.

Ich habe gelernt, dass ich - solange ich es will - immer ein Auskommen in dieser Branche haben werde. Scheißegal, wie anstrengend mich manch Chef finden mag. Denkt man als Boss an das Produkt, werden Menschen wie ich immer gebraucht. Denn der "journalistische" Nachwuchs ist keine Konkurrenz zu alten Hasen alter Schule wie mir. Es dominieren Ideenlosigkeit und Weichheit, Langsamkeit. Früher war alles besser, wir waren als Anfänger jedenfalls nicht halb so luschig drauf. Nach oben kommen diese Typen vermutlich schon, denn sie sind so flutschigflauschig, dass sie gut in Är... kriechen ... ach, lassen wir das! Ich habe ja aber auch gelernt, dass ich - zumindest momentan - gar nicht nach oben will und mein Gestaltungswillen (siehe oben) andere Ziele kennt.

Ich habe auch gelernt, dass ich meiner Familie dankbar sein kann für meine Erziehung. Eines Tages in diesem Jahr machte ich eine Seite 3 über eine Sportlerin Anfang 30. Am Rande spielte auch deren "Kollegin" eine Rolle, einfach nur durch die Anwesenheit auf Fotos, ansonsten war sie verzichtbar für die Geschichte. Die gekränkte Eitelkeit hätte ich ahnen müssen... Als mir diese Frau Anfang 20 aufgrund einer nach ihrem Geschmack dann falschen Bildauswahl kurz vor Mittag des Erscheinungstages mit leidender Stimme am Telefon Dinge wie "Ich ich ich (schnief) muss versuchen damit klar zu kommen" und "Ich ich ich (schnief) liege noch im Bett, ich muss das alles erstmal verarbeiten" sagte, war ich froh, dass mein Verarbeiten immer schon Aufstehen war. Momente wie dieser geben mir die Gewissheit: Wenn die Zombie-Apokalypse über uns hereinbricht, werde ich in der Lage sein, eine Gruppe Überlebender anzuführen. Die anderen bleiben liegen.

Schauen wir mal, was das Jahr 2018 bringt...

Donnerstag, 14. Dezember 2017

Die Wahrheit an der Lügenpresse

Donnerstag = Planungstag. An diesem Tag muss jeder Reporter/Redakteur der Redaktion einen Plan abgeben, in dem er auflistet, was er an welchem Ausgabetag der nächsten Woche abliefert – Aufmacher, Kellerbeiträge, Fotos, Anker und die Seite 3. Daraus wiederum entsteht der Wochenplan der Redaktion. Ich sollte also jetzt schon wissen, was am Montag in einer Woche in der Tageszeitung steht. Und ich weiß, welchen Aufmacher mein Kollege am nächsten Donnerstag liefern wird. Schöne Listenwelt ... Und ihre Qualität ist den Beurteilern der Liste so wichtig wie die Quantität der Liste.

Kurzum: Donnerstag ist kein beliebter Tag unter den meisten Redakteuren. Bislang kam ich noch ganz gut zurecht mit diesem Tag und habe – finde ich – immer wieder gute Themen angeboten und davon auch nicht zu knapp. Ich habe mich gefreut auf diese vielen kleinen und großen Projekte der nächsten Tage. Und strukturiertes Arbeiten und Organisation liegen mir ohnehin, ich konnte also in 99 Prozent der Fälle garantieren, dass ich auch liefere, was ich notiert habe. Alles schick.

Nicht mehr. Jetzt mutiert der Donnerstag auch für mich zu einem Montag wie ihn jeder Angestellte fürchtet. Donnerstag? Mäp, hör mir uff mit dem! Donnerstag? Hab ich keinen Bock drauf! Waaaaaas, schon wieder Donnerstag? Och nö, ich möchte lieber liegen bleiben.

Ist klar. Erst recht zum Jahresende. Die Redaktion ist müde, die Kollegen scheinen leer und verbraucht. Jetzt hat es auch mich, mit 33 Jahren das „Küken“ der Redaktion (schlimm genug, dass man in dem Alter die Jüngste einer Redaktion sein kann), auch erwischt. Ich fühle mich noch leerer und noch verbrauchter. Ich bin müde. So kommt Donnerstag X und plötzlich fällt einem nicht mal mehr ein, was man auf den Plan schreiben soll. Weil da nix ist. Keine Idee, kein Funke, keine Lust. Alles 08/15 und manchmal nicht mal das. Kein Kracher. Kein Knaller. Keinen Bock.

Kein Wunder!

Ich habe das mal ausgerechnet. Durchschnittlich schreibe ich – wie vermutlich gefühlt 90 Prozent der Kollegen (bzw. mindestens 90 Prozent fühlen sich so) - täglich bis zu 220 Zeilen. Das ist so ungefähr jeden Tag die Textmenge, die der Mittelbau einer klassischen Zeitungsseite fasst plus drei bis vier kleinere Nachrichten. An Spitzentagen sind es 500 Zeilen. Tage unter 200 Zeilen in den vergangenen Wochen und Monaten fallen mir kaum noch ein, eine Handvoll könnten es sein. Natürlich ist Schreiben mein Job. Und grundsätzlich ist der Job einer der schönsten der Welt. Nur die Umstände sind beschissen.

Jeden Tag solche Textmengen ausstoßen zu müssen, bedeutet schlicht irgendwann geschlaucht zu sein. Das kann nicht anders kommen. Denn es geht ja nicht allein darum, die Zeilen einfach nur zu schreiben. Bis man die Zeilen hat, ist ja jede Menge Arbeit zu tun. Telefonate, Termine, schriftliche Anfragen, Besuche vor Ort, Fotos bzw. die Organisation von Fotos … na Recherche und so eben …

Für Ideen, für Funken, für Kreativität braucht es Luft zum Atmen, die nicht gegeben ist beim Hetzen von einer Zeile zur nächsten. Gute Zeilen allein schon in Sachen Stilistik wachsen davon auch nicht. Für gute Arbeit, gründliche Arbeit und schließlich den Anspruch der vierten Gewalt (... na Recherche und so eben ...) braucht es Zeit, die nicht gegeben ist beim Hetzen von einer Zeile zur nächsten.

Will ich damit jammern? Nö. Also ... jein. Dann könnte ich mir diesen schönen Job woanders suchen und Ruhe is. Genau an diesem Punkt fängt jetzt das Jammern an! Das Jammern über Journalismus heutzutage.

Es geht nicht um mich, es geht nicht um meine Redaktion, es geht nicht um dieses eine Medium. Das ist nur ein Beispiel aus dem konkreten Erleben. Wo auch immer man hinhört und sich mit Redakteuren austauscht, über welche Tageszeitung man auch immer in Branchenmagazinen liest, was auch immer die Gewerkschaften kommunizieren, was auch immer man recherchiert – das Problem ist (fast) überall genau das gleiche. Redaktionen sind personell zu knapp besetzt, immer weniger Leute müssen in Zeiten des Digitalisierungswahns (alles zuerst online, noch ein Video, schnell eine Bildergalerie) immer mehr Arbeit leisten und entfernen sich auch dadurch immer weiter vom Journalismus wie er sein sollte – die abverlangte Quantität killt jede Qualität. Und am Ende schimpft wieder einer Lügenpresse ... und ein Funke Wahrheit ist dran.