Dienstag, 18. März 2014

Stadt verlassen

Ein Drittel meines Lebens habe ich zwar in einer Großstadt verbracht, dennoch liebe ich meine Kleinstadt. Sehr. "Ein leidenschaftlicher Journalist kann kaum einen Artikel schreiben, ohne im Unterbewusstsein die Wirklichkeit ändern zu wollen." hat der Herr Augstein mal gesagt. Ich schreibe manche Artikel in der unter- bis bewussten Hoffnung, die kleine Kleinstadtwelt zu ändern ... zum Besseren. Ja. Trotzdem habe ich kürzlich daran gedacht, meine liebe Stadt zu verlassen und einfach in eine Millionenmetropole zu ziehen, wo mich niemand kennt und ich niemanden kenne.

Ich (29, Single, fabulous) wollte eigentlich nur mal nett in netter Begleitung was essen gehen. In der einzig wahren Kneipe meiner Stadt, der ich übrigens auch schon mal eine öffentliche Liebeserklärung machte und die ich in letzter Zeit so oft besuchte, dass ich ernstlich darüber nachdenke meine Anschrift in ihre zu ändern. Nun gut. Wir betreten also das Lokal. Darin befindlich ist bereits eine kleine Ansammlung Stadtratsmitglieder und ein Sympathisant dieser kleinstädtischen Opposition. Hingesetzt. Die Tür geht auf. Es kommt eine Ansammlung aus guter Freund, Bekannter und flüchtig Bekannter (welcher angeblich ein Auge auf mich geworfen hat) herein. Freundlich grüßen und weiter im Text des "Lass uns doch mal was essen gehen"-Tänzchens. Die Tür geht wieder auf. Herein spazieren Stadtoberhaupt, eine enge Mitarbeiterin und ein Mann, der sehr viel von sich selbst und weniger von meiner Stadt hält. Nennen wir sie einfach "Vater Mutter Kind". Es entsteht eine Situation, in der gelinst und getuschelt, Blicke und Kommentare ausgetauscht werden. Es erfüllt allmählich den Tatbestand von "Nett ist der kleine Bruder von Scheiße". Ich fühle mich beobachtet. Weil ich sonst der Beobachter bin, nervt mich das. Ich frage also mein Gegenüber, ob er sich nicht einfach sein Bier einpacken lassen will. Witzig.

Das Gesicht meines Gegenübers schläft ein, als die Kellnerin mir einen Whisky bringt. Sie kommentiert, der sei von einem Herren mit den besten Grüßen für mich. Nicht witzig. Aber lecker. Wenig später bringt die Kellnerin die zwei von uns nur wenige Bruchteile zuvor georderten Weinbrände. So schläft mir das Gesicht ein, als die enge Mitarbeiterin des Stadtoberhaupts meinen Alkoholkonsum kommentiert. Ich möchte mir nur noch ein Fass Bier to go bestellen.

Insgesamt ist es mir aber nun inzwischen gelungen, mir meine Gesamtsituation schön zu trinken. Ich glaube daher, dass ich trotzdem in der Stadt bleibe. Es ist manchmal so furchtbar nett hier. Und man trifft immer nette Leute. Und die treffen einen.

1 Kommentar:

Die Füchsin hat gesagt…

So ist das: Große Kreisstadt kann gleichzeitig Mittelzentrum und ebenfalls Kleinstadt sein.
Kleinbürgerlich geht auch.
Kleinhirn an Großhirn: Soll ich mich auch ducken? Jaaaa. Aber vorher das Bier einstecken.