Sonntag, 28. Februar 2016

Gesichtsblindheit oder so

Eigentlich kann ich mir Sachverhalte und Personen und Gesichter sehr gut merken. Umso peinlicher berühren mich zwei Vorfälle jüngerer Vergangenheit. 

Vorfall 1

 

Ich war gerade für eine Schulung zu Gast im Haupthaus meines Hauptauftraggebers. Zwischen zwei Etagen darf dort geraucht werden. Na bitte, Rauchen ist nach wie vor weit verbreitet. Ein Laster, das ich mir zum Glück nie angewöhnte. Ich eilte von Etage zu Etage, besser bekannt als Treppensteigen. Auf der Raucherinsel stand ein Mann, den ich meinte als den Hauptbuchhalter erkennen zu können. Er sieht dem Hauptgeschäftsführer recht ähnlich. Sehr viele Häuptlinge arbeiten im Haupthaus. Aber ich bin ja überzeugt, dass ich mir Sachen und Gesichter gut merken kann. Ich habe ja ein gesundes Selbstbewusstsein in allen Lebenslagen. Ich sprach den Mann, den ich für das buchhaltende Haupt 1 hielt also als solchen an. Voll überzeugt. Es kam zur Antwort - lächelnd übrigens -: "Nein, ich bin Herr Schmidtmüller und nicht Herr Schulzmeier." Ups. Es handelte sich also um den Geschäftsführer vom Ganzen, Entscheider auch über mein Haupt. Klassisches Ups. Besser wurde es durch mein abwinkendes "Ach, na ja, ich bin auch nur freie Mitarbeiterin und Sie kennen mich ja auch nicht!" vermutlich auch nur bedingt. Wobei sein "Schade eigentlich!" darauf hindeuten könnte. Peinlich ist's mir trotzdem.

Vorfall 2

 

Ich überquerte gestern auf dem Weg zu meinen Eltern eine Straße. Eine Frau fuhr freundlich "Hallo, Frau Jacob, schönes Wochenende!" grüßend auf ihrem Rad an mir vorbei. Ich grüßte irritiert zurück. Wer war das noch gleich?! Wer war das?!? Ah ja! Frau König. Die Reinigungskraft in unserer Redaktion. 

Frau König kommt immer erst abends, wenn von uns - regulär - schon lange keiner mehr da ist. Der Job ist schlecht bezahlt und sie hat keine zwei Stunden Zeit ein ganzes Haus mit einem knappen Dutzend Zimmern und zwei Toiletten zu putzen. Als ich neulich mal schwer erkältet war und abends doch noch einmal in der Redaktion war, traf ich sie ihr Abendwerk verrichten. In unseren Papierkörben darf nur Papier landen. Ich fragte sie, ob ich mir wegen meiner Erkältung mal eine Mülltüte einhängen und die Rotztücher gleich am Schreibtisch entsorgen dürfte, statt in die Teeküche zu laufen. "Das mach ich schon, das mach ich für Sie"", sagte Frau König. Als die Erkältung vorbei war, legte ich ihr eine Pralinenpackung mit der Aufschift "Danke" auf meinen Schreibtisch und ein Post-it drauf "Meine Rotznase ist geheilt, ich brauch keine Tüten mehr." Das Post-it fand ich am folgenden Tag mit einem "Kein Problem, immer gern. Gute Gesundheit für Sie!" Zu Weihnachten legte ich Frau König ein Geschenk in den Schrank mit ihren Utensilien, ich hatte Süßes und ein kleines Büchlein mit der Aufschrift "Reinigende Gedanken" nett verpackt. Nach Weihnachten fand ich einen meiner Notizzettel, auf den Frau König mir unter Einsatz all der bunten Stifte, die mein Schreibtisch so zu bieten hat "Alles Gute und Liebe für 2016!!!" geschrieben hatte. Erst am vergangenen Montag traf ich sie wieder. Ich war abends nochmal in die Redaktion gehuscht, weil ich eine Nachricht online stellen musste. Wir plauderten kurz. Sie klagte übers Wetter. Ich klagte über die Allergie. Seit Dienstag sind in meinem Papierkorb wieder Plastetüten. 

Bei wem von beiden war es mir wohl peinlicher, die Person nicht erkannt zu haben?!?

Sonntag, 21. Februar 2016

Mein zweites Ich in Scharen

Ist man freier Journalist, steht es einem vor allem frei mit verschiedensten Arbeiten Zeilen und damit Geld machen zu müssen. Zum Beispiel bei Anzeigenblättern. Das ist nämlich ein noch recht leicht verdientes Geld. Ich layoute dort, also baue Texte um Anzeigen drum herum. Das wiederum ist gar nicht so leicht. Aber ich stelle dafür Rechnungen - schwuppdiwupp ist also ein bisschen Krankenkassenbeitrag verdient. Der Doktor müsste sich ohnehin mal kümmern. Ich habe ein zweites Ich entwickelt. Es ist nach den zweiten Vornamen meiner Eltern benannt und es ist ein kleines Phrasenschweinchen, es ist ganz anders als ich sein will. 

Bei meinem zweiten Ich kommen Menschen in Scharen in neu oder wieder eröffnete Geschäfte. Dinge reichen immer von bis - von einem Superduper bis zum nächsten, und sei es nur von Kleidergröße 34 bis 50. Egal, um was es geht: Mit hoher Qualität wird genauso gepunktet wie mit der individuellen und kompetenten Beratung. Ich würde vermutlich sogar bei einem Schnellrestaurant schreiben, dass der Mindestlöhner hinter der Theke mit individueller und kompetenter Beratung punktet, wenn er einem übellaunig nach Schema F einen Burger zusammenbastelt. Und der Kunde findet - auch in meinen Texten - garantiert, was das Herz begehrt. Der Kunde ist König. Erst recht bei einem Anzeigenblatt.

Das Schlimme daran ist, dass das Zeilenhonorar für solche Geschichten ebenso ausfällt wie das für eine echte Story. Ob man nun wirklich recherchiert und die verschiedensten Seiten einer Medaille beleuchtet oder die einseitige Sichtweise eines Anzeigenkunden in so einem Blatt darlegt - Zeitungen und Blättchen haben gleiche beziehungsweise sehr ähnliche, denn leider geringe Zeilen- und Fotohonorare zu bieten. Das heißt: Für eine echte Recherche kommt man am Ende garantiert auf einen Stundenlohn unter Mindestlohn - bekommt also nicht, was man verdient. Beim Anzeigenblatt kann man auch mal 40 Euro in einer Stunde kriegen. 

Das Zitat von George Orwell "Journalism is printing what someone else does not want printed: everything else is public relations." kommt mir daher wie bittere Ironie vor - viel zu schlecht ist es bezahlt, das zu tun, was andere nicht wollen. Dafür ist das, was man eigentlich nicht will umgerechnet zu gut bezahlt. Ich darf froh sein, dass ich ein Pauschalhonorar für die echten Arbeiten bekomme und das andere "nur" Zubrot ist. So rechnet sich das Leben als freier Journalist für mich und auch das zweite Ich.

Samstag, 6. Februar 2016

My office-office is my castle

Schöne neue Technikwelt. Das neue Redaktionssystem "meiner" Zeitung erlaubt es, von überall zu arbeiten. Also von überall dort, wo man Internetzugang haben kann. Also vermutlich nicht von Brandenburg aus. Man muss nicht mal mehr den Weg wie früher gehen und dem Chef einen Text per Mail schicken, wenn man mal nicht in der Redaktion ist. Nein, man kann den Text bei Bedarf und Lust und Laune von der heimischen Couch direkt auf die Zeitungsseite schreiben. Oder direkt online stellen. Und dabei kann man noch dazu direkt sehen, wie weit der Produktionsstand des Tages ist.

Es gibt Kollegen, die nutzen dies alles gerne fürs Home-Office oder das Arbeiten vom Sonstwo. Ein Kollege arbeitet zum Beispiel meistens nicht mehr direkt in der Stadt, über die er berichtet - sondern vom Haupthaus in 30 Kilometern Entfernung aus. Eine meiner Kolleginnen habe ich sogar seit gut sechs Monaten nicht mehr gesehen oder gesprochen, sie ist lieber daheim. Sie gelten als produktiver und effizienter. Da frage ich mich doch: Kann ich das auch?

Klar. Kann ich. Es ist ja einfach: Man setzt einfach zusätzlich zur längst gang und gäbe gewordenen privaten Kamera und dem privaten Handy noch den heimischen Rechner ein und schon kann es losgehen. Im privaten Gefilde. Im Schlafanzug, wenn man mag. Als großer Freund der auf Selbsterfahrung basierenden Recherche habe ich einen knapp zweistündigen Test gemacht:
Der Kaffee bei mir daheim ist deutlich besser als in der Redaktion. Ich stelle fest, dass der Knopf an meiner Schlafanzughose locker ist. Ich trinke noch einen zweiten Kaffee. Ich blicke in das Regal neben mir und meine, dass ich Stifte sortieren könnte. Ich sehe die Yogamatte. Nein, doch nicht. Heute Abend. Disziplin muss sein. Außerdem hab ich Hunger, fix ein Müsli gerührt. Mir fallen meine Zimmerpflanzen und deren Vernachlässigung auf - sie haben quasi mit hängenden Blättern gewunken. Fertig. Ich habe eine Menge CD's im Schrank, die ich lange nicht gehört habe. Das tippt sich gut, tippen nach Beat. Ich muss nachschlagen. Mein Schreibtisch ist ziemlich klein, das aufgeschlagene Notizbuch passt kaum neben den Laptop. Bei Ikea finde ich nicht gleich auf Anhieb einen Beistelltisch, der meinem Geschmack und den Platzverhältnissen entspricht. Das ist blöd. Aber die Musik ist gut. Da kann ich doch noch mal fix einen Discofox mit dem Besen durch die Küche tanzen. Ich fange an dabei mit mir selbst zu reden. Jetzt reicht's.
In einem Job, in dem die Grenzen zwischen Beruf und dem Privaten schon viel zu oft verwischen, fürchte ich noch mehr um die Abgrenzung. Mir fehlen meine Kollegen. Die gut gelaunte Sekretärin. Der Kollege, der mir was vom Bäcker mitbringt. Ich will mit Menschen kommunizieren. Von Angesicht zu Angesicht. Ich will mich von Menschen ablenken lassen. Ich will Scherze machen und lachen. Ich will einen Arbeitsweg, der etwas länger als zwei Meter ist. Ich will ins Büro nebenan gehen und Ratschläge geben und bekommen. Ich will mit den Augen rollen, wenn der Kollege zum x-ten Mal die gleiche "blöde" Frage stellt. Ich will ihn vom Arbeiten ablenken, während ich auf das Kochen meines Teewassers warte. Ich will mit den anderen Mittag essen. Dabei tauschen wir uns über Ideen aus und entwickeln neue. Wir kritisieren uns konstruktiv. Ich will ein Redaktionsleben! Home-Office? Ohne mich!

Die Heidi Klum der Büros: Hübsch anzusehen,
kann aber sonst nicht viel und nervt irgendwann.

Ausnahme: Wenn ich abends, nachts und wochenends mal wieder zu einem Einsatz der Feuerwehr ausrücke und möglichst schnell davon berichte, ist die schöne neue Technikwelt fast unbezahlbar. Ich könnte noch vom Einsatzort die erste Nachricht absetzen. Ich kann mich auch wieder in den Schlafanzug kuscheln, den lockeren Knopf ignorieren und meine Arbeit tun. Ein bisschen Adrenalin hilft beim Konzentrieren. Wenn ich dann später neue Infos im Nachgang des Einsatzes bekomme oder hochschrecke, weil mir noch was einfällt, dann muss ich nicht mehr mitten in der Nacht mit der Jeans überm Schlafanzug in die Redaktion huschen. Ich kann schneller sein als andere Medien. Effizienter und produktiver. Ich habe es getestet und weiß nun: Dann mag ich sie, die schöne neue Technikwelt.