Sonntag, 5. Juni 2016

Früher war man besser

Die Saison der Dorf-, Stadt- und Heimatvereinsfeste hat wieder begonnen. Juchu. Endlich darf der freie Lokaljournalist wieder fast jedes Wochenende draußen verbringen - zwischen Kinderschminktischen, Hüpfburgen, Kuchenbasar und Biertischgarnituren. Endlich darf sich der freie Lokaljournalist wieder schuldig fühlen.

Der freie Lokaljournalist - aber auch der gebundene - muss nämlich gar nicht jede Hüpfburg mitnehmen, nicht jede Biertischgarnitur Probe sitzen. Die Zeitung wurde umstrukturiert, der Anspruch wurde ein anderer. Richtig gedacht, wird inzwischen noch mehr als früher nicht mehr über jedes Dorffest berichtet. Sondern über ausgewählte Feste, mitunter sogar nur sehr wenige Anlässe. Die großen Stadtfeste, seltenere Aktionstage oder Feste auf dem Dorf mit Besonderheiten, die aus den sonst üblichen Programmpunkten solcher Feiern herausstechen. Und für Stadtfeste wird inzwischen lieber auf mehr Fotos und wenig Text gesetzt. Die (Aus)Wahl zu treffen, misslingt einem logischerweise nicht immer zur Zufriedenheit aller.

Glaubt man den Beschwerdeführern in der Dorffest- und Leserschaft war das früher "aber gaaaaanz anders" und vor allem "viiiiel besser", denn jede Festivität auf jedem Dorf spielte früher immer, stets und ständig berichtenswerte Rolle. Vor allem die eigene von Bratwurstduft und Schlagermusik getränkte Schaffe. Mit viel Text und Foto. Ist doch klar. Denn jeder will doch am Mon- oder Dienstag in einem Nachbericht lesen, dass es am Samstag bestes Wetter in X, Kurzweil für Jung und Alt in Y und die Sorge ums leibliche Wohl in Z gab. 

Nun ja... Da hatte ich ja schon immer meine Zweifel. Dorffeste sind toll. Fürs Dorf. Für die Dorfgemeinschaft. Ich finde sie wichtig und richtig. Die Stimmung ist gut, man trifft sich und schnattert. Ein bisschen Musik. Ein bisschen Programm wie Kita-Tanzgruppen, der Chor des Ortes, ein kleiner Festumzug mit der Feuerwehr. Schön. Das ist alles ganz prima. Aber was genau nützt es zwei Tage später zu lesen, wie es und dass das eben so war? Erst recht, wenn man aus einem etliche Kilometer entfernten anderen Dorf ist? Mehr gedient ist wohl allen Seiten, wenn solch ein Fest im Vorfeld angekündigt und beworben wird, man Lust auf einen Besuch bekommt. Mehr Leute live und vor Ort dabei, ist fürs Dorf doch besser als hinterher Blabla, wie schön es wieder war mit dem immer gleichen Programm ...

Beziehung verkackt


Falsch gedacht. Ich habe in den vergangenen Wochen diverse Menschen getroffen, die das Nicht-Erscheinen der lokalen Berichterstatter bei Dorffesten offenkundig ziemlich scheiße fanden. Man interessiere sich ja gar nicht mehr für sie. Mit "man" ist man als Journalist dann stets ganz persönlich gemeint. So als habe man eine Beziehung zum Dorf geführt und lasse es nun am ausgestreckten Arm verhungern oder sei irgendwie nicht mehr so aufmerksam wie früher. Und neulich habe man den Müll nicht runtergebracht und die Zahnpastatube mal wieder offen gelassen. Und dass man über ein anderes Fest - zum Beispiel eine seltene Jubiläumsfeier - berichtet hat, wird einem besonders übel genommen. Dass man dies nicht aus persönlichen Interessen, sondern meist aus vom Chef vorgegebener Pflicht getan hat, das würde zur Verteidigung auch nicht reichen. Wichtig und richtig ist immer nur das, was man nicht besucht hat. Schämen sollte man sich. Ich verstehe schon, dass sich mindestens die Organisatoren eines Festes geehrt fühlen, wenn man darüber berichten würde. Nur verstehen die wohl nicht, dass es nun mal nicht immer Sinn macht.

Erscheint man doch zu einem der auserwählten Dorffeste, kommt garantiert der Vorwurf, dass man es zur falschen Zeit tut. Man hätte vorher da sein müssen. Als der Kuchenbasar anfing. Oder der Kegelwettstreit. Als der Bürgermeister ein paar Worte sprach ... und dann wieder entschwand. Man macht es grundsätzlich verkehrt. Vorhin hätte man den Anstich des Fassbiers fotografieren müssen, denn das braucht das Dorf unbedingt für die Chronik. Der Journalist, scheint so mancher zu glauben, arbeitet nämlich auf Bestellung für alle Seiten und ist der auf Fingerschnipp einzusetzende Dorfchronist, der sich ständig einsatzbereit hält. "Warum kommen sie jetzt erst? Sie hätten vorhin das Foto machen müssen!", polterte mich gestern eine Frau an. Dass ich vorher noch andere Termine hatte, fand sie nicht zufriedenstellend als Begründung. Dass ich nach 70 Minuten (!) wieder ging, fand sie auch blöd.

Dass man nicht die ganze Zeit mit dabei ist bei solch einem Fest ist eben ein Verbrechen. Warum nur bleibt man nicht die ganzen neun Stunden? An beiden Tagen? Das bedeutet ja, dass einem irgendwas anderes wichtiger ist. Ein anderes Dorffest vielleicht? Die Texte, die noch zu schreiben sind? Dass man noch seine Wohnung putzen müsste? Am Ende das Privatleben? Oder gelegentlich ein freier Tag? Warum mag man nicht jedes Wochenende Bratwurst essen?

Schlimmer macht man es nur noch, wenn man solch ein Fest einfach mal ganz kurz privat besucht und nicht mal sein Notizbuch aus der Tasche nimmt. Man kommt vielleicht, um leckeren Kuchen zu essen oder fix ein paar Bekannte zu treffen. Vielleicht nutzt man ja nebenbei ein wenig die Chance, den aktuellen Dorftalk aufzufangen und daraus später mal Recherchen zu entwickeln und neue Themen zu entdecken. Die Wertschätzung fürs Dorf nur mit Anwesenheit und keinem Artikel (der sich eh 08/15 irgendwo zwischen Wetterbeschreibung und Smalltalk mit dem Dorfhäuptling liest) auszudrücken, das ist scheinbar mieser als ganz fern zu bleiben. 

Ich freue mich. Noch bis September habe ich die Chance, fast jedes Wochenende in ein neues Fettnäpfchen zu latschen. Ob ich nun da bin oder nicht.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

So! dann schicke ich Dir gleich mal unsere Termine ... wegen der Planung :-)

Sarah hat gesagt…

Ach, die Dorffeste. Ist für mich ja auch Neuland, aber bei uns gab's dieses Jahr auch schon ein großes Fest :-) Das Event ... zumindest hier im Dorf. Ich war am Kuchenbuffet eingeteilt über den Verein.
Jedenfalls kam darüber in unserem lokalen Gemeindeblatt ein Bericht. Ich glaube nur da, und ich finde auch, dass es sonst nirgends einen Bericht darüber geben müsste ... vielleicht solltest du mal auf ein weiter entferntes Dorffest gehen, um nicht als Journalistin erkannt zu werden, zum Beispiel in Süddeutschland ;-)
Grüsse,
Sarah

Jacobswege hat gesagt…

Liebe Sarah, ich werde vielleicht in diesem Sommer mal ein Dorffest in meinem heiß und innig geliebten Brandenburg besuchen. Und wie du schon sagst: ich geh als ich und nicht als Journalist, ich werde Kuchen und Bratwurst mampfen und ein bisschen schnattern mit den Nachbarn. Aber der Vorschlag mit dem süddeutschen Fest ist auch nicht schlecht, ich wollte da ja immer mal hin, ich kenne da ne nette kleine Pension - na zumindest kenne ich jemanden, der ne nette kleine Pension hat ;)

Sarah hat gesagt…

Sie ist noch in der Entstehung, aber das wird, ja... ist sicher ein guter Ort für einen Besuch :-)