Samstag, 6. Februar 2016

My office-office is my castle

Schöne neue Technikwelt. Das neue Redaktionssystem "meiner" Zeitung erlaubt es, von überall zu arbeiten. Also von überall dort, wo man Internetzugang haben kann. Also vermutlich nicht von Brandenburg aus. Man muss nicht mal mehr den Weg wie früher gehen und dem Chef einen Text per Mail schicken, wenn man mal nicht in der Redaktion ist. Nein, man kann den Text bei Bedarf und Lust und Laune von der heimischen Couch direkt auf die Zeitungsseite schreiben. Oder direkt online stellen. Und dabei kann man noch dazu direkt sehen, wie weit der Produktionsstand des Tages ist.

Es gibt Kollegen, die nutzen dies alles gerne fürs Home-Office oder das Arbeiten vom Sonstwo. Ein Kollege arbeitet zum Beispiel meistens nicht mehr direkt in der Stadt, über die er berichtet - sondern vom Haupthaus in 30 Kilometern Entfernung aus. Eine meiner Kolleginnen habe ich sogar seit gut sechs Monaten nicht mehr gesehen oder gesprochen, sie ist lieber daheim. Sie gelten als produktiver und effizienter. Da frage ich mich doch: Kann ich das auch?

Klar. Kann ich. Es ist ja einfach: Man setzt einfach zusätzlich zur längst gang und gäbe gewordenen privaten Kamera und dem privaten Handy noch den heimischen Rechner ein und schon kann es losgehen. Im privaten Gefilde. Im Schlafanzug, wenn man mag. Als großer Freund der auf Selbsterfahrung basierenden Recherche habe ich einen knapp zweistündigen Test gemacht:
Der Kaffee bei mir daheim ist deutlich besser als in der Redaktion. Ich stelle fest, dass der Knopf an meiner Schlafanzughose locker ist. Ich trinke noch einen zweiten Kaffee. Ich blicke in das Regal neben mir und meine, dass ich Stifte sortieren könnte. Ich sehe die Yogamatte. Nein, doch nicht. Heute Abend. Disziplin muss sein. Außerdem hab ich Hunger, fix ein Müsli gerührt. Mir fallen meine Zimmerpflanzen und deren Vernachlässigung auf - sie haben quasi mit hängenden Blättern gewunken. Fertig. Ich habe eine Menge CD's im Schrank, die ich lange nicht gehört habe. Das tippt sich gut, tippen nach Beat. Ich muss nachschlagen. Mein Schreibtisch ist ziemlich klein, das aufgeschlagene Notizbuch passt kaum neben den Laptop. Bei Ikea finde ich nicht gleich auf Anhieb einen Beistelltisch, der meinem Geschmack und den Platzverhältnissen entspricht. Das ist blöd. Aber die Musik ist gut. Da kann ich doch noch mal fix einen Discofox mit dem Besen durch die Küche tanzen. Ich fange an dabei mit mir selbst zu reden. Jetzt reicht's.
In einem Job, in dem die Grenzen zwischen Beruf und dem Privaten schon viel zu oft verwischen, fürchte ich noch mehr um die Abgrenzung. Mir fehlen meine Kollegen. Die gut gelaunte Sekretärin. Der Kollege, der mir was vom Bäcker mitbringt. Ich will mit Menschen kommunizieren. Von Angesicht zu Angesicht. Ich will mich von Menschen ablenken lassen. Ich will Scherze machen und lachen. Ich will einen Arbeitsweg, der etwas länger als zwei Meter ist. Ich will ins Büro nebenan gehen und Ratschläge geben und bekommen. Ich will mit den Augen rollen, wenn der Kollege zum x-ten Mal die gleiche "blöde" Frage stellt. Ich will ihn vom Arbeiten ablenken, während ich auf das Kochen meines Teewassers warte. Ich will mit den anderen Mittag essen. Dabei tauschen wir uns über Ideen aus und entwickeln neue. Wir kritisieren uns konstruktiv. Ich will ein Redaktionsleben! Home-Office? Ohne mich!

Die Heidi Klum der Büros: Hübsch anzusehen,
kann aber sonst nicht viel und nervt irgendwann.

Ausnahme: Wenn ich abends, nachts und wochenends mal wieder zu einem Einsatz der Feuerwehr ausrücke und möglichst schnell davon berichte, ist die schöne neue Technikwelt fast unbezahlbar. Ich könnte noch vom Einsatzort die erste Nachricht absetzen. Ich kann mich auch wieder in den Schlafanzug kuscheln, den lockeren Knopf ignorieren und meine Arbeit tun. Ein bisschen Adrenalin hilft beim Konzentrieren. Wenn ich dann später neue Infos im Nachgang des Einsatzes bekomme oder hochschrecke, weil mir noch was einfällt, dann muss ich nicht mehr mitten in der Nacht mit der Jeans überm Schlafanzug in die Redaktion huschen. Ich kann schneller sein als andere Medien. Effizienter und produktiver. Ich habe es getestet und weiß nun: Dann mag ich sie, die schöne neue Technikwelt.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Das Hauptproblem beim Home-Office ist die Selbstorganisation ... das Stichwort heißt Kühlschrankfalle ... ansonsten viel Glück mit der Arbeit aus der Ferne ...