Sonntag, 6. März 2016

Hui!

Mir ist ja schon viel passiert wegen meines Jobs. Anlächeln. Anfeinden. Aber umarmt wegen 70 Zeilen Text wurde ich noch nie ...

Und das kam so ... Die Teamsitzung nahte. Ideenmäßig war ich grad nicht die hellste Kerze auf der Torte, hatte übrigens auch keine Lust zu brennen. Unmotiviert surfte ich durchs Internet. Noch eine Minute bis Sitzung, 30 Sekunden ... Und da war sie: irgendwo in den unendlichen Weiten von Facebook wurde mir eine Schlagzeile angezeit, in der ich las, die Städte München, Stuttgart und Frankfurt/Main seien unter die Top Ten der lebenswertesten Städte gekürt worden. Und plötzlich war sie da, die Idee: lokalpatriotische Seite 3. Warum schreiben meine Kollegen, die ebenso verheimatet in ihrer Berichterstattungsstadt wie ich sind und ich nicht einfach mal auf, was wir so an unseren Städten mögen und was sie lebens- und vor allem liebenswert macht?!?

Direkt Feuer und Flamme waren die Umsitzenden nicht gleich. Aber es funkelte schon deutlich. "Ein Streichholz noch", dachte ich. Und da der nächste verheimatete Redakteur nicht an der Sitzung teilnahm, wurde ich gebeten, doch einfach eine Mail zu dem Thema zu schreiben. 

Ich schrieb also eine Mail, die die Kollegin als mitreißend und motivierend bezeichnete. Das Streichholz zündete. Und so machten wir drei Schreiberlinge uns dran, Liebeserklärungen an unsere Städte zu verfassen. Der Kollege schwärmte zum Beispiel vom Duft der kleinen Schmalspurbahn. Die Kollegin vom Großwerden ihrer Töchter. 

Ich (lest gerne auch hier) schrieb von (m)einer Hood, die cooler ist als jede Hypecity. Ich schrieb von einer kurzen Vergangenheit und langer Zukunft, die ich hier sehe. Unter anderem, weil ich hier und nirgends sonst wie Pippi Langstrumpf leben kann. 70 Zeilen ...  Ich hätte noch so viel mehr sagen wollen und können. Ich hätte noch gerne von den Sommernächten erzählt, in denen ich barfuß über Kopfsteinpflaster lief und laufen werde. Vom Duft, den das heiße Pflaster beim Abkühlen ausströmt. Von erwachsenen Männern, die ich Jungs nenne und denen ich das Wort "Bierse" als korrekte Mehrzahl von Bier eingetrichtert habe. Von der Natur direkt vor der Haustür. Vom zwitschernden Vogel im kleinen Baum vor meinem Fenster, der sein Tschilpen nicht mal verstummen lässt, wenn die Geschäftsstraße unter meinem Fenster zum Leben erwacht. Vom Klang der Glocken der Kirche. Vom Knutschen im Park unter einer blütenweißen Statue und mit den nackten Füßen im Springbrunnen. Von den vielen freundlichen Menschen, die mir jeden Tag begegnen. Vom Lächeln, das mit Lächeln beantwortet wird. Von dem Moment, wenn am Samstag gegen eins plötzlich alle Geschäftigkeit aus meiner Straße weicht und gespenstische Ruhe ist. Von der Schlange, die sich von einer Straßenseite zur anderen erstreckt, wenn die Eisdiele wieder öffnet. Es gibt so viel, was meine Heimatstadt für mich ausmacht.

Scheinbar hat gereicht, was ich auf den 70 Zeilen schrieb. Am gestrigen Samstag erschien die Geschichte. Dass sie nicht einfach überblättert wird, hatte ich gehofft. Dass es aber zu solchen Reaktionen kommt, damit hatte ich nicht die Spur gerechnet. Mein Morgen begann mit Glückwünschen zu einem tollen Text auf meiner Facebook-Seite, etlichen Benachrichtigungen und Nachrichten. Ein journalistischer Schatz sei das, hieß es zum Beispiel. Man bedankte sich. Bedanken? Für eine journalistische Arbeit? Wie oft kommt das vor? Gerade heutzutage? Es sei aus der Seele gesprochen, schrieb man. Menschen - bekannte, weniger bekannte und unbekannte Menschen - grüßten mich auf der Straße und lobten, "sooooo schön" sei das gewesen. Als ich zum Wochenendeinkauf meinen "Späti", den Konsum, betrat, jauchzte eine mir flüchtig bekannte Dame auf und mit einem "Jetzt muss ich Sie einfach mal drücken" schloss sie mich in die Arme und herzte mich aus tiefstem Herzen. Hui! Ich bin überwältigt! Hui! Hui! Hui! Mehr fällt mir dazu echt nicht ein.

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