Samstag, 23. November 2013

Gute Zeilen, schlechte Zeilen

Es ist gar nicht so leicht, ein guter Journalist zu sein. Und das nicht, weil man eine ganze Menge können muss, um ein guter Journalist zu sein und neben Handwerkszeug auch noch ein bisschen Talent mitbringen muss. Man muss auch eine ganze große Menge Erwartungshaltung abkönnen. Die der Leser. Und, fast schlimmer noch, die eigene an sich selbst.

Ich habe gerade einen zirka 80 Zeilen langen Text für ein Anzeigenblättchen verfasst. Das bringt einem nämlich auch ein paar Euros, die man in Stromrechnungen, Tankrechnungen, die Krankenkasse oder aber Bücher und Schuhe investieren kann. Mir fällt die Entscheidung zwischen Buch und Schuh oft schwer

In diesem Falle habe ich den Lokaltermin, die Eröffnung eines Ladens der örtlichen Behindertenwerkstatt, gleich doppelt besetzt. Für die Zeitung, die mir monatlich eine Pauschale überweist. Für das Anzeigenblättchen, das mir Zeilen bezahlt. 

Wenn man als me, myself and I arbeitet, braucht man quasi die Fähigkeit, auch mal so weit neben sich zu stehen, dass man sich selbst dabei zuwinken kann - privat gelingt mir das recht häufig recht gut. Jobtechnisch muss man mit Kühlkopflastigkeit schauen, dass man genug Infos in den Block und genug Fotomotive in den Kasten bekommt. Man darf nämlich Texte und Bilder nicht doppelt verkaufen. Dann müssen sich die Leute auf dem Foto eben immer wieder anders hinstellen.

Anschließend schreibt man einfach zwei möglichst unterschiedliche Texte über ein und dieselbe Geschichte. Den ersten Text habe ich gestern abgeliefert und heute ist er in der Zeitung. Er ist ... na ja ... er ist okay. Mehr nicht. Aber beim Lesen des zweiten Textes fürs Anzeigenblättchen habe ich soeben leider festgestellt, dass ich den schon noch weniger okay finde. Das mit dem weniger okay kann aber auch daran liegen, dass ich zum großen Teil aus der Rede des Landrats zitiere, deren Ausdruck ich mir mit einem kurzen Tausendwattlächeln erschlichen habe. Aber fürs Blättchen möge es doch schon noch reichen?! Hm. Ein kleines Würmchen voller Eitelkeit, Erkenntnis und Erwartungshaltung krabbelt grad durch meinen Bauch. Lösung? Flugs ein Pseudonym verwendet und den Text fortgeschickt per Mail! Damit ist wenigstens die Erwartungshaltung ausgeknockt und das Würmchen läuft leiser.

Wobei kein Mensch - auch der nicht, der jeden Tag Texte produzieren muss - jeden Tag eigene und fremde Erwartungshaltung erfüllen kann! Ich gewinne da noch jeden Tag neue Erkenntnisse und Einbrüche: Auch dem guten Journalisten werden immer wieder gute und weniger gute Texte gelingen. Man hat ja gute und schlechte Tage, gute und schlechte Themen, gute und schlechte Ideen, gute und schlechte Gesprächspartner. Manchmal hangelt man sich mit einer Reihe von Kopfschuss-Wörtern zu einem Text, der als okay durchgeht. Wenn ein Termin oder Thema schon nur so "na ja" oder Schulterzucken ist ... wird auch der Artikel oft nur so "na ja" und ein Schulterzucken ... und man grummelt beim Lesen am Folgetag ein wenig über sich selbst.  Also ich mache das jedenfalls.

Aber manchmal - Selbstverteidigung - hat man einfach keine Lust noch die x-te Blutspende mit einem journalistischen Kleinod der kreativen Phrasendrescherei anzukündigen oder überhaupt der Zeitungsrandspalte (das ist da, wo oft dieses nette "red" steht) deutlich mehr Mühe als "Ich schreibe möglichst nach aktuellem Duden und ohne verdrehte Daten oder Uhrzeiten, mehr gibt es nicht zu erwarten" zu widmen. Manchmal macht man von 15 bis 100 Zeilen einfach nur grundsolide Arbeit - wenn man Glück hat, ist man gut genug, dass es nicht gleich auffällt, wenn man einen schlechten Tag oder ganze schlechte Zeiten hat. Oder man hat Glück und kann sich einen Decknamen oder das red geben (siehe oben).

Aber manchmal hat man so einen guten Tag, dass man sogar die Routinearbeiten in der schreiblangweiligen Randspalte mit viel Liebe und Hingabe und ein bisschen Witz erledigt. Zum Beispiel bei der Ankündigung, dass demnächst Militärmusiker in der Stadt aufspielen und Geld für einen guten Zweck gesammelt wird. Man kann dies hier als Einstieg schreiben: "Das Wehrbereichsmusikkorps ist am kommenden XY in XY zu Gast..." Oder man schreibt, dabei den militärverrückten Oberbürgermeister im Hinterkopf*, der die Meldung per klarer Ansage im Pressegespräch unbedingt in der Zeitung haben will: "Für den guten Zweck wird der Marsch geblasen..." Also ich fands irgendwie mal ganz nett ... Denn: Man kann ja auch aus kleinen Zeilen gute Zeilen machen!

Übrigens: Gestern ergab sich beim Kleinstädterausflug in die große Stadt ein spontaner Besuch mit Freunden in der MB in Leipzig. Da landet man ja gerne mal, wenn man hungrig und suchend durch die Stadt zieht. Ich bin jetzt sehr beruhigt. Der Raum, in dem "meine" Lesung beim durstigen Pegasus stattfindet, ist gerade klein genug, um eine große Anzahl Buh-Rufer auszuschließen. Also denkt dran, Ihr habt auch noch was zu tun - es ist Euer Job! Ich mach doch nicht die ganze Arbeit allein, ich muss ja schon schreiben und lesen und Ihr nur zuhören ... tzzzzzzzzzzzzzzzzzz

* Wörtlich genommen: Ich frage mich gerade, was dieser Mann wohl in meinem Hinterkopf erleben würde und wie es ihm (oder irgendeiner anderen Person) dort gefallen würde? Wahrscheinlich würde er irgendwann verstört bis (verstört) lachend über meine Zunge - das ist dort, wo ich mein Herz trage - wieder rausgekrabbelt kommen aus meinem Hinterkopf.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wir sollten mal miteinander reden ... der "Zeitungsdieb" ist ja telefonisch erreichbar und die Nummer ist leicht zu finden ... manchmal habe ich Interesse am segensreichen Tun von Leuten, es würde mich freuen, da mal auf eine (honorarpflichtige) Zulieferung aus dem Raum DZ zählen zu dürfen ...
Angenehmes WE samt Dienst wünscht
ad

Jacobswege hat gesagt…

Eine Mail an jacobswege@gmail.com ist ja jederzeit möglich. Die Adresse ist hier sogar veröffentlicht. Echt jetzt.