Samstag, 1. Dezember 2012

Wutheulen

Adventskalender versetzen mich in Krisenalarm. Alle Jahre wieder? Bitte nicht! Am 1. Dezember 2012 ist die Zeitungskrise allerorten greifbar, sogar den allmächtigen Spiegel hat sie erwischt. Am 1. Dezember 2011 erlebte ich meine persönliche Zeitungskrise. Mir, ausgestattet mit einem bis Ende 2012 befristeten Vertrag, wurde binnen weniger Wimpernschläge greifbar, was es eigentlich heißt, wenn die Branche kriselt:

Einen Tag zuvor hatte jeder Mitarbeiter Post vom Verlag bekommen - einen Adventskalender und ein standartisiertes Schreiben, Mitarbeitern wie unsereins sei es zu verdanken, dass das Unternehmen schwarze Zahlen schreibt. Am Nachmittag verdichtete sich eine einige Tage zuvor aufgetauchte Nachricht über Stellenabbau im Verlag zur Gewissheit. Das erste Türchen grad geöffnet, saß auch schon der Betriebsrat in unserer Lokalredaktion. Punkt 12. Ausgerechnet. 30 Stellen in der gesamten Redaktion müssten weg, sagte der Mann, blieb dabei ganz ruhig - ich nicht, mein Herz begann zu rasen. Lösung des Verlags: Altersteilzeit und Streichen der befristeten Stellen. Mit dem jeweiligen Vertragsende alles aus und vorbei, Diskussionen und bisheriges Bemühen um Verlängerung aussichtslos. "Wir kämpfen für jeden einzelnen von Euch", sagte der Mann noch, "aber nicht für die Befristeten, da können wir leider nix machen!" 

Meine Schläfen fingen an zu pochen, ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen, mein Herz rumpelte, setzte kurz aus, mein Magen krampfte sich zusammen, der Mund wurde trocken, die Adern an den Händen traten hervor, der Puls kletterte weiter ... und plötzlich kullerten die Tränen. Einfach so. Unkontrolliert. Wutheulen! Peinlich, dumm, emotionsgeladen, selbstmitleidig, eklig, trauriger Anblick ... und doch unvermeidbar. Direkt neben mir saßen nach meinem Dafürhalten schließlich ausgerechnet jene Kollegen, die grad kaum den Anschein machten, diesen Job nicht als nine to five zu betrachten. Kollegen mit unbefristeten Verträgen. Kollegen, die jetzt tröstend gemeint Dinge wie "Vielleicht solltest du ja ganz was anderes machen" oder "Du kannst doch erst mal Kinder kriegen" von sich gaben. Kollegen, mit denen nicht Schluss gemacht wurde. So eine Zeitungskrise ist verdammt ungerecht. Ich will nix anderes und ich will auch keine Kinder!

Nichts anderes als "Warum ich?" konnte ich denken! Ich, seit Kindertagen verliebt in diesen Job. Ich, überzeugt von mir selbst. Ich, talentiert. Ich, bissig. Ich, gut. Ich, engagiert. Ich, zuverlässig. Ich, anders als andere. Ich, beliebt bei vielen Lesern. Ich bin nicht mehr gewollt? Ich. Ich. Ich ........... Ich verließ den Raum, wischte die Tränen ab und ging zum nächsten Termin. Das "Warum ich?" blieb. Ich, verliebt, verlobt und verheiratet mit meinem Job, fühlte mich verlassen. Als hätte der Job, der (ich Naivling wusste es ja eigentlich mit einem Blick in den Vertrag) nicht mal eine dauerhafte Beziehung mit mir eingehen wollte, mich jetzt einfach so sitzen gelassen. Ich wäre am liebsten raus vor die Tür gegangen und hätte meinem Job das Auto demoliert, den Lack mit dem Schlüsselbund zerkratzt und den Seitenspiegel mit einem Ruck abgetreten. Blöderweise bin ich real und der Job "nur" ein Job, der mir schlimmsten Liebeskummer bescherte, weil er sich betriebswirtschaftlich logisch denkend einfach für andere Partner entschieden hatte. Partner, mit denen er schon lange verheiratet war und denen er Unsummen bei der Scheidung zahlen müsste. Also brachte ich den Tag zu Ende, schrieb und redigierte, las Korrektur, layoutete und produzierte. Weil ich den Job nicht ohrfeigen konnte, obwohl der es ja (wie ich fand) echt verdient hätte, setzte ich mich nach getaner Arbeit in mein Auto und peitschte mit 130 Sachen über die Landstraße, fluchte und tobte, fuhr aggressiv und (selbst)zerstörerisch. Später suchte ich Daheim Trost in einer Flasche Wodka. Da ich seit Punkt 12 nicht mehr gegessen hatte, reichten drei Gläser locker für den kompletten Knock-out. Ich musste mir Stunden später alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen und verbrachte die restliche Nacht auf dem Badezimmerfußboden meiner wutheulenden Tatsachen. Am nächsten Tag stand ich auf und machte weiter. So wie vorher. Ich arbeitete nicht schlechter, weil es ja eh egal sei. Ich arbeitete nicht besser, weil es ja für mich sprechen könnte. Ich blieb ich. 

Fast ein Jahr lang lebten der Job und ich in Trennung. Dann sah er nach Lob- und "Liebes"briefen meines Lokalchefs endlich mal genauer hin und bot mir zumindest eine Affäre als Pauschalistin an. Geht doch! Wenigstens was. Eines Tages wird der Job mir vielleicht doch noch einen Antrag machen ...

Zusammenfassung für meinen Mann: Egal, wie blöd es manchmal läuft und was ich auch schimpfe, so liebe ich doch meinen Job - (m)ein verletzter Stolz ist einfach eine schlimme Sache.

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