Sonntag, 18. November 2012

Zweifel

Manchmal sind wir Journalisten so verdammt scharf auf eine Story, wollen sie so unbedingt haben, ans Tageslicht befördern, öffentlich machen, was bis jetzt nur ein Gerücht oder im Verborgenen ist, die große Titelgeschichte, die große Schlagzeile, sie soll uns gehören, ganz allein - wir wollen es so unbedingt, dass unser eigener moralischer Kompass nicht mehr zuverlässig nach Norden zeigt. 

Moral generell ist ein heikles Grenzgängerthema für Leute, die von Beruf aus leidenschaftlich sein sollten. Leidenschaft geht selten mit Aalglätte einher. So schrieb ein Kollege mal einen bissigen Kommentar darüber, wie schlecht doch das Rauchen sei - als der Text fertig war, ging er vor die Tür und steckte sich erst mal eine an. Ich schrieb vor zirka einem Jahr mal darüber, wie wichtig Blitzer sind und wie schlecht blindes Rasen im Straßenverkehr ist - als der Text fertig war, düste ich mit 70 Sachen durch die Stadt. Seitdem vermeide ich derartige Kommentare, fahre aber auch oft langsamer. Wir heben also den Zeigefinger und kreuzen hinterm Rücken die Finger. Erst recht, wenn die heiße Story greifbar erscheint und wir sie schon in großen Lettern sehen können.

Allein der Gedanke, dass ein anderer sie haben könnte oder - schlimmer noch - ein anderer, der nicht einmal in unserer Liga spielt, die heiße Story öffentlich machen könnte und wir dann nur noch aufschreiben können, was er politikend herausgekitzelt hat, bringt uns um den Verstand! Der Ärger ballt sich dann zur Faust und boxt uns in den Bauch. Mit Schmerzen denken wir dann darüber nach, ob wir ein Gerücht nicht doch endlich beweisen wollen. Mit Schmerzen denken wir darüber nach, moralisch fragwürdige Recherchemethoden anzuwenden. Mit Schmerzen denken wir darüber nach, uns wie kleine Detektive zu benehmen, uns nachts an dunklen Ecken rumzutreiben, um dann wieder die große Keule rauszuholen, die wir vor Kurzem noch ablehnten. Obendrein, ohne dafür bezahlt zu werden. Wir zahlen lieber selbst einen hohen Preis ... notfalls, um uns selbst eine gewisse Preisverdächtigkeit zu beweisen!

UPDATE: Läuft.

Zusammenfassung für meinen Mann: Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung - oder einer zu weit.

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