Samstag, 17. November 2012

Hyperaktives Aufmerksamkeitsdefizit

Diagnose: Unsympath, seltsam! Es muss ganz schlimm sein, mit mir zu reden. Wahrscheinlich gewinnt man unweigerlich den Eindruck, ich sei nie vollkommen bei der Sache und dem Menschen vor mir. Was nicht stimmt! Dummerweise aber so erscheint. Mein Hirn ist eine gigantische und datenhungrige Festplatte, ein Aktenschrank mit unendlicher Weite - es will immer gefüttert werden, das kleine Monster! Es schneidet fast alles mit, es funktioniert sogar teil-fotografisch. Nur leider nicht zuverlässig, sondern eher wahllos und nach seinem ganz eigenen Zufallsprinzip, auf Nebensächlichkeiten und so manchen Schwachsinn bezogen. Für meinen Job nützt es mir eigentlich überhaupt kein Stück!

Mein Kollege hoffte jedenfalls, nachdem ich ihm diverse Telefonnummern oder Geburtstage von Kollegen aus dem Stegreif aufsagte oder sein Vorlesen von Nummern mit "Ja, die kommt mir bekannt vor, die habe ich irgendwann schon einmal gewählt" quittierte, das Terminbuch der Redaktion praktisch auswendig kenne, in Sekundenschnelle die richtige Notizbuchseite finden kann oder sehr häufig Dinge wie "Die Meldung hatten wir an einem Dienstag vor drei Wochen schon drin, die stand mal unten links als 16-Punkt-Meldung auf der ersten Seite, rechts daneben war der Text über den Abriss des Wohnblocks, auf der folgenden Seite war das schöne Herbstmotiv" sage schlicht darauf, dass ich als Festplatte zuverlässig funktioniere und wies mich bei einem Stadtratsbesuch darauf hin, dass einer neben mir grad eine nicht öffentliche Beschlussvorlage nach oben halte, ich solle doch "bitte mal, nur einen Blick, jetzt schnell" darauf werfen, "bitte" ... hat aber nix genutzt, auf Kommando funktioniert das nicht! Die Vorlage war zu kurz oben und meine Festplatte hatte obendrein keine Lust auf die Info, keine Lust aufs Ausgenutztwerden!

Dafür geht das: Ich sitze zufällig fünf Minuten mit einem an sich ganz netten Dorfjugendlichen zweifelhafter Tätowierungs- und Bodybuildingsucht am dunklen Busbahnhof und er erzählt mir von seinem Kummer mit dem Bürgermeister und dem Jugendclub. Vier Autos fahren vorbei, eines davon sehr zügig, was in meiner Region im Dunkeln aber häufiger mal vorkommt. Das fünfte Auto hält an und der Mann darin zückt seinen Kripo-Ausweis und fragt mich, ob alles okay sei, ich freiwillig hier sitze und ob das schnelle Auto mir aufgefallen sei, ihm komme das hier alles seltsam vor. Antwort: "Schwarzer 3er-BMW, mindestens fünf Jahre alt, Kennzeichen XYZ-XY 123, ist die Zweite links abgebogen". Die anderen hätte ich ihm aber auch noch aufsagen können.

Sitze ich im Auto, lese ich jedes mir entgegenkommende Kennzeichen durch - lösche die Infos aber ganz schnell wieder, genau wie die meisten Telefonnummern, damit ich nicht durchdrehe! Sitze, stehe oder laufe ich irgendwo sonst, dann registriere ich, wer vorbeigeht/vorbeifährt und was er macht/trägt. Ich schaffe es kaum, meine Augen mal mehrere Sekunden auf einen Punkt zu fixieren, mein Blick schweift immer durch den Raum und nimmt auf, was passiert und wer kommt oder geht - was nach beunruhigender Unruhe aussehen muss. In meinem Kopf kann ich immer wieder Filme von Begegnungen und Terminen ablaufen lassen, detailgetreu. Ich leide wahrscheinlich an Beobachtungssucht. Zumindest das könnte in meinem Job irgendwann mal ganz nützlich sein ...

Zusammenfassung für meinen Mann: Darum schlafe ich unruhig, in meinem Kopf rauscht zu viel!

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