Montag, 3. September 2012

Crossmediale Oma

Irgendwann ist man alt genug, um auf seine Eltern zu hören. Meine Mutter sagt, dass ich abends doch auch mal die Oma anrufen soll. Die ist nämlich, sonst verwitwetes Großmütterchen mit lebenslangem Wohnrecht im Hause ihrer zweiten Tochter, gerade ganz allein im Riesendomizil und braucht Gesellschaft, und sei sie auch nur telefonisch. So ein Anruf, sagt die Oma, sei eine sehr schöne Abwechslung - und ich schäme mich ein bisschen, das ich sie nicht einfach mal besuchen fahre. Sonst dümpelt ihr langes Leben wohl eher gemächlich wie das Minidorf, in dem sie lebt, vor sich hin. Weg kann sie nicht, da spielen die alten Knochen nicht mit. Aber genauso zuverlässig wie der fahrende Händler, der mit Butter, Brot und von Zeit zu Zeit Kirschkuchen versorgt, kommt die Welt zur Oma. In Form von Tageszeitung, Radio und Fernsehen. Medien, sagt die Oma, seien wichtig, auch für die Meinungsbildung. Ja, mit so Begrifflichkeiten kennt sie sich aus. Nicht nur die anrufende, sondern auch die andere Enkeltochter macht was mit Medien. Meine Cousine ist inzwischen als (Polen)Korrespondentin für den NDR im Einsatz - wenn auch nicht als eine, die immer mal mit dem Mikro und vor einem wichtigen Gebäude die Welt erklärend vor der Kamera auftaucht, sondern eher hinter den Kulissen und als Autorenname über den Bildschirm huschend. Ihr Medienverhalten hat die Großmutter nicht großartig geändert; gelesen, gehört und gesehen wird wie immer. Aber taucht der Name der einen Enkeltochter im TV auf, freut sie sich und erzählt Anrufern wie mir von dem Bericht. Da meine Oma am anderen Ende des Verbreitungsgebiets meiner arbeitgebenden Zeitung wohnt, taucht in ihrer Lokalausgabe hin und wieder auch mein Name im überregionalen Teil ihrer Zeitung auf. Dann schneidet meine Oma den Bericht aus und erzählt anderen Anrufern davon. Ansonsten wird nicht viel Aufhebens darum gemacht.

Jeden Tag wird seit Urzeiten Zeitung gelesen - von vorne bis hinten, gründlich und nur minimal auswählend. Im Gegensatz zu vielen Senioren, die viele meiner Kollegen traditionell als ihre wichtigste Zielgruppe verstehen, wird nicht bloß der Lokalteil und die Seite mit den Rätseln aus dem Papierstapel genommen. Politik, Wirtschaft, Kultur gehören bei Oma ebenso zur täglichen Lektüre. Ist das erledigt, dreht Oma das Radio an, manchmal aber auch parallel dazu. Aber bloß kein Duddel-Sender, die nerven einen nur, wie sie sagt. Am liebsten hört sie Deutschlandfunk. "Da bekommt man schon mit, was sonst noch wichtig ist", sagt die alte Dame. Festspiele in Bayreuth, Krise in Syrien, US-Wahlkampf? Oma kennt sich aus. Bestens. Am Abend ist dann Zeit fürs Fernsehen. Nachrichten werden bei ihr öffentlich-rechtlich konsumiert. Von RTL, sagt sie, hält sie nicht so viel, ob die nun Nachrichten haben oder nicht. Sie lese zwar immer wieder in der Zeitung, dass das der meistgesehene Sender ist, aber die Tagesschau müsse es schon sein, man ist ja auch daran gewöhnt. Darum hat sie nicht ohne Stolz ein Bild von Jan Hofer auf ihrer Anrichte stehen, das die andere Enkeltochter in Zeiten des NDR-Volontariats mit einem Autogramm geadelt hatte und mein Mann bei einem Besuch aus Versehen für ein Porträt meines jung gestorbenen Opas hielt - nicht geklärt ist die Frage, warum er meinte, mein Opa hätte sich selbst signieren sollen. Im Anschluss an die Nachrichten will Oma aber keine Krimis sehen, dann kann sie nicht ruhig schlafen, lieber sieht sie eine Doku zur Geschichte Mitteldeutschlands oder auch mal was Seichtes und studiert dazu die Fernsehzeitung, um die nächsten Tage auszuloten - "Immer nur Ernst macht ja keine Freude." Kommt gar nichts nach ihrem Geschmack, bleibt die Kiste aus und Oma greift zum Buch. Dabei gilt: Rosamunde Pilcher gucken ist okay, Rosamunde Pilcher lesen aber nicht.

Nicht ohne Stolz erhebt sich Oma so mit ihrem gesamten Verhalten über ihre Bekannte, die lieber dauerhaft den Fernseher laufen lässt und ohne ihre seichten Serien gar nicht sein kann. Noch heute kann Oma nur den Kopf schütteln über die Reise, die sie mal mit dieser Bekannten gemacht hat. Kaum hatte der Bus das Hotel erreicht, stürmte die schon aufs Zimmer und zum Empfangsgerät, um sich eine x-beliebige Telenovela einzuverleiben. Oma, so erzählt sie jedenfalls, ging demonstrativ auf den Balkon, bat ums Runterregeln der Lautstärke und griff sich ein Buch. Von Sachen wie Bayreuth, Syrien oder Demokraten und Republikanern habe die Bekannte, da ist sich Oma ziemlich sicher, noch nie was gehört oder es schon längst verdrängt. Dafür kenne sie sämtliche Handlungsstränge von Sturm der Liebe besser als die Biografien vieler Verwandter. Das, sagt Oma, sei aber doch nicht der Sinn des Fernsehens. Jetzt aber, sagt sie, müsse sie langsam Schluss machen, das Abendessen hätte sie wegen mir schon unterbrochen und bald beginne die Tagesschau.

26.46 Minuten Gesellschaft stehen am Ende auf der Telefonuhr.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Gut getroffen!!