Sonntag, 8. Dezember 2013

Vortäuschen

Eitel Sonnen- beziehungsweise Kerzenschein - nicht selten macht das die deutschen Lokalzeitungen aus. Das Eitel-Sonnenkerzenscheinige gilt pflichtgemäß auch für den Berichterstatter über so manche lokale Kleinst- bis Großveranstaltung - das definiert sich ja im Lokalen je nach Größe des anhängenden Dorfes. Gerade in diesen Tagen sind die Lokalzeitungen wieder mindestens so hochschwanger wie Maria von Friede, Freude und Feierpunsch der örtlichen Weihnachts- und Adventsmärkte. Der kleine Lokaljournalist benutzt dazu gerne Worte und Wortgruppen wie "Budenzauber", "traditioneller Stollenanschnitt", "gemütliches Beisammensein", "zum Verweilen einladen" und widmet mindestens zehn Zeilen der Berichterstattung über das Wetter des zurückliegenden Wochenendes. Wetter überhaupt ist ja im Lokalen sehr wichtig. Wird etwas Neues eröffnet und scheint zufällig noch die Sonne, so ist Klärchen der Sache gewogen, der Wettergott war gnädig mit diesem und jenem und so weiter. Ist ein Weihnachtsmarkt - natürlich! - gut besucht, so trotzen die Besucher in so gut wie jeder Weihnachtsmarktberichterstattung stets dem Wetter. Dabei ist es völlig unerheblich, ob T-Shirt-Wetter oder die Szenerie aus "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" herrschte. Noch dazu hat der lokale Berichterstatter angesichts der glühweinselig auf traditionellen Weihnachtsmärkten gemütlich beisammen seienden zum Verweilen eingeladenen Massen die Pflicht, die eigene Grinchigkeit überwinden.

Es gab da mal eine Tatort-Folge, da sagte die nicht eben für ihr sonniges Gemüt bekannte Ermittlerin Charlotte Lindholm dies hier: 
"Wir können nicht objektiv sein. Wir sind immer voreingenommen. Aber wir können uns diese Voreingenommenheit bewusst machen." 
Das gilt für Krimi-Ermittlungen und Journalismus gleichermaßen. Wer so wie ich schon voreingenommen auf den örtlichen Weihnachtsmarkt geht und sich ob aufgesetzter Zwangsfröhlichkeit schon vorsorglich das Gesicht selbst einfriert, bevor er überhaupt dem Wetter trotzend ins Freie tritt, der sollte sich dies bewusst machen. Wenn die lokale Masse freudig über den Weihnachtsmarkt schlendert, den man selbst so blöd wie fast alles rund um Weihnachten findet, sollte man diese Voreingenommenheit in der Berichterstattung möglichst vertuschen. Wer selbst am liebsten im Glühwein ertrinken will angesichts der Menschen, die man auf dem örtlichen Weihnachtsmarkt (an)sehen muss, der lässt sich diese voreingenommene Übellaunigkeit besser nicht oder höchstens zeitversetzt (siehe hier) anmerken. Wenn alle anderen gut drauf sind, tut die lokale Berichterstattung auch besser so als ob ...  dies alles auch ganz toll und schön und besinnlich und traditionell und gemütlich und zum Verweilen einladend und schön ist ... und überhaupt ist alles Friede, Freude und Feierpunsch. Da passt sich der Journalismus einfach besser mal dem Massengeschmack an und berichtet ansonsten über das Wetter, Wetter ist ja immer. Der Grinch im Journalist springt derweil auf und ab und verflucht die Gesamtsituation.

Ich habe heute also einen Bericht über den örtlichen Weihnachtsmarkt geschrieben, den würde ich angesichts seiner dem Wetter trotzenden Glückstrunkenheit niemals laut vorlesen wollen, zudem habe ich gefühlt mindestens 40 Zeilen dem Wetter gewidmet. Aber andere Sachen würde ich schon mal laut aussprechen wollen! Was? Das ist Euer Job!

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