Donnerstag, 2. Mai 2013

Für diesen einen Moment!

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Aber ein guter Moment macht einen guten Tag. Ganz gleich, was sonst ist. Für diesen einen Moment lohnt es sich. Es ist der Moment, in dem dein Text einen Menschen erst sprachlos macht. Es ist der Moment, in dem dieser Mensch seine Sprache wieder findet und dich fragt, wie du in seinen Kopf gekommen bist.

Heute war ein guter Tag. Es hat viel Arbeit gekostet. Mühelose Arbeit. Es gibt in meiner Stadt einen Rollstuhlfahrer-Verein. Ich habe recht oft darüber geschrieben, den Verein in verschiedene Berichte einbezogen. Zum Beispiel, als ich eines schönen Wocheneinkaufs erbost feststellen musste, dass ein örtlicher Supermarkt seine eigenen Behindertenparkplätze mit voller Absicht mit einem Sonderangebot an Blumenerde zugeparkt hatte und dem Marktbesitzer seine geballte Ungerechtigkeit mit einem Zeitungsartikel um die Ohren schlug. Einen Tag später waren die Behindertenparkplätze wieder frei. Ein Kampf gewonnen. Auch ein guter Tag. Eines Tages mal erwähnte die Vereinsvorsitzende beiläufig, dass sie in diesem Mai 35 Jahre im Rollstuhl sitzt. Anlass gefunden. Es ist Mai! Ich habe sie gebeten, über sie und ihr Leben schreiben zu dürfen. Sie sagte zu. 

Vor einer Woche habe ich der Frau gegenüber gesessen. Sie hat mir alles erzählt, wie sie durch Krankheit im Rollstuhl landete und wie ihr Leben sich darstellt. Ihr ganzes Sein hat sie vor mir ausgebreitet. Und ich habe es aufgeschrieben. Ich habe ihr den Text geschickt, damit sie ihn vor Erscheinen lesen und absegnen kann. Ich werde den Text hier nicht widergeben. Es spielt keine Rolle, wie genau dieser Text aussieht und ob ihn andere überhaupt gut finden. Das ist egal. Es geht nur um mich und sie. Und den Text.

Ich habe ihn am Montag geschrieben. Als alle anderen die Redaktion verlassen hatten. Ich habe 190 Zeilen (für den Laien: gut eine halbe Zeitungsseite) in 45 Minuten geschrieben. Ich habe nicht nach meinen Notizen gesehen. Ich hätte sie gar nicht machen müssen. Ich habe geschrieben als wäre es mein Leben. Ich habe geschrieben. Ohne große Tippfehler zu machen. Ich habe geschrieben, ohne zu denken. Es passte alles. Und es fühlte sich gut an. Wie guter Sex. Oder als würde man mit Tempo 200 über die Straße rasen, mit der man plötzlich eins wird.

Dann habe ich der Frau den Text geschickt. Ihr Zeit gelassen. So viel sie wollte. Heute rief sie an. Sie stockte, nachdem ich mich mit Namen und Redaktionskennung meldete. Sie sei kurz sprachlos gewesen, erklärte sie dann. Dann sagte sie, dass ich sie wirklich erkannt hätte - ich sei wohl in ihren Kopf eingestiegen. "Sie haben mich berührt, ich musste weinen. Aber ich war gar nicht traurig. Jedes Wort stimmt! Ich danke Ihnen!"

Ein gutes Gefühl.

Zusammenfassung für meinen Mann: Dort, wo andere ein schwarzes Loch haben, habe ich ein großes Herz.

Keine Kommentare: