Dienstag, 28. Juli 2015

Wenn es passiert

Es ist Zeit für ein wenig Aufklärungsarbeit. Ein mir freundlich gesinnter Polizist hat mir eine Kolumne aus einer anderen Lokalzeitung zukommen lassen.  

Kurz zum Inhalt:

Im Text beschreibt die Autorin, dass sie kerzengerade im Bett saß, als die Sirenen nachts um drei Uhr losheulten und von einem Feuerwehreinsatz kündeten. Als Vollblutjournalistin habe sie natürlich reagiert. Schlaftrunken und völlig neben der Spur habe sie Mühe gehabt, Klamotten, Schreibblock und Stift zu finden. Als sie - das Adrenalin kochte wohl förmlich - den Unglücksort zirka 20 Minuten später erreichte, beobachtete sie einen kühlen Kopf bewahrende Feuerwehrleute. Im Gegensatz zu manch mürrischen Kameraden der älteren Generation hätten die jungen Frauen und Männer erkannt, dass Journalisten auch nur ihren Job machen und damit zur Wahrnehmung des Ehrenamts in der Öffentlichkeit beitragen, weshalb die Zusammenarbeit gut sei.*

Lang zu meiner Sicht der Dinge:


Mit meinem journalistischen Selbstverständnis bin ich im 21. Jahrhundert aufgewachsen, also dort schon längst angekommen - ich schaffe mir also Vorsprung durch Technik. Daher reagiere ich nicht auf die Sirene allein, sondern auch auf etwas, das ich in diesen Momenten liebevoll "Fiepsi" nenne. 

So oder so: Gelegentlich werde ich nachts um eins, zwei, drei, vier oder fünf mit schrillen Tönen geweckt. Ich sitze in der Folge nicht kerzengerade im Bett. Ich stehe daneben. 

Dort eruiere ich, um was für einen Einsatz es sich handelt und wo er stattfinden soll. Meist begleite ich dies einleitend mit einem Kommentar wie "Ach, verfickte Scheiße!" Ich fluche sehr gerne und das ist eine gute Gelegenheit, richtig vom Leder zu ziehen. Bei Ölspuren lege ich mich meistens - fluchend natürlich - wieder hin. Bei Bränden und anderen Sachen greife ich zu eben der Klamotte, die grad noch rumliegt oder die irgendwie greifbar ist, was mir niemals einen Mode-Oscar einbringen wird. Was ziemlich egal ist. 

Ich whatsappe einen freien Fotografenkollegen an, um was es sich gerade handelt und ob er a) kann/will und b) er mich oder ich ihn abhole oder c) ich allein Text und Bild mache. Muss ich viel schreiben, dauert es eben ein bisschen länger.

Ich werfe mir parallel weiter Klamotten über, fummle mir fix einen BH unters Schlafshirt, spähe aus dem Schlafzimmerfenster zum Wetter. Mit dem Handy zwischen den Zähnen gehe ich ins Bad, wo ich das erste Mal Licht anmache. Wenn der Kollege noch immer nicht reagiert hat, lege ich das Handy ab und fummle mir Kontaktlinsen in die Augen, um eine meiner größten Schwächen und Behinderungen auszugleichen - die Kurzsichtigkeit, die mich locker 40 Sekunden kostet, verfluche ich dann am meisten. Aber mit Kontaktlinsen im Auge fotografiert es sich besser als mit Brille auf der Nase und sie beschlagen nicht bei Kälte oder sammeln Regentropfen auf sich.

Schließlich düse ich also im Großteil der Fälle allein los. Ich schlüpfe in x-beliebige Schuhe, meine Tasche mit Notizbuch und Stiften steht griffbereit wie die Kamera samt Wechselakku und Speicherkarten im Flur. Ich flitze aus meiner Wohnung die Treppe runter und in den Hinterhof, wo mein Auto steht. Auf dem Weg zum Hoftor tippe ich eine Nachricht an meinen Chef, dass ich und zu welcher Art Einsatz ich aufbreche. Nachts erfolgt mitunter keine Reaktion, am Tage kommt sie häufig prompt. Ich zwirble mein Auto aus der Parklücke. Wenn der Nachbar sein Auto wieder eher blockierend geparkt hat, stoße ich - weil es eh grad so schön flutscht - noch ein paar Flüche aus. 

Ich verlasse den Hof, schließe noch brav das Tor hinter mir. Ordnung muss sein. Sobald ich wieder im Auto sitze, gehört mein Fuss dem Gas und die Hand dem Handy, um Infos zu bekommen oder abzusetzen. Ich habe noch nie die Zeit gestoppt, in der ich einen Einsatzorte erreiche. Immer häufiger aber schaffe ich es noch kurz nach dem letzten Fahrzeug der Feuerwehr anzukommen oder es sogar sichtbar knapp vor mir zu haben. Dabei zählt ein bisschen weniger der Reiz möglichst guter Fotos, sondern ein bisschen viel mein Rennfahrergen.

Mein Auto parke ich nahe des Einsatzortes. Und zwar so, dass ich davon ausgehen kann, dass es keinen behindert. Und ich laufe den Rest des Weges, wobei ich nach Möglichkeit und Bedarf die ersten Fotos schieße. 

Im Falle für mich eigentlich nicht zu betretender Betriebsgelände quatsche ich mich mit siegessicherer Frechheit und mit Augenaufschlag bis zur "Action" vor, was oft nochmals Zeitverlust mit sich bringt. Sollte ich überraschend 25 Kilo zunehmen, sehr stark altern oder mein Lächeln verlieren, wird das künftig der schwerste Teil des Jobs.

Nah dran am heißen Einsatzgeschehen, treffe ich auf bekannte Gesichter. Meistens bleibt trotz Arbeit und mitunter unschönem Vorfall Zeit für ein Lächeln - auf beiden Seiten. Mürrische Gesichter begegnen mir nicht - auch nicht die Kameraden der älteren Generation reagieren mürrisch. Der Wehrleiter und ich grüßen uns zum Beispiel mit einem teletubbiehaften Winken. 

Sie machen ihren Job. Ich mache meinen. Ich versuche - und es gelingt gut - auf gar keinen Fall im Weg zu stehen und zu warten, bis mir einer der Kameraden sachdienliche Hinweise geben kann beziehungsweise will. Oft gibt es Tipps, wo ich die besten Fotos machen könnte oder wer mir Infos geben kann. Ich laufe "hinter" den Einsatzfahrzeugen lang, damit ich die Arbeit "vorne" nicht störe. Ergibt es sich und ist möglich, darf ich sie auch mal als Aussichtspunkt nutzen - was einem schöne Motive aus den 30 Metern Höhe der Drehleiter einbringen kann. Dass ich das schon in Kleidchen und Flipflops** getan habe, war vielleicht auch für die Gegenseite ein großer Spaß***.

Meine Fotos stelle ich zur Verfügung oder mache extra welche für die Feuerwehr. Je nachdem wie viel Zeit ich mir nehmen kann, bleibe ich möglichst lange vor Ort und beobachte, bis ich wieder was Neues gelernt habe. Getränke und Essen gibt es bei langen Einsätzen also auch für mich - Obstplatten sind leider nicht weit verbreitet in Feuerwehrkreisen. Ist aber auch wurscht. 

Manchmal komme ich noch vor Ort zu der Feststellung, dass mindestens eine der Kontaktlinsen falsch beziehungsweise im falschen Auge sitzt - heißt: mindestens noch ein Fluch. 

Wenn absehbar ist, dass sich die ganze Aktion dem Ende neigt, verschwinde ich entweder einfach wortlos wieder (Am liebsten ist es mir, so zu sein als wäre ich gar nicht da oder nie da gewesen - nicht auffallen heißt, auch nicht negativ aufzufallen.) - oder ich bitte einen der Kameraden, mich noch mit Infos nach meinem Weggang zu versorgen. Ich latsche zu meinem Auto, in dem ich meist feststelle, dass ich wie frisch geräuchert rieche ... und doch adrenalinbeseelt lächle. 

Ich würde die Zusammenarbeit nicht als gut, sondern exzellent bezeichnen.

* Dieser Beitrag ist absolut nicht als "Missbilligung" oder Kritik an der Journalistin des anderen Blattes zu verstehen. Ihr Artikel hat mich nur inspiriert, etwas ins Detail meiner Arbeit zu gehen.
** Inzwischen habe ich ein Paar feste Schuhe in mein Auto gepackt. Sowie eine extra Jacke gegen Kälte und Regen. 
*** Mir wurde neulich gesagt, es habe erstmals mehr Interesse an den Fotos der Kameraden von unten als an meinen Bildern von oben bestanden.

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