Mittwoch, 9. September 2015

Abschließen

Du kannst als Journalist den Aufmacher auf der Straße finden. Du kannst als Journalist deine Ideen verwirklichen. Du kannst als Journalist Ideen von anderen zugeschustert bekommen und sie umsetzen. Vielleicht passiert gerade alles zusammen. Und wird vielleicht (alles) gut.

Die Geschichte, die ich nach wie vor als die wichtigste meiner Laufbahn bezeichne, ist die über einen schwer verunglückten Feuerwehrmann. Wollte ich hier dokumentarisch aufschreiben, was ihm und anderen Kameraden geschehen ist, müsste ich eine Erläuterung finden, die genau 2,6 Sekunden Lesezeit beansprucht... 

Machen wir es ähnlich kurz: Auf dem Weg zum Hochwasser-Einsatz im Juni vor zwei Jahren ist in 2,6 Sekunden ein Fahrzeug der Feuerwehr von der Straße abgekommen und in ein Haus gekracht. Neun Kameraden wurden bei dem Unfall verletzt. Einer so schwer, dass dieser Tag im Juni sein letzter hätte sein können... doch er hat überlebt und im Herbst vor zwei Jahren habe ich ihn kennen gelernt, über ihn geschrieben und dabei weit mehr als meinen Job gemacht. 

Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Einer auf der Basis, in der ich ungestraft sagen kann "Mal ein Haus im Bauch gehabt zu haben, ist nix gegen Menstruationsbeschwerden, du Arschgeige!" und noch eine Menge anderen Unsinn. Und: Der Kerl hat mich schon bei unserem ersten längeren Gespräch zum Weinen gebracht. Mein kleiner Bruder zählt mit, wie oft ich im Leben geweint habe - es sind sehr geringe Werte... Warum es also im November 2013 diesen XL-Gefühlsausbruch meinerseits gab, das steht andeutungsweise hier...

Was da nicht steht: An diesem Unfalltag im Juni ging die Sirene, wollte ich die Leitstelle um Infos bitten und rausfahren zu dem, was auch immer da geschah - aber ich wurde daran gehindert, meinen Anruf hat es nie gegeben. Später erst also erfuhr ich, was passiert war. Aber da passierte mir nach der Sirene längst, was passieren musste: An diesem Tag begriff ich nach langem Kampf, dass ich in meinem alten Leben nicht mehr sein kann. Mann, Kind(er), Haus. Normales Leben. Das war der Plan. Der anderer. Nicht (mehr) meiner. Ich konnte nicht so sein, wie andere mich haben wollten. So wie ich bin, war ich nicht gewollt. Ich habe mich umgedreht und bin endgültig aus diesem Leben verschwunden. Meine Flucht, vielleicht auch vor dem "normalen Ich" und dem "wie jede andere", das ich mir bis dahin selbst vorgaukelte sein zu müssen, endete bei Freunden. Die veranstalteten einen Flohmarkt, dessen Einnahmen den Hochwasseropfern in der Kommune gespendet werden sollten, in die die Feuerwehr eigentlich unterwegs war. Ich kaufte für eine Unsumme eine Sonnenblende mit der Aufschrift "Normale Leute machen mir Angst". Ich brachte sie in der Heckscheibe meines kleinen roten Flitzers an und dort hängt sie noch heute, und noch immer ist es viel zu oft wahr.

Im November 2013 wurde meine erste Geschichte über den Feuerwehrmann in der Lokalzeitung veröffentlicht. Eine große, bewegende, gut geschriebene Geschichte. Aber eine, die die Verletzungen des Mannes zwar oberflächlich und doch gerade noch detailliert genug beschrieb, um nur einen Schluss zuzulassen: "Der kommt nicht mehr in sein altes Leben zurück." ...
Als der Unfall ein Jahr her war, wurde eine noch größere Story von mir über das Unglück und weitere Betroffene im Feuerwehr-Magazin veröffentlicht.


In wenigen Wochen wird in der Zeitschrift ein weiterer Artikel von mir erscheinen, der sich mit dem Ersatzfahrzeug beschäftigt, das die Wehr im Frühjahr offiziell in Dienst stellen konnte. Nur wer mich schon immer für kalt hielt und noch dazu keinerlei Ahnung von den Zeilenhonoraren im Printjounalismus hat, würde mir ernstlich vorwerfen, ich wolle Kapital aus dieser Sache schlagen. Das Honorar des Magazins habe ich unter anderem in Form von Bier mit Kameraden geteilt. Und auch mit dem kommenden Honorar werde ich so verfahren. Mehrfach musste ich den Artikel ändern, an einer Stelle freue ich mich darüber ...

Schrieb ich in der ersten Version noch, dass der beim Unfall Schwerstverletzte noch immer weder zurück im Arbeitsleben noch zurück im aktiven Dienst der Feuerwehr ist, wurde jetzt innerhalb weniger Wochen alles anders. Immer und immer wieder sage ich "Alles wird gut." Immer und immer wieder habe ich das auch dem Feuerwehrmann gesagt. Ich bin eine sehr rechthaberische Person... 
"Ich hoffe sehr, dass ich den Feuerwehrmann eines Tages zufällig beim Bäcker oder im Supermarkt treffe und er mir auf den Kopf zu sagen kann, dass er wieder ganz er selbst und mit sich und seiner Geschichte im Reinen ist. Ich wünsche mir, dass er im besten Sinne ab sofort ein Leben ohne besondere Vorkommnisse führen wird. Ein ganz normales Leben!"
, schrieb ich im November 2013 im besagten XL-Post. Wir treffen uns selten zufällig. Wir verabreden uns oft. Sein Leben ist normal. Frau, Kinder, Haus. Besondere Vorkommnisse aber wird es immer geben: Im August hatte er seinen ersten Einsatz, er ist wieder ein "echter" Feuerwehrmann. Und "normal" sind die alle nicht, da muss ich keine Angst haben. Seinen ersten Einsatz habe ich verpasst. Ich feierte gerade den 60. Geburtstag meiner Mutter. Aber hey, 14 Stunden Wehen wegen mir gehen auch vor Haus im Bauch! 

Der Feuerwehrmann steht zudem wieder im Berufsleben. Sein neuer Chef hatte die Idee, genau darüber müsse man doch mal schreiben. Vermutlich wittert er gute PR dahinter und eigentlich mag ich sowas nicht. Der Feuerwehrmann hatte dem neuen Chef bereits das Einverständnis gegeben, sofern eine bestimmte Journalistin - ich - den Text schreibt. Als ich den Chef anrief und er sagte: "Ich habe damals diese große Geschichte gelesen über ihn und die hat mich so berührt, aber nie wurde aufgeklärt, was aus ihm geworden ist", gab ich mich endgültig geschlagen und sagte ein Pressegespräch zu dem Thema zu.  

Es schnurrt alles zusammen ... Nur ein paar Tage zuvor war ich - mal wieder, auch so eine Sache seit dem Juni 2013 - mit der Feuerwehr unterwegs. Gemütliches Beisammensein am Lagerfeuer. Ich wurde Ohrenzeuge als zwei andere Kameraden ihm das erste Mal erzählten, wie sie ihn damals aus dem Unfallfahrzeug retteten, was sie alles tun mussten, um ihn zu befreien. Als sie davon sprachen, wie es für sie als Nicht-Unfallopfer war plötzlich vor dem Wrack eines Feuerwehrautos zu stehen und einen Kameraden zu retten, begriff ich, dass ich in all meinen Geschichten eine wichtige Sache stets ausgelassen hatte - die Perspektive dieser Männer. In meinem Kopf zitierte ich mich selbst aus meinem ersten Manuskript für das Feuerwehr-Magazin ... "Dieser 8. Juni ist ihnen allen passiert." ... vielleicht auch mir ... Als die Männer am Lagerfeuer weich wurden, hatte ich längst die erste Träne verdrückt ... 

Ich werde in der Lokalzeitung noch einmal über den Unfall schreiben. Aus der Sicht vieler dieser Kameraden und mit ihrer Hilfe. Die Story muss abgeschlossen werden. Die Geschichte - seine, meine, unsere - geht weiter. Nur mein Rumgeheule, das muss wirklich mal ein Ende haben.

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