Sonntag, 24. Dezember 2017

Dankbarkeit

Weihnachten. Zeit für den traditionellen Weihnachts-Post so wie hier, hier, hier und hier. Zeit für Dankbarkeit. Natürlich all jenen gegenüber, die mich auf meinem Jacobsweg begleiten. Dankbarkeit für all die Dinge in meinem Leben, die einfach so gut sind und gut laufen. Dankbarkeit, dass ich so eine gute Freuamilie an meiner Seite habe.

Zu spüren bekommen habe ich das unter anderem, als der eigentlich gut gemeinte Plan für 2017 - mein Wechsel von der Selbstständigkeit in die Festanstellung - zum langen Nervenkrieg wurde, bei dem ich nach wie vor nicht ins Detail gehen kann. Wichtig ist das Ende: Ich habe daraus gelernt. Viel. Sehr viel. Das vergesse ich nicht. Und ich will etwas zurückgeben, unter anderem stelle ich mich zur Betriebsratswahl und hoffe, dass ich dann ein paar Sachen im Unternehmen verbessern kann. Wenn ich nicht gewählt werde, bringe ich meine guten Ideen trotzdem ein. Seinen Gestaltungswillen kann man auch hinter den Kulissen ausleben, auch das habe ich gelernt.

Ich habe gelernt, dass ich - solange ich es will - immer ein Auskommen in dieser Branche haben werde. Scheißegal, wie anstrengend mich manch Chef finden mag. Denkt man als Boss an das Produkt, werden Menschen wie ich immer gebraucht. Denn der "journalistische" Nachwuchs ist keine Konkurrenz zu alten Hasen alter Schule wie mir. Es dominieren Ideenlosigkeit und Weichheit, Langsamkeit. Früher war alles besser, wir waren als Anfänger jedenfalls nicht halb so luschig drauf. Nach oben kommen diese Typen vermutlich schon, denn sie sind so flutschigflauschig, dass sie gut in Är... kriechen ... ach, lassen wir das! Ich habe ja aber auch gelernt, dass ich - zumindest momentan - gar nicht nach oben will und mein Gestaltungswillen (siehe oben) andere Ziele kennt.

Ich habe auch gelernt, dass ich meiner Familie dankbar sein kann für meine Erziehung. Eines Tages in diesem Jahr machte ich eine Seite 3 über eine Sportlerin Anfang 30. Am Rande spielte auch deren "Kollegin" eine Rolle, einfach nur durch die Anwesenheit auf Fotos, ansonsten war sie verzichtbar für die Geschichte. Die gekränkte Eitelkeit hätte ich ahnen müssen... Als mir diese Frau Anfang 20 aufgrund einer nach ihrem Geschmack dann falschen Bildauswahl kurz vor Mittag des Erscheinungstages mit leidender Stimme am Telefon Dinge wie "Ich ich ich (schnief) muss versuchen damit klar zu kommen" und "Ich ich ich (schnief) liege noch im Bett, ich muss das alles erstmal verarbeiten" sagte, war ich froh, dass mein Verarbeiten immer schon Aufstehen war. Momente wie dieser geben mir die Gewissheit: Wenn die Zombie-Apokalypse über uns hereinbricht, werde ich in der Lage sein, eine Gruppe Überlebender anzuführen. Die anderen bleiben liegen.

Schauen wir mal, was das Jahr 2018 bringt...

Donnerstag, 14. Dezember 2017

Die Wahrheit an der Lügenpresse

Donnerstag = Planungstag. An diesem Tag muss jeder Reporter/Redakteur der Redaktion einen Plan abgeben, in dem er auflistet, was er an welchem Ausgabetag der nächsten Woche abliefert – Aufmacher, Kellerbeiträge, Fotos, Anker und die Seite 3. Daraus wiederum entsteht der Wochenplan der Redaktion. Ich sollte also jetzt schon wissen, was am Montag in einer Woche in der Tageszeitung steht. Und ich weiß, welchen Aufmacher mein Kollege am nächsten Donnerstag liefern wird. Schöne Listenwelt ... Und ihre Qualität ist den Beurteilern der Liste so wichtig wie die Quantität der Liste.

Kurzum: Donnerstag ist kein beliebter Tag unter den meisten Redakteuren. Bislang kam ich noch ganz gut zurecht mit diesem Tag und habe – finde ich – immer wieder gute Themen angeboten und davon auch nicht zu knapp. Ich habe mich gefreut auf diese vielen kleinen und großen Projekte der nächsten Tage. Und strukturiertes Arbeiten und Organisation liegen mir ohnehin, ich konnte also in 99 Prozent der Fälle garantieren, dass ich auch liefere, was ich notiert habe. Alles schick.

Nicht mehr. Jetzt mutiert der Donnerstag auch für mich zu einem Montag wie ihn jeder Angestellte fürchtet. Donnerstag? Mäp, hör mir uff mit dem! Donnerstag? Hab ich keinen Bock drauf! Waaaaaas, schon wieder Donnerstag? Och nö, ich möchte lieber liegen bleiben.

Ist klar. Erst recht zum Jahresende. Die Redaktion ist müde, die Kollegen scheinen leer und verbraucht. Jetzt hat es auch mich, mit 33 Jahren das „Küken“ der Redaktion (schlimm genug, dass man in dem Alter die Jüngste einer Redaktion sein kann), auch erwischt. Ich fühle mich noch leerer und noch verbrauchter. Ich bin müde. So kommt Donnerstag X und plötzlich fällt einem nicht mal mehr ein, was man auf den Plan schreiben soll. Weil da nix ist. Keine Idee, kein Funke, keine Lust. Alles 08/15 und manchmal nicht mal das. Kein Kracher. Kein Knaller. Keinen Bock.

Kein Wunder!

Ich habe das mal ausgerechnet. Durchschnittlich schreibe ich – wie vermutlich gefühlt 90 Prozent der Kollegen (bzw. mindestens 90 Prozent fühlen sich so) - täglich bis zu 220 Zeilen. Das ist so ungefähr jeden Tag die Textmenge, die der Mittelbau einer klassischen Zeitungsseite fasst plus drei bis vier kleinere Nachrichten. An Spitzentagen sind es 500 Zeilen. Tage unter 200 Zeilen in den vergangenen Wochen und Monaten fallen mir kaum noch ein, eine Handvoll könnten es sein. Natürlich ist Schreiben mein Job. Und grundsätzlich ist der Job einer der schönsten der Welt. Nur die Umstände sind beschissen.

Jeden Tag solche Textmengen ausstoßen zu müssen, bedeutet schlicht irgendwann geschlaucht zu sein. Das kann nicht anders kommen. Denn es geht ja nicht allein darum, die Zeilen einfach nur zu schreiben. Bis man die Zeilen hat, ist ja jede Menge Arbeit zu tun. Telefonate, Termine, schriftliche Anfragen, Besuche vor Ort, Fotos bzw. die Organisation von Fotos … na Recherche und so eben …

Für Ideen, für Funken, für Kreativität braucht es Luft zum Atmen, die nicht gegeben ist beim Hetzen von einer Zeile zur nächsten. Gute Zeilen allein schon in Sachen Stilistik wachsen davon auch nicht. Für gute Arbeit, gründliche Arbeit und schließlich den Anspruch der vierten Gewalt (... na Recherche und so eben ...) braucht es Zeit, die nicht gegeben ist beim Hetzen von einer Zeile zur nächsten.

Will ich damit jammern? Nö. Also ... jein. Dann könnte ich mir diesen schönen Job woanders suchen und Ruhe is. Genau an diesem Punkt fängt jetzt das Jammern an! Das Jammern über Journalismus heutzutage.

Es geht nicht um mich, es geht nicht um meine Redaktion, es geht nicht um dieses eine Medium. Das ist nur ein Beispiel aus dem konkreten Erleben. Wo auch immer man hinhört und sich mit Redakteuren austauscht, über welche Tageszeitung man auch immer in Branchenmagazinen liest, was auch immer die Gewerkschaften kommunizieren, was auch immer man recherchiert – das Problem ist (fast) überall genau das gleiche. Redaktionen sind personell zu knapp besetzt, immer weniger Leute müssen in Zeiten des Digitalisierungswahns (alles zuerst online, noch ein Video, schnell eine Bildergalerie) immer mehr Arbeit leisten und entfernen sich auch dadurch immer weiter vom Journalismus wie er sein sollte – die abverlangte Quantität killt jede Qualität. Und am Ende schimpft wieder einer Lügenpresse ... und ein Funke Wahrheit ist dran.

Montag, 20. November 2017

Ehrlich sein

"Hm, ich kann momentan nicht versprechen, dass Eure Kinder noch Artikel von mir lesen werden"*, sage ich. Und es fühlt sich richtig und richtig gut an. Gerade hat mich eine 14-Jährige gefragt, ob ich meinen Job bis zur Rente machen möchte. Kann sein, kann anders kommen, sage ich. Und dass ich das so sagen kann, finde ich gut.

Ich bin in diese Klasse von Teenagern gekommen, um gnadenlos ehrlich zu sein. Zu ihnen in erster Linie. Zu mir selbst. Ich finde, dass die Kids das verdient haben. Für einen Monat ist meine Zeitung täglicher Unterrichtsstoff für sie. Und während sie den Autoren des Mathebuchs vermutlich nie in die Finger bekommen - vielleicht besser für denjenigen - dürfen sie mich doch gerne löchern. Das ist der Job. Regelmäßig veranstaltet meine arbeitgebende Zeitung das Projekt an Schulen. Damit soll die Medienkompetenz von der Grundschule an gefördert werden. Das finde ich gut. Medienkompetenz ist wichtig. Aber nicht nur aus diesem Grund mag ich das alles. Im Rahmen des Projekts haben die Schulen die Möglichkeit, sich einen Journalisten einzuladen. Ich lasse mich gerne einladen.

Die richtigen Fragen


Ausnahmsweise stelle nicht ich die Fragen. Ich bekomme sie gestellt. Ich lerne dadurch vielleicht mehr als sie. Nebenbei bringe ich den Schülern bei, was ein Anker und was ein Aufmacher ist, was eine Reportage vom Bericht unterscheidet und worauf es in dem Job ankommt. Die Schüler sind interessiert. Sie machen mit. Die Finger schnepsen immer wieder nach oben. Es werden Notizen gemacht. Es wird gelacht. Sie hören zu. Sie spielen ganz locker mit mir durch, was mit der Ansage "Ab sofort gilt Samstagsschule" alles anzufangen ist und wie wir die gemeinsam von der Nachricht bis zur Reportage umsetzen könnten. Und plötzlich denke ich: "Ach, gucke an, du hast vielleicht noch mehr Talente als nur das eine."**

Tatsächlich habe ich nämlich lange geglaubt, ich könne nur (Lokal)Journalismus. Keine Frage, ich bin ein guter bis oft sogar sehr guter Journalist. Ich kann das. Das Problem ist vielleicht aber mein "Immer schon" auf die Frage des Mädchens vorne links, ob ich das schon immer machen wollte. Ja, immer schon wollte ich das und tatsächlich zählt eine Entscheidung im Alter von 9 bei einem Lebensalter von fast 34 wohl als "immer". Das war gut, es hat mir immer Sicherheit und einen meist sehr deutlichen Fahrplan gegeben.

Nun fragt mich das Mädchen vorne links, ob ich das bis zur Rente machen will und es ist kein Ja zu hören. Eher ein Vielleicht: Ich sage, dass ich es nicht versprechen kann. "Kann ich gar nicht glauben, sie erzählen so schön", sagt sie. Tatsächlich habe ich vorhin von unendlich vielen guten Dingen berichtet. Ich habe unter anderem erzählt, dass ich in meinem Job sogar Dinge verändern kann und Beispiele genannt. Ich habe die Frage nach der wichtigsten Geschichte meines Lebens mit "der über XL" beantwortet und alles ausgepackt. Ich habe von anderen bedeutenden Artikeln erzählt. Ich habe geschwärmt, das alte Kribbeln tauchte wieder auf. Ich habe zehn Jahre Laufbahn an ihnen und vor allem an mir vorbeifliegen lassen. Unglaublich, ich bin noch recht jung und schon ein alter Hase, so lange bin ich dabei.

Gelernt ist gelernt


Ob ich das ewig machen will, weiß ich in dieser Sekunde trotzdem nicht. "Vor fünf Jahren hätte ich noch ganz klar und ohne Zögern Ja gesagt", sage ich dem Mädchen nun, "aber die Dinge ändern sich. Ich sage ja auch nicht Nein." Sie guckt immer noch ein bisschen enttäuscht. "Weißt du, wenn die Bedingungen immer schlechter werden, kommt man schon ins Grübeln." Immer weniger Personal in allen Bereichen vom Sekretariat bis zur Druckerei und immer mehr Aufgaben, generell immer schlechterer Ruf für Journalisten, die freien Kollegen werden nicht fair entlohnt - das Mädchen versteht. "Und außerdem bin ich jetzt in so einem Alter, wo man überhaupt viel grübelt. Ich habe zwar noch ganz gaaanz viel vor im Journalismus, aber ich kann vielleicht auch noch viel mehr als nur das", sage ich und das Mädchen nickt.

Die Glocke läutet zur Pause. Die Schulstunde ist vorbei. Sie tat gut. Es ist lehrreich für beide Seiten, wenn man mal ehrlich ist. Ich erinnere mich wieder. Ich erinnere mich wieder, warum ich als Kind diese Entscheidung getroffen habe und dass sie gut war.

* Doch, das werde klappen, sagt ein anderes Mädchen und weist auf den Jungen auf der letzten Bank, der bereits Vater ist. Das werde ich doch sehr wohl noch schaffen, sogar mit Enkeln. Ist ein Deal, Mädchen!

** Vielleicht sollte ich Volontäre unterrichten, damit die wirklich mal was auf dem Kasten haben.

Dienstag, 31. Oktober 2017

Draußen vor der Redaktion

Ein Monat, der zwei Stürme beinhaltete, geht zu Ende. Wenn ein Sturmtief schon "Herwart" heißt, muss man nichts Gutes mehr erwarten ... was für ein selten dämlicher Name. Und so gab es auch jede Menge Ärger mit "Herwart" und seinem Kumpel "Xavier". Mich haben "Xavier" und "Herwart" daran erinnert, dass Journalismus draußen vor der Tür stattfindet.

Nicht, dass wir nicht doch Schreibtischtäter sind. Es ist schon gut, dass Artikel noch immer an Schreibtischen verfasst und nicht zwangsweise auf irgendwelchen Ackern getippt werden müssen. Es ist praktisch und bequem, dass man für den Job oft auf einem guten Stuhl sitzen kann und nicht kopfüber von einer Decke hängt. Und zum Journalismus braucht es ganz sicher nicht nur die, die draußen sind.

Journalismus ist es auch, ein sogenannter Blattmacher zu sein und über Themen und Layout zu entscheiden. Man ist den ganzen Tag drinnen, oft in klimatisierten Räumen und schaut (zu), wie sich Stück für Stück eine Zeitungsseite füllt. Es muss jemanden geben, der Aufgaben verteilt und Anweisungen gibt. Es ist auch ein Teil von Journalismus. Ohne geht es nicht. Und ohne ist das sicher auch nicht. Aber nur am Schreibtisch sitzen? Immer schön im Warmen bleiben? Nein, ich möchte das nicht. Für mich ist das nicht Journalismus. 

Vor der Tür


Für andere auch nicht. Als "Xavier" über das Land fegte, war ich mit dem Fotografen draußen. Leser - steht nach wie vor zu vermuten - wollen informiert sein, was draußen vor der Tür geschieht, auch wenn sie sich selbst nicht mehr raustrauen würden. Der Wind peitschte uns ins Gesicht und die komplette Ausrüstung zitterte im Wind. Mich schob eine Böe einmal von rechts nach links. Wir wurden so nass, dass unsere Hintern nach unserer Rückkehr von draußen noch eine Stunde später feuchte Abdrücke auf unseren Bürostühlen hinterließen. Noch im Wind brüllte er mir zu, wie "geiiil" das jetzt gerade wäre.

Ist es auch. Es ist unbequem und anstrengend in gewissen Situationen draußen zu sein, aber es ist unmittelbar und deshalb toll. Ich möchte nicht den ganzen Tag in einem Büro eingesperrt sein. Ich stehe lieber im Sturm und riskiere, dass mir ein Dachziegel auf den Kopf knallt als im Warmen zu sitzen und zu warten, dass sich die Geschichte bei mir meldet. Lieber hätte ich in meiner Traueranzeige stehen, dass ich im Job gestorben bin als dass ich wegen meiner bequemen Arschplattsitzerei auf dem Bürostuhl ein verfettetes Herz hatte. Für Journalismus braucht es freilich mehr als Sturmeindrücke. Es macht einen nicht zum besseren Journalisten, Blaulicht-Reporter zu sein. Es macht einen nur zu einer besonderen Gattung. Eine Zeitung besteht nicht nur aus "Katastrophen"-Berichten. Der gemeinsame Nenner "draußen" aber bleibt. 

Was bleiben muss


In einer Zeit, in der Journalismus - und gerade der Lokaljournalismus - immer mehr auf Effizienz gebügelt und die Produktion von Artikeln zum Fließband-Output von Zeilen geraten soll, müssen einige Dinge heilig bleiben.

Man darf als Journalist nicht ernstlich erwarten, dass einem ein Mensch, den man aus welchen Gründen auch immer porträtieren will, seine Lebensgeschichte am Telefon erzählt. Man darf als Journalist nicht ernstlich erwarten, dass die Menschen einer Stimme, die sie nur vom Telefon kennen, trauen können. Man muss als Lokaljournalist die Stadt gut kennen und sie täglich erleben. Man muss als Lokaljournalist die Dörfer wenigstens besuchen, über die man schreibt. Man sollte als Lokaljournalist die Gemeinderäte live erleben und nicht nur Beschlussvorlagen abtippen. Man mus sich für Menschen Zeit nehmen. Man muss viel.

Wie kannst du vom Schreibtisch aus Dinge beschreiben, die du nicht gesehen hast? Wie kannst du vom Schreibtisch aus Sachen schildern, die du nicht erlebt hast? Wie kannst du über einen Menschen schreiben, den du nicht kennengelernt hast? Wie kannst du nur vom Schreibtisch aus die Geschichten auftun, die einfach erzählt werden müssen? Wie kannst du wissen, was abgeht, wenn du kaum raus gehst? Schriftsteller können Fantasie nutzen. Journalisten sollten die Finger davon lassen.

Montag, 9. Oktober 2017

Die wichtigste Frau

Als ich Kind war, haben mir meine Eltern beigebracht, dass ich immer höflich sein soll und stets auch die Reinigungskraft, den Hausmeister und die Sekretärin grüßen soll. Sie bestanden sogar darauf, dass ich diese Personen ganz besonders zuvorkommend behandele. Hätten meine Eltern mitbekommen, dass ich das nicht getan und dafür den Direx vollgeschleimt hätte, hätte es aus mehreren Gründen - angefangen von Hochnäsigkeit bis hin zu Verkennen der Realität - mächtig Ärger für mich gegeben. Denn die genannten Personen seien immer die wichtigsten Menschen in allen Einrichtungen und Unternehmen dieser Welt und nicht nur deshalb bestehen meine Eltern auch heute noch auf gute Erziehung.

Dass das mit der nicht zu verkennenden Bedeutung wahr ist, erleben wir in der Redaktion seit ein paar Wochen Tag für Tag. Unsere Sekretärin ist krank. Die wichtigste Mitarbeiterin ist nicht da. Jetzt – spätestens – fällt auch dem letzten Team-Mitglied auf, was sie jeden Tag leistet. Hoffentlich. Das, was sie sonst tut, bleibt nämlich an uns hängen und macht Mehrarbeit, die nicht zu unterschätzen ist.

Nicht falsch verstehen... Es gibt bei uns kein „Fräulein Müller zum Diktat!“ und niemand käme auf die Idee, der Sekretärin einen Haufen Unterlagen zum Kopieren hinzuknallen oder sie zu bitten, doch mal eine Telefonnummer für einen rauszusuchen und auch noch zu wählen – solche Sachen machen wir immer selbst, alles andere wäre peinlich. Kaffee kochen können wir auch alleine. Wir sind schon eine Weile recht selbstständige Redakteure.

Allerdings fällt ohne Sekretärin noch mehr Arbeit an, die eigentlich nicht Bestandteil unserer Aufgaben ist und ohne die unsere Aufgaben doch nicht zu lösen sind. Tausend Kleinigkeiten, ohne die das große Ganze nicht läuft. Die Zeitungen sind zu archivieren. Die Post ist aus dem Briefkasten zu holen, zu sichten und weiter zu verteilen, mitunter muss sie weiter versendet werden. Belegexemplare müssen auf den Weg gebracht werden. Das allgemeine E-Mail-Postfach quillt über, wenn nicht stündlich jemand aufräumt, Mails sortiert und sondiert, weiterleitet an die richtigen Stellen und reagiert. Leserbriefe gehören abgetippt. Leserfotos müssen erfasst werden. Irgendjemand muss den Zimmerpflanzen in der Redaktion auch mal Wasser geben. Das Papier im Drucker geht zur Neige wie der Toner, irgendwie muss da neues Material ran. Überhaupt kommt Büromaterial nicht von selbst in die Redaktion gelaufen. Genauso verhält es sich mit Spülmaschinentabs und solchem Krams. Zwischendurch sind Leserfragen allgemeiner Art wie „Wo kann ich eine Anzeige aufgeben?“ und „Ich hatte heute keine Zeitung im Briefkasten!“ zu beantworten. Der Schornsteinfeger kommt in die Redaktion – jemand muss zwischen eins und vier vor Ort sein, um ihn in Empfang zu nehmen.

Weil im Sekretariat niemand sitzt, ist ja auch jeden Tag Tag der geschlossenen Tür in der Redaktion. Wir behelfen uns inzwischen mit einer Klingel. Alles in allem kein besonders niederschwelliges Angebot an die Leute, um mit ihrer Lokalredaktion Kontakt aufzunehmen – man kann nicht einfach zur Tür hereinspazieren und mal etwas ansprechen, man kann nicht direkt anrufen, sondern landet auf irgendeiner Rufumleitung und man kann nicht mal einfach was abgeben. Und es ist bitter zu wissen, dass das Unternehmen an der Schließung der Sekretariate in Außenredaktionen festhält. Geht unsere Sekretärin in Rente – und das ist bald – wird es immer so sein, dass da niemand ist … den Tag fürchten wir nicht nur wegen der Mehrarbeit, sondern vor allem für die Leser. Ohne Sekretärin geht es vielleicht, aber es läuft nicht.

Dennoch gibt es mindestens noch einen im „Team“, der nicht begriffen hat, dass sich eine Geschirrspülmaschine weder alleine ein- noch alleine ausräumt. Es gibt auch mindestens immer noch einen, der an einer großen schweren Kiste voller Zeitungen vorbeiläuft und sich dann wundert, dass er nicht vom gewohnten Platz die heutige Ausgabe fingern kann. Es gibt auch mindestens immer noch einen, der die Klingel nie hört. Es gibt mindestens immer noch einen, der in Deckung vor dem Leser geht. Vermutlich wird „Team“ in diesem Fall als „Toll, ein anderer macht‘s“ verstanden. Auch das ist im Journalismus so fehl am Platz wie ein verwaistes Sekretariat.

Sonntag, 1. Oktober 2017

Nonline

Journalisten sollten bei Twitter sein. Diese Botschaft stampft immer wieder an mir vorbei. Im Internet. Ich folge - bei Facebook - diversen Portalen und Ratgeberseiten für Journalisten und dort wird mir von denen immer wieder angezeigt, dass ich wiederum bei Twitter mitmischen sollte, das sei wichtig für Themenfindung, um Themen nicht zu verpassen und fürs Selbstmarketing.

Ich denke mir jedes Mal: Nö, isch möschte das nischt! Denn mir geht schon das sogenannte soziale Netzwerk Facebook oft genug auf den Senkel, als dass ich unbedingt noch eine Plattform nutzen und bedienen wollte. Das Internet insgesamt nervt mich viel zu häufig, als dass ich noch eine Funktion dort nutzen wollte.

Ich will den Ausschalter haben


Ja! Ich bin 33 Jahre alt und habe oft die Sehnsucht, das Internet zu löschen. Das passt nicht ganz zu meinem Job. Wir sollen ja jetzt alle total online-affin sein und uns einen abfeiern, weil wir Videos ins Netz pusten. Und das passt nicht ganz zu meiner Generation. Wir sind ja angeblich alle total online-affin und ständig im Netz, weil es so geil ist.

Meine Euphorie ist regelmäßig deutlich gebremst. Und dann wieder ganz weit oben. Ich kann mich nicht entscheiden ... Es gibt so viele tolle Seiten. Ich chatte mit Freunden. Ich habe Blogs im Netz. Ich lese total viel auf Online-Portalen. Meine Arbeit gewinnt durch schnelles Agieren im Internet. Aber: Online sein ist nicht alles. Oft mache ich mir Gedanken über eine Welt ohne Netz ...

Neulich hatte ich ziemlich spezielle Probleme beim Onlinestellen eines Artikels. Es ging kurze Zeit gar nix mehr online zu stellen oder auch nur zu aktualisieren. Ich schrieb die "Wir machen was in diesem Internet"-Beraterin unserer Lokalredaktion an, schilderte die Probleme und meine versuchten Lösungsansätze. Und ich schrieb "Vielleicht habe ich das Internet kaputt gemacht." - und ich war dabei sogar ein bisschen hoffnungsvoller als ich es vielleicht sein sollte.

Nein. Eigentlich möchte ich nicht das Internet kaputt machen. Es ist - wie gesagt - eine tolle Sache, aus vielen Gründen. Beruflich blühte ich ja erst so richtig auf, als es uns Redakteuren plötzlich möglich gemacht wurde Artikel auch selbst, sowie ganz schnell und unkompliziert im Internet zu veröffentlichen. Als andere in der dazugehörigen Schulung schon im Grundsatz murrten und dieses Internet ablehnten, stellte ich nur die Frage, ob ich dann endlich schnell Artikel online schießen kann und war angesichts der Antwot mit Feuereifer dabei. Ich erhielt zudem Zugriff auf das Facebookportal meiner Lokalausgabe und durfte dort ebenfalls sofort und ohne große bürokratische Umstände posten. Der Hintergrund meiner Euphorie: Das alles ist sehr praktisch, wenn man sich als Blaulichtreporter betätigt - denn nach Feierabend, nachts oder im Morgengrauen findet man keinen Kollegen oder Chef, der das für einen übernehmen würde.

Dass ich auch privat bei Facebook bin, hat mir ja auch viel gebracht. Dabei stieg ich recht spät dort ein, etwa im Alter von 26 Jahren. Grund war schlicht, dass die Stadtverwaltung meines Berichtsgebiets dort eine Seite erstellte und ich mir im Klaren war, dass auf der viel laufen wird, was wir als Redaktion nicht verpassen sollten. Ich nutzte mein Profil mehr und mehr zur Nachrichtenbeobachtung. Ich behielt nicht nur meine, sondern auch andere Städte und etliche andere lokale Seiten im Auge und so manche Story - und sei es nur eine Kleinigkeit - hätten wir vermutlich verpasst ohne Facebook, ohne mich.

Mein privates Profil wurde spätestens mit meiner Selbstständigkeit zu einem Berufsprofil. Ich nutzte das Ganze für Marketing - "Frau Jacob ist schnell da, wenn es brennt", "Frau Jacob ist am Puls der Zeit", "Lest die Artikel von Frau Jacob!" und "Frau Jacob ist 'ne dufte Person" lauteten in etwa meine Botschaften für das "Produkt", welches ich war. Ich nutzte und nutze Facebook, um Geschichten aufzutun und Leute zu finden. Ich erhalte via Facebook wertvolle Tipps und manche Sache in der Stadt hätte ich ohne das Netzwerk vermutlich verpasst oder erst zu spät entdeckt. Ob ich mit Facebook das Ohr wirklich an der Masse habe, wage ich angesichts so mancher asozialen Diskussion im sozialen Netzwerk aber zu bezweifeln - denn dann wäre die Masse erschreckend dumm. Schlaue Sachen und Nutzen/Nutzer gibt es zum Glück: Ich nutze Facebook mit einer geschlossenen Gruppe als Ratgeber und Wegweiser meiner Arbeit.

Die Geister, die ich rief


Ansonsten sitze ich oft da und staune über die Geister, die ich rief. In mein Messenger-Postfach trudeln regelmäßig Nachrichten von Menschen, denen die Zeitung nicht zugestellt wurde - dabei bin ich doch nur Redakteur und nicht im Vertrieb. In meinem Messenger-Postfach fragen mich Menschen, ob diese oder jene Ankündigung eines Vereins-, Garten- oder XY-Festes schon in der Zeitung war und ob ich das mal fix schicken könnte - was besonders lästig wird, wenn noch dazu zu der Stadt unserer Lokalausgabe gefragt wird, in deren Gebiet ich gar nicht arbeite und wo ich erst recht nicht als Archiv funktionieren kann. Wenn die Sirene geht, schreiben mir Menschen neugierige Nachrichten, was denn bei der Feuerwehr los sei, noch bevor ich überhaupt für mich die Frage geklärt habe, ob ich den Einsatz wahrnehme. 

Die Sache wird verschärft, denn: Meine Kollegen sind entweder nicht bei Facebook, nicht unter ihrem Klarnamen dort zu finden oder wenn sie bei Facebook sind, interessiert sich niemand dafür. Also falle ich nach wie vor dort auf. 

So kommt es seit eingen Monaten immer wieder vor, dass ich in Diskussionen markiert werde und mich dann vor Tausenden Menschen äußern soll, genau als "die Frau Jacob von der Zeitung" und quasi im Namen der Zeitung. Als es "nur" um die Bauplanungen rund um eine Bahnschranke in meiner Stadt ging, steckte ich das noch souverän weg und verfasste einen Kommentar, bei dem keine Fragen mehr stehen blieben. Ich machte in einem Satz deutlich, was ich als Mitarbeiter dieser Zeitung tun kann (nachfragen) und in etlichen anderen Sätzen klar, was ich persönlich von dem ganzen Komplex halte - das ging flott von der Hand, denn mit Eisenbahngedöns kenne ich mich ziemlich gut aus. 

Das Ende der Souveränität


Am vergangenen Sonntag wurde ich zu einem Statement genötigt, wann die lokalen Ergebnisse der Bundestagswahl veröffentlicht werden. Ich rastete offline aus und konnte online nicht souverän bleiben. Ich schrieb - mal mehr oder weniger zwischen den Zeilen -, dass ich weder der einzige noch der Chef-Redakteur der Zeitung bin und man nicht einfach irgendeinen Journalisten, den man zufällig bei Facebook markieren kann, ständig vors Loch schieben sollte, sich zur Blattplanung und noch ganz anderen Dingen zu äußern.

Am nächsten Morgen wurde mir beim Lesen selbst klar, wie überspannt ich reagiert hatte. Aber Kommentare lösche ich nicht, da habe ich eine klare Linie. Ich stand zu meinem Geschreibsel. Wie gut. Am darauffolgenden Morgen dachte ich nämlich dagegen sehr wohl, wie recht ich doch hatte und habe. Auch ich habe mal ein Recht auf ein privates Leben. Vor allem habe ich das Recht, nicht ständig die Zeitung zu vertreten, für diese gerade zu stehen oder mich für deren Linie kritisieren lassen zu müssen - und das oft nur deshalb, weil die User sonst niemanden gegriffen kriegen.

Die Frage "sein oder online?" ist für mich inzwischen geklärt. Ich werde bei Facebook bleiben. Und ich werde es nach meiner Wahl nutzen. Es hat viele gute Seiten, die gut für meine Arbeit sind und von denen ich noch überzeugt bin. Privat ist es auch ganz nett. Oft genug nervt es mich - privat und beruflich. Das darf ich auch zeigen. Drum fällt Twitter aber sowas von aus für mich! Und ich bediene ihn immer wieder, den Aus-Knopf für dieses Internet. Denn den hat wirklich jeder von uns!


Montag, 11. September 2017

Beste Zeit

Da sitze ich nun. Die Büros sind dunkel. Die Telefone schweigen. Der Drucker gibt von Zeit zu Zeit ein Klicken von sich. Sonst Stille. Ich bin allein. Niemand ist da und niemand weiß, dass ich hier bin. Es ist mitten in der Nacht. Morgengrauen. Es ist spät am Abend, früh am Tag, Wochenende. Irgendwas ist passiert, das mich treibt, meine Arbeit zu machen, weil ich eben meine Arbeit mache so wie ich sie mache. Ein Haus hat gebrannt, ein Unfall ist passiert, irgendwas ist eben außerhalb der Kernarbeitszeit passiert und ich arbeite, weil ich das nun einmal so mache. Wie gut.

Da sitze ich und bin allein. Ich arbeite, konzentriert und schnell, fokussiert, interessiert, motiviert. Es ist mitten in der Nacht, Morgengrauen, es ist spät am Abend, früh am Tag, Wochenende. Es ist die beste Zeit des Tages, der beste Tag der Woche. Es ist der Moment, in dem ich Ruhe und die Macht habe. Ich bin jetzt mein eigener Chef, mein Kollege, meine Sekretärin, meine Rechtschreibkontrolle, mein Lehrmeister. Ich kann tun und lassen, was ich will. Ich entscheide. Ich mache. Ich handle.

Niemand wird anrufen und mir erzählen, worauf ich im Text achten soll, noch bevor ich überhaupt den ersten Buchstaben getippt habe. Niemand wird meinen Artikel bearbeiten während ich noch an ihm schreibe. Niemand wird fragen, ob ich ein Video und Bilder für eine Galerie habe. Das habe ich vorhin mit mir selbst schon am Einsatzort geklärt. Niemand drängelt. Niemand stört. Niemand ist ungeduldig, außer mir selbst. Ich mache, was ich zu machen habe und stelle es so wie ich es gemacht habe ins Netz, stehe dazu und zu den Fehlern, die ich gemacht habe - meine Sache, mein Ding, meine Entscheidungen, meine Ruhe ... bis auch die anderen aufgewacht sind.

Es ploppen keine Rundmails mit sinnlosen Informationen auf, die höchstens zwei der zwanzig angeschriebenen Menschen interessieren. Es ruft auch kein Leser an, schmettert mir kommentarlos seine Kundennummer entgegen und ist dann enttäuscht, dass ich nur Redakteur bin und Abodaten gar nicht verwalten kann. Es kommt kein Babuschek ins Haus und raubt mir die Nerven. Ich arbeite in einem Zug. Das einzige, was mich aufhalten kann, ist die eigene Müdigkeit und die des Systems. Wenn es nicht mitten in der Nacht, im Morgengrauen, spät am Abend, früh am Tag oder Wochenende wäre, könnte es immer so sein.

Donnerstag, 3. August 2017

Wie die Zeit vergangen ist

Im Journalismus steht man ja total auf anlassbezogene Artikel. Anlässe wie Jahrestage kommen immer gut, sich Dinge nochmals in Erinnerung und ins Gedächtnis zu rufen. Man blickt ein, fünf, zehn Jahre später noch einmal auf die Hochzeit der Royals, das Attentat, den Start von, den Tod von, usw. ... und schaut, wie es heute damit ist, was daraus geworden ist, was danach geschah, ob man hinterher schlauer ist. 

Aus gegebenem Anlass blicke ich heute auf meinen Blog.


Fünf Jahre - auf den Tag genau - ist es her, dass ich meinen Blog startete. Der erste Beitrag war kurz und so eine Art "Hallo, da bin ich!". Ich habe mich einfach hingesetzt und losgelegt. Eine Bekannte, die inzwischen eine Freundin und oft wie eine Muddi für mich ist, hatte beziehungsweise hat auch einen Blog und irgendwie schien mir das ihrem Erzählen nach ein durchaus nettes Hobby. Eigentlich wollte ich einen Blog über Medien machen, der ausschließlich Medienkritik betreibt. Geworden ist daraus ziemlich schnell ein Blog über mein Leben als Journalist und meine Berufung, den Beruf und den Job. Dies und das findet sich hier: Berichte über seltsame Gesprächspartner und Interviewsituationen, Wundern über die Kollegen, Einblicke in das Arbeiten, meine wichtigsten Artikel, die Themenfindung, den Redaktionsalltag, ins Private und ins Gedankenkarussell. Und weil sich - eine Entwicklung der vergangenen fünf Jahre - nicht mehr alles nur um den Job dreht, gibt es seit zwei Jahren auch noch einen zweiten Blog zu allem, was mir persönlich noch so schreibenswert erscheint und nix mit Journalismus zu tun hat.


Ich will gar nicht genau analysieren, wie und womit die Zeit vergangen ist. Keine Frage, in fünf Jahren ist viel passiert. Es war eine gute Zeit. Vielleicht habe ich mich weiterentwickelt, vielleicht sehe ich manche Dinge auch einfach nur anders, vielleicht sehen mich andere nur anders. Als ich anfing zu bloggen, war ich noch verheiratet. Ein Jahr später schon nicht mehr. Fünf Jahre später beliebe ich oft zu scherzen, ich sei nur deshalb verheiratet gewesen, weil ich diesen echt coolen Namen für den Blog haben wolle. Alles goldrichtig so wie es gelaufen ist. Ich bin in vielerlei Hinsicht heute anders als ich damals war.

Meine Muddis haben immer gute Karten für mich.
Als ich anfing zu bloggen, war ich zwar schon eine Weile dabei, aber noch lange nicht so sattelfest wie jetzt in meinem Beruf. Ich habe mehr und mehr Selbstbewusstsein in allen Berufs- und Lebenslagen entwickelt. Ich bin mir meiner selbst bewusst und ich kümmere mich sehr gut um mich. Vielleicht hat das Reflektieren über Job und Leben hier an dieser Stelle mitten im WWW auch einen Teil dazu beigetragen, sehr wahrscheinlich sogar.

Als ich anfing zu bloggen, war ich angestellt. Dann war ich freie Journalistin. Dann war ich kurz angestellt. Dann war ich wieder freie Journalistin. Jetzt bin ich wieder angestellt. Ich will nicht mehr in der Vergangenheit kramen, was in den jeweiligen Phasen schief gelaufen ist oder was jeweils dazu geführt hat und was heute noch so alles nicht korrekt läuft. Die Zeiten des Wutheulens (noch immer einer der meistgelesenen Beiträge hier) sind vorbei oder beziehen sich jetzt auf Dinge, bei denen es wirklich nötig ist. Verliebt, verlobt, verheiratet mit dem Job? Verliebt ja und wir lieben uns (mal mehr, mal weniger), aber die Ehe haben wir annulieren lassen - das ist gesünder für mich.

Als ich anfing zu bloggen, hatte ich keine Ahnung, dass ich in den kommenden fünf Jahren so manche echte Krise zu bewältigen habe und auf dem besten Weg ins Burnout bin. Heute, dem Hinterher von fünf tollen Jahren bin ich in vielerlei Hinsicht zum Leben als Journalist, der Berufung, dem Beruf und dem Job und vor allem dem Leben im Allgemeinen - und wie ich es führen will - schlauer. Ich weiß, was ich will und - oft immer noch besser und wichtiger als Ersteres - ich weiß, was ich nicht will. Ich weiß, dass sich noch sehr viel mehr in meinem Leben entwickeln wird - positiv wie negativ. Ich weiß, dass ich hinterher oft schlauer sein werde.


Also ... Ich freue mich auf die nächsten fünf Jahre und die Entwicklungen. Ich weiß, dass es mir heute viel viel besser als noch vor fünf Jahren geht und dass ich auch damit klarkomme, wenn es mal nicht so läuft wie gedacht, alles halb so wild. Ich weiß, wer an meiner Seite ist und sein darf. Ich weiß, wie ich mir die kommenden Jahre vorstelle und wie ich damit umgehe, wenn es nicht klappt. Wird schon und wenn nich ... na, ma guggn. Alles wird gut. Und wenn das alles schon eine Form oder erste Ausläufer von "altersmilde" sind, freue ich mich auf das Jahr 2076*.

Kurzum: FÜNF JAHRE, YEAH!


* Da haben Mister XL und ich ein Date.

Freitag, 21. Juli 2017

Das Elend mit dem Elend

Wer als Lokaljournalist arbeitet, der sollte nichts gegen Kleingärtner haben. Natürlich besteht gut gemachter Lokaljournalismus aus so viel mehr als Tauben- und Kaninchenzüchtern, Laubenpiepern und Kindergartenfesten, aber drumrum kommt man doch nie so ganz.

Ich hatte mich ja in all den Jahren als überzeugter Lokaljournalist an die Kleingärtner gewöhnt, zuletzt habe ich sie sogar richtig gemocht. Ich kenne da zum Beispiel einen von fast 80 Jahren, bei dem werden auch meine Freundinnen schwach, wenn ich nur seinen Namen erwähne … Horscht Clooney nennen ich ihn, wobei George Clooney sich vermutlich in Wirklichkeit ein Beispiel an seinem Charme genommen hat. Ich trinke eigentlich keinen Kaffee mehr, aber bei Horscht würde ich sofort Koffein in meine Venen spritzen lassen. Kaffee and the Kleinstadt? Mit Horscht jederzeit. Horscht, ach Horscht …

Ich schweife ab. Ich kann Kleingärtner nicht mehr leiden. Zumindest für diese Woche. In einem Kleingartenverein hat der Vorsitzende, jetzt Ex-Vorsitzende, eine stattliche Summe Geld veruntreut. Abbuchung um Abbuchung muss er das Vereinskonto abgeräumt haben. Von dem Geld könnte man schon mal ein schönes Auto oder so kaufen. Über den Fall wird berichtet. Kleinstadt, Lokaljournalismus, Kleingarten, ungewöhnlicher Fall, Bericht, alles klar.

Ich habe mit dem Kreisverband der Kleingärtner gesprochen, mit dem Vorstand des Vereins, mit Kleingärtnern in der Anlage, ich habe versucht den Ex-Vorsitzenden zu erreichen. Vor Kurzem war ich wieder in der Anlage. Wieder sprach ich mit ein paar Leuten, die waren auch alle ganz nett. Dann verließ ich die Sparte und fühlte mich gleich selbst kriminell.

Vor mir baute sich eine Frau auf. Wenn ich noch einmal illegal fotografieren würde, deutete die Frau auf die Kamera (mit Objektivdeckel verschlossen) in meiner Hand, dann setze es aber eine Anzeige. Ich sagte, keine Gärten oder so, sondern nur einen auch von der Straße aus einsehbaren Aushang fotografiert zu haben. Das interessiere sie einen Sch…, meinte die Frau.

Es brach aus ihr heraus. Ich würde mich am Elend bereichern, kassiere dafür noch Extra-Geld und das werde noch bestraft. Ihr aggressiver Blick ließ vermuten, dass sie mich nicht so einfach gehen lassen wollte. Ob sie sich denn noch erinnern könne, dass nicht ich das Geld veruntreut habe? Das interessiere sie einen Sch…

Sie wisse genau, dass ich dafür noch Extra-Geld kassiere. Ich würde mich am Elend bereichern, wiederholte sie. Nein, egal welches Thema, in meinem Vertrag seien keinerlei Extras wegen schlechter Nachrichten vereinbart. Dochdochdoch, sagte sie. Mein Name sei ihr bekannt und sie werde das anzeigen. Und wieder wiederholte sie: „Sie bereichern sich am Elend!“ Ob ich oder Medien im Allgemeinen … „Sie bereichern sich am Elend!“, fiel sie ins Wort. Ich setzte erneut an. Ob ich oder Medien im Allgemeinen sich denn auch am Elend bereichern würden, wenn wir über Kriege schreiben, fragte ich. Ja, "ebend", über die „Scheiß-Ausländer“ würden wir berichten. Dabei gäbe es genug Elend hier vor Ort über das man mal berichten solle.

Ich wollte mich nicht mehr auf die für mich nun doch drängende Konversation einlassen, ob sie sich da nicht ein wenig selbst widersprechen würde. Ich bin gegangen. Einfach gegangen. Manchmal ist es echt schwer Kleingeister UND den Job zu mögen, es geht vielleicht nur eins von beiden.

Freitag, 7. Juli 2017

Damals und heute

2007. 2017. Damals war G8-Gipfel in Heiligendamm. Heute ist G20 in Hamburg. Ich erinnere mich heute lieber an damals als mir das Heute anzuschauen. Damals hatte ich ein Magister-Zeugnis in der Tasche, aber keinen Job. Meine Eltern – auf die man mit 23 genauso gut hören kann wie heute mit 33 - rieten mir, mich doch für den neuen Master in Journalistik an der Uni Leipzig zu bewerben.

Ich musste damals ein Auswahlverfahren bestehen, dafür Wissenstests und vermutlich auch Wesenstests absolvieren und mich dann in der nächsten Stufe mit Arbeitsproben beweisen. Ich weiß heute nur noch, dass ich damals in wenigen Minuten einen Kommentar zum G8-Gipfel schreiben sollte. Was ich geschrieben habe, weiß ich heute nicht mehr. Aber die Prüfer damals müssen das ganz in Ordnung gefunden haben. Ich kam in die nächste Stufe des Auswahlverfahrens.

Eine Gesprächsrunde mit drei Dozenten und drei potenziellen Studenten. Reihum beantworteten wir damals allerhand Fragen, die sie uns stellten und dank derer sie über unsere Tauglichkeit entscheiden wollten.
Welche drei Journalisten wir unbedingt einmal treffen wollen würden und welche Fragen wir ihnen stellen würden, fragten sie. Die anderen beiden hantierten mit wohl berühmten, mehrfach ausgezeichneten Journalisten (die mir bis heute nichts sagen) noch namhafterer Zeitungen und legten wohlformulierte Begründungen hin. Auch sie wollten erreichen, was diese Männer (es waren vor allem Männer) geschafft haben und auch mal was Preisverdächtiges schaffen. Ich war kurz verschüchtert.

„Und Sie?“, bohrte der Prof mir gegenüber. Einen x-beliebigen aber langjährigen Society-, einen Blaulicht- und einen Lokalreporter irgendeiner kleinen Regionalausgabe wolle ich mal treffen, sagte ich und schaute die Praxis-Dozentin neben ihm an. „Ach, warum das denn?“, fragte die Gegenseite nach. Ich wolle sie alle drei einfach nur mal fragen, wie sie das mit Nähe und Distanz in ihrem Job hinbekommen und wie sie die Grenzen ziehen. Heute könnte ich meinem Damals vielleicht ein paar Antworten auf diese Fragen geben. Und heute könnten Ich und Ich einiges diskutieren.

Ich wurde damals aus der Runde angenommen. Nach kaum dreieinhalb Semestern schmiss ich das Studium und ging lieber in die Praxis. Noch heute bereue ich das nicht. Der Master Journalistik ist auch heute schon lang nicht mehr, was er damals noch zu sein versuchte. Es war mir damals – wie heute – zu theoretisch, und noch ein paar andere Dinge mehr im Argen. 

Die Erstsemesterparty war aber nicht schlecht. Wir 30 Auserwählten ließen eine Art Poesie-Album rumgehen, in dem Fragebogen unter anderem Folgendes: „Wo siehst du dich in zehn Jahren?“ Wieder schrieben die anderen von großen und großartigen Plänen, von Preisen, eigenen TV-Formaten und Hängematten auf Bali. Ich schrieb: „Als Name in der Zeitung“.

Freitag, 26. Mai 2017

Der Nervenräuber

Es gehört zum Alltag in Redaktionen, dass der Kontakt mit dem Leser nicht ausbleibt. Das ist ja grundsätzlich auch in Ordnung so. Die Leute/Leser kommen zu uns in die Redaktion und reden mit uns, sie wollen Sorgen loswerden, Themen beachtet finden, Fragen stellen, Kritik äußern. Das ist schön. Von Zeit zu Zeit (bis zu viermal wöchentlich) haben wir es aber mit einem besonders nervigen Exemplar der Sorte Leser zu tun.

Nennen wir ihn doch einfach Babuschek*. Besagten Nerventod kennt man in der Stadt. Meinem Vater beschrieb ich den Mann mal so: „Er sieht aus wie eine von den kleinen Figuren unten auf der Weihnachtspyramide, viel größer ist er auch nicht und er läuft wie Donald Duck.“ - mein Paps wusste Bescheid… 

Der Mann nervt uns, und vermutlich nicht nur uns, seit Jahren. Er kommt und fragt, warum diese und jene Straßensperrung nicht im Blatt stehe – es stellt sich heraus, dass es sich um ein Parkverbot für einen ganz privaten Umzug handelt. Er kommt und fragt, warum wir nicht über jenes Flugzeug berichtet haben, das in terroristischer Absicht fast in die örtliche Schokoladenfabrik geflogen sei, um uns alle fertig zu machen – es stellt sich heraus, dass es sich um einen geistigen Tiefflieger mit optischen Täuschungen handelt … und achja, das Flugzeug war im Landeanflug.

Weil ich streitlustig bin, sind wir in der Redaktion dazu übergegangen, dass ich mit ihm „rede“. Ich sitze oben an meinem PC und höre unten im Sekretariat seine Stimme. Er hört dann meine schnellen und kräftigen Schritte auf der Treppe und guckt neuerdings irgendwas zwischen verschreckt und freundlich, wenn ich um die Ecke biege. Und irgendwo zwischen verschreckt und freundlich verlaufen auch unsere „Gespräche“. Zwei aktuelle Beispiele:

4. Mai 2017


Am 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, ist auch unsere Zeitung wie viele andere mit einem von Yoko Ono gefertigten Titelbild erschienen.



Yoko Ono


Babuschek betritt die Redaktion. Ich höre ihn sagen: „Das geht so nicht, da müssen Sie mal was machen!“
Schnelle, kräftige Schritte treppabwärts.

Ich: „Tach Herr Babubschek! Was geht so nicht?“
Babuschek: „Na, wie die Zeitung gestern aussah!“
Ich: „Wie sah sie denn aus?“
Babuschek: „Na das Bild ganz vorne, das geht so nicht!“
Ich: „Das Bild wo vorne? Im Lokalteil? In der gesamten Zeitung?“
Babuschek kramt eine Ausgabe aus seinem Stoffbeutel und winkt mit der Titelseite von Yoko Ono.
Ich: „Okay… und wo ist jetzt das Problem?“
Babuschek: „Sie müssen das mal weitergeben!“
Ich: „Was muss ich weitergeben?“
Babuschek: „Dass man das gar nicht lesen kann. Ich habe sogar die große Brille rausgenommen und konnte das nicht lesen!“
Ich: „Lag es vielleicht daran, dass es Englisch ist?“
Babuschek: „Achso?“ Hüsteln „Aber das konnte ich auch nicht lesen, Sie müssen das mal klären!“
Ich: „Mit wem muss ich was klären? Mit Ihrem Optiker? Ihrem Englischlehrer?“
Babuschek: „Neiiiiiin! Mit dem, der das gemacht hat!“
Ich: „Hm. Okay.“
Babuschek: „Machen Sie das?“
Ich: „Ja, nur bin ich mir jetzt nicht sicher … wie verbleiben wir denn nun? Rufe ich Yoko Ono an oder wollen Sie das machen?“
Im Hintergrund sind lachende Kollegen zu hören. Babuschek stutzt.
Babuschek: „Aber das geht doch so nicht! Das können Sie als Zeitung nicht machen, sowas hat Folgen!“
Ich weise auf die Tür: „Sie sind der beste Beleg dafür, dass Deutschland nur Platz 16 in der Rangliste der Pressefreiheit hat, schönes Leben noch!“
Babuschek zieht schnaubend davon. Ich google die Telefonnummer von Yoko Ono, habe beim ersten Versuch keinen Erfolg und gebe schnell wieder auf.

12. Mai 2017


Auf der lokalen Titelseite erscheint eine große Ankündigung zum Tag der offenen Gartentür in meiner Stadt, diese Aufmachung ist garniert mit einer Optik eines älteren Paares. Der abgebildete Mann ist Teilnehmer der ersten Stunde, ich nenne ihn „Horscht Clooney“ und ich mag ihn - und zu DDR-Zeiten muss er mal ein großes Tier in der Partei gewesen sein. Das war 1989, wir haben 2017.

Babuschek betritt die Redaktion. Ich höre ihn sagen: „Sie machen sich Feinde!“
Sehr schnelle, sehr kräftige Schritte treppabwärts.
Ich: „Womit, Herr Babuschek, womit?“
Babuschek weist mit wild schnippendem Finger auf die lokale Titelseite: „Mit diesem Foto da!“
Ich: „Wieso?“
Babuschek: „Wissen Sie denn nicht, wer das ist?“
Ich: „Doch, steht ja sogar dran!“
Babuschek: „Wissen Sie, was dieser Mann früher gemacht hat?“
Ich: „Früher war ich Quark im Schaufenster.“
Babuschek: „Diesen Mann kann hier keiner leiden.“
Ich: „Ich schon.“
Babuschek: „So machen Sie sich Feinde. Den kann keiner leiden.“
Ich: „Na und?“
Babuschek: „Sie müssen eine Gegendarstellung zu dem Foto bringen!“
Ich: „Ui, das wird nüchtz!“
Babuschek: „Ich will Sie doch nur warnen, Sie machen sich alle Feinde, den Mann kann keiner leiden und den können Sie doch nicht in der Zeitung zeigen!“
Ich: „Wissen Sie, den Oberbürgermeister kann auch keiner leiden und der ist fünfmal wöchentlich bei uns im Blatt.“
Babuschek: „Ich will Sie nur warnen!“
Ich: „Wovor?“
Babuschek: „Dass es Morddrohungen gegen Sie geben könnte!“
Ich: „Drohen Sie mir etwa?“
Babuschek: „Neiiiiin, ich sag doch nur, dass das passieren kann, dass Sie Morddrohungen bekommen!“
Ich: „Gut. Wir wollen doch nicht, dass ich mal ein Hausverbot gegen Sie ausspreche, ne!?“
Babuschek: „Wie Hausverbot?“
Ich: „Sie haben schon verstanden, und jetzt gehen Sie!“

Seitdem haben wir Babuschek nicht mehr gesehen. Das ist bestimmt nicht von Dauer. Ich rechne derweil fest damit, dass ein von IS-Terroristen gesteuerter Kampfjet zwecks Zerstörung wichtigster Infrastruktur auf die Schokoladenfabrik einer 25.000-Einwohner-Stadt stürzt, so den Umzug eines Mannes zunichte macht, den keiner leiden kann, jemand wegen falscher Bildauswahl die Redaktion kurz und klein haut und Yoko Ono uns zu Ehren eine Titelseite macht, die eh keine Sau lesen kann.

Sonntag, 14. Mai 2017

Gegen das Rauchen

Neulich war in der Zeitung, für die ich arbeite eine Beilagenreihe zum Thema Gesundheit. Im Allgemeinen und Besonderen wurde auf verschiedene Felder eingegangen. Ein Part befasste sich mit der - nicht mehr ganz so neuen - Erkenntnis, dass Sitzen das neue Rauchen sei. 

Sitzen ist das neue Rauchen? Es soll alarmieren: sitzende Tätigkeit ist so gesundheitsschädlich wie das Quarzen. Es gibt da wohl einige Studien, es gibt Bücher und Unmengen an Artikeln. Kurzum: wer viel sitzt, stirbt früher und ist auch noch selbst daran schuld - wie beim Rauchen. Zu langes Sitzen führt zu Muskelverspannungen und Rückenproblemen, es erhöht die Risiken für Bluthochdruck, Diabetes, Arteriosklerose, Thrombosen und manche Krebsarten. Sogar Teile des Hirns sollen im Sitzen degenerieren. Na, das sind ja tolle Aussichten ...

Wie "nett", dass diese Beilage ausgerechnet zu uns Bürotieren ins Haus kam. Ich dachte ja bislang, wir hätten als Journalisten einen recht aktiven Beruf, der kaum mal von Tag zu Tag gleich ausfällt. Pustekuchen... mental beweglich zu bleiben, hat eben nix mit körperlicher Bewegung zu tun. 

Die Deutschen sitzen angeblich rund 14 Stunden am Tag, und wir Journalisten sitzen vermutlich sogar noch länger - weil die Bürotage oft länger sind. Und haben wir Termine, dann fahren wir mit dem Auto dorthin und sitzen dort wiederum beim Gesprächspartner. Und im restlichen Leben sitzen Journalisten genau wie alle anderen auch: schon beim Frühstück, dann im Auto oder in sonst einem Vehikel auf dem Weg zur Arbeit, abends gemütlich auf der Couch.

Was tun?


Ich schaue mir meine älteren Kollegen in diversen Redaktionen an und sehe, dass sie in den vergangenen Jahren in erster Linie körperlich an Format gewonnen haben. Vor allem aber berichten immer wieder ältere Kollegen von Rückenproblemen und sonstigen Erkrankungen des Bewegungsapparats. Und der nicht mal 40 Jahre alte Kollege fiel mal vier Wochen wegen einer kaputten Schulter aus. Und die hatte er sich nicht beim Tennis oder so, sondern im Büro zugezogen. Das gibt mir mit meinen 33 Lenzen dann schon zu denken ...

Ich habe mich schon vor einiger Zeit gegen das Rauchen entschieden. Ich laufe zur Arbeit. Okay, der Weg ist auch verdammt kurz. Ich fahre nach Möglichkeit mit meinem Rad zu Terminen. Okayokay, man sitzt auch auf einem Rad - aber anders, immerhin trainiert man den Muskelapparat. Ich sitze kaum eine Stunde still an meinem Rechner. Ein durchschnittlich nerviger Tag mit mir beginnt ja schon so: Ich komme in die Redaktion. Ich gehe hoch in mein Büro und lade meine Taschen ab. Ich gehe durch die anderen Büros und schaue, wen ich noch begrüßen kann. Ich gehe in mein Büro und hole mir einen Teebeutel. Ich gehe runter zum Wasserkocher und schalte ihn an. Ich gehe wieder hoch und starte meinen Rechner. Ich gehe runter und brühe den Tee auf. Ich gehe wieder hoch. Ich setze mich an den Rechner und drucke Mails aus, am liebsten auf dem Drucker der unteren Etage. Ich stehe auf und hole sie, um sie auf meinen Schreibtisch zu bringen. Ich gehe runter und hole meinen Tee. Ich setze mich wieder, beginne meine Liste an Aufgaben abzuarbeiten. Zwischendurch stehe ich auf und schaue wenige Meter weiter ins Terminbuch der Redaktion. Ich stehe auf und lese in der heutigen Ausgabe, die aufgeschlagen auf einem Regal liegt. Ich rufe den Kollegen nicht an, ich gehe rüber oder runter in sein Büro und stelle meine Frage. Ich stehe auf und mache noch einen Tee oder hole mir ein Glas Wasser. Und so geht es immer weiter ... bis ich irgendwann zum Feierabend aus der Redaktion gehe.

Und ansonsten ist da noch die Sache mit meiner Leidenschaft für tägliches Yoga. Seit geraumer Zeit gehe ich zudem fast täglich mit einer Freundin spazieren oder ich drehe allein meine Runde. Dann habe ich neuerdings die Sache mit dem Joggen entdeckt. Den Post hier schreibe ich gerade zwar sitzend, aber der Sitz erinnert irgendwie an eine Yoga-Asana, mit so verknoteten Beinen und einem weit nach vorne gestreckten, fast auf der Tastatur aufliegenden Oberkörper. 

Es könnte klappen


Diese Woche traf ich einen ziemlich drahtigen Kerl, der gestern seinen 95. Geburtstag gefeiert hat. Darüber, dass er mit 95 Jahren noch jeden Tag seinen Kleingarten bewirtschaftet und ziemlich fit ist, schrieb ich einen kleinen Artikel. Ich nahm es dem Mann nicht die Bohne krumm, dass er Allgemeinplätze wie "Wer rastet, der rostet" zum Besten gab. Jeden Tag Bewegung müsse einfach sein, sagte er, dann klappe das auch bei mir mit der 95. Spaziergänge würden nur was bringen, wenn sie "strafff" ausgeführt werden, riet er und schwärmte von seiner täglichen bis zu fünf Kilometer langen Runde. Außerdem solle ich viel Gemüse essen - am besten selbst angebautes, weil "noch mehr bio geht nicht". Und nur nicht zu lange auf meinem Hintern solle ich sitzen, reckte er mir seinen Zeigefinger entgegen, "da könn' Se ja och gleich paffen!" Ich biss dankend in eine noch sehr zarte Gewächshausgurke, schwang mich auf mein Rad und hatte ein gutes Gefühl.

Dienstag, 18. April 2017

Ich bin Opa

"Du bist noch so jung, aber du gehörst zur alten Schule", sagte mein Kollege heute um 16.22 Uhr. Er geht auf die 60 zu, wechselt damit nächstes Jahr in die passive Phase der Altersteilzeit, seine Tochter ging in meine Klasse und macht ihn demnächst zum dreifachen Opa. Gerade stand ich im Besprechungsraum neben seinem Büro und schimpfte über die Jugend von heute, die keinen Sinn für Tugenden habe - dann schüttelte ich abschätzig mit dem Kopf und ereiferte mich noch ein wenig, ein paar Flüche als Garnitur und ferdsch.

Ich (33 Jahre alt) dachte ja der Gipfel sei erreicht, als mich vergangenen Sommer eine junge Frau Anfang 20 zum verabredeten Interviewtermin 21 Minuten warten ließ und dann fröhlich und im vollen Bewusstsein ihres Zuspätkommens erklärte, sie habe noch ein Pokémon jagen müssen.
Vergangene Woche war ich mit einer anderen jungen Frau Anfang 20 zum Gespräch für einen Artikel in einem Café verabredet. Ich saß da und saß und saß, ich trank einen Tee, saß und saß. Meine Miene ward finster. 15 Minuten nach dem angesetzten Termin kontaktierte ich die junge Frau. Hach, sie habe es ganz verschwitzt, sie schaffe es ja aber in einer Stunde - nur da hatte ich schon meinen nächsten Termin und ich kann es nicht leiden, Termine abzusagen, zu verschieben oder zu spät zu kommen. Also verabredete ich einen neuen Termin mit der jungen Frau. Heute 9.30 Uhr wollten wir uns wieder in dem Café treffen. 8.30 Uhr (immerhin!) erhielt ich eine Nachricht, sie schaffe es nicht, weil sie noch - Trommelwirbel und Konfetti - Haare glätten müsse ... Haare glätten ... wichtig, ganz wichtig, einer muss es ja machen ... das ist noch besser als ein Pokémon! Wenn mir ein Arzt erklären würde, er hätte gerade noch eine Operation am offenen Herzen durchführen müssen, ich hätte deutlich weniger Verständnis. Haare glätten dagegen? Hey, also bitte!?!

Sie komme dann später am Tag mal in der Redaktion vorbei, meinte die Frau. Ja! Sehr gut! Genau! Bekanntlich sitzen Journalisten den ganzen Tag im Büro und warten, ob mal wer des Weges kommt und was erzählt. Andere Termine haben sie nicht. Ich schlug also einen Termin um 16 Uhr vor. Sie willigte ein. 16.01 Uhr ... keine Gesprächspartnerin ... 16.15 Uhr keine Gesprächspartnerin ... 16.16 Uhr keine Reaktion auf meine versuchte Kontaktaufnahme ... 16.22 Uhr fiel der Satz "Du bist noch so jung, aber du gehörst zur alten Schule.". Ich weiß nicht, was der Grund für das erneute Zuspätkommen oder besser - nennen wir es doch beim Namen - erneute Versetzen war, die junge Frau meldete sich nicht, es ist mir mittlerweile auch ziemlich wurscht. Ich bin durch mit der Jugend von heute.

Wie gerne denke ich da an den vergangenen Donnerstag. 14 Uhr hatte ich einen Termin mit einem 49-Jährigen. Er war 13.55 Uhr da. Er entschuldigte sich dafür, dass er so zeitig dran sei. Ich sagte, dass mein Opa schon immer "Fünf Minuten vor der Zeit, ist des Soldaten Pünktlichkeit!" sagte und frohlockte.

Ich mag Pünktlichkeit. Und ich höre oft die Stimme meines Großvaters in meinem Kopf. Fünf Minuten vor der Zeit ... Verbindlichkeit. Pünktlichkeit. Ich finde beide super. Sie sind meine Zwänge und ich steh' drauf! Wenn ich im Job merke, dass ich nur 90 Sekunden vor einem Termin da sein kann, dann rufe ich mein späteres Gegenüber am liebsten schon mal an und sage, dass ich vielleicht später komme. Wenn ich wirklich mal ein oder zwei Minuten später komme, weil mir auf dem Weg noch so etwas wie eine Feuerwehr- oder Unfallberichterstattung dazwischen gekommen ist, dann entschuldige ich mich dafür und habe garantiert auf dem Weg versucht, anzurufen und entsprechende Info zu geben. 

Dienstlich bin ich so diszipliniert wie privat. Ich bin aus kosmetischen Gründen noch nicht mal zu meiner eigenen Hochzeit zu spät gekommen, die Frisur saß überpünktlich. Wenn ich doch mal zu privaten Terminen zu spät komme, dann liegt es in 99 Prozent der Fälle an meiner Begleitung - und dann bin ich entsprechend sauer auf diese und schimpfe sie für ihr unstrukturiertes Dasein und halte Vorträge zur Organisation und Nulltoleranzpolitik. Ja, ich würde sagen, ich bin ein Pünktlichkeitsnazi! Mir ist daher bis heute peinlich, dass ich - alleinbeteiligt! - neulich zu einer spontanen Verabredung zu einem Spaziergang zirka 40 Sekunden zu spät gekommen bin. Ich entschuldigte mich wortreich und sagte, ich sei von jemandem aufgehalten worden. Pfui, Ausrede! Die Wahrheit ist: Ich hatte mich beim Strukturieren meiner To-do-Liste im Terminkalender verzettelt.

Donnerstag, 13. April 2017

Nicht nur draufhauen, auch streicheln musste können!

Die morgendliche Bloglektüre hat mir was offenbart. Kurz für alle, die dem Link nicht folgen oder nicht noch mehr lesen möchten: Autorin Madhavi Guemos plädiert dafür, auf den Spruch „Eigenlob stinkt!“ zu pfeifen und über positive Dinge, Entwicklungen und Erreichtes auch zu sprechen*. Überhaupt plädiert sie immer wieder für eine positive Einstellung, der Blog ist sehr zu empfehlen.

Tue Gutes und sprich darüber, sagt man doch. Warum auch nicht? Im Journalismus kann man zum Sprachrohr werden. Nur scheinbar sind nur die schlechten Nachrichten Nachrichten. Warum ich entgegen meiner naiven journalistischen Anfänge mit dem Ziel Kulturjournalist zu werden inzwischen liebend gerne Lokaljournalist bin? Ganz einfach: Kaum in einem anderen Ressort hat man die Chance, die Welt so oft auch von ihrer guten Seite zu zeigen. Die Welt ist schön und es gibt einen Haufen gute Nachrichten. Und einen Haufen guter Menschen.

Genau die rücke ich seit einiger Zeit verstärkt in den Fokus meiner Arbeit. Ich kann und ich habe auch Spaß am Hau-drauf-Journalismus. Ich bin kritisch und ich komme sehr gut mit den Konsequenzen klar. Doch es geht um mehr als das. Guter Journalismus ist nicht nur der, der das Negative beleuchtet. Gerade im Lokalen. Ich zeige gerne das Positive. Natürlich hat jede Medaille immer zwei Seiten. Aber warum bitte soll man den Lesern nicht auch mal eine Freude machen mit einer einfach netten Geschichte? Nicht immer ist nett der kleine Bruder von Sch…

Die Welt ist voll von schlechten Nachrichten. Ständig ist irgendwo Krieg. Das bekommt auch der lokale Leser stets und ständig um die Ohren gehauen. Das muss er aushalten, unsere Welt ist nun mal so und wir müssen uns dem stellen, dürfen die Augen auch nicht verschließen - dafür würde ich nie plädieren. Aber warum sollte der Lokalteil nicht auch immer mal die Gelegenheit zum Durchatmen sein?

So berichte ich gerne über den Mann, der im Rathaus die Märkte organisiert und das ziemlich gut macht. Ich finde den Kerl sehr sympathisch und noch besser finde ich seine Arbeit. Ich fand es nun einfach mal an der Zeit ihn und seine Arbeit auch zu würdigen – mit einem großen Artikel und einem Kommentar dazu. Warum auch nicht?
Ich berichte gerne über den kleinen Verein, der Kultur aufs flache Land bringt und das seit 20 Jahren. Warum soll man da nicht einfach mal nett sein und einen einfach nur netten Artikel schreiben? Gerade der lokale Journalismus sollte sich den Boulevard sparen – Boulevards gibt es doch eh nur in großen Städten ...

*Macht man das mit dem auf „Eigenlob stink!“-Pfeifen übrigens (als Frau) im Journalismus mit Sätzen wie „Das hab ich gut geschrieben.“ oder „Da war ich schnell dran am Thema.“ oder „Klar, das traue ich mir zu.“ wird einem sowas gerne mal als zu viel „Sendungsbewusstsein“ angekreidet. Nun ja. Geschmackssache. Ich bleibe dabei.

Sonntag, 19. März 2017

Ovarien auf der Reise

Eine Reise buchen und unbesorgt über die Finanzierung sein, das Abendessen schon mittags absprechen, zum Feierabend die Sauna besuchen, die Hausarbeit in Ruhe liegen lassen, Yoga in der Mittagspause machen, meine Angelegenheiten erledigen und nicht viel mehr, nicht für andere denken, den Fokus auf die eigene Arbeit und nicht die Organisation legen, kein Management, weniger Termine am Abend, an die Arbeitszeit halten, keine 40-Stunden-Woche, mit dem ständigen Arbeiten ins Gericht gehen, arbeiten um zu leben, Freunde spontan zum Kaffee treffen, kurz nach 17 Uhr zum Spaziergang mit der Freundin verabreden, Feierabend ist Feierabend und am Wochenende frei (es sei denn "Wenn es passiert") - und Dienst ist Dienst nach Vorschrift.

Ich habe mich wohl verändert. Die Dinge haben sich verändert. Sie haben mich verändert und ich hab mich verändert. Eine Entscheidung von außen - über deren Hintergründe sich treffsicher spekulieren lässt - hat mich verändert. 

Gut so ... Eine Weile ist ins Land gegangen. Und ich erkenne (an): Es gibt Häuptlinge und Indianer. Es gibt Menschen, die wollen Häuptling sein. Es gibt Menschen, die können Häuptling sein. Manche müssen. Manche können kein Häuptling sein. Was ich wollen würde oder könnte, spielt keine Rolle. Ich bin ein einfacher Soldat.

Ich musste immer schon lachen, wenn ich an die Frau in "Men in Black II" dachte. Sie ist ein Alien in Gestalt eines Unterwäschemodels und möchte die Welt erobern. Als diese Frau sagt die Außerirdische ziemlich entnervt über die Erde und ihre Mit-Aliens, sie könne den Laden mit ihrem linken Eierstock regieren. Ich weiß, was sie meint. Jetzt würde ich ihr gerne sagen: "Man kann sich viel zutrauen und man kann das auch sagen. Wenn es nicht gewollt ist, lässt man es eben. Und hat den Kopf für andere Sachen frei. Mach das Beste draus, Baby, und sieh, wohin diese Reise dich führt!"

Freitag, 10. März 2017

Nicht mehr frei

Ich bin jetzt keine freie Journalistin mehr. Das war ich vermutlich früher schon nicht. Denn mit der Pressefreiheit ist es auch in Deutschland nicht so gut bestellt, wie man sich vielleicht Illusionen machen mag … Doch das soll jetzt hier gar nicht Thema sein. 

Ich bin jetzt keine freie Journalistin mehr. Ich bin jetzt angestellt. Bei der Zeitung, für die ich auch all die Jahre schon auf Honorarbasis gearbeitet habe und die mich mal per Vertragsende vor die Tür gesetzt hatte. Ich habe eine personengebundene Mailadresse, ich stehe im schnellen Draht (sozusagen das kleine Impressum der Lokalausgabe), ich habe eine personengebundene Anmeldung für das Redaktionssystem. Und was vorher nur eingeschränkt ging, weil Berechtigungen fehlten, die Bürokratie dem widersprach oder aus anderen Gründen mit B wie Blabla, das geht jetzt: voller Zugriff aufs System auch vom heimischen Rechner aus.

Ich kann jetzt ohne Einschränkungen von meinem privaten Schreibtisch aus arbeiten. Ich muss nur mein Redaktionstelefon auf mein Handy umleiten und bin voll im Dienst, ohne in den Redaktionsräumen zu sitzen. 

Da ich seit Kurzem einen Kollegen mit im Büro sitzen habe, der meist schon vormittags durch schweres Atmen auffällt, umständlich und laut seinen Kram auspackt als plane er eine Operation und gerne laut genug Tonbänder abhört, fand ich den Gedanken des Heimarbeitsplatzes entgegen früherer Verlautbarungen nun in einem ersten meiner sehr ruhigen Atemzüge (Om) sehr reizvoll.

Nun weiß ich wieder, warum ich das doch belastend, beängstigend und noch ein paar andere Sachen mit B wie bekloppt finde. 

Fix mal ... dies und das


Ich saß diese Woche morgens um sieben im Schlafanzug, eine Tasse Tee in der linken und die Maus in der rechten Hand am Rechner. Und arbeitete. Ich schrieb ein paar Meldungen für die Randspalte. Mal eben so, kann man doch mal machen. Am nächsten Morgen beantwortete ich um 7.40 Uhr die ersten dienstlichen Mails. Dann bin ich in die Redaktion und habe ab 8.30 Uhr dort gearbeitet. Dabei ist die Uhrzeit nicht einmal das Schlimmste. Wenn es so wäre, würde ich auf hohem Niveau jammern und das mag ich nicht – viele, viele, viele Menschen arbeiten um solche Zeiten schon. Die haben allerdings zeitiger Feierabend, zumindest als es bei mir viel zu oft der Fall ist. 

Und auch nach dem Feierabend habe ich neulich in meiner Arbeitsnische im Wohnzimmer gesessen und fix mal noch was gearbeitet, als ich gerade kurz nach 21.30 Uhr von einem Gemeinderat nach Hause gekommen war. Dann war ich duschen, da fiel mir dann noch was ein, was mal als kurze Meldung veröffentlicht werden könnte und so saß ich kaum 20 Minuten später wieder da. Das hätte alles auch warten können. Aber Gelegenheit macht Arbeit.

Lob der Technik. Lob der Freischaltung. Gut ist das nicht. Jedenfalls nicht für mich. Denn es gibt immer was zu tun, immer was zu schreiben, immer was zu beantworten, immer was zu fragen, immer Arbeit, immer To do-Listen. Ich bin nicht frei von Zwängen und schlechten Angewohnheiten, ich bin nicht frei von negativen Erfahrungen (auch) mit zu viel Arbeit. Selbstständig, also frei oder nicht: nimmt man diesen Beruf ernst, kann man ohnehin selbst und ständig arbeiten. Wenn nun stets und ständig jedes Arbeitsinstrument greifbar ist, wird es umso gefährlicher. Man läuft Gefahr, gar nicht mehr abzuschalten. Produktiver wird man vom ständigen Arbeiten auch nicht. Irgendwie muss ich noch die Lösung (für mich) finden … 

To do: nothing.

Sonntag, 19. Februar 2017

Selbsttest

Ich weiß nicht genau, warum das noch immer passiert - aber ja, noch immer wollen junge Menschen Journalist werden. Und das auch noch bei einer Tageszeitung. Oder sie meinen, dass sie es werden wollen... Nur wissen sie auch, ob sie das überhaupt können? Wissen die, was auf sie zukommt? Was von ihnen verlangt wird? 

Drum prüfe, wer sich ewig bindet ...
  • Du willst was mit Medien machen? - Verpiss dich!
  • Du möchtest was mit Menschen machen? - Schau Dir Men in Black an und denk über das Zitat "Ein Mensch ist intelligent, aber ein Haufen Menschen sind dumme hysterische gefährliche Tiere." nach, dann verpiss dich.
  • Du kannst richtig schön schreiben? - Na, und!?
  • Aber Deine Aufsätze hat der Deutschlehrer immer besonders gelobt? - Na, und!? 
  • Du kannst wirklich schöne Sätze schreiben? - Na, und!?!
  • Du hältst dich für eine Edelfeder? - Dein Problem!
  • Du magst es, Dir richtig viel Zeit für die Formulierung Deiner Gedanken zu lassen? - Was? Tschuldigung, ich war eingeschlafen während du nachgedacht hast.
  • Du hast Intelligenz und Sprachtalent und dein Verstand kann zügig damit arbeiten? - Das hilft.
  • Du hast Ahnung von Deinem Handwerk und eine solide Ausbildung? - Nur so geht es.
  • Du hast ein Fachgebiet? - Spezialisiere Dich weiter.
  • Du hast Disziplin? - Gut.
  • Du hast Durchhaltevermögen? - Auch gut.
  • Du scheust Dich nicht vor langen Arbeitstagen, Arbeitsbergen oder ungewöhnlichen Arbeitszeiten? - Geht doch.
  • Du kannst Stress und Zeitdruck gut verdauen? - Trainiere diese Fähigkeit.
  • Privaten Kummer, Wehwehchen, Grübeleien und Sorgen kannst Du abschütteln? - Gut.
  • Deine Nerven sind Drahtseile? - Trainiere auch die.
  • Du hast Selbstvertrauen? - Hilft ungemein, außerhalb und innerhalb der Redaktion.
  • Du besitzt Neugier? - Yeah.
  • Du erkennst fast überall eine Story? - Der Aufmacher liegt auf der Straße, glaub mir.
  • Du erkennst auch eine Story, die andere nicht sehen? - Das wird Dich auszeichnen.
  • Du hast ein Netzwerk und Du weißt es zu nutzen? - Hilft, unter anderem wenn Du den Aufmacher nicht erkennst.
  • Du verfügst über Gerechtigkeitssinn, Streitlust und Rückgrat? - Oh, Baby, yeah.
  • Du bist kritisch? - Grundvoraussetzung!
  • Du hast eine Haltung? - Bewahre sie Dir.
  • Du scheust Dich nicht davor, Dich unbeliebt zu machen? - Ich mag Dich.
  • Du kannst mit Gegenwind umgehen, indem Du zum Beispiel gegen den Gegenwind pullerst? - Komm in meine Arme.
  • Du weißt um Deine große Verantwortung? - Vergiss das nie.
  • Du weißt, dass Du Dich ständig weiterentwicklen musst? - Bleib am Ball. 
  • Du weißt, dass Du Dich ständig selbst reflektieren musst? - Trau Dich!
  • Du kennst und machst den Unterschied zwischen Beruf und Berufung? - Es könnte was werden!
  • Du weißt, dass diese Liste vermutlich nie vollständig sein wird? - Jetzt hast du's!

Sonntag, 5. Februar 2017

Verrückte Welt

Ich habe allen Grund zu der Annahme, dass es in meinem beruflichen Umfeld Menschen gibt, die so ein bisschen dabei sind durchzudrehen. Weil ich nicht über Sachen schreibe, die ich nicht verstehe, belasse ich es bei dieser Feststellung.

Und komme zu einer anderen Feststellung: Dieses Jahr wird alles anders, ich kann auch "durchdrehen", na zumindest von meinen Gewohnheiten abweichen, was ja positives Durchdrehen ist. Ich habe soeben die Anzahlung für einen Urlaub überwiesen. Ein Urlaub für zwei Personen. Ein Urlaub außerhalb Brandenburgs. 

Brandenburg, Ihr wisst schon, das ist mein Land und ich habe in den vergangenen Jahren meine Urlaubstage dort verbracht, mich ansonsten immer nach diesem Land gesehnt - so wie im Sommer 2016. Wenn es hieß, dass ich Urlaub habe, konnte das Gegenüber automatisch annehmen, dass ich in Brandenburg bin. Und ganz frei vom Job war ich dort ja auch nie, ich habe 2016 ein journalistisches Boot-Camp dort erlebt. Ich hatte auch schon richtig Stress mit besoffenen Rädern in Brandenburg.

Zeit für neue Ufer. Wir fahren in wenigen Wochen eine Woche ans Meer. Die Beschreibung der reservierten Ferienwohnung verheißt Wald, Meer, Sand, mehr nix mehr. 100 Meter bis zum Strand, Kiefern- und Meeresrauschen. Eine Strandpromenade um die Ecke, ein schöner Spaziergang hin zu einer Therme. Das Ganze läuft mit der Terminierung im März auch noch als Geburtstagsgeschenk: ein Geschenk für mich an ihn, ihn an mich, mich an mich, sich an sich. Eine Woche steht das Folgende auf dem Programm: Nichts. Bestimmt werde ich mein gelobtes, geliebtes Land vermissen. Doch nicht umsonst heißt es: Wenn du zur Ostsee willst, musst du durch Brandenburg.

Samstag, 28. Januar 2017

In schweren Zeiten

Und wieder einmal wurde hier lange nicht gebloggt. Tja, manchmal passiert einem so viel crazy shit, dass man weder Zeit noch Kraft für sein Hobby hat. Und für jede Menge andere Sachen - die Freuamilie und sich selbst - nimmt man sich auch keine Zeit. Schwerer Fehler! 

Zu viel Arbeit und/oder daraus folgender emotionaler und psychischer Stress - es kann passieren, wenn man als Journalist vor Gericht muss zum Beispiel. Es gehört zu den Anforderungen an heutige Journalisten, dass sie ein dickes Fell haben und so etwas bis zu einem gewissen Grad vertragen. Aber auch unter dem dicksten Fell kann es Kratzer geben. Daher folgen nun ein paar Vorschläge zum Umgang damit beziehungsweise zur Heilung und besser noch zur Abwehr - bei mir funktionieren sie meist. Nun also als Memo an mich selbst (Egoismus kann gesund sein) und für alle anderen, denen es auch manchmal so geht ein paar Tipps:

Was tun, wenn es knüppeldick kommt?


Durchziehen

Wenn der Stress und die Anwürfe geflattert kommen, arbeite ich erst recht und ganz bewusst weiter wie gewohnt. "Immer fein deinen Stiefel durchziehen", sage ich mir dann und mache dienstlich (möglichst) unbeirrt weiter. "Du stehst doch sonst auch nachts auf, um deinen Dienst zu tun?", frage ich mich dann zum Beispiel. Und dann beschließe ich: gut, weiter so, immer weiter. Wenn es mal nicht wie auf Schienen läuft, hilft es mir erst recht eine Maschine zu sein.  Der eigenen Arbeit sollte man nicht anmerken, dass irgendwas ist. Wenn ich denke "Ich kann nicht mehr", dann beweise ich mir gerne das Gegenteil. Ich finde mich immer wieder sehr überzeugend.

Reflektieren

Ich sage mir immer wieder: Revue passieren lassen, immer wieder durchdenken, Gespräche und vor allem Selbstgespräche zur Selbstreflektion führen. Sich selbst erkennen und eigene negative Handlungsmuster ausloten, steht dann ganz oben auf meiner Liste. Dabei gilt: positiv bleiben. Notfalls Notizen machen, um den Kopf frei zu bekommen. Gedanken dann mit Sinn kreisen lassen und dann am besten abhaken und sich neuen Themen widmen. Dem Abschalten zum Beispiel.

Pflegen

Der wichtigste Mensch in meinem Leben? Ich. Wenn der Stress Hochkonjunktur hat erst recht. Ichichichich. Ich bin mein eigenes Baby und kümmere mich sehr beflissen darum, dass ich alles bekomme, was ich brauche. Ein Baby ernährt man gut und gesund, lässt es ausreichend schlafen, spendet ihm Wärme und Nähe. Man ist einfach gut zu ihm. Man kümmert sich zu jeder Zeit sehr gut um das Baby. Und man lässt es auch einfach mal in Ruhe, damit es - so denkt man - einfach mal in die Luft schauen und nichts tun kann. So erst entwickelt es sich.

Gesellschaft

Wenn ich unter psychischen Druck gerate, verliere ich meinen Appetit. Es schnürt mir die Kehle zu und ich kann nicht mehr richtig essen, kriege kaum noch einen Bissen runter und verliere dadurch recht schnell die Kraft, die ich jetzt bräuchte. Das war früher anders, ich konnte früher in jeder Lage essen wie mein Vater - und der hat es geschafft, neben Bahnunfällen Bemmen mit Sülze zu futtern. Diese Fähigkeit habe ich im Zuge meiner Krise 2013 verloren. Ich erkenne aber inzwischen das Muster dahinter. Und dann aktiviere ich ein anderes Muster. In guter Gesellschaft möglichst vieler und großer "Fressfeinde" kann ich nämlich essen. Wenn meine Brüder oder sehr enge und gute Freunde da sind, dann falle ich auch heute noch in das Muster der Kindheit zurück. "Ich esse diesen Joghurt jetzt, nur damit ihn der andere nicht kriegt" ist das Muster aller, die mehrere Geschwister haben. Klingt irre. Aber ist erlaubt.

Yoga

Mehr als zehn Jahre mache ich schon Yoga. Was früher eher als reines körperliches Trainung gemeint war, wächst sich bei mir mehr und mehr zur Lebenseinstellung aus. Seit ein paar Jahren weiß ich meine Art Yoga (ich absolviere Sonnengrüße auch zu Songs von Kraftklub) zielgerichtet einzusetzen. Damit ich bei allem Willen zur Reflektion (siehe oben) keine Kopfschmerzen vom vielen Denken bekomme, gehe ich abmatten und schalte mein Hirn so aus. Wenn die Welt auf dem Kopf steht, hilft es mir, mich selbst kopfüber auf eine quietschbunte Yogamatte zu werfen. Oder lange mit geschlossenen Augen auf einem Bein zu stehen. Oder oder oder ... Wenn man sich sonst nicht verbiegen kann wie andere es gerne hätten - auf der Matte kann man sich für sich selbst verbiegen. Dazu immer fein ein- und ausatmen. Einatmen und "Lass" denken, ausatmen und "los" denken. Nichts weiter als das. Hilft garantiert.