Dienstag, 31. Oktober 2017

Draußen vor der Redaktion

Ein Monat, der zwei Stürme beinhaltete, geht zu Ende. Wenn ein Sturmtief schon "Herwart" heißt, muss man nichts Gutes mehr erwarten ... was für ein selten dämlicher Name. Und so gab es auch jede Menge Ärger mit "Herwart" und seinem Kumpel "Xavier". Mich haben "Xavier" und "Herwart" daran erinnert, dass Journalismus draußen vor der Tür stattfindet.

Nicht, dass wir nicht doch Schreibtischtäter sind. Es ist schon gut, dass Artikel noch immer an Schreibtischen verfasst und nicht zwangsweise auf irgendwelchen Ackern getippt werden müssen. Es ist praktisch und bequem, dass man für den Job oft auf einem guten Stuhl sitzen kann und nicht kopfüber von einer Decke hängt. Und zum Journalismus braucht es ganz sicher nicht nur die, die draußen sind.

Journalismus ist es auch, ein sogenannter Blattmacher zu sein und über Themen und Layout zu entscheiden. Man ist den ganzen Tag drinnen, oft in klimatisierten Räumen und schaut (zu), wie sich Stück für Stück eine Zeitungsseite füllt. Es muss jemanden geben, der Aufgaben verteilt und Anweisungen gibt. Es ist auch ein Teil von Journalismus. Ohne geht es nicht. Und ohne ist das sicher auch nicht. Aber nur am Schreibtisch sitzen? Immer schön im Warmen bleiben? Nein, ich möchte das nicht. Für mich ist das nicht Journalismus. 

Vor der Tür


Für andere auch nicht. Als "Xavier" über das Land fegte, war ich mit dem Fotografen draußen. Leser - steht nach wie vor zu vermuten - wollen informiert sein, was draußen vor der Tür geschieht, auch wenn sie sich selbst nicht mehr raustrauen würden. Der Wind peitschte uns ins Gesicht und die komplette Ausrüstung zitterte im Wind. Mich schob eine Böe einmal von rechts nach links. Wir wurden so nass, dass unsere Hintern nach unserer Rückkehr von draußen noch eine Stunde später feuchte Abdrücke auf unseren Bürostühlen hinterließen. Noch im Wind brüllte er mir zu, wie "geiiil" das jetzt gerade wäre.

Ist es auch. Es ist unbequem und anstrengend in gewissen Situationen draußen zu sein, aber es ist unmittelbar und deshalb toll. Ich möchte nicht den ganzen Tag in einem Büro eingesperrt sein. Ich stehe lieber im Sturm und riskiere, dass mir ein Dachziegel auf den Kopf knallt als im Warmen zu sitzen und zu warten, dass sich die Geschichte bei mir meldet. Lieber hätte ich in meiner Traueranzeige stehen, dass ich im Job gestorben bin als dass ich wegen meiner bequemen Arschplattsitzerei auf dem Bürostuhl ein verfettetes Herz hatte. Für Journalismus braucht es freilich mehr als Sturmeindrücke. Es macht einen nicht zum besseren Journalisten, Blaulicht-Reporter zu sein. Es macht einen nur zu einer besonderen Gattung. Eine Zeitung besteht nicht nur aus "Katastrophen"-Berichten. Der gemeinsame Nenner "draußen" aber bleibt. 

Was bleiben muss


In einer Zeit, in der Journalismus - und gerade der Lokaljournalismus - immer mehr auf Effizienz gebügelt und die Produktion von Artikeln zum Fließband-Output von Zeilen geraten soll, müssen einige Dinge heilig bleiben.

Man darf als Journalist nicht ernstlich erwarten, dass einem ein Mensch, den man aus welchen Gründen auch immer porträtieren will, seine Lebensgeschichte am Telefon erzählt. Man darf als Journalist nicht ernstlich erwarten, dass die Menschen einer Stimme, die sie nur vom Telefon kennen, trauen können. Man muss als Lokaljournalist die Stadt gut kennen und sie täglich erleben. Man muss als Lokaljournalist die Dörfer wenigstens besuchen, über die man schreibt. Man sollte als Lokaljournalist die Gemeinderäte live erleben und nicht nur Beschlussvorlagen abtippen. Man mus sich für Menschen Zeit nehmen. Man muss viel.

Wie kannst du vom Schreibtisch aus Dinge beschreiben, die du nicht gesehen hast? Wie kannst du vom Schreibtisch aus Sachen schildern, die du nicht erlebt hast? Wie kannst du über einen Menschen schreiben, den du nicht kennengelernt hast? Wie kannst du nur vom Schreibtisch aus die Geschichten auftun, die einfach erzählt werden müssen? Wie kannst du wissen, was abgeht, wenn du kaum raus gehst? Schriftsteller können Fantasie nutzen. Journalisten sollten die Finger davon lassen.

Montag, 9. Oktober 2017

Die wichtigste Frau

Als ich Kind war, haben mir meine Eltern beigebracht, dass ich immer höflich sein soll und stets auch die Reinigungskraft, den Hausmeister und die Sekretärin grüßen soll. Sie bestanden sogar darauf, dass ich diese Personen ganz besonders zuvorkommend behandele. Hätten meine Eltern mitbekommen, dass ich das nicht getan und dafür den Direx vollgeschleimt hätte, hätte es aus mehreren Gründen - angefangen von Hochnäsigkeit bis hin zu Verkennen der Realität - mächtig Ärger für mich gegeben. Denn die genannten Personen seien immer die wichtigsten Menschen in allen Einrichtungen und Unternehmen dieser Welt und nicht nur deshalb bestehen meine Eltern auch heute noch auf gute Erziehung.

Dass das mit der nicht zu verkennenden Bedeutung wahr ist, erleben wir in der Redaktion seit ein paar Wochen Tag für Tag. Unsere Sekretärin ist krank. Die wichtigste Mitarbeiterin ist nicht da. Jetzt – spätestens – fällt auch dem letzten Team-Mitglied auf, was sie jeden Tag leistet. Hoffentlich. Das, was sie sonst tut, bleibt nämlich an uns hängen und macht Mehrarbeit, die nicht zu unterschätzen ist.

Nicht falsch verstehen... Es gibt bei uns kein „Fräulein Müller zum Diktat!“ und niemand käme auf die Idee, der Sekretärin einen Haufen Unterlagen zum Kopieren hinzuknallen oder sie zu bitten, doch mal eine Telefonnummer für einen rauszusuchen und auch noch zu wählen – solche Sachen machen wir immer selbst, alles andere wäre peinlich. Kaffee kochen können wir auch alleine. Wir sind schon eine Weile recht selbstständige Redakteure.

Allerdings fällt ohne Sekretärin noch mehr Arbeit an, die eigentlich nicht Bestandteil unserer Aufgaben ist und ohne die unsere Aufgaben doch nicht zu lösen sind. Tausend Kleinigkeiten, ohne die das große Ganze nicht läuft. Die Zeitungen sind zu archivieren. Die Post ist aus dem Briefkasten zu holen, zu sichten und weiter zu verteilen, mitunter muss sie weiter versendet werden. Belegexemplare müssen auf den Weg gebracht werden. Das allgemeine E-Mail-Postfach quillt über, wenn nicht stündlich jemand aufräumt, Mails sortiert und sondiert, weiterleitet an die richtigen Stellen und reagiert. Leserbriefe gehören abgetippt. Leserfotos müssen erfasst werden. Irgendjemand muss den Zimmerpflanzen in der Redaktion auch mal Wasser geben. Das Papier im Drucker geht zur Neige wie der Toner, irgendwie muss da neues Material ran. Überhaupt kommt Büromaterial nicht von selbst in die Redaktion gelaufen. Genauso verhält es sich mit Spülmaschinentabs und solchem Krams. Zwischendurch sind Leserfragen allgemeiner Art wie „Wo kann ich eine Anzeige aufgeben?“ und „Ich hatte heute keine Zeitung im Briefkasten!“ zu beantworten. Der Schornsteinfeger kommt in die Redaktion – jemand muss zwischen eins und vier vor Ort sein, um ihn in Empfang zu nehmen.

Weil im Sekretariat niemand sitzt, ist ja auch jeden Tag Tag der geschlossenen Tür in der Redaktion. Wir behelfen uns inzwischen mit einer Klingel. Alles in allem kein besonders niederschwelliges Angebot an die Leute, um mit ihrer Lokalredaktion Kontakt aufzunehmen – man kann nicht einfach zur Tür hereinspazieren und mal etwas ansprechen, man kann nicht direkt anrufen, sondern landet auf irgendeiner Rufumleitung und man kann nicht mal einfach was abgeben. Und es ist bitter zu wissen, dass das Unternehmen an der Schließung der Sekretariate in Außenredaktionen festhält. Geht unsere Sekretärin in Rente – und das ist bald – wird es immer so sein, dass da niemand ist … den Tag fürchten wir nicht nur wegen der Mehrarbeit, sondern vor allem für die Leser. Ohne Sekretärin geht es vielleicht, aber es läuft nicht.

Dennoch gibt es mindestens noch einen im „Team“, der nicht begriffen hat, dass sich eine Geschirrspülmaschine weder alleine ein- noch alleine ausräumt. Es gibt auch mindestens immer noch einen, der an einer großen schweren Kiste voller Zeitungen vorbeiläuft und sich dann wundert, dass er nicht vom gewohnten Platz die heutige Ausgabe fingern kann. Es gibt auch mindestens immer noch einen, der die Klingel nie hört. Es gibt mindestens immer noch einen, der in Deckung vor dem Leser geht. Vermutlich wird „Team“ in diesem Fall als „Toll, ein anderer macht‘s“ verstanden. Auch das ist im Journalismus so fehl am Platz wie ein verwaistes Sekretariat.

Sonntag, 1. Oktober 2017

Nonline

Journalisten sollten bei Twitter sein. Diese Botschaft stampft immer wieder an mir vorbei. Im Internet. Ich folge - bei Facebook - diversen Portalen und Ratgeberseiten für Journalisten und dort wird mir von denen immer wieder angezeigt, dass ich wiederum bei Twitter mitmischen sollte, das sei wichtig für Themenfindung, um Themen nicht zu verpassen und fürs Selbstmarketing.

Ich denke mir jedes Mal: Nö, isch möschte das nischt! Denn mir geht schon das sogenannte soziale Netzwerk Facebook oft genug auf den Senkel, als dass ich unbedingt noch eine Plattform nutzen und bedienen wollte. Das Internet insgesamt nervt mich viel zu häufig, als dass ich noch eine Funktion dort nutzen wollte.

Ich will den Ausschalter haben


Ja! Ich bin 33 Jahre alt und habe oft die Sehnsucht, das Internet zu löschen. Das passt nicht ganz zu meinem Job. Wir sollen ja jetzt alle total online-affin sein und uns einen abfeiern, weil wir Videos ins Netz pusten. Und das passt nicht ganz zu meiner Generation. Wir sind ja angeblich alle total online-affin und ständig im Netz, weil es so geil ist.

Meine Euphorie ist regelmäßig deutlich gebremst. Und dann wieder ganz weit oben. Ich kann mich nicht entscheiden ... Es gibt so viele tolle Seiten. Ich chatte mit Freunden. Ich habe Blogs im Netz. Ich lese total viel auf Online-Portalen. Meine Arbeit gewinnt durch schnelles Agieren im Internet. Aber: Online sein ist nicht alles. Oft mache ich mir Gedanken über eine Welt ohne Netz ...

Neulich hatte ich ziemlich spezielle Probleme beim Onlinestellen eines Artikels. Es ging kurze Zeit gar nix mehr online zu stellen oder auch nur zu aktualisieren. Ich schrieb die "Wir machen was in diesem Internet"-Beraterin unserer Lokalredaktion an, schilderte die Probleme und meine versuchten Lösungsansätze. Und ich schrieb "Vielleicht habe ich das Internet kaputt gemacht." - und ich war dabei sogar ein bisschen hoffnungsvoller als ich es vielleicht sein sollte.

Nein. Eigentlich möchte ich nicht das Internet kaputt machen. Es ist - wie gesagt - eine tolle Sache, aus vielen Gründen. Beruflich blühte ich ja erst so richtig auf, als es uns Redakteuren plötzlich möglich gemacht wurde Artikel auch selbst, sowie ganz schnell und unkompliziert im Internet zu veröffentlichen. Als andere in der dazugehörigen Schulung schon im Grundsatz murrten und dieses Internet ablehnten, stellte ich nur die Frage, ob ich dann endlich schnell Artikel online schießen kann und war angesichts der Antwot mit Feuereifer dabei. Ich erhielt zudem Zugriff auf das Facebookportal meiner Lokalausgabe und durfte dort ebenfalls sofort und ohne große bürokratische Umstände posten. Der Hintergrund meiner Euphorie: Das alles ist sehr praktisch, wenn man sich als Blaulichtreporter betätigt - denn nach Feierabend, nachts oder im Morgengrauen findet man keinen Kollegen oder Chef, der das für einen übernehmen würde.

Dass ich auch privat bei Facebook bin, hat mir ja auch viel gebracht. Dabei stieg ich recht spät dort ein, etwa im Alter von 26 Jahren. Grund war schlicht, dass die Stadtverwaltung meines Berichtsgebiets dort eine Seite erstellte und ich mir im Klaren war, dass auf der viel laufen wird, was wir als Redaktion nicht verpassen sollten. Ich nutzte mein Profil mehr und mehr zur Nachrichtenbeobachtung. Ich behielt nicht nur meine, sondern auch andere Städte und etliche andere lokale Seiten im Auge und so manche Story - und sei es nur eine Kleinigkeit - hätten wir vermutlich verpasst ohne Facebook, ohne mich.

Mein privates Profil wurde spätestens mit meiner Selbstständigkeit zu einem Berufsprofil. Ich nutzte das Ganze für Marketing - "Frau Jacob ist schnell da, wenn es brennt", "Frau Jacob ist am Puls der Zeit", "Lest die Artikel von Frau Jacob!" und "Frau Jacob ist 'ne dufte Person" lauteten in etwa meine Botschaften für das "Produkt", welches ich war. Ich nutzte und nutze Facebook, um Geschichten aufzutun und Leute zu finden. Ich erhalte via Facebook wertvolle Tipps und manche Sache in der Stadt hätte ich ohne das Netzwerk vermutlich verpasst oder erst zu spät entdeckt. Ob ich mit Facebook das Ohr wirklich an der Masse habe, wage ich angesichts so mancher asozialen Diskussion im sozialen Netzwerk aber zu bezweifeln - denn dann wäre die Masse erschreckend dumm. Schlaue Sachen und Nutzen/Nutzer gibt es zum Glück: Ich nutze Facebook mit einer geschlossenen Gruppe als Ratgeber und Wegweiser meiner Arbeit.

Die Geister, die ich rief


Ansonsten sitze ich oft da und staune über die Geister, die ich rief. In mein Messenger-Postfach trudeln regelmäßig Nachrichten von Menschen, denen die Zeitung nicht zugestellt wurde - dabei bin ich doch nur Redakteur und nicht im Vertrieb. In meinem Messenger-Postfach fragen mich Menschen, ob diese oder jene Ankündigung eines Vereins-, Garten- oder XY-Festes schon in der Zeitung war und ob ich das mal fix schicken könnte - was besonders lästig wird, wenn noch dazu zu der Stadt unserer Lokalausgabe gefragt wird, in deren Gebiet ich gar nicht arbeite und wo ich erst recht nicht als Archiv funktionieren kann. Wenn die Sirene geht, schreiben mir Menschen neugierige Nachrichten, was denn bei der Feuerwehr los sei, noch bevor ich überhaupt für mich die Frage geklärt habe, ob ich den Einsatz wahrnehme. 

Die Sache wird verschärft, denn: Meine Kollegen sind entweder nicht bei Facebook, nicht unter ihrem Klarnamen dort zu finden oder wenn sie bei Facebook sind, interessiert sich niemand dafür. Also falle ich nach wie vor dort auf. 

So kommt es seit eingen Monaten immer wieder vor, dass ich in Diskussionen markiert werde und mich dann vor Tausenden Menschen äußern soll, genau als "die Frau Jacob von der Zeitung" und quasi im Namen der Zeitung. Als es "nur" um die Bauplanungen rund um eine Bahnschranke in meiner Stadt ging, steckte ich das noch souverän weg und verfasste einen Kommentar, bei dem keine Fragen mehr stehen blieben. Ich machte in einem Satz deutlich, was ich als Mitarbeiter dieser Zeitung tun kann (nachfragen) und in etlichen anderen Sätzen klar, was ich persönlich von dem ganzen Komplex halte - das ging flott von der Hand, denn mit Eisenbahngedöns kenne ich mich ziemlich gut aus. 

Das Ende der Souveränität


Am vergangenen Sonntag wurde ich zu einem Statement genötigt, wann die lokalen Ergebnisse der Bundestagswahl veröffentlicht werden. Ich rastete offline aus und konnte online nicht souverän bleiben. Ich schrieb - mal mehr oder weniger zwischen den Zeilen -, dass ich weder der einzige noch der Chef-Redakteur der Zeitung bin und man nicht einfach irgendeinen Journalisten, den man zufällig bei Facebook markieren kann, ständig vors Loch schieben sollte, sich zur Blattplanung und noch ganz anderen Dingen zu äußern.

Am nächsten Morgen wurde mir beim Lesen selbst klar, wie überspannt ich reagiert hatte. Aber Kommentare lösche ich nicht, da habe ich eine klare Linie. Ich stand zu meinem Geschreibsel. Wie gut. Am darauffolgenden Morgen dachte ich nämlich dagegen sehr wohl, wie recht ich doch hatte und habe. Auch ich habe mal ein Recht auf ein privates Leben. Vor allem habe ich das Recht, nicht ständig die Zeitung zu vertreten, für diese gerade zu stehen oder mich für deren Linie kritisieren lassen zu müssen - und das oft nur deshalb, weil die User sonst niemanden gegriffen kriegen.

Die Frage "sein oder online?" ist für mich inzwischen geklärt. Ich werde bei Facebook bleiben. Und ich werde es nach meiner Wahl nutzen. Es hat viele gute Seiten, die gut für meine Arbeit sind und von denen ich noch überzeugt bin. Privat ist es auch ganz nett. Oft genug nervt es mich - privat und beruflich. Das darf ich auch zeigen. Drum fällt Twitter aber sowas von aus für mich! Und ich bediene ihn immer wieder, den Aus-Knopf für dieses Internet. Denn den hat wirklich jeder von uns!