Freitag, 21. Februar 2020

Nichtsmachenkönner

Mein kleiner Bruder würde vermutlich etwas wie "Weil de nüchtz kannst" sagen. Könnte sein. Vielleicht soll ich aber auch einfach nüchtz können, im Sinne von nüchtz machen. Ich weiß es nicht.

Es gab da diese Mail an die Adresse, die ich verwalten darf seit es in meiner Redaktion kein Sekretariat mehr gibt. In dieser Mail gab eine Person ihrem ganzen Ärger freien Lauf, weil Sträucher verschnitten worden sind. Jede (Ketten)Sägen-Aktion in meiner Stadt ist sehr umstritten. Ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung kann hier keinen Grashalm ausreißen, ohne sich gehörig verbalen Ärger einzufangen. Ich übertreibe natürlich. Die Bürger aber auch.*

Weil ich fand, dass man derartige Leserbriefe eben nicht als solche - weil unkommentiert und ohne Stellungnahme der "Gegenseite" - veröffentlichen könnte, habe ich bei der Gegenseite mal nachgefragt. 

Wenig später - Glück oder Unglück? - rief die Person an, was denn nun mit dem Brief sei. Ich erzählte, dass ich den zum Anlass genommen habe, bei der Stadt mal nachzufragen. Dass diese mir gegenüber argumentierte, dass es sich um Pflege- und Verjüngungsschnitt handelt, fand die Person jetzt scheinbar nicht so toll. "Sie tun also auch nichts zur Rettung unserer Natur!", warf man mir vor. Ich versuchte noch zu erklären, dass ich gar nicht in der Position dazu bin. Sondern in der, in der man auf Vorwurf von A hin bei B fragt und dann beide Seiten zur Wort kommen lässt. Die Person beendete trotzdem lieber das Gespräch.

Guter Bulle, böser Bulle


Das mag kurios oder auch überempfindlich von mir erscheinen, kommt so oder in ähnlicher Form derzeit aber wieder sehr häufig in unserer Redaktion vor. Einerseits werden wir als "Lügenpresse" bezeichnet, die hier - von Merkel gelenkt natürlich - die Dinge lenkt. Andererseits wird von uns erwartet, dass wir uns stets und ständig auf eine Seite schlagen und die andere außer Acht lassen - sofern es in den Kram passt. Wir sollen Partei ergreifen und lenken, wenn es gerade mal passt. Sonst nicht. 

Unsere Meinung soll bitte auch passen. Beziehen wir in Kommentaren - wer mag kann eine Definition ja mal nachlesen, ich bin übrigens großer Freund und häufiges Beispiel für den Geradeaus-Kommentar -  deutlich Stellung, werden wir am liebsten mit Mistgabeln durchs Internetdorf getrieben. Der jüngste Versuch, einen Shitstorm gegen mich aufziehen zu lassen, versandete jetzt aber scheinbar in wenigen Stunden. Dennoch wurde mir darin unter anderem attestiert, dass ich als Journalistin mal gar nicht gehe wegen alldem, was ich zuletzt in der Zeitung abgelassen hatte. Meine Mentorin aus Volontariatszeiten würde sagen "Guuuuut, alles richtig gemacht, du hast dich unbeliebt gemacht und bist irgendwo angeeckt!"

Als ich neulich eine Berichterstattung betreiben musste, die einem einzelnen Politiker nicht in den Kram passen konnte, flog ich kurzerhand ein paar Tage aus seiner Verteilerliste und er schrieb zu dem Thema, um welches ich mich jahrelang kümmerte, plötzlich die Kollegin mit "Liebe XY, Du ...." an. Redaktionell teilen wir uns jetzt gerne mal in "guter Bulle, böser Bulle" ein. 

Sicherlich gibt es ausreichend Fälle im Journalismus, die einer negativen Stimmung uns gegenüber Nährboden verschafft haben. Die Art und Weise, wie mit uns allen einer Sippenhaft gleich umgesprungen wird, rechtfertigt dies aber nicht. Ich verstehe dies hier ausdrücklich nicht als jammern - wenngleich ich zugeben muss, dass mich solche Wochen doch schlauchen. Ich verstehe dies hier als Dokumentation.

Eine kleine Randnotiz mal noch zum versöhnlichen Ende, weil man darüber schmunzeln kann: Als wir neulich darüber berichteten, dass eine Supermarkt-Filiale auf Entscheidung des besitzenden Unternehmens hin geschlossen wird, erreichte uns via Facebook folgende Zuschrift: "Warum schließt Ihr den Konsum???".

Was wir alles machen ... keine Bäume retten, aber Läden schließen! Irgendwie muss man die 36,5 Stunden aus dem Arbeitsvertrag ja rumkriegen.

* Ich bin Naturfreund. Ich mag Baumfällungen und so auch nicht. Ich habe aber oft auch Einsicht in die Notwenidigkeit. Kann ich auch nüchtz machen, ich bin halt so.