Ein Monat, der zwei Stürme beinhaltete, geht zu Ende. Wenn ein Sturmtief schon "Herwart" heißt, muss man nichts Gutes mehr erwarten ... was für ein selten dämlicher Name. Und so gab es auch jede Menge Ärger mit "Herwart" und seinem Kumpel "Xavier". Mich haben "Xavier" und "Herwart" daran erinnert, dass Journalismus draußen vor der Tür stattfindet.
Nicht, dass wir nicht doch Schreibtischtäter sind. Es ist schon gut, dass Artikel noch immer an Schreibtischen verfasst und nicht zwangsweise auf irgendwelchen Ackern getippt werden müssen. Es ist praktisch und bequem, dass man für den Job oft auf einem guten Stuhl sitzen kann und nicht kopfüber von einer Decke hängt. Und zum Journalismus braucht es ganz sicher nicht nur die, die draußen sind.
Journalismus ist es auch, ein sogenannter Blattmacher zu sein und über Themen und Layout zu entscheiden. Man ist den ganzen Tag drinnen, oft in klimatisierten Räumen und schaut (zu), wie sich Stück für Stück eine Zeitungsseite füllt. Es muss jemanden geben, der Aufgaben verteilt und Anweisungen gibt. Es ist auch ein Teil von Journalismus. Ohne geht es nicht. Und ohne ist das sicher auch nicht. Aber nur am Schreibtisch sitzen? Immer schön im Warmen bleiben? Nein, ich möchte das nicht. Für mich ist das nicht Journalismus.
Vor der Tür
Für andere auch nicht. Als "Xavier" über das Land fegte, war ich mit dem Fotografen draußen. Leser - steht nach wie vor zu vermuten - wollen informiert sein, was draußen vor der Tür geschieht, auch wenn sie sich selbst nicht mehr raustrauen würden. Der Wind peitschte uns ins Gesicht und die komplette Ausrüstung zitterte im Wind. Mich schob eine Böe einmal von rechts nach links. Wir wurden so nass, dass unsere Hintern nach unserer Rückkehr von draußen noch eine Stunde später feuchte Abdrücke auf unseren Bürostühlen hinterließen. Noch im Wind brüllte er mir zu, wie "geiiil" das jetzt gerade wäre.
Ist es auch. Es ist unbequem und anstrengend in gewissen Situationen draußen zu sein, aber es ist unmittelbar und deshalb toll. Ich möchte nicht den ganzen Tag in einem Büro eingesperrt sein. Ich stehe lieber im Sturm und riskiere, dass mir ein Dachziegel auf den Kopf knallt als im Warmen zu sitzen und zu warten, dass sich die Geschichte bei mir meldet. Lieber hätte ich in meiner Traueranzeige stehen, dass ich im Job gestorben bin als dass ich wegen meiner bequemen Arschplattsitzerei auf dem Bürostuhl ein verfettetes Herz hatte. Für Journalismus braucht es freilich mehr als Sturmeindrücke. Es macht einen nicht zum besseren Journalisten, Blaulicht-Reporter zu sein. Es macht einen nur zu einer besonderen Gattung. Eine Zeitung besteht nicht nur aus "Katastrophen"-Berichten. Der gemeinsame Nenner "draußen" aber bleibt.
Was bleiben muss
In einer Zeit, in der Journalismus - und gerade der Lokaljournalismus - immer mehr auf Effizienz gebügelt und die Produktion von Artikeln zum Fließband-Output von Zeilen geraten soll, müssen einige Dinge heilig bleiben.
Man darf als Journalist nicht ernstlich erwarten, dass einem ein Mensch, den man aus welchen Gründen auch immer porträtieren will, seine Lebensgeschichte am Telefon erzählt. Man darf als Journalist nicht ernstlich erwarten, dass die Menschen einer Stimme, die sie nur vom Telefon kennen, trauen können. Man muss als Lokaljournalist die Stadt gut kennen und sie täglich erleben. Man muss als Lokaljournalist die Dörfer wenigstens besuchen, über die man schreibt. Man sollte als Lokaljournalist die Gemeinderäte live erleben und nicht nur Beschlussvorlagen abtippen. Man mus sich für Menschen Zeit nehmen. Man muss viel.
Wie kannst du vom Schreibtisch aus Dinge beschreiben, die du nicht gesehen hast? Wie kannst du vom Schreibtisch aus Sachen schildern, die du nicht erlebt hast? Wie kannst du über einen Menschen schreiben, den du nicht kennengelernt hast? Wie kannst du nur vom Schreibtisch aus die Geschichten auftun, die einfach erzählt werden müssen? Wie kannst du wissen, was abgeht, wenn du kaum raus gehst? Schriftsteller können Fantasie nutzen. Journalisten sollten die Finger davon lassen.
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