Freitag, 22. April 2016

I've been Lok-ing for freedom

Wenn ich mich entspannen will, gehe ich in die Buchhandlung. Wenn ich abgespannt bin, bleib ich lange in der Buchhandlung. Die Urlaubsreife verlangte an diesem Mittwochnachmittag vor zwei Wochen wirklich nach Lesestoff für die kommenden zwei Wochen und seeeeehr viel Zeit in der Buchhandlung.

Ich stöberte durch die prall gefüllten Regale und suchte nach neuem Futter. Da klingelte mein Handy. Die Chefin meiner Steuerberaterin. Sowohl die Chefin als auch meine noch sehr junge Steuerberaterin schätze ich sehr. Aber Anrufe von ihnen schätze ich nicht. Meist wollen sie mir da nämlich schlechte Nachrichten übermitteln. Etwa, dass mich das Finanzamt besteuern möchte als sei ich der Chefredakteur der ganzen Zeitungsbude oder Intendant beim Öffentlich-Rechtlichen und nicht ein kleiner Honorarschreiber. Besonders schlimm ist die Botschaft, wenn die Chefin selbst anruft. Die Urlaubsreife türmte sich beim Starren aufs Display weiter auf.

Zähneknirschend ging ich also ran. Und war irritiert, als die Dame am anderen Ende prompt sagte "Ich weiß nicht, wen ich sonst anrufen soll. Nur Sie können helfen." Ähm ja. Das kam dann doch mal unerwartet für mich. Normalerweise ruft unsereins ja beim Steuerberater an und winselt um Hilfe. Auf meine Frage, was denn los sei: Ihr Sohn habe ihr erzählt, dass auf dem Abstellgleis am Bahnhof die Lok stehe, die 1989 den Zug mit den ersten Flüchtlingen aus der Prager Botschaft nach Hof gezogen hat. Die werde vielleicht sogar verschrottet oder so. Aber die Kennung der Lok - eine Reihe von Zahlen - lasse keinen Zweifel, dass es diese Lok mit Weltgeschichte sei. Die Lok, die den ersten Zug der Freiheit gen Westen zog. Auf sowas reagiert man natürlich euphorisch: "Aha, hm", sagte ich, "ich melde mich vielleicht später bei Ihnen!"

Ich verließ sofort die Buchhandlung und rief den Fotografen der Redaktion an und erzählte ihm - inzwischen deutlich euphorisiert -, was mir grad erzählt wurde. Es folgte die Reaktion eines echten Journalisten: "Gut. Ich bin grad noch auf einem Termin, dann komme ich und wir fahren zu der Lok, bevor die wegkommt oder so."

Gesagt, eine Stunde später getan ...

 

Wir fotografierten die Lok und ihre Kennung. Und sprachen wie aus einem Mund: "Keine Ahnung, aber ich hab da so ein Gefühl - das ist sie!" Wir fragten einen Arbeiter der nahen Eisenbahngesellschaft, der die Lok inzwischen gehört. "Ersatzteilspender" nannte er sie. Von Prag, der Botschaft, dem Zug, Genscher und so wollte er nix wissen. Aber ich. Ich rief die Steuerberaterin an, wie der Sohn eigentlich darauf komme. Ich müsse mir nur mal Fotos von damals anschauen und mich über die Baureihe der Lok informieren, riet sie. Ihren Sohn könne ich vielleicht später erreichen, grad sei er leider nicht da. Aber sie glaube ihm.

Lok mit dem entscheidenden Look.

Ich googelte Bilder vom sogenannten Zug der Freiheit 1989 und fand auch eines, wo eine Lok am Morgen des 1. Oktober 1989 im Bahnhof Hof so fotografiert wurde, dass man ihre Kennzahlen erkennt: 132 701-4. Die Lok auf dem Abstellgleis trug 232 701-3. Ich informierte mich über die Baureihe und stellte dabei fest, dass grundsätzlich umbenannt wurde, als die DB die Deutsche Reichsbahn übernahm. Es wurde umlackiert. Umfirmiert. Umgebaut. Es kommt eine Menge zusammen in einem langen Lokleben. Immerhin: Auf den Tag genau zwei Jahre vor meiner Geburt wurde die Lok in Dienst gestellt.

Diese ersten Erkenntnisse, verbunden mit der grundsätzlichen Frage, ob ich dem Ganzen trauen kann, übermittelte ich noch am Abend meinem Vater - gelernter Eisenbahner von der Pike auf und mit Dipl.-Ing. in dem Fachbereich ausgestattet. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. "Ja, sie ist es." Mehr brauchte ich nicht. 

Es ging nur noch an den Beweis...

 

Ich wühlte mich grinsend durch etliche Portale, Zeitschriften und Seiten. Zu meinem Gefühl gesellte sich Gewissheit. Und so stellte ich Donnerstagmorgen eine Anfrage an die DB. Mit einem Berg dessen, was man als Journalist eigentlich ja nicht soll - geschlossene Fragen stellen. Ist es richtig, dass ... und es folgten Fragen zu Details dieser Lok, den Sonderzügen und ihrer Arbeit im Herbst 1989, die ich bereits gesammelt hatte. Überzeugt von meiner Sache, fing ich schon mal zu schreiben an - Zeile um Zeile, schnell war eine Zeitungsseite voll.

Freitag vor Urlaub, Freitag vor zwei Wochen. Kurz nach neun rief ich bei der Pressestelle der DB an, ob ich heute eine Antwort bekommen könne. Es sei wichtig. Und dringend, weil die Story müsse ich unbedingt heute noch eintüten, denn der Urlaub nahe. "Mommmmennnnt, ich horche mal kurz beim Chef", sagte die Dame. Gedämpft hörte ich Stimmengemurmel. Ihr Chef übrigens war mal junger Mitarbeiter, als auch mein Vater noch in der sogenannten Reichsbahndirektion Dienst tat und er kann sich dran erinnern, sobald er meinen Geburtsnamen hört. "Jaaaaa", schmunzelte die Dame nun deutlich hörbar, "jaaaaa, die Antworten bekommen Sie heute noch."

Mein Apparat klingelte nur ein paar Minuten später. Ich hoffte auf die Bahn. Dran war eine ältere Dame. Übliche lokale Geschichte. Noch immer fehlt in ihrem Wohngebiet ein Stück Fußweg. Sie ruft mich einmal jährlich dazu an. Durchaus interessant, durchaus ärgerlich für die dort wohnenden Menschen, definitiv eine Story wert. Dabei schimpft die ältere Dame neben dem Nicht-Fußweg auch über die Stadtpolitik und grundsätzliche Probleme des Alters. Dazu kann sie lange referieren. Jahr zu Jahr wird meine Aufmerksamkeitsspanne aber kürzer, das muss ich gestehen. Als ich mit Blick auf den Computer das Mailprogramm aufploppen sah, die DB habe geantwortet, hatte ich erst recht keine Lust mehr auf Zuhören. "Hmmmmm" und "hmhhmm" murrte ich weiter.

So von einem Bein zum anderen getippelt bin ich das letzte Mal, als ich es im Kindergarten mal besonders eilig hatte auf Toilette zu kommen. Die alte Dame redete weiter. Ich gab dem Drang nach. Ich öffnete die Mail einfach, entnervte mir immer wieder mal ein "hmmm ja" aus der Kehle. Und las "vielen Dank für Ihre Anfrage. Der Einfachheit halber haben wir die Antworten direkt zu Ihren Fragen gestellt." Ich sah meinen großen Haufen "Ist es richtig, dass ..." - und dazwischen immer wieder: ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja und ja. Und auch ich sagte plötzlich "Jajajajajaja". Die alte Dame ist nach unserem Gespräch vielleicht in ein Restaurant gegangen und bestellte das, was ich hatte.

Jetzt wurde der Sack nur noch zugemacht. Die Story, die ich nur noch geringfügig durch neuen Text ergänzte, meldete ich als Seite 3 für den nächsten Tag an. Und fuhr mit dem Fotografen erneut zur Lok. Die neuen Besitzer lächelten. "Sie schon wieder", sagte der Mann vom Mittwoch - Prokurist der Firma, wie sich herausstellte. Er ließ uns auf die Lok. Und sprach: "Wir haben mal geschaut, es stimmt, das ist die Lok." Und aus der werde kein Ersatzteilspender, sondern sie werde wieder aufgebaut, um nochmal über Jahre ihren Dienst zu tun. Als eine Lok wie jede andere. Etwas anderes sei sie ja nicht. 


Quelle: Christine Jacob, in der LVZ, 9./10. April 2016
Stimmt. Für mich ist sie trotzdem eine besondere Lok. Wenn ich sie nun auf dem Gleis stehen sehe, muss ich unweigerlich lächeln. Die Lok macht mich glücklich. Ich liebe meinen Beruf. Es gibt durchaus Momente, da nervt er mich. Und es gibt Momente, da könnte ich platzen vor Glück. Einen ganzen Tag und noch viel mehr währt solch ein Moment dank dieser Lok. Die Arbeit guter Journalisten kann zum Selbstläufer werden. Eben, weil sie gut sind ... da ruft man sie an, gibt ihnen Tipps. Sogar faul in einer Buchhandlung rumzustehen, kann einem guten Journalisten großartige Arbeit liefern.

Dienstag, 19. April 2016

Warum ich nicht schreibe

Kluge Köpfe meinen, dass Journalismus Literatur in Eile wäre und Journalisten bloß verhinderte Schriftsteller seien. Einige Journalisten haben das ja schon bewiesen, indem sie das Fachgebiet wechselten. Das ist mir lieber als jene Journalisten, die plötzlich Regierungssprecher werden und jetzt die alten Kollegen triezen. So lag die Frage einer befreundeten Echt-Schriftstellerin wohl nahe, ob bei mir nicht auch der Wunsch zum Schreiben bestehe ... ich hatte nicht sofort eine Antwort parat.

Es mangelt mir nicht an Selbstbewusstsein - im Sinne von sich selbst bewusst sein. Und eigentlich mag ich den Begriff "Powerfrau" auch nicht sonderlich. Doch was soll ich machen ... Angesichts dieser Powerfrau war ich für ein bis zwei Momente eingeschüchtert. Sie schreibt Romane. Richtig gut gemachte unterhaltende Romane mit Krimi-Einschlägen, die über das vorhersehbare Happy-End-Gehasche üblicher Frauenliteratur hinausgehen. Sie hat einige davon fertig in Gedanken, Gedanken-Schubladen und echten Schubladen. Sie hat immer wieder neue Ideen. Das Lesen eines unveröffentlichten Manuskripts hat mich als sonst nur überzeugten TV-Täter sogar zum Krimileser gemacht. Sie hat es mit ihrem Debüt im vergangenen Sommer weit nach oben in der Bestsellerliste geschafft - verdientermaßen. Ihr zweiter Roman kommt in knapp zwei Monaten in den Handel. 

So weit würde ich es nicht bringen. Warum? Weil ich Selbstbewusstsein habe. Den guten Journalisten und den guten Schriftsteller eint, dass gute Schreibe allein nicht reicht. Zu diesem Handwerkszeug sollten sich Fähigkeiten wie Recherche, Beobachtungsgabe, Gespür, Gefühl und noch einiges mehr gesellen. Ein Getriebensein noch dazu. Der innere Drang, den sie als Schriftstellerin spürt, wenn sie eine Geschichte unbedingt aufschreiben und erzählen muss, den verspüre ich - bislang - nur im Journalistischen. Oft muss ich eine Story einfach machen - so zwanghaft, dass ich schreibe wie wild und an nicht viel anderes denke, viel dafür opfere. Betrachte ich die Welt um mich herum, sehe ich darin und auch in vielen Menschen "bloß" potenzielle Zeitungsgeschichten.

Und wenn ich mal schriftstellerische Ideen habe, kommen diese für meinen durch einen Magister in Literaturwissenschaft geprägten Geschmack nicht weit genug von der Realität und vor allem meiner selbst weg. Es geht doch um Dichtung und Wahrheit ... Ich habe mir als Teenager die Geschichte meiner Familie angesehen, ein Haufen Leben zwischen Weltkriegen und Weltgeschichte und ich erkannte Potenzial - für einen großen Roman dem Laden von Strittmatter nahe (Teenager eben). Ich schaue mir mein eigenes Leben an und ich entdecke Potenzial - für einen Film, der reichlich euphemistisch ins Genre "Romantische Komödie" einsortiert würde und Dienstag bei Sat1 liefe. Das ist alles ziemlich egozentrisch. Wann kommt da die Dichtung zur Wahrheit ins Spiel? Und nichts dabei treibt mich so an, dass ich das unbedingt aufschreiben muss. Dabei weiß ich um mein Handwerkszeug und mein Talent. Ich weiß, was ich kann. Also lasse ich das Schriftstellern.

Der neue Roman meiner Schriftsteller-Freundin wird mit vier Seiten im Verlagsprogramm beworben und einem eigenen Aufsteller für die Buchhandlungen. Darüber freut sie sich riesig, das macht sie stolz. Diese Werbung beinhaltet einen ganzen Abschnitt von mir aus einer Rezension über ihr Debüt. Darüber freue ich mich riesig, das macht mich stolz. Ich bin eben ein guter Journalist. Ich habe Selbstbewusstsein.