Bei der Recherche für eine Geschichte zum Thema trockene Alkoholiker in der glühweingeschwängerten Weihnachtszeit auf einen sehr interessanten Link gestoßen: Zehn Fragen zur Arbeitssucht vom Journalist. Uiuiui ... es stimmt dann doch einen kurzen Moment bedenklich, was da so steht ...
"Der Süchtige arbeitet vor allem zum Selbstzweck und erreicht so einen Gefühlszustand, der ihm etwa Selbstbestätigung vermittelt oder Sicherheit gibt. Für einen Arbeitssüchtigen steht die Arbeit an erster Stelle – und danach kommt lange nichts."
Stimmt! Denn wir Journalisten sind jobtechnisch eitel, extrem. Wir stehen ja darauf, unseren eigenen Namen in der Zeitung zu lesen - wenn wir nicht genug von der Selbstdarstellung bekommen können, bloggen wir einfach. Im Idealfall wollen wir den eigenen Namen in der Zeitung möglichst oft erleben und drängen mit unseren Artikeln auf die Zeitungsseite wie die Oma im Schlussverkauf an den Grabbeltisch. Wir stehen einfach auf Bestätigung, wir wollen gelobt werden - von den Kollegen in der Blattkritik, am besten noch vom Leser - dem Lob anderer folgt quasi die Selbstbestätigung auf dem Fuße. Schön ist es auch, in einem anderen Medium zitiert zu werden. Der Satz "Wie die XY-Zeitung berichtet ..." ist ein wahres Heiligtum. Im Lokaljournalismus ist der Gral kaum zu erreichen, dafür werden wir zum Glück aber gerne mal in Stadt- und Gemeinderäten zitiert. Der Satz "Sie haben ja sicher alle in der XY-Zeitung gelesen" vom Bürgermeister ist dann gute Ersatzdroge. Geht aber auch mal so: Wenn wir merken, dass eine Geschichte gut ist, sitzen wir breit grinsend an unseren Computern und klopfen uns selbst auf die Schulter. Oder wir rennen zu unseren Kollegen und pranzen rum, was wir da wieder Heißes aufgerissen haben wie der hormongesteuerte Anfangszwanziger in der Disco. Und in der Tat sind nicht wenige von uns mit ihrem Job verheiratet. "Das ist mein Job" bekommt nicht selten mal gefühligeren Klang als "Das ist mein Mann/Kind/Haus/Auto/Hund". Erst die Arbeit und damit das Vergnügen! Arbeitssüchtig sind wir Journalisten wahrscheinlich alle und durch die
Bank weg. Es legt sich höchstens mit den Dienstjahren.
"Anspruchsvolle, kreative Berufe mit flexiblen Arbeitszeiten und Berufe, in denen sich Menschen stark mit ihrer Arbeit identifizieren, sind generell anfälliger für Arbeitssucht als andere."
Ist doch eigentlich selbsterklärend. Natürlich ist der Job anspruchsvoll. Natürlich ist er kreativ - drum ist er ja so toll. Natürlich identifizieren wir uns mit unserer Arbeit. Wäre auch schlimm, wenn es anders wäre. Unsere Arbeit immerhin ist auch eine öffentliche Arbeit. Die Fehler, die wir machen, stehen dummerweise in der Zeitung. Wir identifizieren uns mit unseren Artikeln, manche davon sind wie eigener Nachwuchs. Wir denken Jahre später noch vergnügt an die ganz großen Nummern unserer Karriere. Und flexible Arbeitszeiten? Ja, so kann man es nennen, wenn der Arbeitstag gerne mal um neun Uhr morgens beginnt und zwölf bis 14 Stunden später nach einem Gemeinderat endet und die Woche ihr Finale im Sonntagsdienst erlebt. Wir verbringen einfach mehr Zeit auf Arbeit als in den eigenen vier Wänden und fühlen uns sogar ziemlich gut dabei. Wir langweilen uns sonst. Und schnell werden bei uns aus Quellen Bekannte und Freunde und aus Bekannten und Freunden Quellen. Der Rest unserer Freunde sind die direkten Arbeitskollegen, mit denen wir so viel Zeit verbringen, oder andere Leute aus der Branche. Privat- und Berufsleben verschmelzen einfach, bis wir es kaum mehr trennen können.
"Zeichnet sich erst der Beginn einer Arbeitssucht ab, können sich Betroffene möglicherweise noch selbst aus der sich anbahnenden Abhängigkeit befreien."
Wir wissen es. Und handeln doch dagegen. Wir wissen, dass wir schwer abschalten können. Und sitzen doch im Urlaub und konsultieren eine andere Zeitung allein nach den Gesichtspunkten, was wir uns dort abgucken könnten und welches Thema wir in unserem Blatt mal umsetzen könnten. Wir schauen Nachrichten und überlegen, welches Thema wir lokal runterbrechen können, wie es so schön heißt. Wir unterhalten uns mit Menschen und lassen unsere Themenuhr mitlaufen, sind dankbar für jede Anregung, die sie uns bewusst oder unbewusst liefern. Wir schreiben unseren lieben Kollegen an freien Tagen Mails mit gut gemeinten Tipps und Ideen. Wir rennen an unseren freien Tagen in Stadträte, damit wir nix verpassen. Wir opfern Urlaub für Geschichten. Oder wir sitzen in unserer Freizeit am PC und bloggen noch nach einem Tag, der 300 Zeitungszeilen aus uns gequetscht hat. Und wir genießen es. Es erfüllt uns. Punkt.
UPDATE: Stadtrat: Das eigene Blatt mindestens fünfmal erwähnt, yes!
UPDATE: Stadtrat: Das eigene Blatt mindestens fünfmal erwähnt, yes!
Zusammenfassung für meinen Mann: Ich werde trotzdem nicht den Vorsatz für 2013 fassen, weniger zu arbeiten.
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