Journalisten sehen und hören viel. Viel Unfug, durchaus - vor allem von Politikern. Aber auch viele, viele Lebensgeschichten bei den sogenannten menschelnden Geschichten. Wer ein Porträt über einen Menschen schreiben will, der irgendwie interessant genug für die große Geschichte in der Zeitung erscheint (weil er ein spannendes Hobby oder einen großen Plan hat, seit 1000 Jahren ein Ehrenamt ausübt oder sonst irgendwie auffällig geworden ist), muss sich mal ein paar Stündchen mit ihm hinsetzen. Und einfach zuhören, was der Mensch zu erzählen und zu sagen hat. Am besten lernt man einen Menschen natürlich in seiner natürlichen Umgebung kennen - in seinen eigenen vier Wänden, wo der Mensch sich wohl fühlt. Ein bisschen Überwindung kostet uns Journalisten das manchnmal schon.
Erst gestern Abend war ich bei einem Mann zu Besuch, der dummerweise bei der Vereinbarung des Termins den nicht sehr vertrauensbildenden Satz "Ich kann dich danach auch nach Hause fahren" sagte. Das komische Gefühl bei der Sache allein in seiner Wohnung zu sein, blieb mindestens eine halbe von anderthalb Stunden an mir kleben. Als das seltsame Gefühl weggewischt war, hörte ich mal wieder viel von verpassten Chancen, gescheiterter Ehe, fast verlorenen Beinen und Kindern. Nicht alles, wurde ich gebeten, darf ich schreiben. Gehört aber ist es. Wie schon so oft für so viele Geschichten. Menschen haben mir schon sehr detailreich von den Prügelattacken ihrer Väter, Missbrauch, tödlichen Diagnosen und Krebsbehandlungen, Fehlgeburten, Kriegserlebnissen oder verkohlten Unfallopfern in Pkw-Wracks erzählt. Die Geschichte des Mannes schien dagegen fast harmlos. Ein paar Stunden später kam dennoch wie so oft auch von ihm eine Nachricht: "Vielen Dank fürs Zuhören, es tat gut mal über alles zu reden und alles los zu werden, vielen Dank".
Macht Sinn. Der Journalist sitzt bei solchen Geschichten ja meist am anderen Ende einer Couch, schreibt Sachen in das Notizbuch auf seinem Schoss, nickt und hmt immer mal wieder an passender Stelle, stellt ein paar Fragen nach Gefühlen und hört ansonsten nur zu. Und mehr als einen Kaffee und die Bereitschaft, eines Tages (fast) alles über sich selbst in der Zeitung zu lesen, kostet die Therapiestunde nicht.
Zusammenfassung für meinen Mann: In dem Job stellt man oft fest, wie gut man es selbst hat.
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