Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Sagt meine Oma immer. Recht hat sie. Der Spruch hat viel Wahres - ist, in Teilen, sogar eine sehr vernünftige Herangehensweise ans Leben. Ich kam, sah und siegte, das kann und sollte wohl besser nicht immer funktionieren. Während der Tischlerlehrling am Anfang die Späne wegfegen muss, der angehende Koch den Abwasch erledigt und der Friseurazubi eine Ewigkeit warten darf, bis er tatsächlich mal wenigstens zum Haarewaschen ran darf an den Schopf - muss auch der angehende Journalist langsam anfangen. Gerne als Praktikant. Nur die meisten, meist männlichen, Journalistenkollegen vergessen das gerne. Später in ihrer Laufbahn sind sie sich dann nicht nur zu schade für diverse Aufgaben, sie tun auch so, als ob sie so etwas noch nie getan hätten. Warum mit einem 100-Jährigen reden, wenn doch der Bürgermeister anrufen könnte? Nur am Rande: Der 100-Jährige hat oft Schlaueres zu sagen. Nicht nur, weil er altersweise ist.
Ich durfte mich in der kleinen heimatlichen Lokalredaktion beweisen. Mit den nun einmal ja auch wichtigen Aufgaben wie dem Besuch güldener und diamantener Ehepaare, die auch so komfortabel das Sommerloch füllen, welches den Semesterferien deutscher Unis geschuldet auch klassische Praktikantenzeit ist. Die Nummer mit den Ehepaaren ist eine feine Sache - es gibt immer Schnittchen, Sekt und Kaffee für die Gäste und meistens kommt der Bürgermeister auch. Den verehren die güldenen und diamantenen Paare meist blindlings. Ist ja immerhin der Bürgermeister. Und die Zeitung ist nur böse, wenn sie schlimme Sachen über ihn schreibt. Die Sache mit den Ehepaaren funktioniert auch seit Jahren nach immer gleichem Muster: Sie und er sitzen oder stehen mit Blumenstrauß in der Hand nebeneinander und lächeln nett für das Foto. Sie haben alle ihre ganz eigene Geschichte, meist aber kommt Wohlbekanntes und Austauschbares in die Zeitung: So haben sie sich beim Tanzen im Dorfkrug kennen gelernt und inzwischen Summe X an Enkeln oder besser noch sogar Summe X an Urenkeln. Die ganz harten Nummern ihres Lebens erzählen sie auch gerne, sprechen von den harten Kriegsjahren und fast allen Krisen, die damit und danach kamen - verlorenen Beinen in Russland und verlorenen Kindern im Krieg, großen Streits, Geldsorgen, Ängsten, Stress mit der Stasi. Stets gefolgt von "Das schreiben Sie aber nicht!".
Klar. Sonst ist dieser Satz ein rotes Tuch - hier ist er erlaubt. Denn manchmal sind wir einfach nur gut. Klar, es ist die immer gleiche Geschichte. Aber nicht für diese beiden. Das immer gleiche Foto von zwei Menschen, die mit Blumenstrauß in der Hand aus der Zeitung lächeln, das kommt bei ihnen ins Fotoalbum. Also: Einer muss es ja machen. Werkstattfegen kann was sehr Schönes sein.
1 Kommentar:
Sehr treffend geschrieben!
Die (meist männlichen) Journalisten, die derartige Termine in der Redaktionssitzung nach unten guckend an sich vorbeiziehen lassen, verpassen neben den lukullischen Freuden bei solchen Jubiläumspaaren auch die innig-vertrauten Blicke, die sich diese Menschen schenken und diese Menge an Erfahrungen, die sie nahezu auratisch umgibt.
Kommentar veröffentlichen