Donnerstag, 29. Dezember 2016

Quatschlaunen

Wir sind zum Interview verabredet. Er sitzt mir gegenüber. Ich stelle Fragen. Er antwortet. Er redet viel. Er schaut mich kaum an. Nur flüchtig huscht mal einer seiner Blicke zu mir rüber. Ansonsten spricht er tatsächlich mit der Anbauwand und ich habe sein Profil und vielleicht auch eine dazu passende Neurose vor mir. Seine Hände ruhen wie der Körper. Ich sehe seinen Nasenrücken. Ich komme ins Grübeln. Für einen Mann eine recht feinporige Nasenhaut. Huch. Ich wollte doch wegen der Em(m)anzipation so nicht mehr reden, nicht mehr denken ... "Für einen Mann" ... "Für eine Frau" ... diese Schubladen. Für eine Frau bin ich ganz schön hart, sagen manche. Für einen Mann ist er ganz schön verstockt, denke ich. Obwohl. Sagt man nicht, wer andere nicht anblicken könne oder wolle, der verschweige etwas und lüge? Das Band läuft seit knapp 15 Minuten. Hat er mich jetzt 15 Minuten angelogen? Von wegen Lügenpresse... Meine Gedanken kehren zurück zur nächsten Frage. Ein kurzer Blick zu mir, langer Halt an der Anbauwand. Der Mann tut, was ich von anderen schon verlangt habe - er erzählt es der Wand! Ich überlege, ob ich winken sollte. Mein Blick fixiert ihn. Vielleicht könnte ich jetzt einen dieser Stinkefingertänze aufführen, bei denen man mit einem zur Faust geballten Gesicht immer wieder die von den Mittelfingern garnierten Unterarme rhythmisch schwingt? Würde er es merken? Zu spät. Keine Fragen mehr. 23 Minuten. Band aus und raus hier. Ein kurzer und schlaffer Händedruck. Er macht gleich die Tür zu. Und ich habe es auch eilig.

Der andere Mann


Wir sind zum Interview verabredet. Er sitzt mir gegenüber. Er wirkt müde. Ich bin müde. Er fragt, ob meine Nacht auch so kurz war? Ich nicke. Er sagt, er macht uns erstmal Kaffee. Wir starten das Band. Ich stelle Fragen. Er antwortet. Er redet viel. Er schaut mich an. Er lächelt. Ich lächle zurück. Ich stelle noch eine Frage. Er antwortet und gestikuliert. Er sagt, ich solle mal aufs Stopp drücken. Es zieht, er will erstmal das Fenster im Nebenraum schließen. Er kommt wieder rein. Noch Kaffee? Nö, passt schon. Weiter, sagt er. Ich frage, er antwortet. Elf Minuten läuft das Band, dann sind alle Fragen besprochen. Wir hören auf. Ach, sagt er, das passt ganz gut und er kann fix mal heim. An der Garderobe gestern haben sie seinen Mantel vertauscht. Und dann zog sich der Abend ja noch länger hin. Er hat sich ja abgewöhnt, Schlüssel im Mantel zu lassen. Weil das mit dem vertauschten Mantel ist schon mal passiert. Da hat es eine ganze Woche gedauert, den wieder zu bekommen und der Ärger war groß. Wenn wir uns das nächste Mal zum Empfang der Stadt sehen, da kommt er nur im Jackett. Ja, clever, sage ich. Aber bei solchen Veranstaltungen hängt ja ein Berg von schwarzen oder anders dunklen Mänteln rum, da kann man als Garderoben-Sachverständiger schon mal daneben geifen und selbst als Empfänger kann man glauben, es sei das eigene Textil. Ja klar, sagt er. Volles Verständnis. Wir nicken beide. Ich, sage ich, habe mir ja angewöhnt, an so einem Abend meinen gelben Schal zu tragen und den dann so in die Ärmel oder um den Kragen zu wickeln, dass man ihn unweigerlich sieht. Verwechslungsgefahr gebannt. Er, sagt er, habe aber keinen gelben Schal. Wenn er einen findet, sagt er, laufe ich ja dann mit seinem Mantel weg. Wir lachen. Alles geklärt. Danke für die gute Zusammenarbeit, sagt er. Auch wenn es manchmal kracht. Aber in einer guten Ehe sei das ja nun mal so.

Keine Kommentare: