Ich stand heute am Rande eines Verkehrsunfalls. Jetzt stehe ich kurz neben mir und frage mich, was mit mir ist. Was ist mit mir passiert? Wann hat das alles angefangen? Warum bin ich so kühl? Oder bin ich nur professioneller geworden? Und: Ist das schlecht? Oder gerade gut?
Verkehrsunfälle, Brände, Suizid auf der Bahnstrecke. Das kommt vor. Es gehört zu meinem Beruf, darüber zu berichten und vor Ort zu sein - ja, extra und schneller als die anderen vor Ort zu gehen, wenn so etwas passiert. Und wenn es passiert, bin ich voll bei der Sache und dabei (lest hier). Dass sich dabei an mir etwas ändert, habe ich im Frühjahr schon geahnt (lest hier) und vor ein paar Wochen ganz deutlich gespürt.
Die Sonne schien Mitte September so arschfreundlich vom Himmel, dass wieder Sommer herrschte. Ein elendig blauer Himmel. Wärme. Ein Gefühl wie im Juli. Ich war genervt. Ich saß in meinem Auto und war auf dem Rückweg von einem Dorffest. Das empfand ich als dermaßen langweilig und aufgesetzt, dass ich in meinem kleinen Auto mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit und voll aufgedrehten Kraftklub-Songs dagegen anraste. Ich suchte zielgerichtet nach Titel 12 des aktuellen Albums. "Schöner Tag" feat. Casper. Ich wollte diese Zeilen auf den Asphalt pressen:
Heute ist ein schöner Tag, die Sonne scheint[...]Ein schöner Tag, die Vögel singen
Als würden sie wollen, dass ich fröhlich bin
Ein schöner Tag, die Blumen blühen
Der Nachbargarten ist saftig grün
Heute lohnt es sich mal aufzustehen
Ein schöner Tag um draufzugehen!
So weit, so negativ. Doch gerade in dem Moment, in dem Casper und Kraftklub die folgenden Zeilen von sich rotzen ...
Keine Sorgen weit und breit, nur Geborgenheit
Und wer weiß, vielleicht ist es morgen schon so weit
Und dann ich bin reich, kauf ein Auto, leb den Traum:
180 km/h gegen einen Baum!
... erhielt ich die Nachricht, dass ein Hubschrauber abgestürzt sein soll - mitten in der Stadt, nicht mal weit weg von meinen Freunden. Ich peitschte also erst recht über die Straße und stellte nur eine Kurve weiter beim Blick aus dem Auto fest, dass das Blaulicht der Polizei auf einem Feld neben der Straße auftaucht. Ich sah kein Feuer. Ich sah keinen Rauch. Ich sah Blaulicht und einen kleinen Hubschrauber.
Der Gedanke, dass es also keinen meiner Leute getroffen haben kann, wich schneller als mir im Nachhinein lieb ist dem Gedanken, dass der Absturz nun also nur wenig spektakulär sein kann. Angekommen auf dem Feld fand ich tatsächlich einen Hubschrauber kaum größer als mein Auto vor. Die Insassen hatten ihn verlassen. Und aus meinem Mund kam angesichts des leuchtend roten Klein-Hubschraubers der von einem Schulterzucken begleitete Satz: "Das sieht aus wie eins meiner missglückten Parkmanöver." Ich gebe zu: Ich war regelrecht enttäuscht, dass es am Ende so harmlos war.
Was mich nun noch kickte - und nichts anderes wollte ich wohl in dem Moment -, war die erste Journalistin vor Ort zu sein und der Kampf gegen die anderen Blaulichtreporter. Das ist noch immer eine klassische Männerdomäne und eine, in der man schnell sein muss. Ich drückte auf die Tube, war genervt von allen Störungen dabei und schenkte den anderen Blaulichtreportern die volle Breitseite meiner Arroganz. Dass ich meinen Text und meine Fotos zuerst und fehlerfrei online hatte, das kickte mich. Das Adrenalin holte ich mir an der Tastatur und im Wettrennen gegen die anderen Medienhäuser und die Kerle dort, nicht auf diesem Feld. Aufgekratzt kam ich bei meinen Freunden an. Ich ließ es so aussehen, als sei es einfach ein kleiner Schock. Der setzte da tatsächlich langsam ein - beim Beobachten meines Selbst ... und beim Gedanken an den Song, der Hubschrauber war mir egal geworden.
In den letzten Wochen passierte wenig bis gar nichts im Blaulichtmilieu. Mir wurde langsam langweilig. Auch das gebe ich zu. Mir fehlte Adrenalin. Ich mag Adrenalin. Ich bin gerne schnell, schneller als andere. Heute kam es nun zu einem Verkehrsunfall auf einer Bundesstraße. Drei Verletzte. Ich kontaktierte den Fotografen und er wollte mich daheim abholen, sodass wir gemeinsam zum Einsatz fahren konnten. Dass sieben Minuten bis zu seinem Eintreffen vergingen, war mir schon zu lahm und ich genervt. "Das nächste Mal mach ich das wieder allein", beschloss ich für mich. Allein bin ich schnell genug oder sogar schneller. Dann stand ich da. Es sah aus wie so ein Autounfall eben so aussieht, nichts Spektakuläres. Blech, Blaulicht und Rettungskräfte. Ich nahm es schlicht zur Kenntnis, es berührte mich null.
Klar, ich hatte nie erwartet, dass ich nach solchen Sachen in Tränen ausbreche oder schlecht schlafe, mir eine Therapie wünsche und Dinge verarbeiten muss. Das wäre fatal und es passierte nie. Aber: Kam ich früher zu Autounfällen dazu, dann zuckte mein eigenes in einem Unfall geschundenes Knie wenigstens noch. Das Gesehene berührte mich also. Kam ich früher zu Unfällen dazu, benutzte ich meine Kamera ganz bewusst, um durch sie das Gesehene zu einer Betrachtung durch eine Linse und es damit zu etwas zu machen, was ich nicht wirklich mit eigenen Augen sehe. Das Zittern hat Unfall um Unfall abgenommen. Inzwischen ist es gar nicht mehr da. Es ist weg. Ich brauche die Kamera nicht mehr als Schutzschild. Ich brauche sie nur noch zum arbeiten. Ich mache nur noch meinen Job. Da ist immer mehr Schulterzucken. Die private Person ist nicht mehr dort dabei. Und ich belächle Kollegen, die in solchen Momenten von einem katastrophalen Bild vor Ort sprechen, das alles "ganz grausam" finden, Großeinsätze herbeifabulieren, dramatisieren, laut leiden und sich mitunter noch Auszeiten nehmen wollen wegen solcher Einsätze. Ich finde, sie sind zu weich. Und ich finde alles halb so wild. Das sind ganz normale Einsätze. Berichtenswert und sonst nichts. Es könnte, es dürfte alles krasser, ja spektakulärer sein.
Klar, ich hatte nie erwartet, dass ich nach solchen Sachen in Tränen ausbreche oder schlecht schlafe, mir eine Therapie wünsche und Dinge verarbeiten muss. Das wäre fatal und es passierte nie. Aber: Kam ich früher zu Autounfällen dazu, dann zuckte mein eigenes in einem Unfall geschundenes Knie wenigstens noch. Das Gesehene berührte mich also. Kam ich früher zu Unfällen dazu, benutzte ich meine Kamera ganz bewusst, um durch sie das Gesehene zu einer Betrachtung durch eine Linse und es damit zu etwas zu machen, was ich nicht wirklich mit eigenen Augen sehe. Das Zittern hat Unfall um Unfall abgenommen. Inzwischen ist es gar nicht mehr da. Es ist weg. Ich brauche die Kamera nicht mehr als Schutzschild. Ich brauche sie nur noch zum arbeiten. Ich mache nur noch meinen Job. Da ist immer mehr Schulterzucken. Die private Person ist nicht mehr dort dabei. Und ich belächle Kollegen, die in solchen Momenten von einem katastrophalen Bild vor Ort sprechen, das alles "ganz grausam" finden, Großeinsätze herbeifabulieren, dramatisieren, laut leiden und sich mitunter noch Auszeiten nehmen wollen wegen solcher Einsätze. Ich finde, sie sind zu weich. Und ich finde alles halb so wild. Das sind ganz normale Einsätze. Berichtenswert und sonst nichts. Es könnte, es dürfte alles krasser, ja spektakulärer sein.
Ist es gut so? Ist es besser so kühl zu agieren und immer weniger an sich heranzulassen? Ist das ein Vorteil? Bin ich einfach nur Profi? Mache ich einfach nur meinen Job? Als Journalist und nicht als Mensch? Ist das schlimm? Ist meine Entwicklung schlecht? Habe ich inzwischen so viel Erfahrung mit den negativen Dingen, dass ich drüber stehe und sie besser einsortieren und daher kontrolliert annehmen kann? Bin ich auf- oder abgeklärt? Oder beides? Wäre das schlecht? Bin ich abgestumpft? Ist man abgestumpft, wenn man diese Entwicklung seiner selbst noch registriert?
1 Kommentar:
Hallo,
einen spannenden Einblick in das Leben eines Journalisten gibst du da!
Abgestumpft ... sind wir nicht alle irgendwie abgestumpft und reizüberflutet? Sonst würden wir auch auch in anderen Situationen von Leid, die wir mit eigenen Augen sehen, z.B. einem Obdachlosen auf der Straße, mehr berührt sein, oder?
Gruss,
Sarah
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