Mein keimendes Burnout ist einer Art Boreout gewichen. Noch bis Jahresende bin ich vertretungsweise bei einem Anzeigenblatt (lest hier nach). Zu tun hat man dort schon ordentlich, das ist keine Frage. Aber was mich daran stört, ist genau das, was meine Arbeitskolleginnen dort so sehr schätzen: alles ist geregelt (igitt), vor allem die Arbeitszeiten. Was man heute nicht schafft, kann man auch mal liegen lassen und in den geregelten Feierabend starten. Und noch einige andere schöne Dinge ... 16 Uhr ist man manchmal schon daheim. Gerade die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei toll, finden meine zeitweisen Kolleginnen. Heute haben sie mich gefragt, wie mein Alltag als Tageszeitungsjournalist so aussieht ... und was ich so für Geschichten gemacht habe in meiner Laufbahn ... und wie das so ist ...
... und ich erzählte und erzählte ...
- ... von dem Tag, an dem ich 4.30 Uhr (morgens) an einer vielbefahrenen Bundesstraße mitten durch ein Dorf stand, um vom Alltag in diesem Dorf zu berichten, wo die Leute morgens allein schon 20 Minuten mehr auf dem Weg zur Arbeit einplanen, um aus ihrer Einfahrt auf die Bundesstraße einbiegen zu können ... und ich erzählte, dass ich dann ab 9 Uhr in der Redaktion saß und normal an der Ausgabe des Folgetages arbeitete und an dem Tag noch bis abends 22 Uhr in einem Gemeinderat gesessen habe, um den aktuellen Abwasserzoff zu dokumentieren ... und ich erzählte, dass die Geschichte über das Dorf nicht nur in der Lokalausgabe, sondern der gesamten Ausgabe erschien und ein Boulevardblatt sie abkupferte und TV-Teams ins Dorf kamen ...
- ... und ich erzählte, dass ich mal eine Reportage über einen Swingerclub geschrieben habe und einmal aus dem spontanen Mitnehmen von zwei Trampern eine wunderbare Story über ein Metalfestival entstand ... und ich erzählte, dass ich mal im Sommerloch wirklich den Aufmacher auf der Straße fand, indem ich über die vielen Flickarbeiten auf dem Pflaster vor meiner ehemaligen Haustür berichtete
- ... und ich erzählte, dass ich gerne Satirisches über die lokalte Politik und ihre Macher schreibe und dass ich deswegen manchmal nicht weniger bitterböse Kommentare der lokalen Politiker einstecken darf und mich das erst recht anstachelt ...
- ... und ich erzählte, dass ich diverse Male von Unfällen und Bränden berichtet habe, in Straßengräben hockte, um Fotos zu machen und oft zu schnell Auto fahre, wenn ich gute Bilder haben will und dass bei mir der Reflex zum Kamera schnappen und losrennen einsetzt, wenn ich eine Sirene höre ... und ich erzählte, dass ich mich geärgert habe, dass die letzten großen Einsätze an Kollegen von mir gegangen sind ...
- ... und ich erzählte, dass ich bis auf den Sport Tag für Tag im Lokalen jedes Ressort bearbeite - mal rezensiere ich die aktuelle Produktion am örtlichen Theater, dann wühle ich mich durch den städtischen Haushaltsplan oder besuche Firmen ...
- ... und ich erzählte, dass es oft stressig zugeht an der Tageszeitungsfront, weil da nix liegen bleiben kann ... und man an manchen Tagen ohne Murren 300 Zeilen von sich geben muss ...
- ... und ich erzählte, dass mich eine Geschichte vor Gericht und zu schlaflosen Nächten gebracht hat ...
- ... und ich erzählte von Leuten, die mich auf der Straße wegen einer besonders schönen Geschichte ansprachen und dass sie mir oft sagen, dass ich sie zum Lachen oder auch Weinen gebracht habe ... und ich erzählte, dass mich einmal ein Polizist bei einer Demo, über die ich berichtete, herauszog, nur um mir zu sagen, dass er bei meiner Geschichte über einen Feuerwehrmann geweint hat ...
- ... und ich erzählte, dass ich so bekannt bin, dass ich mich manchmal nicht mehr unerkannt in meiner Stammkneipe rumtreiben kann und irgendwie jedes Gespräch schnell ins Berufliche kippt ... und mich Leute gerne über mein privates Facebookprofil & Co. anschreiben und ich nie ganz abschalten will ... und ich erzählte, dass ich so wie eine kleine Spinne ein Netz an Informanten habe ...
- ... und ich erzählte, wie gerne ich Schulklassen von meinem Beruf erzähle und sie mich meistens fragen, wann ich mich für diesen Beruf entschieden habe und ich dann sage, dass ich damals selbst noch Grundschüler war und doch sofort verliebt ...
... und als ich so erzählte und erzählte und erzählte ...
... wurde mir klar, dass ich nichts anderes will als das - genau das alles! Ich will Lokaljournalismus
machen. In meiner Heimatstadt. Sonst nix.
3 Kommentare:
Da fallen mir nur die folgenden Wort ein: Out of the comfort zone.
:) Hoffentlich bald! Aber immerhin koche ich jetzt häufiger als sonst, das ist doch mal ein großes Plus daran - heute zwar keines deiner Rezepte, aber trotzdem sehr gesund und gemüsig von Aubergine über Möhre bis Zucchini mit Currysauce ... jammmmiiiiiiehhhh
Vito Corleone sagte immer mal "Man muss ja auch essen". Heißt frei interpretiert: Damit die Sache mit dem Essen(kochen) nicht mangels Zutaten etc. scheitert, muss Kohle verdient werden - im Idealfall genau auf die Weise, die den eigenen Ambitionen perfekt entspricht. Wenn und solange das in der Heimatstadt möglich ist und dabei die Zeit zum Kochen und Genießen bleibt - nur zu. Wenn's an dem einen oder anderen zu mangeln beginnt, sind Kompromisse gefragt ... früher oder später. Wobei ich damit ausdrücklich nicht so sehr aufs "Kohle verdienen" abziele. Manchmal muss man da Abstriche machen, um den Spaß am Leben nicht zu verlieren - da hat man ja nur eins.
vg
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