War mal eine Weile weg. Unterwegs als Urlauber in einem anderen deutschen Landstrich, der sich neben Wald, Sand, Weite, Ruhe und relativer Ereignislosigkeit unter anderem dennoch dadurch auszeichnet, kein reiner Einzeitungskreis zu sein - aber das mal nur am Rande. Denn solche wie mich findet man ja überall, egal wie hoch die Zahl der Zeitungen tatsächlich ist! Das geht ganz einfach: einen flüchtigen Blick auf Menschen werfen, Schublade auf und wieder zu. Wer in die Schublade Journalist gehört, scheint mir inzwischen recht einfach von der Hand zu gehen:
Ich verbringe also einen waldigen, sandigen, ruhigen und relativ ereignislosen Sonntag mit der Beobachtung meines großen Bruders bei der Vorführung seines Jobs im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Altes Handwerk" - die anwesenden Kinder bezeichnen das Werk als Gemetzel, denn er ist ja schließlich Steinmetz. Die Besucherzahl ist ganz ordentlich, setzt sich aber auch in nicht geringem Umfang aus Bekannten zusammen. Da parkt ein Auto ein (Marke "praktisch, nix aufregendes") und eine Frau kaum schätzbaren Alters in Garderobe der Marke "praktisch, nix aufregendes" steigt aus. Vor dem Bauch trägt sie eine Spiegelreflexkamera. Ihr Blick ist suchend, aber nicht verklärt sonntäglich. "Du, du wirst heute noch interviewt", deute ich dem Bruder mit einem Nicken in Richtung der sich nähernden Frau - ich glaube, dass sich in meiner Nase ein Hauch von Stallgeruch herumtreibt und meine Finger zu jucken beginnen. Nicht jeder mit Kamera sei ja Journalist, deutet neben der Familie auch die liebe Dorfgemeinde. Na aber! Wetten, dass doch?! Die Frau werde jetzt ein bisschen rumgehen, ein bisschen fotografieren und dann ein paar ausgewählte Leute sprechen, prophezeie ich.
Die Frau beobachtet ein, zwei Minuten. Sie schleicht ein wenig herum, um Unsichtbarkeit bemüht und immer mit einem wachen Blick auf Einzelheiten und als wolle sie grad durchzählen. Sie macht ein paar Fotos und blickt nach fast jedem Klicken des Auslösers kontrollierend auf das Display, zoomt heran und wiegt die Kamera millimeterweise hin und her, einmal begrenzt sie den Bildausschnitt mit der linken Hand. Sie kramt ein Notizbuch der Marke "egal, Hauptsache Platz" aus der Tasche. In dem Notizbuch steckt ein Kugelschreiber, der die aktuelle Seite markiert und der Marke "gab es mal als Werbegeschenk irgendwo" zuzuordnen ist. Sie schreibt was auf und klemmt das Notizbuch unter ihren linken Arm. Sie zückt den Programmflyer, liest kurz was und umschleicht den Bruder. Als der sich voll konzentriert auf sein Handwerk kurz zu einem anderen Steinstück entfernt, hechtet sie mit langen Schritten hinterher, setzt dem konzentrierten Gesicht ein freundliches Lächeln auf und spricht ihn von der Seite an, dass sie von einer Zeitung kommt und ob er jetzt mal ein, zwei Minütchen für sie hätte. Sie nimmt das Buch wieder aus der Klemme und notiert sich die Aussagen des Bruders, guckt dabei immer mal freundlich interessiert hoch. Sie stellt scheinbar einem inneren Plan und einer Erwartungshaltung folgend Fragen wie "Würden Sie sagen, dass sich Ihr Beruf gewandelt hat in den letzten Jahren?", "Würden Sie sagen, dass der Steinmetz vor allem mit Grabsteinen in Verbindung gebracht wird?" Insgesamt reden sie fast 20 Minuten miteinander. Ich bin kurz "hilfreich", indem ich der Frau die Visitenkarte des Bruders reiche und so hoffe, dass sie den im Flyer falsch geschriebenen Nachnamen wenigstens in der Zeitung richtig buchstabiert - die Blutsbande, zu der ich mich ganz gleich wie ich derzeit heißen mag zuordne, schreibt sich schließlich mit "ä" wie "Ärger" und darauf lege ich großen Wert! Dann redet die Frau noch kurz mit dem anderen Steinmetz und den paar Leuten, die sie auf den Fotos mit drauf hat. Nach gut 45 Minuten steckt sie das Notizbuch wieder in ihre Umhängetasche der Marke "abgewetzt, aber sooooo praktisch", steigt wieder in ihr Auto und ist weg.
Zwei Tage später ist der Artikel in der Zeitung. Der Bruder ist ganz zufrieden und sieht darin auch kostenlose Werbung. Der Nachname ist richtig mit "Ärger" geschrieben. Nur in der Bildunterschrift ist mein Bruder plötzlich ein "Steinmelz". Kann passieren.
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