Es ist ganz nett als Journalist in der eigenen Heimatstadt zu arbeiten. Man macht sich einen Namen (einen guten Namen im Idealfall), fällt immer wieder positiv bis negativ auf und wird dadurch erkannt. Das kann natürlich auch nerven. Oft sogar.
Kneipenausflüge werden bei mir auch mal mit "Trinken Sie heute privat oder beruflich?" kommentiert, morgengrauende Ausflüge zum Bäcker mit "Na, Sie sehen aus als hätten Sie eine Nacht durchgeschrieben!" und neulich wurde im Wartezimmer mein Bildchen im Zeitungskommentar mit der Realität abgeglichen. Ein bisschen befremdlich für mich ist es auch, dass meine Frauenärztin während der laufenden Untersuchung mit mir über meine Artikel sprechen mag. Nur mein Zahnarzt hat eingesehen, dass ich nicht immer antworten kann und will.
Und wenn ich grad im Drogeriemarkt Klopapier, Spülmittel, Tampons, Kondome, Mottenfallen oder Kontaktlinsenreiniger auswähle, fordert dies meine Konzentration an sich in einem so ausreichenden Maße, dass ich gerade mal nicht mehr über die Stadtpolitik, die Medien an sich oder andere Ärgernisse sprechen mag ... Aber manchmal ist es doch gut, in solchen Momenten als "Sie, Sie sind doch die von der Zeitung" aufzufallen. Auf dem Arm drei Packungen Tee und eine Flüssigseife klingelte heute ein süßes "Wie muss man sich denn da bewerben, dass Sie mal zu uns kommen? Was muss man da genau machen?" in meinem Ohr. Der kleinstädtische Headhunter hatte mich vor der Flinte und drückte ab!
Ich befülle die lokale Zeitung regelmäßig mit etwas, das ich "Jobserie" nenne. Darin - es ist inzwischen rund 25 Mal geschehen - versuche ich einen Tag beziehungsweise eine Schicht lang andere Berufe und schreibe über all das, was ich dabei erlebe, erfahre und empfinde.Ich war mal Bibliothekar, Kindergärtner, Tierpfleger, Feuerwehrmann, Polizist, Bademeister, Schokoladenfabrikant, bei einem Abwasserzweckverband (schöne Scheiße), im Museum, Stadtführer, Kulturamtsleiter ... Als ich mir mal dachte "Na, das nutzt sich doch aber alles ab" und das Projekt gezielt durch Nicht-Aktion einschlafen lassen wollte, verlangten Leser per "Wann kommt denn da mal was Neues?" und "Aber das war doch immer schön!" danach. Also ging es wieder los ... dann ließ ich es wieder dümpeln, schon weil man für so viele Berufe so verdammt früh aufstehen muss ... es kamen wieder Fragen ... es ging wieder los ...
Zuletzt gab ich Gastspiele als Melker, Straßenwärter und bei der Tafel. Ich musste wieder so verdammt früh aufstehen. Aber einschlafen lassen? Geht nicht. Sobald meine Selbsterfahrungswerte wieder regelmäßig zu lesen sind, kommen die Angebote und Fragen erst recht ins Haus. Beziehungsweise zwischen den mittagspausigen Einkauf im kleinen Supermarkt um die Ecke, der meine Versorgung sichert. Letztens fiel ich auch mal einer Putzfrau vor die Füße, die mir prompt ihren Job anbot. Einer von der Bundeswehr will mich kriechen sehen. Und dann komme ich auch selbst wieder auf so Ideen ... einen Tag Chefredakteur ... Bundeskanzler ... hach
"Wie muss man sich denn da bewerben, dass Sie mal zu uns kommen? Was muss man da genau machen?" ... für eine Sekunde dachte ich daran, mir einen kleinen Spaß zu gönnen und mir für ein mehrstufiges Auswahlverfahren irgendein Formular mit drei Durchschlägen und 23 sinnfreien Vorschriften (nur weiße Blumen in der Garderobe von Frau Jacob, den Champagner stets bei 13 Grad halten, ...) auszudenken ... so ein bisschen Mariah Carey steckt ja in jedem von uns ...
Dann fiel mir ein, wie lieb die Damen im kleinen Markt meines Vertrauens immer zu mir sind und dass es eigentlich dumm war, nicht selbst drauf zu kommen. So klärte ich prompt, dass sie mit ihrer Frage schon genug der Bewerbung um meine Dienste getan hat. "Ach, das wäre schön wenn Sie zu uns kommen, das ist immer lustig mit Ihnen!", sagte sie. Ich frag sie dann mal, woher sie das eigentlich wissen will. Wenn der Vorstand der lieben Handelskette zustimmt, darf ich mich hinter Kasse und Wursttheke schwingen, zwischen Getränkekästen und Tiefkühlwaren buckeln. Hoffentlich muss ich nicht so verdammt früh aufstehen ...
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