Die erste Arbeitswoche nach Urlaub habe ich hinter mir. Es war gar nicht mal so schlecht. Obwohl ... oder besser gerade weil ich die Umfrage machen musste. Bekanntlich mag ich Umfragen - to do: Foto und kleine Meinung des Otto Normal auf der Straße einholen - nicht besonders (das steht
hier). Etwas anders lief es in dieser Woche.
Immer wieder sehe ich in der Stadt eine ältere Dame, die mich immer (!) nett anlächelt. Ich begegne ihr auf dem Weg zum Bäcker, auf dem Weg zum Imbiss, auf dem Weg in den Konsum, auf dem Weg zu meinen Eltern, auf dem Weg zum Arzt. Sie lächelt. Und ich lächle zurück. Immer. Vielleicht ist sie so Anfang 70. Sie trägt - leider - diesen beigen Einheitslook, wie ihn ältere Frauen gerade im Osten Deutschlands offenbar mit Auszahlung der ersten Rente vermacht bekommen. Aber sie hat eine fesch dunkelblond toupierte Frisur und trägt Lidschatten und Eyeliner, was ich ja einen netten Bruch dieser Beigetristigkeit finde. Auf dem Weg zur Umfrage begegnete sie mir auch und ich ergriff meine Chance, sprach sie an: "Hallo!", sagte ich. "Sie lächeln mich immer so nett an. Kennen wir uns? Und ich, ich kann mich nicht mehr erinnern? Dann tut es mir leid!", fuhr ich fort. Und sie lächelte mich wieder an und sagte: "Nein, Sie kennen mich nicht. Aber ich kenne Sie aus der Zeitung. Und ich finde das alles so gut, was Sie machen und darum lächle ich!" Meine Wangen fingen zu glühen an, ich lächelte verzückt und dankte mehrfach für dieses Kompliment. Hach. Und ach: An der Umfrage, übrigens, wollte sie trotzdem nicht teilnehmen. Also findet sie doch nicht alles gut, was ich für die Zeitung mache. Aber was soll's, ich mag die Umfrage ja auch nicht.
Meinen Freitagabend verbrachte ich teilweise im nahen Konsum. Ich erledigte meinen Wocheneinkauf. Zwei Mal. Es muss das Alter sein. Oder der Stress. Oder so. Ich werde vergesslich, nutze aber auch keinen Einkaufszettel. Und ich bin in Gedanken oft ganz woanders. Als ich das beim ersten Anlauf Gekaufte in meinem Kühlschrank verstaute, stellte ich fest, dass ich einiges vergessen habe. Also lief ich wieder los, um das Fehlende wie Schnittkäse zu kaufen. Die Frau an der Kasse hat sich gefreut, mich zwei Mal in nicht mal einer Stunde zu sehen. Ich freute mich, beim zweiten Blick noch was Neues an Leckerschmeckern in den Regalen zu entdecken. Und meine Mutter würde sich nach mehr als einem Jahr Singletums meinerseits vielleicht freuen, dass ich nun offiziell mal wieder die Mutter eines Mannes kennengelernt habe. Als ich gerade dachte "2.39 Euro für 80 Gramm Serrano-Schinken, das finde ich nicht übertrieben" sprach mich eine Frau an. Sie sagte: "Ich wollte das immer mal machen. Aber heute spreche ich Sie mal an!", was ich ja die ideale Gesprächseröffnung finde, wenn man jemanden schon immer mal ansprechen wollte. Sie kam dann schnell zum Punkt: "Ich bin die Mutti vom XL." Das ist jener schwer verunglückte Feuerwehrmann, der mich zum Weinen brachte, mittlerweile ein Freund im bruderhaften Sinne ist (wir sprachen kürzlich über mein PMS) und dem ich die wichtigste Geschichte meiner Laufbahn verdanke (steht hier in
XL). Sie habe mich ja immer schon mal gesehen und sich erst heute das Herz gefasst, mich anzusprechen. Das gibt mir zu denken. Habe ich sonst die Ausstrahlung eines Menschen, den man besser nicht anspricht? Gut möglich. Aber trotzdem ein wunderbarer, warmer und zuckersüßer Moment. Ich habe mich sehr, sehr, seeeeeeeehr gefreut. Hach. Und ach: Meine Mutter freut sich sogar, dass ich nach wie vor Single bin. Ich schätze mal: Genauso wie sie gerne hätte, dass ich endlich mal ein Buch schreibe, ist auch mein Singleleben ein bisschen Ausleben verpasster Dinge in ihrem Leben. Und außerdem habe ich jetzt Serrano-Schinken im Kühlschrank.